"Hygiene Austria": Geplatzter Masken-Deal mit der Regierung

Wie Corona-Schutzmasken für Senioren um neun Millionen Euro billiger wurden, weil das Unternehmen mit Connections ins Kanzleramt dann doch nicht zum Zug kam.

Drucken

Schriftgröße

Politisch würde man darunter eigentlich einen großen Wurf verstehen: Weil Menschen mit einem Alter von 65 Jahren aufwärts bei einer Corona-Infektion besonders gefährdet sind, schenkt der Staat ihnen Masken. Nicht irgendwelche, sondern solche nach dem FFP2-Standard. Diese schützen den Träger deutlich besser als ein normaler Mund-Nasen-Schutz.

Umso erstaunlicher scheint es, dass dieses ehrgeizige Projekt von der Bundesregierung im Geheimen auf den Weg gebracht wurde. Weder wurde der entsprechende Ministerratsvortrag veröffentlicht, noch findet sich im abrufbaren Protokoll der Regierungssitzung vom 25. November 2020, in der die Entscheidung offiziell fiel, irgendein Hinweis darauf.

Geheimer Regierungsbeschluss

Dennoch wusste ein bestimmter Kreis aus Personen und Unternehmen bestens Bescheid über das millionenschwere Vorhaben – nicht zuletzt ein Produzent von FFP2-Masken, der über eine interessante Connection ins Umfeld von Bundeskanzler Sebastian Kurz verfügt und vor wenigen Tagen in anderem Zusammenhang unliebsamen Besuch von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft erhalten hat.

Die Hygiene Austria LP GmbH war nicht nur über das so genannte Projekt „65+“ informiert, sie war schon vor der Entscheidung im Ministerrat eingebunden. Dies geht aus Dokumenten aus dem Gesundheitsministerium hervor, die profil einsehen konnte.

Vorab Abstimmungsrunden mit Hygiene Austria

In den Tagen vor der maßgeblichen Regierungssitzungen für das Projekt „65+“ fanden ausgehend vom Gesundheitsministerium und der Bundesbeschaffung GmbH (BBG) demnach zumindest zwei Gesprächsrunden statt. Bei den Video- bzw. Telefonkonferenzen saß exklusiv als einziger Produzent Hygiene Austria mit am Tisch. Dazu auch noch die österreichische Post, die mit dem Versand der Masken beauftragt werden sollte.

Die Vorbereitungen waren offenbar bereits länger im Laufen. Jedenfalls teilte Hygiene-Austria-Geschäftsführer Tino Wieser der BBG in einem E-Mail mit, dass man „für diesen Auftrag bereits seit Anfang November Kapazitäten geblockt“ habe.

Inoffizielle Vorgaben aus der Regierung?

Doch weshalb war ausgerechnet Hygiene Austria – ein Kooperationsunternehmen des Faserherstellers Lenzing mit dem Unterwäscheproduzenten Palmers – hier in die Entwicklung des geschäftlich höchst interessanten Vorhabens involviert? Ein internes E-Mail aus dem Gesundheitsministerium könnte eine mögliche Erklärung liefern.

Eine Spitzenbeamtin schrieb der Kabinettschefin von Minister Rudolf Anschober Ende November, dass im Ministerrat „keine Festlegung auf die Provenienz der FFP2-Masken“ vorgenommen worden sei. Jedoch sei „am Rand deutlich kommuniziert“ worden, dass „die Bundesregierung in diesem Vorhaben gerne österreichische Firmen/Produkte beschaffen würde“. Damit war offenbar auch klar, welche Firma zum Zug kommen sollte: Hygiene Austria sei „derzeit der einzige österreichische Anbieter dafür (CE gekennzeichnete FFP2-Masken)“. Aus diesem Grund  habe die BBG im Auftrag des Ministeriums mit Hygiene Austria Verhandlungen aufgenommen „und auch exklusiv geführt“.

