Streit

„Sie befördern antimuslimischen Rassismus“

Streitgespräch: Ahmad Mansour kämpft gegen den politischen Islam, Farid Hafez gegen Islamophobie.

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Der Berliner Ahmad Mansour (46) wuchs als Sohn arabischer Israelis in Israel auf und geriet in seiner Jugend in die Fänge der fundamentalistischen Muslimbrüder. Heute tritt der studierte Psychologe für einen säkularen Islam ein und warnt in Büchern und Talkshows vor dem Einfluss des politischen Islam in Europa.

Der Österreicher Farid Hafez (40) wuchs als Sohn einer Österreicherin und eines Nordafrikaners in Oberösterreich auf. Er war Mitgründer der Muslimischen Jugend. Aktuell lehrt der Politikwissenschafter mit Fachgebiet Religion und Rassismus am Williams College in den USA. Hafez ist seit 2016 Herausgeber des europäischen Islamophobie-Berichts. Bei der Operation Luxor gegen die Muslimbruderschaft im Jahr 2020 geriet Hafez ins Visier der Ermittler.

Mansour führt in seinem Buch Hafez' Islamophobie-Berichte als Beleg für die Umtriebe des politischen Islam an. Hafez wiederum wirft Mansour vor, mit seinem Kampf gegen ein konstruiertes Feindbild antimuslimischen Rassismus zu befördern. Seit Jahren deckt man sich aus der Distanz mit fundamentaler Kritik ein. Hier kommt es zum ersten direkten Streitgespräch.

In Linz gab es zu Halloween Krawalle , an denen rund 200 Jugendliche beteiligt waren. Darunter viele Burschen aus muslimischen Ländern wie Syrien, Afghanistan, Irak, Tschetschenien oder der Türkei. Ist es wichtig, auf diesen Hintergrund hinzuweisen oder islamophob?
Mansour
Ich sehe in Linz weniger religiöse, aber sehr wohl kulturelle Hintergründe. Wenn Menschen als Asylbewerber Schutz suchen, dann aber die Aufnahmegesellschaft vor ihnen geschützt werden muss, sollten wir dringend über die Tatmotive sprechen und ob die Kultur oder Sozialisation dabei eine Rolle spielt. Oder wenn, wie in Wien und Berlin passiert, eine Elfjährige vergewaltigt wird, und der mutmaßliche Täter stammt aus einer Kultur mit einem bestimmten Frauenbild, muss das im Sinne einer demokratischen Debatte thematisiert werden.
Hafez
Rassismus reduziert Menschen auf ein Identitätsmerkmal. Es macht wenig Sinn, jemanden auf seine österreichische, arabische oder afghanische Identität zu reduzieren. Damit bedient man rassistische Diskurse. Das heißt nicht, dass man negative Handlungen, die von marginalisierten Gruppen ausgehen, beschönigt. Es bedeutet, in erster Linie die Tat zu sehen und diese nicht monokausal auf eine Teilidentität reduziert. Was waren die verschiedenen Motive? Das hätte ich gerne von einem der Burschen selbst gehört und nicht vom Innenminister.
Mansour
Die Täter werden wohl kaum ihre wahren Motive offenlegen. Das müssen Ermittler und Gerichte tun. Ich halte Ihre Argumentationsmuster für problematisch. Es geht doch nicht um die arabische, afghanische oder muslimische Kultur an sich, sondern um Taten, die möglicherweise mit einer bestimmten Sozialisierung zu tun haben. Wenn ich aufgrund meiner Herkunft die österreichische Polizei als schwach empfinde und mir deswegen erlaube, Beamte mit Böllern anzugreifen, dann spielt das eine Rolle. Oder denken wir an die massenhaften sexuellen Belästigungen zu Silvester in Köln. Ohne Wissen über die Frauenverachtung, die in den Herkunftsländern der Täter noch immer vorherrscht, kann ich diese Übergriffe nicht ausreichend verstehen. Wenn ich falsch parke, hat das nichts mit meinem kulturellen Hintergrund zu tun. Wenn ich in einer Männergruppe Frauen wie Freiwild behandle, schon.
Hafez
Nehmen wir die Kölner Silvesternacht. Wenn die Täter mit Migrationshintergrund aufgrund ihres angeblichen Frauenbildes so handelten, müsste das ja bei Hunderttausenden Menschen mit Migrationshintergrund der Fall sein. Ist es aber nicht. Das ist eine rassistische Verallgemeinerung. Nicht jeder Österreicher sperrt seine Tochter in einen Keller und vergewaltigt sie.
Schauen Sie die WM in Katar? Dort gilt islamisches Recht, die Scharia. Auf Homosexualität stehen sieben Jahre Gefängnis.
Mansour
Diese WM ist ein Verrat an den Menschenrechten und ein Kniefall vor dem Islamismus. Deswegen boykottiere ich sie.
Hafez
Kritik ist wichtig. Aber die moralische Debatte zeigt eine heuchlerische Dimension. Wo war früher der Aufschrei, als Weltmeisterschaften in Diktaturen stattfanden?

