Wirtschaft

Bundesbahnblues: Was ist dran an der Kritik an den ÖBB?

Zu voll, zu spät, zu unzuverlässig. Was ist dran an der Kritik an den ÖBB? Wo liegen ihre Baustellen und wie sollen sie beseitigt werden?

Drucken

Schriftgröße

Halbzeit in Sachen Ferien: Während die einen ihren Urlaub schon hinter sich gebracht haben, steht er den anderen noch bevor. So viele wie noch nie treten ihn heuer per Bahn an. Bereits für 2022 konnte ÖBB-Chef Andreas Matthä mit 42 Millionen Fahrgästen im Fernverkehr einen Rekord vermelden – heuer wird er deutlich gebrochen werden. Rund 1,6 Millionen reisen per Nachtzug – auch das ist ein Rekord.

In Zeiten der Klimakrise erfreuliche Nachrichten. Doch wenn jemand eine Reise tut, kann er bekanntermaßen was erzählen. Und in den vergangenen Wochen sah man sich bei der Bahn zunehmend mit Kritik und verärgerten Fahrgästen konfrontiert, die ihren Missmut gern auch sehr öffentlichkeitswirksam kundtaten.

Wo liegen also die Baustellen der Bahn? Was tut sie, um sie zu beseitigen? Und worauf sollten Fahrgäste achten? Ein paar Antworten auf den grassierenden Bundesbahnblues.

Warum ist im Nachtzug der gebuchte Schlafwagenplatz nicht vorhanden?
Das kann einem ordentlich die Laune vermiesen: Man kommt voller Urlaubsvorfreude abends zum Bahnhof, um dann festzustellen, dass das gebuchte Schlafwagenabteil nicht verfügbar ist und man stattdessen für die zehnstündige Fahrt einen Sitzplatz zugewiesen bekommt. „Das darf nicht sein, der Kunde soll nicht am Bahnsteig überrascht, sondern frühzeitig informiert werden“, sagt Kurt Bauer, Leiter des Fernverkehrs bei den ÖBB. Grundsätzlich würden Kunden über Änderungen, wie zum Beispiel beim Ausfall einzelner Waggons, per E-Mail benachrichtigt. Wurden die Tickets jedoch über ein ausländisches Bahnunternehmen gekauft, habe man oft keinen Zugriff auf die Kontaktdaten. Ob nach Berlin, Paris oder Rom: Die Nightjets sind auf Monate komplett ausgebucht. „Prinzipiell können wir das mit unseren Zügen gut abfahren, aber das Nachtzugmodell ist sehr komplex. Kommt es irgendwo zu einer Störung, hat das Auswirkungen auf das gesamte System“, erklärt Bauer etwa am Beispiel der Verbindung Wien–Zürich–Hamburg und retour. Insgesamt vier Nächte ist die Garnitur unterwegs, bis sie wieder zurück in Wien ist. Weder in Zürich noch in Hamburg gibt es Ersatzwagen. Muss also ein Schlafwagen auf der Strecke wegen eines technischen Problems aus dem Verkehr gezogen werden, sind unter Umständen vier Nächte betroffen, in denen die Kapazitäten geringer sind als ursprünglich geplant.
Wie viel Prozent der gebuchten Nightjet-Schlafwagenplätze sind im vergangenen halben Jahr ausgefallen?
„Bei unter ein Prozent kann die gebuchte Kategorie nicht angeboten werden, aber auch das ist zu viel“, sagt Bauer. Im Tagesverkehr könne man meist eine Stunde später den nächsten Zug nehmen, beim Nachtzug nicht, deshalb reagieren Passagiere hier emotionaler. Tatsächliche Ausfälle von ganzen Zügen kämen ausschließlich wegen Naturkatastrophen oder Streiks vor. Dass man, wie oben beschrieben, in eine niedrigere Kategorie verlegt werde, sei auf technische Gebrechen zurückzuführen.
Fahrgäste klagten, dass es nicht möglich sei, Tickets für den Nightjet zwei oder drei Monate im Voraus zu buchen. Woran liegt das?
Grundsätzlich sei es möglich, rund sechs Monate im Voraus zu buchen. „Das genannte Problem hatten wir vor allem im Frühjahr mit der Zieldestination Paris“, sagt Bauer. Die SNCF, die staatliche französische Eisenbahngesellschaft, hatte recht kurzfristig Nachtbaustellen eingerichtet, wodurch der Ticketverkauf nicht freigegeben werden konnte. Seit etwa einem halben Jahr bieten die ÖBB – als einziges europäisches Eisenbahnunternehmen – auch Buchungen unter einem sogenannten „unsicheren Fahrplan“ an. Die Unsicherheit bezieht sich dabei auf die Uhrzeit, nicht jedoch auf das Datum. Das bedeutet, dass man  erst  kurz vor Abreise erfährt, wann genau der Zug losfährt. „Bei einem Nachtzug fällt das allerdings kaum ins Gewicht, ob die Abfahrt eine Stunde früher oder später stattfindet“, meint Bauer. 

