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Stockerau muss für vermeintliche Zinsabsicherungen blechen

Derivate. Stockerau muss für vermeintliche Zinsabsicherungen blechen

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"The King and I“, "A Chorus Line“, "Ein Käfig voller Narren“: In den eineinhalb Jahrzehnten, in denen Entertainer Alfons Haider das Zepter über die Festspiele in der Hand hatte, galt die größte Stadt des Weinviertels als eine Hochburg der leichten Muse und lockeren Unterhaltung.

Zumindest in den Sommermonaten.

Den Rest des Jahres hatten die Stockerauer schon längst nichts mehr zum Lachen. Speziell die Sitzungen des Gemeinderates und des Finanzausschusses zeichneten immer wieder tiefe Furchen in die Mimik der Gemeindeoberen.

Schuldenberg
Seit 1999 kann die Stadt keinen ausgeglichenen Haushalt mehr budgetieren. Der Schuldenberg wird immer höher. Das Rathaus steht am Rande seiner finanziellen Handlungsfähigkeit. Und alle Anstrengungen, die Lage zu entspannen, führten die Gemeinde nur noch tiefer in die Bredouille.

Das Beispiel Stockerau zeigt exemplarisch für zahlreiche österreichische Gemeinden, was passiert, wenn überforderte Bürgermeister und Gemeinderäte auf kühle Banker treffen. In diesem Fall verließ sich die Stadtregierung auf die im Landeseigentum stehende Hypo Niederösterreich, korrekterweise Hypo NOE Gruppe Bank AG, als Retter in der Not. Und steht nun ziemlich verlassen da.

Rückblick: 7. Februar 2008, 19.00 Uhr, großer Sitzungssaal des Stockerauer Rathauses. SPÖ-Bürgermeister Helmut Laab lässt über die Ausgliederung der gemeindeeigenen Immobilien in die noch zu gründende Kommunale Immobilien Liegenschaftsverwaltungs- und Verwertungsgesellschaft (KIG) abstimmen. Der Antrag wird von allen Fraktionen einstimmig angenommen. Der mit der Bank ausverhandelte Deal: Die im Eigentum der Stadt stehende KIG kauft die Immobilien mithilfe eines variabel verzinsten Hypo-Kredits von über 50 Millionen Euro. Die Haftung für diese Finanzierung übernimmt die Gemeinde. Zur Absicherung gegen steigende Kreditzinsen wird die Hypo der KIG später noch drei Derivatgeschäfte (zwei sogenannte LOBO Swaps und einen Standard Zinsswap) verkaufen.

Als "letzten Rettungsring für die mehr als angeschlagenen Finanzen“ rühmt die ÖVP-Vizebürgermeisterin das Paket.

Es sollte anders kommen. "Die finanzielle Lage der Gemeinde verschlechterte sich durch die Ausgliederung der KIG“, konstatierte der Rechnungshof in seinem im vergangenen November veröffentlichten Bericht nüchtern. Im untersuchten Zeitraum 2008 bis 2011 sei der Schuldenstand von 28 auf 35 Millionen Euro gestiegen.

Auch die KIG-Bilanz 2012 war alles andere als berauschend: Die Verbindlichkeiten stiegen auf 57 Millionen Euro, für drohende Verluste mussten Rückstellungen in Höhe von 5,8 Millionen Euro gebildet werden, und das Eigenkapital war mit 3,7 Millionen Euro klar negativ. Und für alle Schieflagen muss die Gemeinde einstehen.

Und nun entpuppen sich die zwei - eigentlich zur Zinsabsicherung gedachten - LOBO Swaps als enorme zusätzliche finanzielle Belastung. "Der Aufsichtsrat (bestehend aus dem Bürgermeister und Vertretern aller Gemeinderatsfraktionen, Anm.) hat den Kauf dieser Produkte abgesegnet. Doch in den Geschäften ist nicht das drinnen, was wir geglaubt haben“, klagt Laab, welcher der Stadt seit 2006 vorsteht. Erstmalig gedämmert sei ihm das mit der KIG-Bilanz 2011. Dort waren Drohverlustrückstellungen von 4,9 Millionen Euro ausgewiesen. Laut einem Gutachten des Gerichtssachverständigen Sascha Stadnikow stehen die Derivate aktuell mit 5,2 Millionen Euro unter Wasser. Seit Beginn der Geschäfte hat die KIG bereits 4,8 Millionen Euro an Zinsszahlungen geleistet.

„Wir fühlen uns missbraucht und getäuscht”
Und das, ohne in irgendeiner Form davon zu profitieren. Die Marktzinsen sind derzeit deutlich niedriger als der vereinbarte Fixzinssatz. Eine Absicherung ist somit nicht nötig. Sollten die Marktzinsen jedoch über den Fixzinssatz steigen, bieten die LOBO-Swaps erst recht keinen Schutz. Denn die Bank hat das - einseitige - Recht, die Geschäfte halbjährlich zu kündigen. Und das wird sie, sollte dieser Fall eintreten, auch tun. Alles andere wäre aus Sicht der Hypo betriebswirtschaftlicher Unsinn. Müsste sie dann doch theoretisch ihrerseits Zahlungen an die KIG leisten.

Laab spricht von Fehlberatung: "Darüber hat uns die Bank nicht aufgeklärt. Wir fühlen uns missbraucht und getäuscht.“ Wenn der Aufsichtsrat gewusst hätte, dass die Swaps keine Absicherung gegen steigende Zinsen bieten, hätte er diesen Geschäften nicht zugestimmt.

Die Gemeinde sucht nun das Gespräch mit der Hypo und hofft auf einen Vergleich. Dort ist das Verständnis enden wollend: "Wir informieren unsere Kunden vor Abschluss von Finanzprodukten gewissenhaft und umfassend über die Funktionsweise und mögliche Risiken des in Aussicht genommenen Produktes. Die angesprochenen Derivatgeschäfte dienen der Zinsabsicherung eines Kreditgeschäftes und damit der Verbesserung der Planungssicherheit“, sagt Hypo-Sprecher Markus Nepf.

Doch Tatsache ist: Die KIG hat keine Chance, aus diesen Geschäften ohne Schaden auszusteigen.

Christina   Hiptmayr

Christina Hiptmayr

ist Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von "Vorsicht, heiß!", dem profil-Klimapodcast (@profil_Klima).