Klaus Ottomeyer

"Burschenschaften sind gefährliche Heilsbewegungen"

Sozialpsychologe Klaus Ottomeyer über den Männlichkeitswahn der Burschenschafter und menschenfeindliche Witze, mit denen man sein Gewissen überlistet.

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INTERVIEW: CHRISTA ZÖCHLING

profil: Noch nie in der Zweiten Republik gab es so viele Deutschnational-Korporierte in politischen Institutionen wie heute. Entspricht das einem Trend in unserer Gesellschaft? Ottomeyer: Männerbünde sind im Aufwind. In vielen Ländern der westlichen Welt gibt es eine Rückkehr des Patriarchats. Bei uns ist das nur eine besondere Erscheinungsform, die über die Stärkung der Burschenschaften läuft. Es ist erlaubt, Flüchtlinge und Behinderte zu beschimpfen, Frauen zu erniedrigen, wie wir das bei US-Präsident Donald Trump sehen. Über das "Gendern" darf man sich wieder lustig machen. Interessant dabei ist die rhetorische Figur des Witzes, des frauenfeindlichen, rassistischen Witzes, mit dem man das Über-Ich überlistet. Noch bevor das eigene Gewissen kapiert, dass hier eine verbotene Menschenerniedrigung stattgefunden hat, hat man schon gelacht und sich mit den anderen gemein gemacht. Das ist sehr verführerisch. Dieses nazistische Spottlied der Burschenschaft des Herrn Landbauer tritt im Gewande des Humors auf. Die Moral funktioniert stark über den erlaubten Witz.

profil: Seit wann beobachten Sie das? Ottomeyer: Seit Sommer 2015 hat sich vieles verschoben. Nach dem grauenvollen Fund in Parndorf - die Leichen von Flüchtlingen im Lastwagen - hat nach anfänglich stark bekundeter Empathie eine Abwehr eingesetzt. Man wollte diesen Alptraum nicht wahrhaben. Man hat die "Gutmenschen" verspottet und umgeschaltet auf Abwehr. Nach den Vorfällen in der Kölner Silvesternacht sieht man überall nur noch Vergewaltigungen und Kriminalität. So wehrt man die Verpflichtung zur Hilfe ab, die man eigentlich spürt. Dazu kommt: Man ist auch eifersüchtig auf die Fremden. Man glaubt, sie bekommen mehr Zuwendung als man selbst. Mich erinnert das an die Rivalität unter Geschwistern. Man meint, denen steht das nicht zu, weil sie nach uns gekommen sind.

Ich sehe das große Problem im Neid, der auf Flüchtlinge gelenkt wird und von der Politik gefördert wird.

profil: Aber Fremde gehören eben nicht zur Familie. Kann man das vergleichen? Ottomeyer: Alle Kinder mit kleinen Geschwistern machen diese Erfahrungen: Die sind nach uns gekommen, haben noch nichts geleistet und stehen sofort im Mittelpunkt. Man hat diese Gefühle und wird mit ihnen nicht fertig. Ich sehe das große Problem im Neid, der auf Flüchtlinge gelenkt wird und von der Politik gefördert wird. Neid setzt einen ordentlichen Hass frei. In einer katholischen Gesellschaft ist dieses Gefühl fast nicht thematisierbar, weil Neid zu den sieben Todsünden gehört. Aber er ist sehr mächtig. Deshalb ist man unbewusst rasend eifersüchtig, wenn sich Mama Merkel und "Moslemmama Mikl-Leitner" (Formulierung von Landbauer) mit Flüchtlingen zeigen.

profil: "Ehre ist unser Gewissen", liest man auf Websites von Burschenschaften. Was halten Sie von einem Wert wie Ehre? Ottomeyer: Ehre, wie es Burschenschafter verstehen, ist nur die Verpflichtung gegenüber dem eigenen Volk, ein nationalistischpatriarchalisch verengter Ehrbegriff. Das hat mit christlichem Gewissen nichts zu tun, das bekanntlich über die nationalen Grenzen hinweg existiert. Ehre ist auch etwas anderes als Würde. Ehre ist partikularistisch, Würde ist universalistisch. In der Würde sind alle Menschen gleich, wie es in der UN-Menschenrechtsdeklaration heißt. Das Gebot zur Empathie gilt aber für alle Menschen, nicht nur für solche unserer Hautfarbe oder ethnischen Zugehörigkeit.

