Landsterben

Bürgermeister am Land: Alles muss man selber machen

Ortschefs stemmen sich gegen das Landsterben. Ihre Gemeinden übernehmen Dorfläden, Postfilialen und sogar Wirtshäuser – weil es sonst niemand tut. Die Bürger freut das, die Gemeindebudgets weniger.

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Wer einen authentischen Eindruck von den Problemen der Landgemeinden gewinnen will, sollte in der Google-Suche „Letzter Nahversorger sperrt zu“ eingeben. Die Suchmaschine spuckt Dutzende rezente Ergebnisse aus.

Ein Geschäft nach dem anderen muss schließen, Ende 2023 traf es einen „Nah und frisch“-Markt in der Südoststeiermark. In einem Regionalblatt erklärt der letzte Kaufmann der Kleingemeinde die Gründe für seinen Konkurs: „Dieses Jahr sind viele ältere Leute weggestorben, und das sind hauptsächlich meine Kunden.“

Ähnlich verzweifelt klingen die Appelle des Bürgermeisters aus Haidershofen im Westen Niederösterreichs, wo nach nur zwei Jahren ein junger Betreiber seine Sparfiliale schließen musste: „Wenn jemand jemanden kennt, der jemanden kennt, der ein neues Geschäft übernehmen möchte, dann sind wir für jede Hilfe dankbar“, flehte der Ortschef. Haidershofen hatte noch einmal Glück: Nach profil-Redaktionsschluss wurde am Freitag ein neuer Pächter präsentiert. Ein Happy End, von dem andere Gemeinden nur träumen können.

Schlecht versorgt

Vielen der 2098 Gemeinden in Österreich mangelt es an Infrastruktur.

  • 340 Gemeinden ohne Bankomaten (16 Prozent)
  • 600 Gemeinden ohne Nahversorger (28,6 Prozent)
  • 717 Gemeinden ohne Post (34,2 Prozent)

Quellen: Nationalbank, Landwirtschaftsministerium

Landsterben verschärft sich

Die Zahl der Landgemeinden ohne Nahversorger steigt dramatisch. 600 (von insgesamt 2098 Gemeinden) sollen es österreichweit bereits sein, schätzt das Landwirtschaftsministerium. Ein Ende des Negativtrends ist nicht in Sicht. Mit dem Lebensmittelhändler stirbt oft der einzige Postpartner einer Gemeinde. Schon 717 Kommunen müssen auch deshalb ohne Post auskommen, 340 ohne Bankomaten. Es rechnet sich einfach nicht. Zu diesem Schluss kommen auch Wirte, Ärzte und so gut wie alle anderen Betriebe, die ein Dorf lebendig halten.

Zurück bleiben leere Geschäftslokale und Bürgermeister, die den Frust der Bevölkerung bei den nächsten Wahlen fürchten.

Zwar zählt der Betrieb von Lebensmittelgeschäften und Wirtshäusern nicht zu den Kernkompetenzen einer Gemeinde – trotzdem wählen immer mehr Bürgermeister die Flucht nach vorn und gründen gemeindeeigene GmbHs. Das Motto: Irgendwer muss es ja machen. Am Land ist die Planwirtschaft zurück, der Staat springt ein, wo Private auslassen. Mit einigen Schattenseiten.

Das Gemeinde-Gasthaus

Die Gemeinde St. Aegidi (Oberösterreich) betreibt seit 2019 den Kirchenwirt im Ortszentrum selbst, weil die privaten Betreiber aufgehört haben. Der Gasthof macht derzeit noch ein Minus, doch aus Sicht von Bürgermeister Klaus Paminger lohnt sich das Investment. Für die Dorfgemeinschaft.

Das wird in der Kleingemeinde St. Aegidi im Bezirk Schärding (Oberösterreich) deutlich. Der 1500-Einwohner-Ort lebt von der Landwirtschaft, Exportschlager sind die „Sauwald Erdäpfel“.

Vom holzvertäfelten Gemeindeamt hat ÖVP-Bürgermeister Klaus Paminger – Brotberuf Landwirt – einen guten Blick auf „seinen“ Gasthof: den Kirchenwirt. 600.000 Euro hat die Gemeinde vor ein paar Jahren für das Wirtshaus hingelegt und betreibt es seit 2019 selbst. Ein Drittel des Kaufpreises wurde vom Land Oberösterreich zugeschossen, weil sich die Gemeinde dadurch den Bau einer Mehrzweckhalle sparte. Auf der Speisekarte des Kirchenwirts stehen derzeit: Cordon bleu, Reh, Spargel und Zipfer Bier.

Die Einrichtung der Gästezimmer im oberen Stock war zum Zeitpunkt der Übergabe nicht mehr ganz taufrisch, viele der 24 Betten, der Nachtkästchen und Kommoden stehen dort schon seit dem Jahr 1983. Die Fritteuse ist immerhin erst seit 1995 in Betrieb, das jüngste Gerät auf der Inventarliste des Kaufvertrages ist ein Toaster, den die Wirtsfamilie 2004 angeschafft hat.

Was verspricht sich die Gemeinde von dieser Bude?

Jakob   Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv. Derzeit in Karenz.