Warum wird im Tanz so wenig über #MeToo gesprochen?

Tänzerinnen stehen nicht selten nackt auf der Bühne und arbeiten in Kompanien, die oft von Männern geleitet werden. Warum wird ausgerechnet in diesem Bereich so wenig über #MeToo gesprochen?

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Eine junge belgische Tänzerin wird von einem erfolgreichen älteren Künstler eingeladen, sich seine Ausstellung in Paris anzusehen. Das Angebot klingt professionell, doch bei ihrer Ankunft in der Stadt muss sie feststellen, dass er ein gemeinsames Hotelzimmer gebucht hat. Ein Choreograf verlangt von seiner Performerin, dass sie den Soundcheck nackt absolviert. Ein Regisseur erhält von einem Kollegen den Rat: "Du kannst nur mit ihr arbeiten, wenn du sie auch fickst." In einem Stück kommt eine Nackt-Bondage-Szene vor, der Theaterdirektor und einige männliche Kollegen schauen regelmäßig zu, wie die Tänzerinnen vor der Vorstellung die Fesseln angelegt bekommen.

Die genannten Fälle sind authentisch. Aufgezeichnet wurden sie von der jungen belgischen Tänzerin Ilse Ghekiere, die den staatlichen Auftrag bekam, Sexismus in der Tanzszene zu untersuchen. Sie habe das Gefühl, die Büchse der Pandora geöffnet zu haben, schreibt sie in einem Artikel, der ihre 2017 veröffentlichte Recherche zusammenfasst. Ihre erste Frage an Tänzerinnen sei stets neutral gewesen: "Fühlen Sie sich anders behandelt, weil Sie eine Frau sind?" Die Bandbreite der Antworten war groß, sie reichte vom Eindruck, nicht respektiert zu werden, bis hin zu deutlichen Beispielen von Missbrauch. Sexismus gehe tiefer als sexuelle Belästigung, betont Ghekiere. Gerade der Tanz, der den Körper im Zentrum stelle, sei ein verwirrendes Feld, vor allem junge Künstlerinnen befänden sich in einer "außergewöhnlich verwundbaren Position".

Vor diesem Hintergrund erstaunt es, dass die österreichische Tanz- und Performanceszene bislang nicht an der von #MeToo befeuerten Debatte teilgenommen hat, die vom Kino über das Theater bis zur Klassikbranche in der Kultur weite Kreise zieht. "Belgisches Tanztheater ist ein Exportschlager, es gibt große Häuser und Kompanien", sagt die Wiener Choreografin Christine Gaigg: "Österreichs freie Szene ist dagegen eine Nische, klarerweise vermischen sich auch bei uns Begehren und Professionalität, aber die Machtlinien sind nicht so ausgeprägt." Bettina Kogler, die neue Leiterin des Tanzquartiers (TQW), sieht gerade in der "familiären Struktur" ein Problem. "Es ist schwieriger, die Machtverhältnisse aufzuarbeiten und an die Öffentlichkeit zu gehen, man ist zum Teil befreundet und hat wenig Ausweichmöglichkeiten für Jobs", analysiert Kogler auf profil-Anfrage. (Am 13. April gibt es die Chance, ausführlich darüber zu reflektieren: Gaigg hat Ghekiere nach Wien ins Tanzquartier eingeladen. Im Anschluss an eine Vorstellung ihres Stücks "Maybe the way you made love twenty years ago is the answer?" von 2014 werden die beiden Künstlerinnen mit dem Philosophen Robert Pfaller und dem Theatermacher Peter Stamer diskutieren.)

"Lolita-Fantasien"

Kogler wundert sich auch, wie wenig Bewusstsein für sexistische Rollenbilder auf der Bühne herrscht: "Der Blick auf den weiblichen, oft nackten Körper wird stark von älteren, männlichen Choreografen geprägt." Im Tanz herrsche nach wie vor der Topos des "männlichen Genies" und der "weiblichen Muse", das bestätigt auch Ghekieres Studie. Die Belgierin stellte in Gesprächen fest, dass viele junge Tänzerinnen mit den "Lolita-Fantasien", die sie auf der Bühne verkörpern müssen, zunehmend Probleme haben. Von ihnen werde verlangt, halbnackt Frauenklischees wie "die Naive" oder ein "sexy Girl" zu spielen - auch von namhaften Choreografen wie Jan Fabre oder Jan Lauwers.

