Pleite

GemNova Konkurs: Warum ging der Tiroler Gemeindeverband mit einer an sich guten Idee baden?

GemNova, ein Unternehmen im Eigentum des Tiroler Gemeindeverbands, sollte Bürgermeistern bei der Bewältigung kommunaler Aufgaben helfen. Nun ist es pleite.

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Den Seinen gibt es der Herr im Schlaf, heißt es in einem Bibelvers. Zirl könnte der Gegenbeweis sein. Die Tiroler Marktgemeinde am südwestlichen Ausläufer des Karwendelgebirges kennt man nicht nur wegen seiner mittelalterlichen Burgruine und seit dem 18. Jahrhundert als eine der ersten Adressen für Weihnachtskrippen. Berühmt ist Zirl auch für das Zachäussingen, einen alten Kirchtagsbrauch.

Am dritten Sonntag im Oktober versammeln sich in aller Herrgottsfrühe fromme Dutzendschaften und stimmen ein reuevolles Lied an. Das alljährliche, gottesfürchtige Ritual half Bürgermeister Thomas Öfner allerdings wenig, als seiner Gemeinde der Amtsleiter abhanden kam. Gott schien weit davon entfernt, den Zirlern den händeringend gesuchten Nachfolger im Schlaf zu geben. Also klopfte Öfner bei der GemNova an.

Kopierpapier, Streusalz, Kupferrohre

Die GemNova Dienstleistungs GmbH, wie sie genau heißt, wurde 2010 vom Tiroler Gemeindeverband ins Leben gerufen, um in kommunalen Angelegenheiten zu helfen. Die Gesellschaft als eine Art Plattform für die gebündelte Beschaffung von allem, was in den 276 Tiroler Gemeinden auf den Einkaufslisten so anfällt: von Kopierpapier bis Kupferrohre, von Streusalz bis Straßenlaternen. Das Unternehmen wuchs rasant, überwachte bald Ausschreibungen, sanierte Kindergärten, organisierte Nachmittagsbetreuungen und Deutschkurse für Asylwerber, leitete ein Pflegeheim, verlieh Maschinen für die Waldarbeit, trieb, wenn nötig, einen Amtsleiter auf – und erwirtschaftete zuletzt mit rund 700 Mitarbeitern etwa 22 Millionen Euro im Jahr. Sogar eine Filmfirma gründete man.

Anfang des Jahres wurde öffentlich, dass die GemNova verschuldet ist. Seither kommt sie nicht mehr aus den Schlagzeilen. Mittlerweile ist der Konkurs eingeleitet, dieser wiederum könnte den Tiroler Gemeindeverband mitreißen. Bei der Suche nach Schuldigen zeigen viele Finger aufeinander. Zwischen dem Präsidenten des Gemeindeverbands, Ernst Schöpf, einem Urgestein der Tiroler ÖVP, und seinen Stellenvertretern, unter ihnen Christian Härting, ÖVP-Bürgermeister in Telfs und Hoffnungsträger einer neuen Politikergeneration, entbrannte ein Kampf um die Deutung der Geschichte vom Aufstieg und Fall der GemNova.

ÖVP-Urgestein

Doch der Reihe nach. Am hoffnungsfrohen Beginn der Firmengruppe steht eine von Ernst Schöpf ventilierte Idee. Schöpf ist Bürgermeister der Wintersport-Großmacht Sölden im Ötztal, mit den Mächtigen des tiefschwarzen Landes auf Du und Du, aber keineswegs immer auf Parteilinie. Seit 2009 fungiert er als Präsident des Tiroler Gemeindeverbands. In dieser Rolle stand er in einem der größten Vermögensskandale der Nachkriegsgeschichte – bäuerliche Zusammenschlüsse, sogenannte Agrargemeinschaften, hatten sich öffentlichen Grund und Boden im Ausmaß der Fläche Osttirols unter den Nagel gerissen - stand er eisern auf Seiten der Kommunen. Und am Ende auch des Rechts. Dafür zollt man ihm über Parteigrenzen hinweg quasi ewigen Respekt. „Das wird von mir nicht vergessen“, sagt etwa SPÖ-Landeshauptmannstellvertreter Georg Dornauer.

