Die heimische Güterproduktion ist das dritte Jahr in Folge in der Rezession. Und dass es heuer rasant bergauf gehen könnte, zeichnet sich derzeit nicht ab. Im ersten Quartal dieses Jahres ist die heimische Warenherstellung laut Industriellenvereinigung (IV) um 4,5 Prozent eingebrochen. Es ist ein toxischer Mix, der zahlreiche heimische Betriebe seit Beginn des Ukrainekrieges begleitet: Die Energiekosten sind 2022 explodiert und noch immer deutlich höher als vor der Krise. Die Nachfrage aus dem Ausland ist eingebrochen, und es ist fraglich, ob sie sich angesichts der geopolitischen Krisen und des Zollschocks, den US-Präsident Donald Trump verursacht hat, so bald erholt. Dann sind auch noch die Lohn-Stück-Kosten in den vergangenen zwei Jahren um über ein Fünftel gestiegen. Und sogar der heimische Konsum hat trotz Reallohnzuwächsen nachgelassen. Wenn rundherum Krise ist, geht man einfach nicht gern shoppen.
Pleite statt Produktion
Die Tristesse in der Industrie sieht man in der aktuellen Insolvenzstatistik. Allein in den ersten drei Monaten des Jahres gingen 81 heimische Industriebetriebe pleite. Das zeigt eine Sonderauswertung des Kreditschutzverbands von 1870 (KSV) für profil. Und hier ist die Milliardenpleite von KTM vom Dezember des Vorjahres gar nicht eingerechnet. Machten Insolvenzen in der Industrie Anfang 2019 noch drei Prozent aller Firmenpleiten aus, waren es heuer schon fünf Prozent.
In Summe waren das Tausende Jobs, die verloren gegangen sind. In keiner anderen Branche ist die Arbeitslosigkeit – wohlgemerkt von einem sehr niedrigen Niveau aus – so stark gestiegen wie in der Industrie, nämlich laut AMS um über 15 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
In Zeiten wie diesen ist Liquidität in den Unternehmen bitter nötig, aber nur schwer zu bekommen. „Jene, denen wir gern unser Geld geben würden, wollen es gerade nicht, weil sie weniger investieren. Und jene, die es gerne hätten, denen können wir einfach keine Kredite geben“, sagt ein Bankeninsider. Anders als in den USA sind in Österreich traditionsgemäß Banken die wichtigsten Finanziers von Firmen.
Wie man aus der Branche hört, stockt jetzt aber diese Geldquelle. Zumindest für jene, die dringend Geld benötigen, um Liquiditätsengpässe zu überbrücken, weil sie zum Beispiel als nicht kreditwürdig eingestuft werden. Zwar sind die Unternehmenskredite in Summe im Vorjahr auf über 200 Milliarden Euro gestiegen. Aber auch die Kreditausfälle haben sich zuletzt etwa bei Gewerbeimmobilien fast verdoppelt (siehe Grafik). Und auch die Nachfrage war, anders als die Kreditsumme, zumindest in den vergangenen zwei Jahren verhaltener.
Die Krise der einen ist die Chance der anderen. „Wir sehen, dass mittlerweile recht viele Investoren bei heimischen Unternehmen einsteigen“, erklärt Christoph Neumayer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung (IV). Vor allem im Bereich der Maschinenbauer oder Metallverarbeiter gebe es derzeit verstärkt Anfragen aus Indien, aber auch aus China, Hongkong oder Taiwan. Der Einstieg in ein österreichisches Unternehmen oder sogar dessen Rettung vor der Pleite ist auch gleichzeitig der Einstieg in den riesigen EU-Binnenmarkt. Und: Es gibt zahlreiche Technologien und Nischenprodukte, die für globale Technologie-Unternehmen sehr wertvoll sind. Heimische, mittelständische Betriebe sind in zahlreichen Nischensegmenten Weltmarktführer. Oft sind es die Patente und Technologien, die ein Unternehmen hier besonders wertvoll machen, und weniger das eigentliche Produkt, das sie herstellen. Das seien die Hauptgründe, um derzeit bei Österreichs Industriebetrieben auf Shoppingtour zu gehen.
