Das Fast-Unmögliche

Johannes Dürr und das Fast-Unmögliche - ein Journal

Schafft es Langläufer Johannes Dürr doch noch zur Nordischen Ski-WM in Seefeld?

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September 2018

Das gute Ergebnis des Bergroller-Testwettkampfes am Gaisberg beflügelte sowohl Johannes wie auch uns als Mini-Team. Der 4. Platz vor sämtlichen ÖSV-Europacup-Läufern basierte auf seiner größten Stärke, und die lag stets in Bewegung bergauf. Die Arbeit an den Schwächen, an dem, was in den Jahren verminderten Kraft- und Skirollertrainings gelitten hatte, war nun voll im Gange: Rumpfstabilität, Tempotraining, Technik, Kraftübertragung ‒ alles, was es brauchte, um Resultate wie jenes vom Gaisberg oder jenes der Ergometer-Spirometrie aus dem Juli auch auf die Skier und in den Winter zu bringen. Die Kunst bestand darin, all das zu forcieren, und gleichzeitig die Ausdauerbasis nicht zu vernachlässigen. Eine Gratwanderung.

Buchstäblich. Möglich machen sollte dies ‒ wie bereits im August mit dem Aufenthalt in Santa Caterina ‒ Ausdauertraining in der Höhe. Diesmal, parallel zum Dienst in seiner auf 50 Prozent reduzierten Dienststelle, in Kühtai. In der zweiten Monatshälfte wartete dann bereits spezifisches Training auf Schnee im Skitunnel Oberhofs. Und damit eine Herausforderung abseits des Trainings selbst: Das Testen der Skier - eine Arbeit, die nicht aus Gleittests allein bestand, die auch das Aufsetzverhalten, die Steifigkeit, die Führung der Skier unter die Lupe nehmen musste. Normalerweise die Arbeit einer eigenen Wachsmannschaft, die Stunden und Tage mit nichts anderem verbrachte.

Wir hatten keinen Wachsmann, keine Wachsfraz. Unser Team bestand aus dem Skilangläufer, dem Schriftsteller, der Freundin des Skilangläufers und einem Freund. Einer trainierte, einer schrieb, und zwei versuchten neben ihrem Beruf Quartiere, Anreisen zur organisieren, Rechnungen zu sammeln, eine Homepage zu gestalten, einen Verein anzumelden und Unzähliges mehr. Zum Glück kam jetzt noch einer hinzu, der Physiotherapeut Christian Wachabauer, der zu dem Zeitpunkt selbst noch nicht ahnte, wie schnell aus ihm ein Skitester und Chefwachsler werden sollte, im Grunde eine ganze Wachsmannschaft.

Oktober 2018

Im Oktober wartete ein zweiter Aufenthalt im Skitunnel, und dort die ersten intensiven Einheiten auf Skiern. Danach standen zwei Trainingslager in Ramsau am Dachstein am Programm. Physisch verlief alles sehr zufriedenstellend. Der geplante Test am Skiroller-Laufband in der Ramsau musste jedoch ausfallen. Das Trainingszentrum-Ramsau verweigerte die Benutzung, zuerst unter dem Vorwand fehlender Termine, und als durch einen Versprecher klar wurde, dass es tatsächlich Plätze gäbe, erfolgte die Verweigerung begründungslos. Interessant allein schon deshalb, da das Trainingszentrum eine öffentliche Einrichtung ist, keineswegs etwa dem ÖSV untersteht, und auf seiner Homepage damit wirbt, allen offen zu stehen. Fast allen.

Parallel dazu schrieben wir unter Hochdruck an unserem Buch. Just jetzt geschah jedoch so viel auf einmal, dass wir mit dem Erzählen kaum nachkamen. Weit Gewichtigeres als Intermezzi wie Erfahrungen wie jene mit dem Trainingszentrum Ramsau, für die im Buch deshalb auch gar kein Platz sein sollte. Juristisches kam hinzu, und im Prinzip könnte man es sogar bedrohlich nennen. Oder einfach davon erzählen, so wie wir es schon seit vier Jahren taten. Und erst Recht in diesen letzten Wochen des Schreibens.

