Intersexualität: Mann, Frau oder einfach Mensch?

"Inter", "divers" oder "offen": Intergeschlechtliche Menschen sollen in Österreich das Recht auf eine dritte Option bei der Eintragung des Geschlechts bekommen. Viele hoffen dadurch auf mehr Akzeptanz und weniger geschlechtsverändernde Operationen.

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Sind Sie ein Mann oder eine Frau? Viele von uns können diese Frage im Bruchteil einer Sekunde beantworten – bei anderen ist es nicht so einfach. Intergeschlechtliche Menschen gehören biologisch gesehen weder dem einen noch dem anderen Geschlecht an. Behördengänge oder einfache Online-Formulare werden für sie zum schmerzhaften oder unangenehmen Spießrutenlauf. Das könnte nun ein Ende haben.

Der österreichische Verfassungsgerichtshof (VfGH) kam am 15. Juni dieses Jahres zu der Erkenntnis, dass im aktuellen Personenstandgesetz keine Rede von nur zwei Optionen bei der Eintragung des Geschlechts ist. Es soll also in Zukunft auch eine "dritte Option" geben. Alles andere wäre eine "Geschlechtszuschreibung durch staatliche Regelung".

"Wir haben uns sehr über die Entscheidung gefreut", erzählt Tinou Ponzer vom Verein Intergeschlechtlicher Menschen Österreich (VIMÖ) im Gespräch mit profil: "Der VfGH hat noch einmal klargestellt: Man kann nur selbst wissen, welche Identität man hat." Wie die dritte Option heißen wird, ist bisher noch nicht festgelegt. Ponzer wünscht sich hier primär, dass Alex Jürgen, die Person, die sich dafür durch die Instanzen gekämpft hat, die passende Lösung erhält. Momentan werden "inter", "divers" oder "offen" als Möglichkeiten diskutiert. "Auf jeden Fall sollte die Wahl der dritten Option nicht an medizinische Diagnosen geknüpft werden", betont Ponzer, "es handelt sich bei Intergeschlechtlichkeit nicht um eine Krankheit, sondern um Geschlechtervielfalt! Es wäre schön, wenn das jetzt durch die Umsetzung der dritten Option auch in der Gesellschaft ankommen würde."

Das Team des VIMÖ: v.l.n.r.: Gorji Marzban, Tinou Ponzer, Tobias Humer, Noah Rieser, Luan Pertl

Wann kommt die dritte Option?

Wie lange es bis zur Umsetzung noch dauert, ist unklar. Nun geht der Fall erst einmal wieder zurück an das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich. Aber auch das Innenministerium könnte nun eine Vorgabe machen. Für die dort regierende Partei, die FPÖ, ist das Urteil jedoch "völlig unverständlich", wie Verfassungssprecher Harald Stefan in einer Aussendung klarstellt. Er sieht Probleme im Bereich der Wehrpflicht und beim Pensionsantrittsalter. Die Erkenntnis stelle nicht "die Geschlechterkomplementarität in Frage, die unsere Chromosomen und unsere Welt - Mensch und Tier gleichermaßen - prägt", meint ÖVP-Abgeordnete Gudrun Kugler. Neos, die Liste Pilz und die SPÖ begrüßen die Entscheidung: "Wir freuen uns sehr. Einziger gesellschaftspolitischer Wermutstropfen: Wieder einmal musste ein Gericht entschieden und nicht die Politik", sagt Mario Lindner, Bereichssprecher der SPÖ, im Gespräch mit profil.

Stephanie Cox von der Liste Pilz geht noch weiter und wünscht sich einen "Stopp von schwerwiegenden medizinischen Eingriffen bei Säuglingen und Kindern". Immer noch werden viele intergeschlechtliche Kinder und Jugendliche durch Operationen und Hormongaben einem der beiden gewohnten Geschlechter unumkehrbar angenähert: "Das zu unterbinden, ist seit Jahren unsere wichtigste Forderung, da hier meist ohne gesundheitliche Notwendigkeit und ohne Zustimmung der betroffenen Person vorgegangen wird", so auch Ponzer vom VIMÖ: "Solange diese geschlechtsverändernden Eingriffe als Heilbehandlung gelten, kann man sie nicht als das einstufen, was sie eigentlich sind: Menschenrechts- und Körperverletzungen. Die dritte Option kann dazu beitragen den Druck hier herauszunehmen, zu deren Verhinderung braucht es aber explizite gesetzliche Maßnahmen."

Was Sie über Intergeschlechtlichkeit wissen sollten

Während es im Englischen mit "sex" (biologisches Geschlecht) und "gender" (Geschlechtsidentität, soziales Geschlecht) eine deutliche Unterscheidung zwischen körperlichen Merkmalen und der psychischen Einstellung gibt, muss man sich im Deutschen mit einem Wort für das "Geschlecht" begnügen. Und mit zwei Ausprägungen desselben. Kinder werden nach der Geburt meistens aufgrund ihrer äußeren Geschlechtsorgane als Mädchen oder Junge eingestuft. Doch nicht nur diese können uneindeutig ausfallen, auch Chromosome, Hormone oder die sekundären Geschlechtsorgane können dieser Zuordnung widersprechen.

Man geht davon aus, dass bis zu 1,7 % der Bevölkerung intergeschlechtlich sind, wobei nicht jede Intergeschlechtlichkeit diagnostiziert wird. Es handelt sich dabei um keine Krankheit, Intersexualität wird aber medizinisch trotzdem den Sexualdifferenzierungsstörungen zugerechnet.

Intergeschlechtlichkeit ist nicht zu verwechseln mit Transsexualität, bei der die Ausprägung des biologischen Geschlechts meist eindeutig ist, die Geschlechteridentität aber nicht dazu passt. Ein weiteres Wort, das vor allem auf Social Media immer häufiger auftaucht, ist "Cisgender". Als Cisgender gelten jene, deren biologisches Geschlecht mit ihrer Identität übereinstimmt, also der zahlenmäßige "Normalfall".