Symbolbild.

Bitcoin: Die Lehren aus der geplatzten Blase

Vom Sinnbild einer finanziellen Weltrevolution zum bösen Kater nach der geplatzten Blase: Warum die Begeisterung für den Bitcoin überzogen war und die Digitalwährung dennoch nicht tot ist.

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Ein Technik-Tüftler, der auf seinen Computern neue Bitcoins erzeugt. Ein Ökonom, der erforscht, inwiefern das digitale Kunstgeld als echte Währung gelten kann. Eine Geschäftsfrau, die mit einem Bitcoin-Laden in der Wiener Innenstadt die Kryptowährung unter das Volk bringen will. Ein Bankenaufseher, der davor warnt, dass Anleger ihr Geld verlieren könnten.

Vor einem Jahr sprach profil mit vier Personen, die mit Digitalwährungen befasst sind. Damals schrammte der Wert eines Bitcoins an der 20.000-Dollar-Grenze. Und heute? Grundelt der Kurs bei rund 3700 Dollar. Die Euphorie über die Kunstwährung ist verflogen.

Ist die Blase also geplatzt, wie so viele Beobachter gefürchtet haben? Was ist eigentlich schiefgelaufen? Landen der Bitcoin und die dahinterstehende Blockchain-Technologie auf dem Müllhaufen der Geschichte oder haben sie trotz allem noch Zukunft? Und was sagen eigentlich die vier Protagonisten von damals zu den Entwicklungen von heute?

Fünf Annahmen zu Bitcoin, die sich als FALSCH herausgestellt haben.

Falsche Annahme Nr. 1: Bitcoin reguliert sich selbst und benötigt keine Aufsicht von außen.

Sie befeuern das Geschäft und ermöglichen echte Demokratie abseits der Macht von Regierungen und Zentralbanken. So argumentierten stets die Befürworter von Kryptowährungen. Beim Handel mit dem Kunstgeld könne der Markt frei walten, ohne dass irgendjemand hineinpfuscht. Nicht mehr Staaten und Zentralbanken, also "intransparente und potenziell korrumpierbare Entitäten" sollen in Zukunft die Hoheit über Geldangelegenheiten haben, sondern die Schwarmintelligenz der Nutzer, auf Basis unumstößlicher Computer-Protokolle -so etwa schwärmte vor einem Jahr Michael Marcovici, ein 49-jähriger Wiener, der sich als "Miner" ("Schürfer") betätigt, also auf seinen Computern neue Bitcoins erzeugt.

Es stimmt bis heute. In gewisser Weise braucht was für totale Transparenz und Fälschungssicherheit sorgt. Doch der Absturz von Bitcoin zeigt eindrücklich: Die technologische Selbstregulierung mittels Blockchain hat am Ende nicht ausgereicht. Zwar verunmöglichte sie, dass bei den unmittelbaren Bitcoin- Transaktionen getrickst und betrogen werden kann. Dies gilt allerdings nicht für die zahlreichen vorund nachgelagerten Bereiche, die mit dem Kryptogeld zusammenhängen. Auf Online-Börsen und Handelsplattformen kam es immer wieder zu Diebstählen; die Anlagebetrügereien mit Kryptogeld-Produkten sind Legion. "Da ist durchaus viel Mist passiert", so Schürfer Marcovici.

Strengere Regulierungen - etwa internationale Übereinkommen zum Umgang mit Kryptogeld oder Mindestinformationspflichten über dessen Käufer - hätten die Missstände eindämmen können. Derlei Schritte fordern mittlerweile sogar Vertreter der Krypto-Branche selbst, etwa der deutsche Blockchain-Bundesverband in Berlin in einem Arbeitspapier. Die Tage des erfrischenden Anarchismus, der staatliche Regulierung als überflüssig und störend empfindet, sind offensichtlich vorbei. Allein: Die Regulierungen kamen nicht. Dies hat nicht nur viele Anleger abgeschreckt, sondern auch dazu geführt, dass das Kryptogeld auf den großen Bühnen der Geldwelt nicht richtig Fuß fassen konnte. Institutionelle Investoren, etwa große Pensionsfonds und Versicherungen, sind nur zögerlich in die riskanten Geschäfte einstiegen. Michael Marcovici bleibt übrigens trotzdem bei seiner Meinung. "Regulierungen verteuern und verkomplizieren das Krypto-Geschäft nur. Abgesehen von ein paar ganz grundsätzlichen Vorgaben, die es ohnehin gibt - wie etwa ein Verbot von Diebstahl -, bezweifle ich, dass der Markt für Anleger dadurch sicherer wird."

Falsche Annahme Nr. 2: Die Mengenbegrenzung des Bitcoins sorgt für einen stetigen Wertanstieg.

