"Todesspirale"

400 Millionen Euro Steuergeld für die Telekom Austria

Telekom. 400 Millionen Euro Steuergeld für die Telekom

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Gabriele Heinisch-Hosek fehlen heuer 57 Millionen, kommendes Jahr sogar 60 Millionen Euro, um die heimischen Schulen über die Runden zu bringen. Dumm gelaufen.

Reinhold Mitterlehner braucht 1,6 Milliarden bis 2018, um Forschung und Universitäten in Österreich auf dem im internationalen Vergleich ohnehin bescheidenen Standard zu halten. Leider nein.

Die angespannte Budgetlage - Kärnten und die Hypo grüßen - lässt keine Grundsicherung dieser Art mehr zu.

Michael Spindelegger - genauer: die ihm unterstellte Österreichische Industrieholding AG (ÖIAG) - benötigt demnächst bis zu 400 Millionen Euro, um den Einfluss bei der teilstaatlichen Telekom Austria zu zementieren. Das Geld ist zwar nicht da, wird aber allem Anschein nach aufgetrieben werden.

Prioritäten à l’autrichienne.

Die Telekom Austria steckt in einer der schwereren Krisen ihrer an schweren Krisen nicht armen Geschichte. Das Unternehmen ist finanziell ausgehöhlt, die Reserven sind de facto aufgebraucht. Auf der Passivseite der Bilanz standen zuletzt 4,2 Milliarden Euro an Verbindlichkeiten, womit die Telekom sich in die größten Schuldner des Landes einreiht. Frisches Geld muss her, und das eher gestern als heute.

Seit Monaten wird auf Ebene der Eigentümer um eine unerlässliche Kapitalerhöhung der börsennotierten Telekom Austria AG gerungen. Die Gesellschaft steht im Einflussbereich der ÖIAG (28,42 Prozent) auf der einen Seite, der mexikanischen América Móvil (23,67 Prozent) auf der anderen; die verbleibenden Anteile (47,9 Prozent) halten private und institutionelle Investoren, zu einem sehr kleinen Teil hält die Telekom noch eigene Aktien.

Und genau diese Konstellation wird nun zu einem Problem, einem politischen zumal.

Kein Geld für Bildung, Forschung und Wissenschaft - aber die Beteiligung der ÖIAG an der nahenden Kapitalerhöhung dürfte nach profil-Recherchen nur noch Formsache sein.

Es geht um einen Betrag in einer Größenordnung von insgesamt ein bis eineinhalb Milliarden Euro, der wohl noch heuer über den Kapitalmarkt aufgebracht werden soll. ÖIAG-Chef Rudolf Kemler hat öffentlich bereits kundgetan, dass die Verstaatlichtenholding jedenfalls eine Sperrminorität von 25 Prozent und einer Aktie sichern wolle. Um das zu erreichen, müsste die ÖIAG also mindestens 250 Millionen Euro, möglicherweise sogar 375 Millionen Euro in die Hand nehmen, um bei einer Kapitalerhöhung nicht "verwässert“ zu werden. Und weil sie die Mittel nicht auf der hohen Kante hat, wird sich die staatliche Gesellschaft verschulden müssen.

Mit Billigung des Finanzministeriums.

profil wollte von Spindeleggers Kabinett wissen, wie das Ressort ein Engagement dieser Größenordnung in Zeiten zerrütteter Finanzen rechtfertigt. Antwort: ausweichend. "Über die Notwendigkeit einer Kapitalerhöhung entscheiden einzig und allein die Telekom Austria und deren Aktionäre“, so Spindeleggers Sprecherin Michaela Berger. "Die ÖIAG wird auf Basis ihrer jahrelangen Erfahrungen die richtigen Entscheidungen treffen, es bedarf hier keiner Zurufe aus der Politik. Entscheidend für uns ist, dass die Telekom ihren internationalen Wachstumskurs weiter fortsetzen kann.“ ÖIAG-Sprecher Bernhard Nagiller hält fest: "Derzeit liegt kein Antrag des Telekom-Vorstandes auf eine Kapitalerhöhung vor. Für die ÖIAG kommt eine Kapitalerhöhung dann in Frage, wenn dahinter wertsteigernde Wachstumsprojekte stehen. Eine Verwässerung auf unter 25 Prozent plus einer Aktie sieht das ÖIAG-Gesetz nicht vor und ist daher auch keine Option.“

Das ÖIAG-Gesetz also. Tatsächlich sieht das schlanke Regelwerk unter Paragraf 9 Absatz 2 ausdrücklich vor, dass die Holding bei ihren Beteiligungen (neben der Telekom sind das derzeit im wesentlichen noch die Post mit 52,85 Prozent und die OMV mit 31,5) die Sperrminorität nicht unterschreiten darf.

Doch wer schon ein Gesetz strapaziert, sollte es zur Gänze lesen. Denn nur einen Absatz davor ist zu erfahren: Die ÖIAG habe auf "Werterhaltung und Wertsteigerung der Beteiligungsgesellschaften Bedacht zu nehmen“. Und genau das ist in der Vergangenheit nicht passiert.

