Entschuldigen Sie bitte, aber!

Christoph Grissemann, Herbert Kickl und die Frage: Was ist Schauspielerei?

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Zwei TV-Sketches, ausgestrahlt im Herbst 2018 im Rahmen der Comedy-Talkshow „Willkommen Österreich“, insgesamt keine zehn Minuten lang. Wer diese Clips gesehen hat (was sich auf YouTube ohne Weiteres nachholen lässt), sieht Herbert Kickl mit anderen Augen. Der damalige Innenminister wird darin vom Kabarettisten Christoph Grissemann dargestellt, dem eine in mehrerer Hinsicht erhellende Performance gelingt.

Der russische Theaterreformer Wsewolod Emiljewitsch Meyerhold entwickelte im revolutionären Russland der frühen 1920er-Jahre eine Schauspielmethode, die er als „Biomechanik“ bezeichnete und die auf einer gedachten Verbindung zwischen körperlicher und emotionaler Bewegung beruht. Höchste Wahrhaftigkeit wird angestrebt, indem der Darsteller sich wie seine Rollenfigur bewegt. Der Satiriker Grissemann avanciert damit zum besten Innenministerdarsteller der jüngeren österreichischen Fernsehgeschichte, denn sein komödiantisches Method Acting nimmt den Dargestellten faszinierend ernst (selbst wenn das perspektivisch verzerrte Herumreiten auf Kickls Körpergröße anderes nahelegt).

Die herausragenden Bestandteile dieser Darstellung sind der immer eine Spur zu konzentriert wirkende Blick, die Sprachmelodie und die Gesten eines mittleren Beamten, der sich mit gerecktem Zeigefinger zu Höherem berufen fühlt, permanent den Rechtsstaat beschwört und mit dessen Instrumenten zum Angriff übergeht. Er kann nicht anders, will es aber auch gar nicht.

Grissemanns Kickl ist der zu überraschender Größe gekommene kleine Mann, der immer noch nach oben schaut, aber auch schon von oben (herab) handelt, wobei sich die Handlung aus der Sprache ergibt, einem nie am Dialog interessierten, rechtschaffen empörten, alliterationsaffinen Redeschwall, bei dem Punkt und Komma nur Anlaufstellen für die jeweils nächste Phrase sind. Dem Gegenüber, sei es der ORF-Satiriker Peter Klien oder ein als Dirk Stermann erkenntlicher Bundespräsident, schlägt eine nur passiv erscheinende, von Ausbrüchen à la Dr. Strangelove punktierte Aggression entgegen: Entschuldigen Sie bitte, aber! Es ist, um es mit dem deutschen Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel zu sagen: eine Phänomenologie des Kleingeists.

(Anmerkung: Dieser Artikel ist als Teil der Titelgeschichte "Herbert Kickl: Der Hassprediger" in profil 19/30 erschienen.)

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur, ist seit 2020 Textchef dieses Magazins und zählt zum Kernteam von faktiv.