Valeria Gontareva während einer Pressekonferenz in Kiew im April 2017

Die Akte Meinl: „Ihre Bank unterstützt Geldwäsche in der Ukraine“

Valeria Gontareva war zwischen 2014 und 2017 Gouverneurin der ukrainischen Zentralbank. Sie war für die Schließung von rund 100 Privatbanken verantwortlich - und machte sich mächtige Feinde. profil traf Sie Ende Juli in London.

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Von Michael Nikbakhsh und Sarunas Cerniauskas (OCCRP)

  • Die frühere Gouverneurin der ukrainischen Zentralbank zeichnet ein verstörendes Bild der Sitten um ukrainischen Finanzsektor 2014/2015.
  • Im Interview spricht sie auch über das Gebaren der Meinl Bank in der Ukraine – und wirft der österreichischen Finanzaufsicht jahrelange Untätigkeit vor.

Ein „Unfall“ mit Fahrerflucht

Die ukrainische Ökonomin Valeria Gontareva war von Juni 2014 bis Mai 2017 Gouverneurin der ukrainischen Zentralbank und als solche maßgeblich an der Restrukturierung des desolaten nationalen Finanzsektors beteiligt. In ihren ersten beiden Amtsjahren ließ Gontareva rund 100 ukrainische Banken schließen und abwickeln, als ihr Husarinnenstück gilt die Verstaatlichung der „PrivatBank“ 2016 – größtes Kreditinstitut der Ukraine, gegründet und kontrolliert von den Oligarchen Igor Kolomoiski und Gennadi Bogoljubow.

Gontareva hat sich mächtige Feinde gemacht. Sie erhielt in der Ukraine mehrfach Morddrohungen, weshalb sie schließlich nach Großbritannien emigrierte, um an der London School of Economics zu arbeiten.

Im August dieses Jahres wurde Gontareva in London von einem Fahrzeug angefahren und verletzt – der Lenker flüchtete. Im September fackelten Unbekannte zunächst den Wagen ihrer Schwiegertochter in der Ukraine ab, kurz darauf wurde ein Gontareva gehörendes Haus nahe Kiew niedergebrannt. „Ich hatte politische Verfolgung erwartet“, schrieb Gontareva dem Rechercheverbund in einem E-Mail am 11. September. „Aber jetzt hat der physische Terror begonnen.“

Am 25. Juli dieses Jahres hatte Valeria Gontareva die an den Recherchen beteiligten Journalisten in London empfangen. Im Rahmen des einstündigen Gesprächs zeichnete sie ein verstörendes Bild der damaligen Zustände im ukrainischen Finanzsektor und erhob zugleich Vorwürfe gegen die Meinl Bank – aber auch gegen Österreichs Finanzaufsicht, die den Aktivitäten der österreichischen Bank ihres Erachtens zu lange untätig zugesehen hatte. Das Gespräch wurde in englischer Sprache geführt, im Sinne der besseren Verständlichkeit veröffentlichen wir die zentralen Passagen in deutscher Übersetzung.

„50 Prozent des Bankensektors waren fiktiv“

„Es war eine unglaubliche Zeit in der Ukraine, wir nannten es den perfekten Sturm. Überall gab es Probleme. Makroökonomische Ungleichgewichte, der Bankensektor eine Ruine. Meine ersten Anliegen und Prioritäten galten der makrofinanziellen Stabilität und dem Bankensektor. Meine tägliche Routine war es, die ausländischen Korrespondenzkonten der ukrainischen Banken zu überprüfen. Ich erkannte sofort, dass 50 Prozent des ukrainischen Bankensystems fiktiv, artifiziell waren. Wir fanden heraus, dass die Hälfte der Banken Korrespondenzkonten in Fremdwährungen bei absolut seltsamen Banken hatte und eine dieser absolut seltsamen Banken war die Meinl Bank. Ich hatte zwar von diesen Back-to-Back-Schemata gehört, bevor ich zur Zentralbank gekommen war, aber mir war nicht bewusst, wie groß das Problem war.“

2014 hatten laut Gontareva alle ukrainischen Banken zusammen Fremdwährungsguthaben bei "seltsamen" ausländischen Banken in einer Größenordnung von insgesamt rund zwei Milliarden US-Dollar in den Büchern, den größten Teil bei der Meinl Bank in Wien.