Kaum ein Jahr als Gemeindeverbandspräsident im Amt fand Schöpf den vermeintlich idealen Umsetzer der erwähnten Idee: Alois Rathgeb, ein mit allen Wassern gewaschener Einkäufer, wurde Geschäftsführer der 2010 gegründeten GemNova, einer GmbH im Alleineigentum des Tiroler Gemeindeverbands. Dieser wiederum ist als Verein organisiert. Schöpf, sein Präsident, vertritt den Tiroler Gemeindeverband in der GemNova.

Das Unternehmen startete mit einer geplanten – aber bald geplatzten - Basisfinanzierung. 410.000 Euro sollten jedes Jahr vom Eigentümer – also dem Tiroler Gemeindeverband (TGV) - kommen. Doch die Mittel blieben aus. Der Fehlbetrag läpperte sich im Laufe der Jahre auf 4,6 Millionen Euro zusammen. Aufgeben kam trotz dieses widrigen Umstands nicht in Frage.

Hier nimmt die Misere ihren Lauf. SPÖ-Landesvize Dornauer, in der Causa eher wohlgesonnener Betrachter von außen, hält es für einen „Geburtsfehler“, die 277 Gemeinden „nicht dazu vergattert zu haben, den Mitgliedsbeitrag zu zahlen“. Schöpf räumt das Versäumnis ein: „Wir hätten die Zukunft besser abfedern müssen. Wir haben von Anfang an ein Liquiditätsproblem mitgeschleppt.“ Das hindert die Gesellschaft nicht an ihrer Expansion.

Wir hätten die Zukunft besser abfedern sollen. Wir haben von Anfang an ein Liquiditätsproblem mitgeschleppt.

Ernst Schöpf, Gemeinderatspräsident und Gründervater der GemNova

Warum endet die GemNova wie eine Tragödie, wenn doch alle das Beste wollten? Der Kern des Dramas lässt sich mit dem – willkürlich herausgegriffenen – Eingangsbeispiel Zirl erhellen. Der Ortschef, der ohne Amtsleiter dasteht, wandte sich an die GemNova. Der inzwischen abgesetzte Geschäftsführer Rathgeb konnte Abhilfe schaffen. Der Ersatzmann kostete 125 Euro in der Stunde. Öfner, Bürgermeister in Zirl und seit Mai des Vorjahres einer der drei Vizepräsidenten des Gemeindeverbands, also der GemNova-Eigentümerin – hakte wegen einer Reduktion nach und erhielt ein nachgebessertes Angebot.

Dieser Stundensatz habe die Kosten nicht gedeckt, sagt Rathgeb gegenüber profil. Warum hat er in den Handel dann eingewilligt? Antwort: „Ich habe es als meine Aufgabe gesehen, Gemeinden in Not zu helfen und dafür zu sorgen, dass auf kommunaler Ebene alles funktioniert.“ Ist also Bürgermeister Öfner mitschuld am finanziellen Loch der GemNova? Dieser lässt den schwarzen Peter natürlich nicht auf sich sitzen: „Ich habe mit Gemeindemitteln sorgsam umzugehen. Worin liegt mein Fehler? Es liegt in der Verantwortung des GemNova-Geschäftsführers, einen angeblich zu niedrigen Preis nicht zu akzeptieren.“ Und: Das neue Angebot sei nur geringfügig besser gewesen

Nun ist also der Masseverwalter am Zug. Ein „Sanierungsverfahren mit Eigenverwaltung“ zerschellte am Widerstand namhafter Bürgermeister. Schöpf und Rathgeb konstatieren verbittert, mit dem Konkurs richte man den größten, denkbaren Schaden an.