"Da die Menge der Bitcoins begrenzt ist, wird deren Wert immer weiter steigen", erklärte Magdalena Isbrandt vor einem Jahr. In der Tat ist die Gesamtmenge der Bitcoins auf 21 Millionen limitiert. Bei echten Währungen kommt es durch Ausweitung der Geldmenge immer wieder zu Entwertungen, bei Bitcoins soll Inflation technisch verunmöglicht werden. Seit Monaten jedoch befindet sich die Kryptowährung im freien Fall. Wurde die Geschäftsführerin der Bit-Trust store GmbH, die mit dem "House of Nakamoto" einen den wenigen Bitcoin-Shops in Österreich betreibt, Lügen gestraft?"Ach, solche Abstürze habe ich schon mehrmals erlebt. Das berührt mich gar nicht", sagt Isbrandt heute. Bei den Höhenflügen habe es sich um einen künstlichen Hype gehandelt, der Spekulanten angezogen habe. An den grundsätzlichen Vorteilen der Kryptowährung habe sich jedoch nichts geändert.

"Wenn die Menschen realisieren, dass es sich hier um eine Alternative zum jetzigen System handelt, das fair und nicht manipulierbar ist, werden sie umschwenken", ist Isbrandt überzeugt. Das zeige sich etwa in inflations- und krisengeplagten Staaten wie Venezuela, wo man eine verstärkte Zuwendung zu Bitcoins beobachte. "Kursentwicklungen am Krypto-Markt sind davon abhängig, was sonst noch in der Welt passiert. Das Fluchtmotiv kann in Krisenzeiten immer wieder auftauchen", pflichtet Beat Weber, Krypto-Experte der Oesterreichischen Nationalbank, prinzipiell bei. Doch dass dem Bitcoin noch eine glorreiche Zukunft bevorsteht, glaubt der Ökonom nicht: "Es ist ein wertinstabiles Vehikel, für die Alltagsnutzung untauglich, und das wird sich auch nicht ändern." Zudem sage die Mengenbegrenzung gar nichts aus: "Der Preis basiert auf Angebot und Nachfrage. Aber es ist völlig unbekannt, ob sich in Zukunft jemand dafür interessiert." Möglicherweise habe sich das Potenzial der Neugierigen schon erschöpft.

Falsche Annahme Nr. 3: Die Blockchain wird die Welt revolutionieren.

Sie ist das eigentlich Revolutionäre, der harte Kern hinter Bitcoin und anderen Kryptowährungen. Die Blockchain-Technologie ist ein digitales Register, öffentlich einsehbar und allein an die Vorgaben seiner Programmierer gebunden (siehe auch Annahme 1). Dies garantiert Fälschungssicherheit und allseitige Transparenz. Und: Die Blockchain werde bei Weitem nicht nur in der Sphäre der Kryptowährungen eine Revolution nach sich ziehen, glaubten Fans. Von konventionellen Banken zum Grundbuch, von Kaufverträgen bis zur Logistik. Überall werde die Innovation bald ihr segensreiches Wirken entfalten.

Heute ist die Begeisterung abgekühlt. "Der Hype hat große Erwartungen geschürt, die aber nicht zu rechtfertigen sind", lautet der nüchterne Befund von Rainer Böhme, Blockchain-Experte an der Universität Innsbruck. "Die Blockchain ist weder schnell noch kostengünstig -und je größer sie wird, desto schwieriger ist sie zu handhaben." Nachsatz: "Da sind konventionelle Datenbanken besser." Anwendungspotenziale abseits virtueller Währungen und mancher Finanzinstrumente? Keine, sagt Böhme.

Ein etwas wohlmeinenderes Urteil fällt Guido Schäfer, Ökonom an der Wiener Wirtschaftsuniversität (WU). Vor einem Jahr ortete er im Bitcoin- Hype gegenüber profil "Anklänge an die Dotcom-Blase". Der Vergleich bezog sich auf den Run auf Aktien fragwürdiger Internet-Projekte um die Jahrtausendwende , der bald darauf in einen beispiellosen Absturz mündete. Heute zieht Schäfer erneut Parallelen zur Dotcom-Blase, allerdings in anderer Hinsicht. "Ich halte es für verfrüht, die Blockchain-Technologie völlig abzuschreiben. Auch nach der Dotcom-Blase gab es viel Katerstimmung. Aber es zogen auch Nüchternheit und Realismus ein. Daraus haben sich letztlich tragfähige Internet-Konzepte entwickelt. Heute gehören Unternehmen wie Google und Amazon zu den wichtigsten auf dem Kapitalmarkt." Die Blockchain ist eine "machtvolle Idee", deren Zukunft noch offen sei, so Schäfer. Die überschießende erste Begeisterung jedenfalls ist verflogen. Und auf die technologische Weltrevolution warten wir immer noch.