In Wien gab es im Vorjahr einen kleinen Eklat, als Fabre im Rahmen des Festivals ImPulsTanz eine Frau aus dem Publikum als Teil seiner Aktion "I am a Mistake" küssen wollte. Sie empfand dies als Übergriff. Im Laufe der Performance schmuste der 58-jährige Fabre dann über mehrere Stunden lang mit einer jungen Frau im Dirndlkostüm - es handelte sich um die Kuratorin Judith Radlegger, die zwar künstlerisch mitwirkte, allerdings nicht im Programm genannt wurde. Auch das sorgte in der Tanzszene für Diskussionen, die allerdings bald verebbten. Dabei wirft diese Performance spannende Fragen auf. Was darf man einem Publikum zumuten? Wo und wie werden Grenzen überschritten? Ist nicht auch die Freiheit der Kunst bedroht, wenn man vorschnell Zensur fordert? Wo werden im Namen der Kunst nur alte Klischees perpetuiert? Christine Gaigg findet es problematisch, dass die Auseinandersetzungen gerade bei solch wichtigen Fragen in jüngster Zeit "hysterischer, auch moralisierender" geworden seien. Die aktuelle "Vermischung von Betroffenheit und Angst-Narrativ" verhindere eine differenzierte Diskussion.

Sexismus scheint dem Tanz viel direkter eingeschrieben zu sein, als es in anderen Kunstsparten der Fall ist. "Wir kommen aus einer Geschichte, in der Tanz auf eine ähnliche Stufe gestellt wurde wie die Prostitution: Die Mäzene des Balletts erhielten als Gegenleistung für ihr Sponsoring sexuelle Dienste der Ballerina", erklärt die heimische Performerin Florentina Holzinger, die in ihren radikalen Arbeiten einen queer-feministischen Blick auf die Ballett-Tradition wirft. "Spuren dieser Dynamik existieren nicht nur in Hollywood, etwa in Filmen wie 'Black Swan', sondern nach wie vor in großen Ballettkompanien. Aber bisher wurde darüber immer nur hinter verschlossenen Türen geredet." Auch die Machtverteilung weist im Ballett ein starkes Gefälle auf: Während das Ensemble vorwiegend aus Tänzerinnen besteht, arbeiten überdurchschnittlich viele Männer in Führungspositionen.

Voyeure als Problem

Da ist die freie Szene innovativer: "Erfreulicherweise gibt es in Wien im Bereich Tanz/Performance starke Frauen auch in leitenden Funktionen", sagt die Choreografin Doris Uhlich, die bekannt für ihre Arbeit mit nicht genormten Körperbildern ist. Sie hat mit älteren Menschen ebenso kooperiert wie mit Performern im Rollstuhl. Sie zeigt selbstbestimmte, kraftvolle Individuen auf der Bühne, weiß aber, dass Voyeure im Publikum ein Problem sein können. In ihren Nackt-Workshops ist die Choreografin wachsam. Sie habe einmal einen Mann im Kurs gehabt, der Erotisches erwartet habe. Eine Teilnehmerin habe diese Haltung gespürt. Uhlich sprach mit dem Mann, er musste den Workshop dann verlassen. "Das Gefühl der Frau war richtig", sagt Uhlich, die offene Kommunikation begrüßt.

Florentina Holzinger kann das nur bestätigen. Es gebe durchaus Besucher, die während der Vorstellung filmten, um ihr Material dann auf Online-Plattformen zu stellen, die - hauptsächlich von Männern besucht -unter dem Vorwand der Kunst ganz andere Bedürfnisse befriedigten. "Ich glaube, dass Arbeiten von mir, etwa 'Apollon', eher ein Schlag ins Gesicht für den klassisch heterosexuellen Mann sind", sagt Holzinger. "Aber manche Zuseher wollen einfach nur eine Stunde lang angestrengt einer Frau zwischen die Beine schauen, egal, was sie macht. Das weiß ich nach jahrelanger Bühnenarbeit."

Holzinger betont, für ihre Arbeit sei es wichtig gewesen, "ein Netzwerk von Frauen aufzubauen, die sich gegenseitig unterstützen, um gemeinsam eine stärkere Haltung zu entwickeln". Ghekiere hat bei ihrer Recherche gemerkt, dass viele Künstlerinnen ihre negativen Erfahrungen bisher verschwiegen hatten, weil sie sich schämten, nicht sofort reagiert zu haben, oder weil sie befürchteten, als "prüde" oder "unprofessionell" verspottet zu werden. Sie schlägt vor, bereits in der Ausbildung zu lehren, Nein zu sagen, wenn man sich unwohl fühle. Es wird also in Zukunft auch im Tanz mehr über Machtmissbrauch geredet werden.

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Karin   Cerny

Karin Cerny