Ärger am Airport

Wie wird entschieden, wer bei Überbuchung am Boden bleiben muss?

Drucken

Schriftgröße

Andreas Wallner war erstaunt: Als er zwei Tage vor seinem geplanten Flug nach Warschau via Internet einchecken wollte, war auf seiner Bordkarte kein Sitzplatz ausgewiesen. Das System hatte ihn auf Stand-by gesetzt. Anruf bei der Fluggesellschaft. Dort versuchte man zu beschwichtigen: Man plane, ein größeres Flugzeug einzusetzen. Deshalb könnten noch keine fixen Plätze vergeben werden.

Kurz vor Abflug - der Flugsteig war bereits gut gefüllt - kam über Lautsprecher die Durchsage: Freiwillige mögen sich am Schalter melden. Die Airline bot Passagieren, die bereit wären, einen späteren Flug zu nehmen, eine Entschädigung von 250 Euro. Wahnsinnig viel Widerhall fand das Angebot nicht. Wallner - und eine Reihe weiterer Passagiere - mussten deshalb am Boden bleiben.

Es ist international gängige Praxis. Fluggesellschaften vergeben regelmäßig mehr Plätze, als vorhanden sind. Sie tun dies deshalb, weil viele Passagiere nicht zu ihrem gebuchten Flug erscheinen. Diese sogenannten "No-Shows" betragen beispielsweise bei den Austrian Airlines (AUA) erfahrungsgemäß rund fünf Prozent. Das entspricht etwa 540.000 Passagieren pro Jahr. Anders gerechnet: Jährlich würden durch No-Shows über 3200 Flugzeuge des Typs Airbus 320 leer bleiben. Um ihre Maschinen optimal auszulasten, unterhalten Fluggesellschaften detaillierte und aufwendige Prognosemodelle. Doch allen Berechnungen zum Trotz passiert es immer wieder, dass für einen Flug zu viele Tickets verkauft wurden und Passagiere nicht befördert werden können. Sehr zum Ärger der Kunden. Wie also versuchen Airlines Überbuchungen zu vermeiden? Und nach welchen Kriterien wird eigentlich entschieden, wem das "boarding denied", also die Beförderung verweigert wird?

"Deshalb überbuchen wir"

"Wir möchten Kunden, die durch No-Show entstandenen Kapazitäten anbieten und ihnen ihre Reise ermöglichen, obwohl ursprünglich kein Platz mehr auf der Maschine war. Deshalb überbuchen wir", erklärt AUA-Sprecher Wilhelm Baldia. Das ist löblich, doch aus reinem Altruismus agiert kaum ein gewinnorientiertes Unternehmen. Wenn ein und derselbe Sitzplatz zweimal verkauft werden kann, verdient die Fluggesellschaft mehr. So einfach ist die Rechnung. Würden Plätze nicht doppelt belegt werden, wären Flugtickets viel teurer, ist ein häufiges Argument der Airlines.

Die Prognoseprogramme der Fluggesellschaften können Nachfragemuster ziemlich präzise kalkulieren und feststellen, wie hoch die No-Show-Rate für jeden einzelnen Flug ausfallen wird. Schon Monate vor dem Abflug beginnt das System mit der Berechnung der voraussichtlichen Passagierzahl. Der Vorgang wird bis zum Take-off ständig aktualisiert. Die Systeme werden laufend mit Informationen gefüttert. Anhand historischer Daten zum Reiseverhalten und Prognosen zu externen Einflussfaktoren wie Messen, Ferienzeiten oder Großereignissen (wie aktuell die Olympischen Spiele in Rio) wird kalkuliert, wie viele Kunden trotz Buchung ihren Flug nicht antreten werden. Bei Flügen in die europäischen Businessmetropolen etwa kaufen viele Passagiere flexible Tickets, die sie jederzeit umbuchen können - das erhöht das No-Show-Risiko.

Allerdings: Montag morgens oder Freitag nachmittags sind diese Routen jedoch fast immer bis auf den letzten Platz besetzt. Kaum jemand will riskieren, zu spät zur Arbeit beziehungsweise ins Wochenende zu kommen. Käufer von Billig-Tickets lassen ihre Flüge überproportional oft verfallen. Der finanzielle Schaden ist leichter verschmerzbar. Maschinen, die zur Ferienzeit beliebte touristische Ziele anfliegen, haben generell ein geringeres No-Show-Risiko als Geschäftsstrecken. Das heißt, die Fluglinien müssen bei Überbuchungen maßvoll vorgehen.

Rund 6300 Passagiere pro Jahr betroffen

"Unser Prognosesystem hat eine hohe Genauigkeit", sagt AUA-Sprecher Baldia. Die Überbuchungsquote betrage lediglich 0,058 Prozent. In ganzen Zahlen: Rund 6300 Passagiere pro Jahr können aufgrund von Überbuchung nicht befördert werden.

Dass es ausgerechnet ihn getroffen hat, fand Wallner nicht so prickelnd: "Nach welchen Kriterien ausgewählt wird, ist völlig intransparent", kritisiert der verhinderte Fluggast. Die Entscheidung treffe der Computer, wurde ihm beschieden. "Das System schlägt Passagiere vor, die für eine Umbuchung infrage kommen", bestätigt auch Baldia. Es werde darauf geachtet, dass Familien und Gruppen nicht auseinandergerissen würden. Außerdem würden Passagiere, die einen Anschlussflug erreichen müssen, bevorzugt behandelt. Dass man auch vollzahlende Vielflieger tunlichst nicht zu verprellen versucht, will Baldia nicht bestätigen. Wer allerdings kurz vor knapp nur mit Handgepäck direkt am Flugsteig auftaucht, läuft Gefahr, am Boden zu bleiben. Reisende mit besonders günstigen Tickets wiederum können damit rechnen, mitgenommen zu werden. Schließlich müssen Airlines bei Nichtbeförderung je nach Flugstrecke zwischen 250 und 600 Euro an Entschädigung zahlen.

Süßholzraspeln, um vom Bodenpersonal doch noch ins Flugzeug gelassen zu werden, zeitigt jedenfalls keinen Erfolg, wie Wallner feststellen musste. Sympathie ist kein Entscheidungskriterium.

Christina   Hiptmayr

Christina Hiptmayr

ist Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von tauwetter, dem profil-Podcast zur Klimakrise.