„Die Meinl Bank war nicht die einzige ausländische Bank. Aber sie war führend. Vielleicht eine Milliarde Dollar, vielleicht weniger. Dann begannen wir, tiefer zu graben. Wir wollten verstehen, wozu unsere Banken diese sogenannten Korrespondenzkonten in Fremdwährung nutzten. Wir erkannten, dass ein Teil nur der Geldwäsche diente. Dem Absaugen von Geld in Richtung Offshore-Jurisdiktionen. Der andere Teil diente der Schaffung von künstlichem Kapital für die ukrainischen Banken. Einige Aktionäre nutzten diese Back-to-Back-Technik. Sie eröffneten ein Korrespondenzkonto bei einer anderen Bank, ich nenne diese die Vermittlerin. Sie taten so, als ob dies ein echtes Konto wäre, aber in Wahrheit wurde das Konto verwendet, um das Geld für ein Darlehen zu verpfänden, das die Vermittlerin einer Offshore-Firma gewährte. Und diese Firma erhöhte das Kapital in der ukrainischen Bank. Als wir das erkannten, riefen wir sofort alle Banken und Wirtschaftsprüfer zusammen und sagten: ,Wir wissen, was ihr tut, wir wissen, dass ihr dies nicht sofort stoppen könnt, also werden wir euch Zeit geben, echtes Kapital zu sammeln und das Geld von den Offshore-Firmen zurückholen.‘ Die Frist für ukrainische Banken endete am 1. April 2016. Danach hatte keine ukrainische Bank mehr ein Korrespondenzkonto bei diesen Banken. Leider haben unsere Kollegen aus Österreich ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Mein erstes Treffen mit Gouverneur Nowotny fand im Oktober 2014 statt, während der Generalversammlung des Internationalen Währungsfonds. Ich bat Nowotny um eine Sondersitzung, um über die Meinl Bank zu sprechen. Die erste Warnung war: ‚Ihre Bank unterstützt Geldwäsche in der Ukraine.‘“ (wörtliches Zitat: „Your bank is a facilitator of money laundering in Ukraine“).

Wie reagierte der damalige Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank Ewald Nowotny darauf?

„Er nahm es zur Kenntnis. Danach traf ich mich mehrmals mit Nowotny. Das Problem mit Österreich war: Wir hatten alle Geldwäschemaschinen in der Ukraine geschlossen, aber an dem Tag, an dem wir sie zusperrten und zur Liquidation freigaben, zog die Meinl Bank die Guthaben auf den Korrespondenzkonten ein. Unser Einlagensicherungsfonds, der für die Liquidation der Banken zuständig war, ging zunächst davon aus, dass Geld da war, aber es war verpfändet gewesen. Wird ein Korrespondenzkonto verpfändet, muss dies in der Bilanz ausgewiesen werden. Aber das hat sich nie in einer Bilanz in der Ukraine niedergeschlagen.“

„Ihre Bilanz ist ein Fake“

In knapp zwei Jahren ordnete Gontareva die Abwicklung von rund 100 ukrainischen Privatbanken an. 20 davon seien reine „Geldwaschmaschinen“ gewesen, sagt sie. Hatten diese auch Geschäftsbeziehungen zur Meinl Bank?

„Natürlich. Nach Informationen unserer ukrainischen Einlagensicherung wurden allein in 14 dieser liquidierten Banken 846 Millionen Dollar und 75 Millionen Euro von den Korrespondenzkonten abgezogen. Bei der Meinl Bank waren es insgesamt 385 Millionen US-Dollar und 75 Millionen Euro, die abgeschöpft wurden. Es war Geld von unseren Sparern, unserer Bevölkerung. Sie hatten Geld bei ukrainischen Banken deponiert, die so taten, als hielten sie Geld auf Korrespondenzkonten. Aber die entsprechenden Konten waren für Offshore-Darlehen verpfändet worden. Und als die Banken explodierten, musste der ukrainische Staat die Sparer entschädigen. Ich erinnere mich an eine Bank, die absolut einzigartig war: Delta Bank. Wir hatten ein Treffen mit Herrn Lagun, dem Aktionär der Bank. Wir sagten: ,Herr Lagun, Ihre Bilanz ist ein Fake. 246 Millionen Dollar gab es nie.‘ Und schließlich sagte er: ,Ja.‘“

Auch die ukrainische Delta Bank und ihr Hauptaktionär Mykola Lagun waren gern gesehene Kunden der Meinl Bank (siehe: Der Fall Lagun)

Gontareva betonte im Verlauf des Gesprächs mehrfach, dass Österreichs Finanzaufsicht das Problem trotz ihrer wiederkehrenden Warnungen nicht ausreichend ernst genommen habe.