profil: Geht unsere Gesellschaft in eine Richtung, die an der Gleichheit der Menschen zweifelt? Ottomeyer: Ja. Das ist ein neuer Rassismus. Über die Ärmsten und Schwächsten darf man sich heute voller Verachtung äußern, die gehören zu den Verlierern. Ich glaube, es ist ein geheimer Wunsch, dass Menschen, die ihre Arbeit verlieren, dann auch noch ihr Vermögen verlieren sollen. Das hat einen sadistischen Aspekt und soll andere abschrecken, die dann mit Angst im Nacken noch fleißiger arbeiten und sich noch mehr anpassen.

In den Burschenschaften gibt es noch die Alten Herren, die Zeit des Dienens, klare Hierarchien und sadistische Rituale.

profil: Die Welt der Burschenschaften mutet altertümlich an. Fuchsschwänze, Bierheben auf Befehl, Degen, rote Schmisse im Gesicht. Warum ist das für junge Burschen attraktiv? Ottomeyer: Es drückt eine Wagenburg-Mentalität aus. In fast allen Kulturen werden die Männer zu drei Rollen erzogen: die des Ernährers, des Beschützers und des Liebhabers, der sich fortpflanzt. Die Rolle des Ernährers ist zerbrochen. Frauen können das genauso gut. Der Beschützer gegen äußere Feinde ist heute ein Witz. Die Rolle des Herrschers über die Sexualität zerbröckelt. Männer sind genauso austauschbar als Sexualpartner, wenn die Frauen es wollen - das ängstigt. So kommt es zu einer Überbetonung von Männlichkeit, die versucht, auf der Ebene der Rituale, der sozialen Sprüche, des Kämpferkults die Überlegenheit des Mannes wiederherzustellen. Männer sehnen sich zurück nach der alten patriarchalischen Ordnung. Die heutigen Burschenschaften sind gefährliche Heilsbewegungen.

profil: Gibt es so etwas wie eine autoritäre Persönlichkeit? Wer wäre dafür anfällig? Ottomeyer: Es handelt sich um Menschen, die selbst einer Autorität unterworfen sind, die sich nach oben selbst krumm machen und nach unten treten und dabei sadistische Freuden erleben. Nach oben sind sie masochistisch, kriechen den Mächtigen in den Hintern, wenn ich das so salopp sagen darf. Dieser autoritäre Charakter war sehr verbreitet in Deutschland und den USA. Das haben Adorno und Horkheimer in ihrer großen Studie festgestellt. In der Nachkriegszeit hat sich das verändert, weil es die starken Väter nicht mehr gab. Sie waren gefallen oder invalid. Aber die Sehnsucht danach ist geblieben. Und in den Burschenschaften gibt es noch die Alten Herren, die Zeit des Dienens, klare Hierarchien und sadistische Rituale.

profil: ... und Werte wie Ehre und Deutschtum. Die berüchtigte "Olympia" erklärte 1989: "Der Wert, zu dessen Ehren das Blut fließt", werde in der Regel "höher geachtet als das Leben des Blutenden. Finden Sie das gefährlich? Ottomeyer: Mit den meisten Männern würde das heute nicht mehr funktionieren. Die laufen davon, bevor sie sich aufopfern. Und das ist auch gut so. Gefährlich finde ich das rechte Feindbild der Dekadenz. Das haben Burschenschaften mit den IS-Terroristen gemeinsam. Auch die werden mit der Auflösung der alten Geschlechterrollen zugunsten einer Konsum-und Kommerzkultur nicht fertig.

Christa   Zöchling

Christa Zöchling