So konsumiert Österreich digital

Die heimischen Konsumenten kaufen nicht mehr so viel online ein wie noch vor einem Jahr. Und auch die Online-Lieferdienste kämpfen immer intensiver um ihre Kunden.

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Die Lebensmittel vor die Haustüre geliefert, Putzmittel und Kosmetika im Sparabo vom Online-Riesen und eine  Schnäppchenjagd für neue Gadgets im Internet: Der Einkauf in digitalen Kanälen ist für viele Menschen  mittlerweile Alltag. Die Covid-Beschränkungen beschleunigten für viele heimische Handelsunternehmen die Digitalisierung, was sich in Zahlen des Österreichischen Handelsverbands so ausdrückt: Von Mai 2021 bis April  2022 gaben Österreicherinnen und Österreicher laut der eCommerce-Studie erstmals mehr als zehn Milliarden Euro bei heimischen Online-Händlern aus. Im Vergleich zum Vorjahr wuchs das Volumen um acht Prozent, beim Einkauf über mobile Kanäle sogar um 20 Prozent.

Trendwende beim Online-Handel
Der Online-Boom war allerdings nur ein vorübergehender Trend, wie die neuesten Zahlen des  Handelsverbands zeigen: „Im letzten Jahr musste der heimische eCommerce im Branchenvergleich massiv  Federn lassen”, berichtet Geschäftsführer Rainer Will. Demnach sind die Umsätze im Gesamtjahr 2022 nominell um 3,2 Prozent zurückgegangen, real um 7,8 Prozent. Im ersten Quartal 2023 lag der  inflationsbereinigte Umsatzrückgang im Versand- und Interneteinzelhandel laut Statistik Austria sogar bei minus 10,6 Prozent (nominell 3,5 Prozent). „Das ist das höchste Minus in der Geschichte des österreichischen Onlinehandels“, erklärt Branchenvertreter Will.

Die Ausgaben sind zwar niedriger, aber die Zahl der sogenannten Distanzhandelskäufer ist laut der im Juni veröffentlichten eCommerce-Studie 2023 des Handelsverbands gestiegen: 79 Prozent, das entspricht 6,1 Millionen Österreichern ab 15 Jahren, kaufen laut der Marktforschung im Internet- Einzelhandel oder  Versandhandel ein. Das ist mit 300.000 Online-Käufer ein Plus von fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Bekleidung ist noch immer die größte Kategorie beim Online-Shopping, Bücher und Zeitschriften sowie  Sportartikel zählen laut Handelsverband zu den wachsenden Segmenten. Gestiegen ist auch die Zahl jener, die ihren Einkauf am mobilen Endgerät erledigen – um zwölf Prozent auf 3,3 Millionen Personen. Über das Smartphone wurden 2,35 Milliarden Euro ausgegeben. Über sprachgesteuerte Geräte wie Amazon Alexa kaufen hingegen nur zwölf Prozent ein. Die Retourenquote sank im Vergleichszeitraum von Mai 2022 bis April  2023 von 44 auf 38 Prozent, am häufigsten werden nach wie vor Kleidungsstücke zurückgeschickt.

„Im letzten Jahr musste der heimische eCommerce im Branchenvergleich massiv Federn lassen. Im ersten  Quartal 2023 hatten wir das höchste Minus in der Geschichte des österreichischen Onlinehandels “