„Die Hausaufgaben nicht gemacht"

„Die Österreicher haben ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Ich habe mich fünf oder sieben Mal mit Nowotny getroffen. Ich habe immer gefragt: ‚Was ist bei deiner Meinl Bank los?‘ Dann haben wir gelacht. Aber der Gouverneur der Oesterreichischen Zentralbank hat in den letzten fünf Jahren keine radikalen Schritte gesetzt. Es ist nicht so, dass Offshore-Geschäfte an sich illegal wären. Das ist ein normales Geschäft. Wenn die Meinl Bank dies ordnungsgemäß an Prüfer und Behörden gemeldet hätte, wäre daran nichts falsch gewesen. Aber das taten sie nicht, sie informierten niemanden. Die Meinl Bank wusste, dass ihre Kunden Fake-Firmen waren, die Geld ins Ausland pumpen.“

Im August 2016 erließ die ukrainische Zentralbank eine Reihe von Maßnahmen, die den ukrainischen Finanzsektor zu mehr Sorgfalt im Geldverkehr verpflichtete. Dabei wurde auch eine Liste ausländischer Banken erstellt, die in der Ukraine nicht länger erwünscht waren. Eine davon: Die Meinl Bank.

„Wir haben eine Warnung ausgesprochen, dass die Zentralbank nicht empfiehlt, mit diesen Banken zusammenzuarbeiten. Die Oesterreichische Nationalbank hatte die Lizenz ja nicht entzogen, was also hätten wir tun sollen? Wir mussten irgendwie reagieren.“

„Ein Mann in Militäruniform"

Und die Meinl Bank selbst? Diese habe versucht, mit ihr, Gontareva, in Kiew ins Gespräch zu kommen, erzählt die ehemalige Gouverneurin der ukrainischen Notenbank.

„Eines Tages erschienen in der Zentralbank eine Person in einer seltsamen Militäruniform und ein anderer Mann, der sich als Vertreter der Meinl Bank ausgab. Sie haben versucht, mich davon zu überzeugen, dass die Meinl Bank in der Ukraine legal tätig ist. Ich sagte Ihnen: ‚Nein, Leute, ihr macht hier keine legalen Geschäfte. Ihr unterstützt Geldwäsche. Ihr helft ukrainischen Geldwäschern, ihr Geschäft zu machen.‘ Ich habe sie sofort rausgeschmissen.“

Ob sie sich unter Druck gesetzt gefühlt habe?

„Glauben Sie wirklich, dass es um Blumen geht, wenn eine Person in einer Militäruniform in der Zentralbank der Ukraine auftaucht? Nein.“

Zum Abschied gab sie den angereisten Journalisten eine Bitte mit auf den Weg: „Ich brauche keine neuen Feinde.“

„Übel beleumundet"

Der Rechercheverbund konfrontierte die Anglo Austrian Bank (noch vor dem Lizenzentzug durch die EZB vergangene Woche) mit Gontarevas Aussagen. In einer Replik am 14. November zog die Bank Gontarevas „Glaubwürdigkeit“ in Zweifel. „Unserer Information zufolge kann Frau Gontareva nicht mehr in die Ukraine einreisen, ihre Wohnung wurde im September von den Strafverfolgungsbehörden durchsucht, und sie wird aktuell verdächtigt, sowohl für Ex-Ex-Präsident Janukowitsch, als auch für Ex-Präsident Poroshenko in großem Stil Geld gewaschen zu haben.“ Es sei „befremdlich, eine derartig übel beleumundete Person als Beweis für ein angebliches Fehlverhalten der AAB Bank AG heranziehen zu wollen“.

Auf die Frage, was es mit dem Auftritt eines Mannes in Militäruniform in der ukrainischen Zentralbank auf sich hatte, entgegnete die frühere Bank: „Wir haben keine Kenntnis davon, welche eigenartigen Personen sich eigenartig gekleidet und möglicherweise gegenüber Frau Gontareva als Vertreter der nunmehrigen AAB Bank AG ausgegeben haben."

OCCRP konnte Gontareva am Montag, unmittelbar vor Veröffentlichung dieses Artikels, in London telefonisch erreichen. Sie laboriert weiterhin an den Folgen des Verkehrsunfalls. Auf die Vorwürfe der Meinl-Seite angesprochen, sagte sie: „This is a stupid joke. I just complained, that Meinl Bank was the biggest facilitator of money laundering in Ukraine. Who is Meinl Bank to accuse me?"

Michael   Nikbakhsh

Michael Nikbakhsh

war bis Dezember 2022 stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Wirtschaftsressorts.