Kurt Bauer, Leiter ÖBB-Fernverkehr

"Da müssen wir besser werden."


Weshalb kaufen die ÖBB nicht mehr Züge?
Tun sie. Im Jahr 2018 haben die ÖBB 33 neue Nachtzüge bei Siemens bestellt. Ab Herbst 2022 hätten sie geliefert werden sollen. Aufgrund instabiler Lieferketten und der Pandemie sei der Zeitplan nicht einzuhalten gewesen, rechtfertigt sich Siemens Mobility. Im November sollen nun die ersten Züge übergeben werden. Für die Verzögerung wird eine Pönalzahlung fällig. Über deren Höhe wurde Stillschweigen vereinbart, aber, so Bauer, sie sei signifikant. Ab 2026 werden im Fernverkehr auch erstmals Railjet-Doppelstockzüge eingesetzt, um mehr Plätze anbieten und der steigenden Nachfrage gerecht werden zu können. Insgesamt wird die Sitzplatzkapazität im Fernverkehr um 40 Prozent bis 2030 erhöht. Tatsächlich können die ÖBB in den nächsten Jahren richtig klotzen: Für den Bahnausbau und Rollmaterial sind Beträge in Milliardenhöhe vorgesehen, auch aus dem EU-Resilienzfonds. Allerdings werde es wohl auch in Zukunft an Starkreisetagen zu Engpässen kommen, merkt Mobilitätsexperte Roland Hackl vom Forschungsunternehmen tbw research an: „Man kann nicht endlos Kapazitäten aufbauen, die dann den Rest des Jahres ungenutzt herumstehen. Das macht wirtschaftlich keinen Sinn.“
Könnten nicht mehr Waggons angehängt und die Intervalle verkürzt werden?
Leichter gesagt als getan: Eine in Doppeltraktion geführte Railjet-Garnitur, wie sie etwa häufig auf der Westbahnstrecke eingesetzt wird, ist 400 Meter lang. Mehr geht nicht – die Länge ist auf die europaweit normierten Bahnsteiglängen und Signalanlagen abgestimmt. Waggons anhängen, ist auch nicht so einfach möglich, weil die Systeme untereinander nicht kompatibel sind. Während etwa der Railjet eine Höchstgeschwindigkeit von 230 Kilometer pro Stunde erreicht, ist anderes Wagenmaterial nur auf eine Geschwindigkeit von 200 km/h zugelassen. Der IC wiederum verfügt über eine eigene Kupplung, die für andere Modelle nicht passend ist. Eine Erhöhung der Zugfolgen ist oft nur bedingt möglich. Was national noch einigermaßen machbar ist, wird beim grenzüberschreitenden Verkehr zur Herausforderung: Fahrpläne werden nicht nur mit den jeweiligen ausländischen Bahn- und Infrastrukturunternehmen abgestimmt, sondern auch mit den betroffenen Nahverkehrsbetreibern. Kundenströme lassen sich auch über den Preis steuern: Dabei werden Abfahrtszeiten, bei denen die Nachfrage nicht so hoch ist, deutlich günstiger angeboten. „Wer langfristig bucht und flexibel ist, kann einiges an Geld sparen“, sagt Bauer.
Warum ist der Ticketkauf für internationale Verbindungen so kompliziert?
Wer schon einmal per Bahn mehrere Grenzen überwinden wollte, weiß, dass hier ein Ticketkauf eine ganz besondere Herausforderung ist. „Das ist nicht sehr kundenfreundlich“, bekennt Bauer, „aber Tickets für eine Reise über mehrere Grenzen hinweg können wir – abgesehen von Nightjet-Fahrten – im Moment nur eingeschränkt  anbieten.“ Das liege daran, dass die IT-Systeme der einzelnen Bahngesellschaften nicht miteinander kommunizieren können. Reisende müssen ihre Fahrkarten somit über die jeweiligen Betreiber beziehen. Allein die richtige Website der jeweiligen ausländischen Bahngesellschaft zu finden, stellt manch potenziellen Fahrgast vor unüberwindliche Hürden. Wenn es  sie überhaupt in einer Sprache gibt, die er versteht. Doch für 98 Prozent aller Kunden habe man ein Angebot, beteuert Bauer. Denn die würden in die Nachbarländer reisen wollen, und dafür könne man Tickets zu allen Zielorten anbieten. „Tickets von Wien etwa nach Lissabon werden sehr selten nachgefragt. Das war nicht unsere oberste Priorität, so etwas anzubieten“, sagt Bauer. Doch künftig werde man auch solche Wünsche ermöglichen. Die europäischen Bahnen haben sich auf die Einführung des OSDM-Standards geeinigt. Das Kürzel steht für Open Sales and Distribution Model und ist ein System zum interoperablen Fahrscheinverkauf. Starten soll es frühestens Ende 2025.
Weshalb sind Ticketpreise für ein und denselben Zug bei den einzelnen Bahngesellschaften unterschiedlich hoch?
Das liegt daran, dass jedes Bahnunternehmen seine eigene Preisgestaltung hat. Während etwa auf die Sparpreise der Deutschen Bahn auch die Rabatte der Bahncard angewendet werden können, ist bei den ÖBB eine Kombination von Sparschiene und Vorteilscard nicht möglich. Und oft werden bei einer Bahngesellschaft die günstigeren Kontingente schneller verkauft, während sie bei der anderen noch erhältlich sind. Künftig soll es in Europa ein additives Ticketsystem geben. Dann würden beispielsweise für die Strecke Wien–München die ÖBB den Preis für die Distanz Wien–Salzburg ausrufen, die Deutsche Bahn jenen für Salzburg–München. Beides addiert ergibt dann den für alle gültigen Gesamtpreis.