Rainer Will, Handelsverband

Sparkurs im Online-Supermarkt
Der vom Handelsverband skizzierte Einbruch beim digitalen Konsum dürfte auch den Online-Supermarkt  Gurkerl.at getroffen haben. Die tschechische Rohlik Group startete seinen Österreich-Ableger mitten in der
Pandemie im Jahr 2020. Für das Geschäftsjahr 2021/22 meldete die Konzerntochter vor einem Jahr einen Netto-Umsatz in Höhe von rund 50 Millionen Euro, im Herbst 2022 feierte Gurkerl.at eine Million Bestellungen und sprach von 100.000 Kunden täglich, die zu einem durchschnittlichen Bestellwert von 90 Euro einkaufen. Anfang des Jahres legte der Online-Supermarkt allerdings einen Sparkurs ein. Von mehr als 1000  Beschäftigten in Wien wurden Berichten zufolge im Februar 290 zur Kündigung angemeldet. Als Grund nannte das Unternehmen Automatisierungen im Fulfillment-Center. Aber auch im Management setzte der Rohlik-Konzern ein Sparprogramm um: Die Geschäftsführung von Gurkerl.at und der deutschen Marke Knuspr wurden zusammengelegt. Der neue CEO Stephan Lüger gibt sich optimistisch: „Unser Ziel bleibt in der Gruppe, der erste profitable Food-Zustellhändler West-Europas zu werden. Den Durchbruch werden wir bald in München schaffen, darum hat jener Standort oberste Priorität. Danach geht es schnell bei den anderen  Standorten weiter. Bis dahin optimieren wir unsere Strukturen und Prozesse. Hier kommen wir in Wien gut  voran. Das gleiche gilt auch für das Management: wir sind schlanker aufgestellt und reagieren  dementsprechend agil.“ Zum Einkaufverhalten der Österreicher berichtet Lüger, dass hierzulande das  Premium-Segment stärker nachgefragt wird: „In Österreich ist es wirklich einzigartig und sucht seinesgleichen.“ Zudem sieht der CEO eine Treue zu heimischen Marken, und immer mehr Kunden shoppen vegan: „32 Prozent unserer Wiener Konsumenten sagen uns, dass sie künftig auf Fleisch komplett verzichten oder den Fleischkonsum reduzieren wollen. Es wird also stark nach Fleischalternativen Ausschau gehalten. Das war für uns auch ein Grund, uns auf pflanzenbasierte Produkte zu fokussieren.“

Im Vergleich zu traditionellen Supermarktketten sieht der Gurkerl.at-Chef außerdem eine starke Tendenz zu  Bio-Produkten: „Wir verkaufen allein in Wien über 25 Prozent Bio-Lebensmittel, in Frankfurt und München liegt dieser Wert noch höher, bei 30 Prozent. Und das ist ein massiver Shift gegenüber vor fünf bis zehn Jahren, wo
Bio nur einen kleinen Anteil der gesamten Lebensmittelangebots ausgemacht hat.“ Im Mai launchte der  Supermarkt deshalb eine Eigenmarke für bio-zertifizierte Lebensmittel im sogenannten Preiseinstiegssegment.

Heiß umkämpfte Essenslieferungen
Auch bei den Essenslieferdiensten gibt es am österreichischen Markt Bewegung. Der heimische Anbieter Mjam gehörte seit mehr als zehn Jahren zur deutschen Delivery-Hero-Gruppe, im Frühling wurde die Marke durch
Foodora ersetzt. Wie Gurkerl.at ist das Unternehmen noch nicht profitabel, dieses Jahr will man erstmals  Gewinn machen. Weil mit dem früheren Mjam und dem Konkurrenten Lieferando zwei große Essenszulieferer den Markt dominieren, gab die Bundeswettbewerbsbehörde bekannt, den Wettbewerb der beiden Plattformen zu prüfen.

Mittlerweile hat sich aber ein weiterer Anbieter dazugesellt: Im Mai startete der finnische Lieferdienst Wolt  seinen Betrieb in Wien. „Uns ist bewusst, dass es im österreichischen Markt viel Bewegung gab. Intern sprechen wir deshalb auch gerne mal selbstironisch vom 6th Mover Advantage“, erzählt Österreich-Chef Clemens Brugger. Es gebe vermutlich kein schwierigeres Land, um einen Lieferdienst zu gründen, als  Finnland. Brugger sieht Wolt deshalb nach den ersten Lehrjahren gerüstet: „Wir sind bereits in den meisten Nachbarländern Österreichs vertreten, nach Österreich zu kommen war deshalb nur ein logischer nächster Schritt.“


Die nächste halbe Stunde
Das Unternehmen sieht sich allerdings nicht als Essenslieferservice, sondern will eine „App für alles“ werden: „Wolt arbeitet hierfür mit dem lokalen Einzelhandel zusammen, der ein eigenes Fachgeschäft führt und über die Wolt-Plattform die Möglichkeit bekommt, die Waren auch online verkaufen zu können, ohne einen eigenen Onlineshop haben zu müssen.“ Das Versprechen: Die Ware soll innerhalb von 30 Minuten ausgeliefert werden. „Wir wollen dem Einzelhandel das Rüstzeug an die Hand geben, um gegen Amazon und Co. zu bestehen”, erklärt Brugger die Mission.

Nach den ersten Wochen sieht der Country Manager noch keine österreichischen Eigenheiten: „Die  Wienerinnen und Wiener lieben ihre Pizza, Burger und Sushi, wie die meisten anderen europäischen Länder.“
Einen weiteren Trend sieht Brugger in allen Märkten: „Dass die nächste E-Commerce-Welle den Standard von Same-Week-Delivery und Same-Day-Delivery“ zu Next-30min-Delivery verschiebt.