Als Sport-Team plagte uns parallel dazu, dass uns immer noch ein Profi fehlte, der im Winter die Organisation der Rennwochenenden übernehmen könnte, ob Rennbetreuung, die Präparierung der Skier oder einfach nur die Bürokratie solcher Teilnahmen wie Mannschaftsführersitzung, Startnummerabholung etc. ‒ jemand, der all das auf dem Niveau von Europacups kannte und dementsprechend dafür sorgte, dass Johannes den Kopf frei haben konnte. Doch Leute mit derartiger Erfahrung konnte man in Österreich an zwei, drei Händen abzählen. Und die meisten davon arbeiteten im ÖSV. Im Grunde so gut wie alle.

Noch dringender war zu dem Zeitpunkt allerdings, dass uns immer noch ein Mannschaftsbus fehlte. Und dies nicht erst für die Rennen im Winter, sondern bereits für den Transport des Skimaterials zum Trainingslager im November, das neben möglichst vielen Schneekilometern für den Athleten Johannes auch für die ersten verlässlichen Testwerte der Skier sorgen sollte. Es wurde eine Angelegenheit in letzter Sekunde. Erst ein VW-Porsche-Händler aus Zell am See machte den Erwerb eines Transporters in der Woche der Abfahrt erschwinglich.

November 2018

Die beiden Testrennen im finnischen Saariselkä im Rahmen des Trainingslagers waren schwer, doch sie waren notwendig. Über vier Jahre war Johannes keine derartigen Distanzen mehr auf solchem Niveau gelaufen. Der Rückstand schreckte nicht, im Gegenteil, nach all den Monaten der Vorbereitung ohne Vergleiche wurde alle Arbeit nun endlich konkret. Größer war die Sorge am Ende des Trainingslagers vielmehr darüber, es womöglich mit der Trainingsbelastung übertrieben zu haben. An einem der letzten Tage brach er deshalb einen internen Testlauf ab, stellte die Weichen auf Durchatmen und konnte jetzt nur warten, ob der Körper Schlaflosigkeit und Schwere in der verbleibenden Woche bis zum Wettkampfauftakt am 2. Dezember beim Austria-Cup in der Ramsau abschütteln konnte.

Dezember 2018

Einen Tag vor dem Austria-Cup fühlten sich die Beine im langen, steilen Anstieg der Ramsauer Weltcup-Runde zum ersten Mal wieder gut an. Trotzdem mussten wir nach dem Austria-Cup schreiben:

Jedes Ergebnis zählt jetzt - das erste ist eine komplette Niederlage. Ob Platzierung oder Rückstand, schlechter geht es kaum.Warum: Organisatorische Überforderung, Magenkrämpfe, glatte Skier und der Körper nicht einmal in der Nähe der Limits. Die Analyse: Wir brauchen einen Wachs- und Skipräparierungs-Kopf!!

Wer kann helfen? Wer kennt jemand mit genug Erfahrung auf Alpen- und Europacup-Niveau, der unseren Skikeller während der kommenden Wochenenden übernimmt?

Zwei Wochen waren nun Zeit zur Reorganisation. Zwei Wochen, in denen wir trotz kurzer Hoffnung niemand zusätzlichen für die Rennbetreuung fanden. Stattdessen wurde Physiotherapeut Christian Wachabauer nun endgültig zum Chefwachsler. Beim Klassikrennen am 16. Dezember in Campra hatte Johannes zum ersten Mal in dieser Saison gute Skier und schaffte es prompt in jene FIS-Punkte-Bereiche, die deutlich zeigten, wie realistisch seine Ziele waren: 88,03 Punkte hatte er nun zu Buche stehen, mit dem Europacup-Wochenende von Valdidentro-Isolaccia am 22., 23. Dezember sollte der nächste Schritt erfolgen. Während er in Saariselkä noch mit 113,03 Punkten gestartet war, lag der Bereich, ab dem eine Anwartschaft auf eine Staffelteilnahme bei der WM im Vergleich zur Konkurrenz in Österreich angemeldet werden konnte, im Bereich von 50, möglicherweise hohen 40 FIS-Punkten.

Die Richtung war klar. Und obwohl mit dem ersten Wettbewerb in Italien einer in der schwächeren Skating-Distanz am Programm stand, schaffte Johannes bei seiner Rückkehr in den Europacup auf Anhieb 74,22 FIS-Punkte. Dementsprechend viel rechnete er sich tags darauf für das Klassisch-Massenstart-Rennen aus, startete vom 79. Startplatz aus phänomenal, spielte sich in den ersten Anstiegen und lag bereits in der Spitzengruppe, als im letzten langen Anstieg der Runde deutlich wurde, dass just dort die Skier nicht hielten. Er kämpfte sich durch und spürte trotz des Ergebnisses an dem Tag zum ersten Mal: Er konnte mithalten, und er konnte sogar deutlich mehr erreichen! Jetzt musste er lediglich Geduld haben, durfte sich von dem bereits eine Woche später anstehenden Austria-Cup in Villach nicht abbringen lassen, einen Trainingsblock einzuschieben, musste ruhig bleiben, auch wenn das Resultat dort aufgrund vom Trainieren schwerer Beine mäßig sein sollte, um für den Jänner und vor allem für den Februar gerüstet zu sein.

75,01 FIS-Punkte wurden es dann am in Villach, das bedeutete sogar Stabilisierung, nachdem die Trainingseinheiten davor gut gewesen waren, konnte die Basis für alles Kommende kaum besser sein.

Jänner 2019

Nove Mesto, Sonntag, 7.1.: Mitten in der großen Spitzengruppe kommt Johannes den langen Anstieg zum höchsten Punkt der Runde herauf, notierte ich direkt nach dem Rennen: Je näher er kommt, desto klarer wird, wie leicht es geht. Der Ski hält, er lächelt, geht auch in den Übergängen jedes Tempo mit ...

Kurz vor dem Durchlauf liegt er auf Platz 19. Dass er vor der Zwischenzeit die langsame Spur im Stadion erwischt, bringt ihn nicht aus der Ruhe. Selbst im sonst schwächeren Doppelstock hat er schon vor dem ersten Anstieg wieder 10, 12 Läufer überholt.

Wir hatten uns eigentlich nicht viel ausgerechnet für diesen Tag. Der Skating-Bewerb am Samstag war nicht gut gelaufen. Offenbar spielte die seit Silvester herumgetragene Verkühlung immer noch mit, hatten Trainingspause und Ausruhen nicht ausgereicht.

Gleichzeitig konnte so ein Rennen der entscheidende Ausputzer sein, größere Hoffnungen machten wir uns trotzdem für den Sonntag nicht.

Wichtiger war, ihm endlich gute Klassik-Skier in die Hand drücken zu können. Darauf verwendeten wir ab den frühen Morgenstunden unsere ganze Energie. Erneut stand es auf Messers Schneide. Doch diesmal klappten die Abläufe, konnten wir in den entscheidenden Augenblicken reagieren: 12 Minuten vor dem Start waren seine Skier bereit, gerade noch rechtzeitig, um auszukühlen, bevor sie in die Spur mussten.

Die Skier gingen, unser selbstgebasteltes Mini-Team hatte es zum ersten Mal geschafft. So wie er den höchsten Punkt der Runde herauf lief, war sein Material zum ersten Mal auf Augenhöhe mit den europäischen Spitzenmannschaften. Und auch er, auf einmal sah es wieder leicht aus. Da war er wieder, der Skilangläufer Johannes Dürr, und in seinem Gesicht ein Lächeln. Dann machten die Bronchien zu: die Verkühlung, die erneut kälteren Temperaturen, es war doch noch zu früh ...

Kein tiefer Atemzug ging mehr. Er stieg kurz an den Loipenrand, probierte es mit Durchatmen, lief noch einmal weiter. Doch die Lunge blieb zu, jedes Weiterlaufen, jedes Weitermachen jetzt würde die Saison ganz kaputtmachen.

Bitter ist das. Doch es ist im Sport kein leeres Wort, dass alles zusammen spielen muss. Was uns angesichts dieses Rennwochenendes in Nove Mesto Auftrieb gibt, bleibt ein unsichtbarer Erfolg, spiegelt sich in keinem Ergebnis wider. Doch wir nehmen ihn mit, es hilft im Auskurieren, es gibt Vertrauen in und Ruhe. Natürlich drängt die Zeit, läuft die Seefeld-Uhr. Gleichzeitig zählen gerade die Ergebnisse, je näher die Weltmeisterschft in Seefeld rückt, umso mehr.

Was es dafür braucht, ist klar: Gesundheit, Glück, zwei gute Trainingswochen im Jänner, ein Testrennen bei einem der Volksläufe Ende des Monats und danach überzeugende Ergebnisse bei den entscheidenden Wettkampfwochenenden im Februar: Zuerst bei den Österreichischen Meisterschaften in Eisenerz und danach beim Europacup in Planica.

(Fortsetzung folgt ...)