Kassasturz

Zur Vorgeschichte, wie sie sich für Schöpf und Rathgeb darstellt: Im November des Vorjahres wird die missliche Lage der GemNova offenkundig. Man hofft, mit einer Million Euro an frischem Geld in ruhigere Gewässer zu gelangen. Mitte Jänner kommt Schöpf mit ÖVP-Landeshauptmann Anton Mattle überein, dass das Land 1,5 Millionen zur Sanierung und der Tiroler Gemeindeverband 500.000 Euro beisteuern. Den Rest wollte man aus künftigen Einkünften bestreiten. Man sei im Plan gewesen, denn man habe bereits 2021 damit begonnen, Personal abzubauen und Leistungen zu strichen. 2024 wären – so die Prognose – vor Steuern und Abgaben unter dem Strich zwischen 1,3 und 1,5 Millionen Euro übrig geblieben. Ein Wirtschaftsprüfer wird mit einem Kassasturz betraut. Fazit: Der GemNova-Grupp fehlen Ende März 8,5 Millionen Euro. Einige Bürgermeister wollen die Muttergesellschaft liquidieren. Der Wirtschaftsprüfer warnt, eine Insolvenz zerstöre mehr als eine geordnete Sanierung. Rathgeb ist als Geschäftsführer nicht zu halten. Das Gericht bestellt einen Sanierungsverwalter.

Bis zuletzt kämpft Schöpf gegen den Konkurs. „Mit einem Eigentümer, der die Sanierung mitträgt, wären alle GemNova-Töchter in allerspätestens zehn Jahre schuldenfrei und mit einem positiven Eigenkapital dagestanden“, sagt er zu profil. Den Wirtschaftsprüfer weiß er auf seiner Seite. Auch der mittlerweile eingesetzte Masseverwalter lässt sich in einem internen Mail zu der entgeisterten Frage hinreißen: „Wie kann man sehenden Auges einen Totalschaden verursachen?“

Gegenwind aus den eigenen Reihen

Zu stark war der Gegenwind aus den eigenen Reihen. Die Vize-Präsidenten des Gemeindeverbands misstrauen den Zahlen. Inzwischen ist davon die Rede, dass die Abwicklung der Firmengruppe zehn Millionen Euro und mehr verschlingen könnte. Kollateralschäden sind noch nicht eingepreist für den Fall, dass Haftungen schlagend und Gerichtsprozesse in unbekannter Zahl angestrengt werden. Markus Abwerzger, Chef der Tiroler FPÖ, brachte bei der Staatsanwaltschaft bereits eine Sachverhaltsdarstellung gegen Schöpf, Rathgeb und Verantwortliche des Landes Tirol ein, denn es habe sich für ihn „der Verdacht erhärtet, dass die GemNova am Landtag vorbei unzulässigerweise öffentliche Mittel erhalten hat.“

 

Ganz gleich, woher Zurufe kommen: Er (der GemNova-Geschäftsführer, Anm.) muss dafür sorgen, dass das Unternehmen lebensfähig ist. Man hätte ihn nicht schalten und walten lassen dürfen. Jetzt stehen wir vor einem riesigen Scherbenhaufen.

Christian Härting, ÖVP-Bürgermeister von Telfs

Die aufgerissenen Gräben zuzuschütten wird zur Mammutaufgabe: Rathgeb und Schöpf beharren darauf, aus Verantwortung gegenüber den Gemeinden und auch „auf Zuruf des Landes“ (Rathgeb) in Notlagen eingesprungen zu sein. So habe man während der Pandemie bei der Durchführung von Massentestungen und beim Organisieren von Sommerschulen geholfen. Als ukrainische Kriegsflüchtlinge zu versorgen waren, habe man Quartiere aufgetrieben und Deutschkurse ausgerichtet. Am Ende sei die GemNova auf hunderttausenden Euro Minus sitzen geblieben. All das wollten die Widersacher nicht sehen: Schöpf: „Man hat sehr viel Stimmung gemacht.“