Die Telekom Austria steht heute da, wo sie steht, weil der Hauptaktionär ÖIAG über Jahre Dividenden aus dem Unternehmen presste, die nicht annähernd verdient worden waren. Das Missverhältnis zwischen Ergebnissen und Ausschüttungen ist eklatant. Zwischen 2008 und 2013 verdiente der Telekom-Konzern in Summe 299 Millionen Euro nach Steuern - dem standen aber Dividenden der Telekom Austria AG in der Höhe von 1,2 Milliarden Euro gegenüber (die bei der nahenden Hauptversammlung zu beschließende Ausschüttung für 2013 in der Höhe von 22 Millionen Euro ist hier bereits eingerechnet). Davon flossen der ÖIAG immerhin 331 Millionen Euro zu, für 2013 sollen es 6,3 Millionen Euro mehr sein, in Summe also 337 Millionen - Geld, das zum überwiegenden Teil ans Budget durchgereicht wurde. So viel zur Werterhaltung. An der Wiener Börse grundelt die Aktie der Telekom Austria heute bei 6,8 Euro. 2009 notierte das Papier bei fast 13 Euro. So viel zur Wertsteigerung.

Erst vor wenigen Tagen wurde die Auflösung des Vorstandsvertrags von Telekom-Finanzchef Hans Tschuden öffentlich. Obwohl die ÖIAG die Hand über ihn gehalten hatte, musste er auf Druck von América Móvil weichen. Der engagierte Amateurgolfer muss sich unter anderem den Vorwurf gefallen lassen, Ausschüttungen auf Kosten der Unternehmenssubstanz geleistet zu haben. Ein Beispiel: Im Jahr 2011 fuhr der Konzern in Folge von Abschreibungen auf das Geschäft in Weißrussland ein Minus von 252,8 Millionen Euro ein. Dessen ungeachtet durften sich die Aktionäre der TA AG an einer Dividende von 168,5 Millionen Euro erfreuen - bezahlt aus den Reserven. 41,5 Millionen Euro waren für die ÖIAG bestimmt gewesen.

Aus der Telekom ist zu hören, Tschuden - wie auch Vorstandschef Hannes Ametsreiter - hätten nur den Wünschen der ÖIAG entsprochen. Deren amtierender Chef Kemler wiederum soll im kleinen Kreis immer wieder betont haben, die ÖIAG agiere "auf Druck von oben“. Oben ist in diesem Fall das Finanzministerium. Dort heißt es: "Wir sehen den Vorwurf gelassen. Die Ausschüttungen wurden zwischenzeitlich ja deutlich reduziert. Und außerdem ist Minister Spindelegger erst seit wenigen Monaten im Amt.“ Mit anderen Worten: Was kümmern den amtierenden Finanzminister die Begehrlichkeiten seiner Vorgängerinnen und Vorgänger?

Internes Papier zeigt dramatische Situation des Konzerns
Wie prekär die wirtschaftliche Situation des Konzerns ist, dokumentiert ein Dossier, das der stellvertretende Telekom-Aufsichtsratschef Ronny Pecik - der Investor hatte die Mexikaner 2012 nach Österreich geholt - zu Jahresbeginn ausgesuchten Regierungsvertretern vorgelegt hatte. Darin heißt es unter anderem: "Alle Ertragstrends zeigen nach unten, der Finanzierungsaufwand geht nach oben. Das bedeutet Schulden. Die Telekom Austria befindet sich in einer Todesspirale. Ohne Geld von außen erwartet uns in zwei Jahren das AUA-Schicksal. Wenn in den anderen Töchtern etwas schiefläuft (Abwertungen, Weißrussland, etc …) dauert es keine zwei Jahre.“

Neben den seit Jahren rückläufigen Umsätzen - von 4,8 Milliarden Euro 2009 auf 4,2 Milliarden 2013 - schwächeln auch die Erträge. Das Ergebnis vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen (EBITDA) lag 2013 bei 1,3 Milliarden Euro, 2009 waren es demgegenüber 1,8 Milliarden - und das bei steigenden Kosten oder, wie es in dem Papier heißt: "Umsatzrückgang schlägt sich 1:1 im Ergebnis nieder, da die hohen Fixkosten (wie Personal, Roaming usw.) nicht beeinflussbar sind.“ Resümee: "Es steht kein Geld für Infrastrukturausbau zur Verfügung. Die Telekom Austria lebt von der Substanz.“

Ronny Pecik wollte das gegenüber profil nicht kommentieren.

Dass die Telekom Austria dringend "Geld von außen“ braucht, um weiter wirtschaften zu können, bestreitet nicht einmal die Telekom. Die Frage ist eben nur, warum der Staat hunderte Millionen Euro in die Hand nehmen sollte, um die bestehende Beteiligung abzusichern. Das ÖIAG-Gesetz taugt als Rechtfertigung nur bedingt - es könnte geändert werden, umso mehr, als die hohen Dividendenzahlungen der Vergangenheit nunmehr tatsächlich Vergangenheit sind. Schon für das Wirtschaftsjahr 2012 gingen der ÖIAG nur mehr 6,3 Millionen Euro zu, für 2013 wird nicht mehr ausgeschüttet. Und auch in den kommenden Jahren wird die Telekom auf der Ertragsseite keine großen Sprünge machen. So gesehen würde sich die Beteiligung an der Kapitalerhöhung auf Jahrzehnte nicht rechnen, es sei denn, der Staat verkaufte Anteile. Doch das will oder kann er nicht.

Im Gegenteil.

Am 23. April tritt der Aufsichtsrat der ÖIAG zusammen, um einen zuletzt viel diskutierten "Syndikatsvertrag“ mit América Móvil zu beschließen. Das Vertragswerk, inspiriert von den bestehenden Vereinbarungen mit dem Emirat Abu Dhabi in der OMV, soll im Wesentlichen das künftige Abstimmungsverhalten im Aufsichtsrat regeln und den Einfluss der ÖIAG festigen - auch im Hinblick darauf, dass der Staat nach der kommenden Kapitalerhöhung wohl nur mehr der zweitgrößte Aktionär hinter den Mexikanern sein wird. Der Schulterschluss hätte ein sogenanntes Übernahmeangebot an den Streubesitz zur Folge, weil das Syndikat fortan gemeinsam die Mehrheit halten würde. Die Konditionen eines allfälligen Angebots sind naturgemäß noch nicht bekannt. Sollten Kleinaktionäre dieses Offert annehmen, müsste die ÖIAG - unabhängig von den Kosten einer späteren Kapitalerhöhung - auch dafür Geld in die Hand nehmen, um nicht unter 25 Prozent zu fallen.

Der Wille der Koalition, den Staat (und somit sich selbst) aus der Telekom zu verabschieden, ist jedenfalls enden wollend.

Da wäre einmal die SPÖ. Sie hat weitere Privatisierungsmaßnahmen bereits kategorisch ausgeschlossen. Überdies fürchten die Sozialdemokraten, América Móvil könnte die Konzernzentrale der Telekom und mit ihr Arbeitsplätze ins Ausland verlagern. Die Telekom beschäftigt in Österreich derzeit rund 9000 Mitarbeiter, wovon jeder zweite pragmatisiert ist (der letzte Beamte wird aus heutiger Sicht 2040 in den Ruhestand treten). Vor allem der scheidende Arbeiterkammer-Direktor Werner Muhm, einflussreicher Vertrauter des Bundeskanzlers, stemmt sich gegen den wachsenden Einfluss der Mexikaner. Geht es nach ihm (er liebäugelt dem Vernehmen nach mit dem Job des ÖIAG-Aufsichtsratspräsidenten), dann steht die Beteiligung der ÖIAG an einer Kapitalerhöhung außer Frage. In der Tageszeitung "Die Presse“ meinte Muhm jüngst allen Ernstes: "Eine Kapitalerhöhung kann Österreich locker stemmen. Die ÖIAG ist ja mittlerweile schuldenfrei.“

Für die ÖVP wiederum war die Telekom - wie die jüngste Vergangenheit zeigt - eine Art verlängerte Werkbank, Versorgungsposten und großzügige Parteispenden inklusive.

Entsprechend scharf die Kritik der Opposition. "Anscheinend handelt es sich um puren Machterhalt Einzelner und Körberlgeld auf Kosten der gesamten Bevölkerung“, sagt Kathrin Nachbaur, stellvertretende Bundesparteiobfrau des Team Stronach. "Der Staat hat kein Geld. Woher soll er das nehmen? Nachdem der Telekom Markt liberalisiert wurde, ist es ohnehin unverständlich, dass der Staat da weiter beteiligt sein will.“ Auf europäischer Ebene habe man für die Liberalisierung gestimmt und auf nationaler Ebene rudere man nun "aus Machtansprüchen und Eitelkeiten“ wieder zurück. NEOS-Vorsitzender Matthias Strolz sieht das ähnlich: "Solange wir bei der Bildung sparen, sind wir nicht bereit, wegen Heiliger Kühe Löcher ins Budget zu reißen. Natürlich muss man schauen, dass Headquarters in Österreich bleiben. Aber das muss über Standortpolitik erfolgen, nicht über Protektionismus.“

So oder so: Die Republik Österreich muss für die Telekom Austria nun hunderte Millionen Euro vorhalten, die sie nicht hat - um eine schwach performende Beteiligung zu sichern, von der höchst zweifelhaft ist, ob sie diese überhaupt noch braucht. Warum nicht gleich zur Gänze privatisieren?

Michael   Nikbakhsh

Michael Nikbakhsh

war bis Dezember 2022 stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Wirtschaftsressorts.