Auch wegen Ihrer Berichte stehe ich unter Polizeischutz

Ahmad Mansour

Herr Hafez, Sie bringen jährlich den europäischen Islamophobie-Bericht heraus. Auch Mansour kommt darin vor. Was verstehen Sie unter Islamophobie?
Hafez
Islamophobie ist antimuslimischer Rassismus, der von einer mit Macht ausgestatteten Gruppe ausgeht. Die Gruppe der Muslime wird negativ dargestellt, ausgegrenzt und diskriminiert. Es wird ihr eine geheime Agenda unterstellt, mit der sie westliche Gesellschaften subversiv unterwandern wollen. Das erinnert historisch an den Antisemitismus.
Herr Mansour, der Untertitel zu Ihrem Buch "Operation Allah" lautet: "Wie der politische Islam unsere Demokratie unterwandern will." Nach Hafez' Definition wäre das islamophob.
Mansour
Der Vorwurf der Islamophobie dient aus meiner Sicht dazu, Stimmen, die den politischen Islam problematisch sehen, zu delegitimieren. Liberale Muslime, wie ich einer bin, werden dadurch regelrecht diffamiert.
Was ist der politische Islam?
Mansour
Ich verstehe darunter Ideologien, die den Islam als Herrschaftssystem verstehen. Diese Ideologien sehen im Islam eine universelle, gottgewollte Ordnung, die das ganze Leben umfasst, auch den politischen Rahmen. Sie richten sich gegen all jene Freiheiten, die unsere westlichen Demokratien ausmachen, und streben einen Systemwechsel an. Durch ihren Einfluss auf Politik und Gesellschaft fördern sie Parallelgesellschaften und verhindern die Integration von Muslimen.