Bürgermeister ziehen nicht mit

Die Schöpf- und Rathgeb-Kritiker hingegen bleiben dabei: Finanziell nicht abgesicherte GemNova-Projekte hätten nicht in die Welt gesetzt werden dürfen. Man fühle sich hinter das Licht geführt. Jahrelang habe man keine Einsicht in Bilanzen erhalten. Ständig wurden neue Töchter gegründet. Das Gehalt des Geschäftsführers wurde immer höher.„Ganz gleich, woher Zurufe kommen: Er muss dafür sorgen, dass das Unternehmen lebensfähig ist. Man hätte ihn nicht schalten und walten lassen dürfen“, sagt Härting, Bürgermeister von Telfs : „Jetzt stehen wir vor einem riesigen Scherbenhaufen.“ Beim Sondergemeindetag in Zirl am 10. Juli kursierten bereits deutlich höhere, als ursprünglich kolportierte Schuldenstände. Daraufhin verweigerten die Bürgermeister ihre Zustimmung zur Rettung der GemNova.

 

Der TGV-Vorstand will die Pleite nun akribisch aufarbeiten. In den Gemeinden ordnen sich indes Angebot und Nachfrage neu. „Seit 2014 haben wir die Hälfte der Hochbauprojekte in Tiroler Gemeinden begleitet, in Summe 150, vom Feuerwehrhaus über Kindergärten bis zu Pflegeheimen“, resümiert Rathgeb: „Und das mit keiner Kostenüberschreitung.“ Hier kommen künftig wieder andere Anbieter zum Zug. Dass die GemNova auf diesem Terrain– mitunter angeblich unterpreisig – agierte, war der Wirtschaftskammer ein Dorn im Auge – „und wurde auch innerhalb der ÖVP mit Murren registriert“, so SPÖ-Landesvize Dornauer.

Der Landeshauptmann als Zuschauer

Anton Mattle, der als ÖVP-Bürgermeister von Galtür 2010 im Gemeindeverbands-Vorstand saß und zu den Gründungsvätern der GemNova. zählt, hält sich als Landeshauptmann als Zuschauer am Rand. Das Schicksal der Firmengruppe kümmert ihn in seiner heutigen Rolle weniger als jenes des Gemeindeverbands, den es im politischen Machtspiel als mit einer Stimme für die Kommunen sprechendes Gegenüber bei Gesetzesvorhaben und Projekten braucht. Den zitierten Scherbenhaufen wollten am Ende weder das Land und die Gemeinden, erst recht nicht der geschasste GemNova-Geschäftsführer und Gemeindeverbandspräsident Schöpf noch seine lautesten Kritiker. Selbst der Telfer Bürgermeister konzendiert den unglücklichen Ausgang. Aber: „In diesem Fall ist ein Ende mit Schrecken eindeutig besser als ein Schrecken ohne Ende.“

Das ÖVP-Urgestein Schöpf wird er nicht überzeugen. Am 19. September tagt in Zirl erneut der Gemeindeverband. Dieses Mal stimmen die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister über eine Mittelaufstockung für den Gemeindeverband ab, der vermutlich für Haftungen geradestehen wird müssen. Außerdem wird ein neuer Präsident gekürt. Schöpf tritt nicht mehr an. Den Bürgermeister aus Telfs hält er – wenig überraschend – für einen schlechten Nachfolger. Aus Schöpfs Sicht ist nicht nur er, selbst der Präsident, beschädigt: „Im Sinne eines Neubeginns müssen vier neue Köpfe her. Erst dann können wir verlorenes Vertrauen wieder aufbauen.“

Freunde werden Schöpf und Härting nicht mehr. Daran werden selbst die reuigsten Zachäussgesänge in Zirl wenig ändern.

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges