Stanislaus Ruhaltinger

Warum ein junger Mann mit der Liste Pilz brach

Weil ich an Peter Pilz glaubte, habe ich mich monatelang für seine Liste engagiert. Warum ich jetzt aufhöre. Von Stanislaus Ruhaltinger.

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Es war mein erstes Mal. Mein erstes politisches Engagement. Meine erste Nationalratswahl. Begonnen hat alles an einem Sonntag Ende Juni 2017. Ich hatte soeben ein Tennisspiel verloren und suchte auf meinem Handy nach Ablenkung. Als ich die Meldungen überflog, schockierte mich eine Nachricht: Peter Pilz war bei der Listenerstellung der Grünen durchgefallen. Was sich die Grünen dabei gedacht haben, ist mir bis heute ein Rätsel. Wollten sie keine kritischen Geister mehr in ihren Reihen? Keinen Johannes Voggenhuber, keine Gabriela Moser, keinen Karl Öllinger. Und nun auch keinen Peter Pilz mehr.

Ich war eben erst 16 Jahre alt geworden und durfte das erste Mal an der Nationalratswahl teilnehmen. Ich wollte aus Überzeugung meine Stimme abgeben. Ich wollte nicht das geringste Übel ankreuzen. Das war nun aber ein Dämpfer. Schon wenig später kamen erste Gerüchte auf, Pilz trete vielleicht mit einer eigenen Liste an. Mir gefiel es, wie er von Transparenz und dem Aufbrechen "verkrusteter Strukturen" sprach. Mir gefiel auch, dass er sich der Themen "Migration" und "politischer Islam" vernünftig, nicht hetzerisch annahm.

Ende Juli erfuhr ich aus sozialen Netzwerken von einer Pressekonferenz von Pilz. Ich schaute vorbei. Entgegen anderslautenden Spekulationen war, abgesehen von Pilz, kein Politpromi dabei. Das störte mich gar nicht. Ich fand es gut, auf Quereinsteiger mit fachlicher Kompetenz zu setzen. Ein politischer Vollprofi wie Pilz musste reichen. Ein paar Tage danach bewarb ich mich auf der Website und füllte ein "Mitmach"-Formular aus. Null Reaktion. Nach ein paar Wochen folgte eine unverbindliche Antwort. Schwung in die Angelegenheit kam erst, als sich meine Mutter einschaltete. Sie kannte die Wahlkampfmanagerin der Liste Pilz. Nachdem sie Kontakt aufgenommen hatte, wurde ich wenig später zum Flyer-Verteilen eingeteilt.

Drei- bis viermal in der Woche war ich jetzt im Einsatz, vor allem in den Wiener Außenbezirken. Wir waren meist zu dritt oder zu viert unterwegs. Wir kamen aus unterschiedlichen sozialen Schichten: Vom Arzt über den IT-Techniker bis zum Arbeitslosen und mir als Schüler war alles dabei.

Anfangs hatte ich Scheu, Menschen anzusprechen. Entscheidend war der Augenkontakt: Wenn mir ein Vorbeigehender länger in die Augen blickte, wusste ich, er würde den Flyer lesen. Schaute er weg, war es sinnlos und ich behielt den Prospekt. Er würde sowieso nur im nächsten Mistkübel landen. Ich wurde oft gefragt, wie man sich das vorstellen soll, wenn die Kandidaten das Programm sind. Ich antwortete: Jeder sei Experte auf seinem Gebiet, man ergänze einander. Ich ahnte nicht, dass dies zur Keimzelle von Eifersüchteleien und Streit werden würde.

In der Schule war mein Einsatz für die Liste Pilz eine Ausnahme.

Bald hatte ich die Aufgabe, den Wiener Straßenwahlkampf zu organisieren. Ich teilte die Aktivisten ein, koordinierte die Einsätze und war dafür zuständig, dass alle Teams genug Flyer hatten. Mein Tagesablauf sah damals so aus: Schule, Flyer verteilen, Koordination des nächsten Einsatzes. Abends verschickte ich immer eine Mail an die Aktivisten, damit jeder wusste, wann er wo zu sein hatte. Ich war mit Abstand der Jüngste und wurde in meiner Rolle als Koordinator überraschenderweise nie infrage gestellt. Das habe ich auch als Bestätigung meiner Arbeit gesehen.

Wir trafen uns meist in einem Keller in der Wiener Josefstadt. Ein Künstler hatte der Liste sein Atelier zur Verfügung gestellt. Es wurde Dreh- und Angelpunkt des Wiener Wahlkampfes: Hier wurde Material gelagert. Hier fanden Pressekonferenzen und Kandidatentreffen statt. Als Koordinator war ich ständig dort.