Sie befördern antimuslimischen Rassismus

Farid Hafez

Hafez
Dieser sogenannte politische Islam, mit jener Macht, die Sie ihm zuschreiben, existiert doch gar nicht in Europa. Es ist ein Kampfbegriff neurechter Strömungen, der dem Zweck dient, organisierte Muslime unter Generalverdacht zu stellen und zu kriminalisieren.
Mansour
Nicht Muslime wollen unsere Gesellschaft unterwandern, das sage ich im Buch ganz deutlich, sondern Islamisten.
Hafez
Klingt gut. Die Realität sieht anders aus. In Österreich stehen fast alle großen Islamischen Kultusgemeinden wie Atib, die türkische Föderation oder die islamische Föderation unter Beobachtung der "Dokumentationsstelle politischer Islam", obwohl sie Teil der Islamischen Glaubensgemeinschaft sind. Keine von ihnen stellt die Grundrechte oder die Verfassung infrage. Es gibt konservative Strömungen im Islam, darüber kann man diskutieren. Aber diese zu kriminalisieren, ist islamophob.
Sie fordern die Abschaffung der neu gegründeten Dokumentationsstelle politischer Islam. Herr Mansour sieht sie als Vorbild für Deutschland.
Mansour
Es gibt auch eine Ebene unter dem Strafrecht. Manche großen Islam-Verbände werden in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet, weil sie im Verdacht stehen, mit demokratischen Mitteln die liberale Demokratie abschaffen zu wollen. Wenn ich sehe, wie unkritisch unsere linke Regierung in Deutschland Fördergelder auch an solche Vereine vergibt, halte ich eine Dokumentationsstelle nach österreichischem Vorbild für überfällig.
Am Cover des Islamophobie-Berichts prangert Ex-Kanzler Sebastian Kurz. In seiner ÖVP-FPÖ-Regierung wurde nicht nur die Dokumentationsstelle politischer Islam auf den Weg gebracht, sondern auch das Kopftuchverbot im Kindergarten. Der Verfassungsgerichtshof hat das Verbot mittlerweile gekippt. Sie, Herr Mansour, plädieren weiterhin für Kopftuchverbote-nicht nur für Kinder, sondern auch für Lehrerinnen oder Richterinnen.
Mansour
Religion muss dort reguliert werden, wo sie mit anderen Werten in Konflikt gerät. Die muslimischen Kleidungsvorschriften für Frauen sollen ihre geschlechtliche Erscheinung reduzieren. Ein Widerspruch zum Gebot der Gleichberechtigung. Als Psychologe weiß ich, dass die frühe Tabuisierung von Sexualität eine Beeinträchtigung der kindlichen Entwicklung darstellt. Bei Lehrerinnen und Richterinnen bin ich der Meinung, dass Menschen, die den Staat repräsentieren, neutral auftreten sollen. Ich bin auch gegen Kreuze im Gerichtssaal.
Hafez
Das Kopftuchverbot im Kindergarten war nur Show, weil es in diesem Bereich praktisch nicht existent ist. Für Strache und Kurz war es der Startschuss, um es auf Volksschulen, Unterstufen und auf den öffentlichen Dienst auszuweiten. Allein Debatten um ein Kopftuchverbot vergiften die Gesellschaft und führen zu Übergriffen auf diese Frauen. Der aufklärerische Fundamentalismus will Religiosität aus dem öffentlichen Leben verbannen. Ich bin gegen Regulierung von Religion durch Repression.
Im Iran legen Frauen aus Protest gegen das islamistische Regime ihr Kopftuch demonstrativ ab. Was sagt das über das Kopftuch aus?
Hafez
Für mich ist der Kampf gegen das Kopftuch-Gebot im Iran genau dasselbe wie der Kampf gegen ein Kopftuch-Verbot in Österreich, weil beides Ausdruck einer totalitären und patriarchalen Anschauung ist.
Mansour
Nicht nur im Iran, sondern auch in Deutschland oder Österreich werden Frauen zum Kopftuch gezwungen. Warum verschweigen Sie das? Sie reden nur über staatliche Repression, nicht über den Druck, der in Familien und Communitys auf Frauen ausgeübt wird. In Wien, Salzburg, Graz, Berlin habe ich sehr wohl kleine Mädchen mit Kopftuch gesehen.