Falsche Annahme Nr. 4: Wenn der Bitcoin abstürzt, kollabiert das gesamte Finanzsystem.

Den einen galt er als Heilsversprechen, die anderen sahen in ihm nicht nur eine Falle für naive Krypto-Kleinanleger, sondern eine Falle für die gesamte Wirtschaft und das Finanzsystem. Der Bitcoin-Crash könnte zum Auslöser einer Krise werden, die in ihren Ausmaßen dem Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers und den anschließenden globalen Verwerfungen in nichts nachstünde, warnte etwa der US-Milliardär Thomas Peterffy. Nun ist der Bitcoin abgestürzt - und was ist passiert? Nichts. Also fast nichts. Seit Dezember 2017 lösten sich über 260 Milliarden Dollar quasi in Luft auf -da wird wohl manch ein Investor vor den Trümmern seiner Existenz stehen. Doch gröbere Verwerfungen oder gar eine Kernschmelze im internationalen Finanzsystem blieben aus. Für Beat Weber, Krypto-Experte der Oesterreichischen Nationalbank, nicht überraschend. Bereits vor einem Jahr erklärte er gegenüber profil, dass der Bitcoin volkswirtschaftlich irrelevant sei: "Allein das Finanzvermögen der österreichischen Haushalte ist fünf Mal so groß wie das weltweite Bitcoin-Marktvolumen". Problematisch wäre es nur dann, wenn die Krypto-Anleger Kredite aufgenommen hätten, um die digitalen Währungen zu kaufen und diese dann nicht mehr bedienen hätten können. Dann hätte es zu negativen Rückwirkungen auf andere Marktteilnehmer kommen können. "Dafür hat es aber zu keiner Zeit Anzeichen gegeben", sagt Weber. Und so blieb der Bitcoin-Crash für die Gesamtwirtschaft folgenlos.

Falsche Annahme Nr. 5: Bitcoin war von Anfang an ein Schwindel - und jetzt ist er ganz tot.

Wird der Bitcoin seinen tiefen Fall fortsetzen, bis er bei null - oder maximal knapp darüber - aufschlägt? Höchstwahrscheinlich nicht. In gewissen Nischen -auch abseits von Kriminalität - haben Krypto-Gelder durchaus ihren klaren Nutzen. Deshalb darf davon ausgegangen werden, dass sie auch weiterhin, trotz geplatzter Blase, einen gewissen Wert behalten werden.

Zum Beispiel Kapitalverkehrskontrollen (siehe auch Annahme 2). Wenn Staaten wie China oder Venezuela die Ein-und Ausfuhr von Geld begrenzen, lassen sich derlei Restriktionen mit Bitcoin gut umgehen. Auch bei der Finanzierung neuer Unternehmen und Projekte, vor allem im kleineren Maßstab, könnte Kryptogeld in Zukunft durchaus eine wichtige Rolle spielen. Denn bei sorgfältiger und transparenter Ausgestaltung bringen die sogenannten Initial Coin Offerings (Unternehmensfinanzierungen mittels Kryptowährungen) Vorteile gegenüber klassischen Wegen der Geldbeschaffung.

Ein weiterer wichtiger Nebenaspekt der Bitcoin- Blase: Im allgemeinen Jammer über den Absturz wird übersehen, dass vor allem jene Spätentschlossenen Geld verloren haben, die auf dem Höhepunkt des Booms eingestiegen sind und bald darauf in Panik wieder verkauft haben. Ganz im Gegensatz zu jenen, die schon länger dabei sind. So hat sich etwa seit Anfang 2017 der Wert des Bitcoins immer noch verdreifacht - wiewohl er in den vergangenen Monaten um fast 75 Prozent eingebrochen ist.

Übrigens können sich die Spätzünder nicht darauf ausreden, nicht ausreichend informiert gewesen zu sein: Gerade in jener Phase, als der Bitcoin rege Höhen erklomm, warnten Institutionen wie die heimische Nationalbank und die Finanzmarktaufsicht eindringlich davor, in die Finanzinnovation allzu viel Vertrauen zu setzen.

Wird der Bitcoin jemals wieder seine alten Spitzenstände erreichen? Glaubt man Magdalena Isbrandt werden es all jene, die angesichts des Einbruchs ausgestiegen sind, schon bald bereuen. Die große Zeit des Bitcoins stehe noch bevor. Das scheint etwas hochgegriffen. Doch ganz abschreiben sollte man den Bitcoin auch nicht. Er ist vielmehr nach einer turbulenten Startphase auf dem Boden der Realität angekommen.