Diese Shoppingtour wird in der heimischen Wirtschaftsszene aber nicht nur positiv gesehen. „Zahlreiche Unternehmensverkäufe von österreichischen KMU an Indien und China führen derzeit zu einer mittelfristigen Absiedelung des Produktionsstandortes, da das Kaufmotiv die Marke und die Technologie ist und nicht die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Österreich“, sagt Gerald Zmuegg vom Beratungsunternehmen Finanzombudsteam. Ganz ähnliche Töne schlagen auch andere kritische Beobachter dieser Entwicklung an. Die Sorge: Eine gewisse Zeit nach der Übernahme wird die Produktionsstätte in Österreich verkleinert oder sogar ganz geschlossen und ins günstigere EU-Ausland verlagert.
Übernahmen aus Drittstaaten unterliegen dem heimischen Investitionskontrollgesetz. Ganz vereinfacht erklärt bedeutet das: Wenn Investoren aus Drittstaaten, also aus Nicht-EU-Ländern, einen Betrieb im Bereich der kritischen oder zumindest sensiblen Infrastruktur, der Daseinsvorsorge oder im Sicherheitsbereich übernehmen wollen, müssen sie einen Antrag zur Bewilligung beim zuständigen Wirtschaftsministerium einbringen (BMWET). Das gilt ab einer Hürde von 25 Prozent und in besonders heiklen Bereichen der Daseinsvorsorge ab zehn Prozent. Wie viele solche Anträge gerade auf Bewilligung warten, ist nicht bekannt. Die jüngsten Daten des Ministeriums stammen aus dem Jahr 2022.
„Im Zeitraum von 25.7.2021 bis 31.12.2022 wurden 116 Genehmigungsanträge und 22 Anträge auf Ausstellung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung beim BMWET eingebracht“, schreibt eine Sprecherin auf Nachfrage. Die Daten für 2023, 2024 und die ersten fünfeinhalb Monate des heurigen Jahres legt das Ministerium noch nicht offen. Diese werden immer erst im jeweils übernächsten Jahr publiziert – jene für 2023 wahrscheinlich im Lauf des Sommers. Allerdings hat sich die Investorenwelt seit 2022 ein großes Stück weitergedreht. Damals waren vor allem Betriebe aus den USA an Übernahmen in Österreich interessiert. Ob das heute noch so ist, wird erst 2027 offiziell bekannt gemacht. Die Investitionsbereitschaft der US-Firmen hat jedenfalls infolge von Trumps erratischer Zollpolitik heuer deutlich abgenommen.
„Besonders dynamisch zeigt sich das Interesse aus Regionen wie den Golfstaaten (Staaten des Golf-Kooperationsrats GCC), Indien, Japan und darüber hinaus. Diese Investoren richten ihren Fokus zunehmend auf österreichische Start-ups und Unternehmen mit hohem Innovationspotenzial. Die Investitionen erstrecken sich über verschiedenste Zukunftssektoren, darunter Life Sciences, Biotechnologie, Energie, Wasserstoff, künstliche Intelligenz sowie industrielle Technologien“, erzählt ein Sprecher der Wirtschaftskammer auf Nachfrage.
Neben dem Einstieg indischer Investoren bei KTM und Sensonic soll etwa die AIX Investment Group aus Dubai Interesse an der geplanten Therme am Kärntner Klopainer See haben und dort einen niedrigen zweistelligen Millionenbetrag investieren wollen.
Ein Unternehmen muss aber weder in Liquiditätsschwierigkeiten stecken noch expandieren wollen, um Investoren und Käufer zu suchen. Es reicht, schlicht keinen Erben für den Familienbetrieb zu finden. Laut Schätzungen der WKO steht bis 2029 bei rund 51.500 heimische Unternehmen aus allen Branchen eine Übergabe an. Das wären 23 Prozent der arbeitgebenden Betriebe mit fast 700.000 Arbeitnehmern. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass es für den einen oder anderen von ihnen danach nicht mehr „made in Austria“, sondern „made in irgendwo anders“ heißt.