Der preisliche Wettbewerb zwischen Fliegen und Bahn ist völlig verzerrt, das liegt in erster Linie an der fehlenden Kostenwahrheit. Im Grunde subventionieren wir alle den Flugverkehr und die damit verbundenen Folgen, egal ob wir tatsächlich fliegen oder nicht.

Roland Hackl

tbw research

Und warum ist der Zug oft teurer als das Flugzeug?
„Der Nachtzug darf nicht teurer sein als der Flieger“, sagt Bauer. Aber da sei die europäische Politik gefordert, den entsprechenden Rahmen zu geben. Kerosin ist steuerbefreit, für Flugtickets zahlen Passagiere keine Mehrwertsteuer, während bei Zugtickets für viele  Länder Mehrwertsteuer zu zahlen ist. „Da fehlt der große Wurf“, so Bauer. „Der preisliche Wettbewerb zwischen Fliegen und Bahn ist völlig verzerrt, das liegt in erster Linie an der fehlenden Kostenwahrheit. Im Grunde subventionieren wir alle den Flugverkehr und die damit verbundenen Folgen, egal ob wir tatsächlich fliegen oder nicht“, meint auch Mobilitätsforscher Roland Hackl.
In Sachen Pünktlichkeit schaut es im Fernverkehr eher mau aus. Woran liegt das?
Lediglich 81,4 Prozent aller Züge im Fernverkehr waren 2022 pünktlich. Im Jahr davor waren es noch 87,8 Prozent. Ein Zug wird als verspätet gewertet, wenn die Ankunft fünf Minuten und 29 Sekunden vom Fahrplan abweicht. Im Nahverkehr dagegen lag die Pünktlichkeit bei 94,8 Prozent, wie die Agentur für Passagier- und Fahrgastrechte (apf) jüngst bekannt gab. Eine knappe Unterschreitung des im Nahverkehr gesetzlich vorgeschriebenen Pünktlichkeitsgrades von 95 Prozent. Aufgrund der zentralen Lage in Europa bekomme man  viele Verspätungsminuten aus dem Ausland, erklärt Bauer. Und je länger eine Strecke ist, desto öfter ist sie von Störungen betroffen. Dennoch: „Da müssen wir selbst auch besser werden“, sagt der ÖBB-Fernverkehrsleiter. Einige Maßnahmen habe man bereits getroffen. So werden etwa an Starkreisetagen vermehrt Mitarbeiterinnen an den Bahnhöfen zur Kundenlenkung eingesetzt. „Das hat sich bezahlt gemacht: Mussten wir  im vergangenen Jahr mehrmals Züge räumen, war das heuer kaum der Fall“, so Bauer.
Christina   Hiptmayr

Christina Hiptmayr

ist Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von "Vorsicht, heiß!", dem profil-Klimapodcast (@profil_Klima).