Die Kurz-Connection

Bemerkenswert scheint, dass Hygiene Austria auch über eine besondere Verbindung ins Bundeskanzleramt verfügt: Die Schwägerin von Unternehmenschef Wieser ist Büroleiterin von Kanzler Kurz. Wieser und der Ehemann der Büroleiterin sind Miteigentümer von Palmers und somit auch von Hygiene Austria. Dass das Bundeskanzleramt beim Projekt „65+“ möglicherweise etwas mitzureden gehabt haben könnte, ergibt sich ebenfalls aus dem erwähnten Mail.

Die Ministerialbeamtin wies darin unter anderem darauf hin, dass der von Hygiene Austria veranschlagte Preis deutlich über jenem anderer Anbieter liegen würde: „Ich ersuche deshalb um Bestätigung, dass die Vorgabe, diesen Beschaffungsvorgang mit einem österreichischen Anbieter abzuwickeln (Anmerkung: nur die finale Fertigung erfolgt in AT, die verarbeiteten Vliese werden aus China importiert) weiterhin die Beschlusslage in der Bundesregierung abdeckt, auch wenn damit höhere Kosten verbunden sind.“ Die Beamtin ersuchte die Kabinettschefin „um Bestätigung der weiteren Vorgangsweise allenfalls in Abstimmung mit dem Büro des HBK“. „HBK“ steht im österreichischen Beamtenjargon für „Herr Bundeskanzler“.

Anschober zog Notbremse

Was auch immer in den darauf folgenden Tagen geschehen ist – Anfang Dezember war klar, dass Hygiene Austria beim Preis den Bogen überspannt hatte. In einem weiteren internen E-Mail hielt die Beamtin fest: „FKC (Frau Kabinettschefin, Anm.) hat mich informiert, dass HBM (Herr Bundesminister, Anm.) aufgrund der doch erhöhten Preissituation – zwar mit Bedauern aber in Hinsicht auf den Einsatz von Steuermitteln – entschieden hat, auf vergleichbare, qualitätsgesicherte internationale Ware zurückzugreifen.“

Die BBG holte daraufhin neue Angebote ein. Der siegreiche Bestbieter – ein österreichischer Händler mit CE-zertifizierter Ware aus China – verlangte pro Maske knapp unter 30 Cent (vor Steuern). Hygiene Austria hatte 79 Cent gefordert. Laut einem Ministeriums-Mail sparte sich der Staat dadurch rund neun Millionen Euro. Die Gesamtkosten für das Projekt „65+“ – also der Kauf von rund 18 Millionen Masken und  deren Auslieferung – machen gemäß einem internen Papier nunmehr übrigens knapp 14 Millionen Euro aus. Sonst wären es deutlich mehr gewesen.

Probleme bei Qualitätsprüfung

Wie ist es möglich, dass trotz eines derart eklatanten Preisunterschiedes ernsthaft und exklusiv mit Hygiene Austria geplant worden war? Das Marktniveau bei den Maskenpreisen müsste den Verantwortlichen eigentlich bekannt gewesen sein. Doch auch in Bezug auf die Qualität ergaben sich heikle Fragen.

In einem Papier aus dem Gesundheitsressort hieß es mit Blick auf Vorgänge im Verteidigungsministerium (BMLV): „Bereits Anfang November gab es von Seiten der Hygiene Austria ein Angebot für FFP2-Masken an das BMLV (via BBG), zum Preis von € 0,55/Stück. Bei der darauffolgenden Prüfung durch das Amt für Rüstung und Wehrtechnik (ARWT) hat dieses Produkt schlecht abgeschnitten. Aufgrund dieser Ergebnisse entschied sich das BMLV letztlich keine Masken der Firma Hygiene Austria anzukaufen.“

„Aus Gründen der Transparenz“

Zwar wird später darauf hingewiesen, dass nach Ansicht des Wirtschaftsministeriums das ARWT „keine Kompetenz bei der Beurteilung von FFP2-Masken hat und die CE-Kennzeichnung auf Grundlage eines ungarischen Notfied bodies (einer Prüfstelle, Anm.) für die Marktfähigkeit“ ausreiche. Dass die Regierung knapp danach ein zentrales Projekt wie die Gratis-FFP2-Masken für Senioren exklusiv mit eben jenem Anbieter plant, scheint dennoch bemerkenswert.

