TRAUER UND WUT: Familienfreunde und Einwohner aus Steyr versammeln sich vor dem Haus von Michelle F.
Steyr: Beziehungstat wird instrumentalisiert

Steyr: Beziehungstat wird von FPÖ instrumentalisiert

Die 16-jährige Michelle F. ist tot. Ihr Freund, Saber A. aus Afghanistan, steht unter dringendem Mordverdacht. Die Stimmung in Steyr droht zu kippen. Die FPÖ instrumentalisiert den Tod für politische Zwecke.

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In den bunten Gängen des Hauses "Maradonna" herrscht an diesem Mittwochnachmittag eine fast unheimliche Stille. Knapp 20 Burschen sind in der Unterkunft für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Steyr untergebracht. Manche schleichen mit gesenktem Kopf durch die Räume, andere haben sich in ihren Zimmern verkrochen. Das hat mit Saber A., ihrem ehemaligen Mitbewohner, zu tun. Seit Donnerstag der Vorwoche sind nur noch Sabers Habseligkeiten da - er selbst ist weg. Die Matratze in seinem Zimmer wurde aus dem Lattenrost gehoben, Sabers Kleidung und Bücher liegen auf dem Boden ausgebreitet. Die Polizei hat alles durchwühlt.

Tragische "Beziehungstat"

An den Zimmerwänden hängen Briefe und Zeichnungen; viele davon hat Michelle gemalt, seine ehemalige Freundin. "Ich liebe dich, Saber. Bitte pass immer gut auf dich auf, mein kleiner Süßer. LOVE SABER. M+S.", steht in einem der Briefe. Er ist mit 10. Juni 2017 datiert. Daneben hängt ein gerahmtes Foto: Michelle, lächelnd, in den Armen von Saber, ihrem mutmaßlichen Mörder. Seit Sonntag, 9. Dezember, ist die 16-jährige Michelle F. aus der oberösterreichischen Kleinstadt Steyr tot. Sie soll von Saber A., ihrem 17-jährigen Freund, der vor zweieinhalb Jahren aus Afghanistan nach Österreich flüchtete, erstochen worden sein. Michelles Mutter und ihre ältere Schwester fanden die Teenagerin kurz nach 23 Uhr leblos in ihrem Bett auf. Saber war längst aus dem Zimmerfenster geflüchtet. Erst einen Tag später konnte er in Wien, auf dem Bahnhof Floridsdorf, gefasst werden. Seither sitzt er in Linz in Untersuchungshaft. Laut Obduktionsbericht wurde Michelle von einem Messerstich direkt in die Lunge getroffen. Sie ist innerlich verblutet.

Die Polizei stuft den Fall nach den bisherigen Ermittlungen als "Beziehungstat" ein. Damit reiht sich Michelle F.s Tod in eine traurige Statistik ein. Laut Aufzeichnungen der Interventionsstellen gegen Gewalt und der österreichischen Frauenhäuser ist sie in diesem Jahr bereits die 33. Frau, die von ihrem Partner oder Ex-Freund getötet wurde. Österreich liegt mit dieser erschreckend hohen Zahl im europäischen Spitzenfeld.

Vergifteter Diskurs

Michelles Tod unterscheidet sich jedoch vom 32. und 31. und 30. Frauenmord in Österreich, die den meisten Zeitungen höchstens einen kurzen Bericht auf den Chronikseiten wert waren. Die breite Öffentlichkeit kennt in diesen Mordfällen die vollen Namen und Gesichter der Täter nicht. Sabers Gesicht aber ist mittlerweile im ganzen Land bekannt; es wird täglich auf den Titelseiten der Boulevardblätter abgedruckt - weil Saber ein Flüchtling aus Afghanistan ist, der ein Mädchen aus Österreich umgebracht haben soll. Seine Tat wird als Beleg für eine fehlgeleitete Flüchtlingspolitik angeführt.

Nicht nur für Michelle und ihre Familie, auch für die Debatte um Asylsuchende ist der Tod der 16-Jährigen aus Oberösterreich eine Katastrophe. Er führt aus der Wohnsiedlung in Steyr tief in die Politik hinein, von den Landtagen in den Bundesländern bis zum Parlament in Wien.

Österreich ist polarisiert, der Diskurs vergiftet. Die Mehrheit der Flüchtlinge verhält sich friedlich und unauffällig, doch ein Verbrechen wie jenes in Steyr zementiert das Zerrbild von integrationsunwilligen, gemeingefährlichen Fremden, die durch den Rechtsstaat anscheinend nicht zu stoppen sind.

Es dauerte keine 24 Stunden nach Bekanntwerden der Tat, bis die FPÖ -und andere Rechtsparteien in ganz Europa -den Tod der jungen Frau für politischen Zwecke instrumentalisierten.

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