Wegen seiner Aussage 'Kinderkopftuch ist Kindesmissbrauch' landete Mansour in Ihrem Islamophobie-Bericht. Ist Mansour islamophob?
Hafez
Ich zähle ihn zu einem Kreis an Akademikern und selbst ernannten Islam-Experten, die staatlichen Akteuren mit Berichten und Studien die Basis liefern, Muslime zu marginalisieren und kriminalisieren. Das kann im äußersten Fall zu Aktionen führen wie der polizeilichen Großrazzia "Operation Luxor" gegen vermeintliche Muslimbrüder, die auch mich traf und die Lebensgrundlage vieler Menschen zerstörte. Es kam bisher nichts raus bei den Ermittlungen, stattdessen wurde eine Razzia nach der anderen für rechtswidrig erklärt.
Mansour
Es ist mir eine große Ehre, dass Sie mir so viel Macht zuschreiben. Aber mit der Operation Luxor gegen die Muslimbruderschaft vorzugehen, war eine Entscheidung eines österreichischen Gerichts. Und meines Wissens sind die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen. Solche Ermittlungen sind Teil unseres Rechtsstaates.
Hafez
Es war eine politische Entscheidung eines weisungsgebundenen Staatsanwaltes und nicht der unabhängigen Justiz. Maßgeblich verantwortlich dafür ist ein alarmistischer Diskurs über den politischen Islam.
Mansour
Ich will jetzt nicht in die Opferrolle schlüpfen. Aber auch aufgrund Ihrer Reports kann ich das Haus nicht ohne Polizeischutz verlassen.
Hafez
Ich habe Sie kritisiert. Das ist Teil von Demokratie. Aber bedroht?
Mansour
Sie waren der Erste, der mir Islamophobie unterstellt hat. Bedrohung fängt nicht an, wenn jemand mit einem Messer auf dich zugeht oder dich beim Friseur anspuckt, was mir alles schon passiert ist. Es sind gewisse Narrative und Diffamierungen als Islam-Feind, die den Weg dazu bereiten.
Ihr Buch über den politischen Islam handelt wesentlich von den Muslimbrüdern. Wer sind sie?
Mansour
Die Muslimbruderschaft wurde Anfang des 20. Jahrhunderts in Ägypten gegründet und ist die Mutter des sogenannten politischen Islam. Sie hat sich in unterschiedliche Richtungen verändert. Eine hat massiv dazu beigetragen, dass islamistischer Terrorismus überhaupt entstanden ist; die Hamas im Gaza-Streifen gilt offiziell als Terrororganisation; von Katar aus finanziert die Muslimbruderschaft islamistische Organisationen auf der ganzen Welt. Andere Teile versuchen die Demokratie mit demokratischen Mitteln abzuschaffen.
Hafez
'Politischer Islam' beschreibt revolutionäre, institutionelle bis quietistische Projekte, die sich auf den Islam beziehen. Er ist als analytischer Begriff unbrauchbar. Muslimbrüder sitzen je nach Land in der Regierung, in der Opposition oder im Untergrund.
Mansour
Die Muslimbrüder sind eine Ideologie, die keine Adresse braucht. Es sind teils einflussreiche Menschen, die im Kern islamistische Grundprinzipien vertreten, die ich für problematisch halte.
Halten Sie Hafez für einen Muslimbruder?
Mansour
Dafür kenne ich ihn zu wenig. Muslimbruderschaft ist eine Ideologie und weniger eine Struktur.
Hafez
Ich habe alle, die das von mir behaupteten, verklagt und gewonnen. Diese Unterstellung dient der Kriminalisierung, um Kritiker sowie Stimmen der muslimischen Zivilgesellschaft zu delegitimieren.
Mansour
Mit diesem Kriminalisierungsvorwurf kann man Erkenntnisse über den politischen Islam leicht wegwischen. Mit meinen Büchern zeige ich, warum das falsch ist.

Feindbild Islam? Der umstrittene europäische Islamophobie-Bericht, den Hafez herausgibt, widmet sich aktuell dem Erbe des früheren ÖVP-Bundeskanzlers. Auch Mansour kam bereits vor.

Ein Muslim als Mahner: Ahmad Mansour tritt in seinen Büchern für einen säkularen Islam in Europa ein und sieht Islamisten, die laut seinen Thesen verdeckt Einfluss nehmen, als größte Hürde auf dem Weg dorthin.

Clemens   Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.