Letztlich hielt man im Gesundheitsministerium zusammenfassend fest: „Das ursprüngliche Vorhaben der Bundesregierung, mit dieser Maßnahme auf rein österreichische Produkte zurückzugreifen (Hygiene Austria als einziger Anbieter eines derartigen Produktes) wurde aus Gründen der Transparenz und Sicherstellung ausreichender Qualität aufgegeben“.

Wirbel bei Hygiene Austria

Hygiene-Austria-Geschäftsführer Tino Wieser ließ eine profil-Anfrage vorerst unbeantwortet. Bei Hygiene Austria gab es vor wenigen Tagen eine Hausdurchsuchung der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft. Der Verdacht der Schwarzarbeit und des Betrugs durch  Umetikettierung von Masken aus China steht im Raum. Das Unternehmen wies zuletzt sämtliche Vorwürfe zurück, erklärte jedoch auch, „zum Ausgleich einer Nachfragespitze“ einen chinesischen „Lohnhersteller“ hinzugezogen zu haben.

Kanzleramt: „Nicht nachgefragt, welche Bieter“

Zum Projekt „65+“ hieß es auf profil-Anfrage aus dem Bundeskanzleramt, dass man bereits im Oktober 2020 begonnen habe, über die Verteilung von FFP2-Masken nachzudenken. Das Projekt sei dann vom Gesundheitsministerium operativ vorangetrieben worden sei. Kontakte zu Hygiene Austria habe es seitens des Kanzleramtes diesbezüglich nicht gegeben. Die – mit dem Hygiene-Austria-Chef verschwägerte – Büroleiterin des Bundeskanzlers sei auf dieser Ebene gar nicht eingebunden.

Kurz vor der Auftragsvergabe sei man vom Anschober-Ressort informiert worden, dass es mehrere Anbieter gebe, darunter auch einen aus Österreich, heißt es aus dem Kanzleramt. Man habe damals aber nicht nachgefragt, welche Anbieter dies wären, und das Gesundheitsministerium gebeten, die Angelegenheit mit den Experten der BBG umzusetzen. Der Ministerratsvortrag sei deshalb nicht veröffentlicht worden, weil man sich nicht sicher gewesen sei, ob das Projekt – wegen einer noch ausstehenden gesetzlichen Voraussetzung - dann operativ bis Weihnachten tatsächlich auf Schiene sein würde. Das Kanzleramt selbst habe keine Schutzausrüstung von Hygiene Austria bezogen – auch nicht indirekt über die BBG. 

„Unverbindliche Vorbesprechungen“

Seitens des Gesundheitsministeriums heißt es auf profil-Anfrage, man habe mit Hygiene Austria „unverbindliche Vorbesprechungen“ geführt, da es den „Wunsch der österreichischen Bundesregierung“ gegeben habe, „vornehmlich österreichische Produzenten zu berücksichtigen und Hygiene Austria war im November der einzige heimische Produzent mit Listung in der BBG Rahmenvereinbarung.“ Es habe sich allerdings gezeigt, dass „nicht alle Fragen in Bezug auf die Sicherstellung der erforderlichen Qualität geklärt werden konnten“. Auch Fragen in Bezug auf die notwendigen Liefermengen – inklusive einer Reserve in Form eines sogenannten  Konsignationslagers – sowie die ausschließliche Produktion in Österreich seien noch offen gewesen.

„Kooperation nicht zielführend“

Vom Gesundheitsministerium sei „zu keinem Zeitpunkt eine mündliche oder schriftliche Zusage“ an Hygiene Austria erfolgt, betont man seitens des Ministerium. „Die Absicht der Bundesregierung nach der Beauftragung eines österreichischen Anbieters wurde geprüft. Nachdem die Prüfung ergab, dass diese Kooperation aus den dargelegten Gründen nicht zielführend war, wurden alle bei der BBG gelisteten Unternehmen um Anbotslegung ersucht“.

Das Projekt „65+“ ist dem Grunde nach abgeschlossen. Laut Ministerium erfolgten die finalen Auslieferungen Ende Februar. Noch vorhandene Restbestände werden bis 12. März im Rahmen von Nachsendungen verschickt.

 

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).