VIELSCHICHTIGE ROLLEN: Schauspieler Mahershala Ali wurde als bester Nebendarsteller mit einem Oscar gewürdigt.
Giftlieferanten

Oscar-Gewinner "Moonlight“: Giftlieferanten

Black, queer und dreifach ausgezeichnet: der Oscar-Gewinner-Film "Moonlight“.

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Welch ironischer Moment! Das Umschlag-Verwechslungsdebakel, in welches das Team des Oscar-Gewinner-Films "Moonlight“ zuerst hineingeriet, erscheint wie die Fortsetzung der ästhetischen Strategien, mit denen Regisseur Barry Jenkins selbst so erfolgreich operiert. Er knüpft dort Knoten, wo andere Fäden spannen würden. "Moonlight“ erzählt in drei Kapiteln von Chirons Heranwachsen, einem Jungen aus einem schwarzen Armenviertel von Miami, den wir als Zehnjährigen kennenlernen und bis in seine Dreißiger begleiten (Alex Hibbert, Ashton Sanders und Trevante Rhodes als Chiron). Keine Schusswechsel, kein Miami-Vice-Furioso: Hier gibt es Streichorchester statt Gangsta-Rap, Innensicht statt Rasterdenken, einen berührenden Entwicklungsroman statt Wendepunkte bis zum Abhaken.

Kunstvolle Vielschichtigkeit

Bereits die Eingangsszene, in der Drogen-Kingpin Juan (Oscar-Preisträger Mahershala Ali) einen Subdealer besucht, offenbart die Vielschichtigkeit, die sich kunstvoll durch diesen Film ziehen wird: Die Kamera erkundet flink das Geflecht der Beziehungen, das, kaum stabilisiert, sofort wieder ins Schwingen gerät. Juan ist ebenfalls schwer greifbar: krimineller, sanfter Ersatzvater, Lieferant des Giftes, das Chirons Mutter zerstört. "Moonlight“ achtet auf jene Aspekte, die Genrefilme negieren würden. Er registriert den Schmerz, den eine Kindheit im Crack-Elternhaus bedeutet; die Angst, gemobbt zu werden, weil man anders ist, vielleicht queer, wie Chiron und sein bester Freund, die mit der Frage nach der schwarzen Maskulinität konfrontiert werden.

Jenkins und sein Koautor Tarell Alvin McCraney (ebenfalls ausgezeichnet in der Kategorie "Bestes adaptiertes Drehbuch“) sind als Söhne cracksüchtiger Mütter in einem Armenbezirk von Miami aufgewachsen, in Liberty City. Sie kennen diese Welt, samt dem Horror und dem darin verschütteten Reichtum. Wir alle, sagt Jenkins, seien im Laufe unseres Lebens nicht eine Person, sondern mehrere. Wer seine Helden begreifen will (oder sich selbst), der muss dem vielfach verschlungenen Band folgen, das sie verbindet.

Dieser Artikel stammt aus dem profil Nr. 10 vom 6.3.2017. Das aktuelle profil können Sie im Handel oder als E-Paper erwerben.