In der Schule war mein Einsatz für die Liste Pilz eine Ausnahme. Zwar gab es auch andere Schüler, die sich im Wahlkampf engagierten. Sie waren aber überwiegend für das Team Kurz unterwegs. Unter uns gab es freundschaftliche Konkurrenz, was mitunter spannende Gespräche ergab. Ist Kurz ein Rechter? Ist Pilz ernst zu nehmen? Wer bringt mehr Flyer an den Mann und an die Frau?

Am Wahltag war ich ziemlich nervös. Ich half bei den Aufbauarbeiten für die Wahlparty im Wiener Schutzhaus mit. Im Vorhinein wurde die Devise ausgegeben, das ORF-Team nicht hineinzulassen. Pilz war zu den ORF-Duellen nicht eingeladen worden und fühlte sich insgesamt vom Rundfunk ungerecht behandelt. Die erste Hochrechnung auf Puls 4: Der Balken blieb bei 3,2 Prozent stehen. Ein Schock. Drei Minuten später die ORF-Prognose: über vier Prozent. Jubel. Jetzt durfte auch der ORF-Mann hinein.

Obwohl die Stimmung toll war, musste ich bereits um halb eins heim. Die Schule lässt sich nicht verschieben.

Ein paar Wochen später der absolute Tiefpunkt: Pilz wurde der sexuellen Belästigung bezichtigt. Ich weiß bis heute nicht, wie schlimm die Vorfälle waren. Ich entschied, mich dennoch weiter zu engagieren. Natürlich gab es dafür viel Unverständnis in meinem Freundeskreis, damit musste ich zurechtkommen. Es tat mir leid, dass Pilz zurückgetreten war und sich wochenlang nicht mehr blicken ließ - wie übrigens auch viele Aktivisten: Mit einem Schlag waren sie weg und wurden nie wieder gesehen.

Vergangenen Sonntag habe ich aufgegeben. Die öffentlich ausgetragenen Streitereien sind nun auch mir zu viel geworden.

Wir - die Wiener Abgeordneten Stephanie Cox, Alma Zadic, Wolfgang Zinggl und rund 15 Aktivisten -trafen uns nun in den Parlamentsbüros in der Wiener Löwelstraße oder in der Parteizentrale in der Rahlgasse. Wir waren alle etwas erschöpft vom Wahlkampf. Pilz war nicht da, eine depressive Grundstimmung schlich sich ein. Jeder arbeitete vor sich hin, niemand gab den Ton an. Das wurde besser, als in Vorbereitung auf die Wien-Wahl der Verein "Liste Pilz Wien" gegründet wurde. Wolfgang Zinggl war für die Verbindung zum Klub zuständig. Ich habe sehr gern in diesem Verein gearbeitet. Es sind Freundschaften entstanden. Ich hoffe, sie halten.

Ich sollte eine Jugendgruppe in Wien aufbauen. Das war mühsam, aber es gelang mir, eine kleine Gruppe von Schülern, Studenten, einem Jungmediziner und ein paar Kreativen zu regelmäßigen Treffen zu bringen.

Zuletzt war geplant, eine bundesweite Jugendorganisation zu gründen. Ich wäre stellvertretender Sprecher geworden.

Vergangenen Sonntag habe ich aufgegeben. Die öffentlich ausgetragenen Streitereien sind nun auch mir zu viel geworden. Ich wollte mit der Liste Pilz Transparenz in das politische System bringen, verkrustete Strukturen aufbrechen. Das klingt abgedroschen, aber genau darum ging es mir. Ich finde, dazu passt es überhaupt nicht, 20 handverlesenen Personen heimlich die Parteimitgliedschaft anzubieten. Davon habe ich vor einigen Tagen Wind bekommen. Ich fürchte, persönliche Interessen in der Liste Pilz haben Oberhand gewonnen. Da will ich nicht mehr dabei sein.

Auch politisch fehlt mir mittlerweile der Glaube. Während im Wahlkampf noch von pragmatischen Lösungen die Rede war, hatte ich zuletzt das Gefühl, dass Ideologie immer wichtiger wird. Die fundamentale Ablehnung der Deutschklassen konnte ich nicht nachvollziehen.

Es ist ein Abschied. Es war ein Scheitern und ein Gelingen. Die Reaktionen auf meinen Rückzug waren wertschätzend. Das hat mich berührt. Ich hoffe, dass dies auch nach dem Erscheinen dieses Textes so bleibt. Ich bereue es nicht, mich für diese Liste engagiert zu haben. Ich habe viele Erfahrungen gesammelt und kluge Leute kennengelernt. Ich wünsche mir, dass sich künftig auch mehr junge Leute politisch einbringen. Schließlich geht es meine Generation an, was mit diesem Land passiert.

Mir ist bewusst, dass mich manche in der Partei jetzt als Verräter sehen. Wie wird die Partei mit Kritik wie dieser umgehen?