Goerg Knill folgte 2020 Georg Kapsch als Präsident der Industriellenvereinigung nach.
Interview

IV-Präsident: „Es herrscht ein Wirtschaftskrieg“

IV-Präsident Georg Knill über alte und neue Abhängigkeiten im Energiebereich, seinen Einsatz für Mercosur und den Streit um Vier-Tage-Woche, Vermögenssteuern und Finanzausgleich.

Drucken

Schriftgröße

Herr Knill, wie geht es denn der Wirtschaft?
Georg Knill
Die Industrie ist gesamtheitlich gut durch die letzten Krisen gekommen. Auch wenn viele Betriebe zuletzt wegen der Energiepreise massiv unter Druck waren. Aber hier hat das Zusammenspiel von Regierung und Unternehmen gut funktioniert, und man hat das Schlimmste verhindert. Wenn wir aber in die Zukunft blicken, ist schon eine starke Eintrübung der Konjunkturlage zu sehen. Wir können nicht mehr pauschal sagen, der Industrie per se geht es gut oder schlecht. Es gibt stark branchenspezifische Entwicklungen. Der Bausektor ist stark unter Druck. Und über unseren wichtigsten Handelspartner Deutschland, der auch schwächelt, spüren wir die geopolitische Situation.
Wienerberger, die Voestalpine und andere sehr energieintensive Betriebe hatten 2022 Traumbilanzen, trotz der massiv gestiegenen Energiepreise. Von Krise also keine Spur?
Knill
Gerade bei diesen energieintensiven Unternehmen gibt es ein umfassendes Energiemanagement, sie haben langfristige Lieferkontrakte abgeschlossen, sodass sie diese Energiepreisspitzen nicht so stark getroffen haben. Der andere Aspekt ist, dass natürlich Unternehmen teilweise ihre Kosten weitergeben konnten und auch mussten. Und dann darf man auch nicht vergessen, dass es entsprechende Unterstützung von der öffentlichen Hand gab.
Sind solche staatlichen Energiezuschüsse gerechtfertigt, wenn man eigentlich keinen Verlust geschrieben, sondern trotz Krise mehr Gewinn erwirtschaftet hat?
Knill
Gerade das Instrument der Strompreiskompensation ist ein europäisches Instrument. Die Grundintention ist es, wegen der hohen Energiekosten die erhöhten Kosten für CO2-Zertifikate teilweise zu refundieren. Es ist keine Unterstützung, sondern dient der Standortsicherung. Die Instrumente sind bewusst europäisch konzipiert, auch bis 2030. Und übrigens wenden 14 Länder Europas diese Strompreiskompensation an und haben sie in der Regel bis 2030 zugesagt. Hier ist meines Erachtens Österreich insofern säumig, weil es bis heute nur für das Jahr 2022 diese Rückvergütung der Kosten gewährt.
Die Gaspreise sind in den USA um ein Vielfaches niedriger als in der EU. Auch in China ist Energie billiger. Was bedeutet das für die europäische Industrie?
Knill
Die Energiepreise in den USA waren schon vor der Krise niedriger, aber natürlich ist die Differenz hier noch einmal deutlich gestiegen. Das ist natürlich ein Wettbewerbsnachteil, wobei wir die höheren Preise durch eine höhere Produktivität und bessere Technologien teilweise kompensieren können. Mit dem Umbau des Energiesystems und der Dekarbonisierung müssen wir davon ausgehen, dass die Energiekosten in Europa weiterhin hoch bleiben. Einfach aufgrund der Tatsache, dass Hunderte Milliarden Euro in den Ausbau der Netze und der neuen Energiequellen investiert werden müssen. Und irgendjemand wird das am Ende zahlen müssen. In den USA sind völlig andere Energiequellen im Einsatz: von Nuklear bis Schiefergas. China hat einen anderen Energiemix, Kohle ist dort noch ganz stark im Einsatz. Das ist die aktuelle Situation, der wir uns stellen müssen.

In Wirklichkeit muss man feststellen, dass Österreich 50 Jahre lang von günstigen, verlässlichen Energielieferungen, auch aus Russland, profitiert hat. Das war in Wirklichkeit der Wiederaufbau unseres Landes. Das jetzt im Nachhinein zu verteufeln, ist zu einfach.

Georg Knill

zu den Gaslieferungen aus Russland.

Der Großteil unseres Gases kommt nach wie vor aus Russland, und lange Zeit hieß es, das russische Gas sei billiger. Im Vorjahr wurden wir eines Besseren belehrt. Haben wir in Bezug auf Russland zu leichtgläubig gehandelt?
Knill
Also ich würde das ganz und gar nicht so sehen. In Wirklichkeit muss man feststellen, dass Österreich 50 Jahre lang von günstigen, verlässlichen Energielieferungen, auch aus Russland, profitiert hat. Das war in Wirklichkeit der Wiederaufbau unseres Landes. Das jetzt im Nachhinein zu verteufeln, ist zu einfach. Dass das jetzt vorbei ist, ist aber auch klar. Wir müssen uns schneller, als uns lieb ist, von diesen Energiequellen verabschieden, und wir müssen rasch diversifizieren, das hat uns dieser Krieg gezeigt.
CO2-Preis, Verbrenner-Aus – Sie haben immer wieder diese und andere Dekarbonisierungsmaßnahmen kritisiert. Wo steht die IV in der Umweltdebatte?
Knill
Wir sind ganz klar Befürworter des Green Deals. Wir unterstützen die europäischen Ambitionen, bis Mitte des Jahrhunderts CO2-neutral zu werden. Und wir bekennen uns zu den Pariser Klimazielen. Der energieintensive Industriesektor ist seit 18 Jahren vom Emissionshandel erfasst, und wir erfüllen jedes Jahr auf Punkt und Beistrich die Vorgaben. Aktuell zahlen Industriebetriebe 100 Euro pro Tonne CO2, das sind mehrere Hundert Millionen im Jahr. Unsere Kritik setzt bei den nationalen Plänen an, nämlich bei der mangelnden Alternative an grünem Strom und in weiterer Folge an grünem Wasserstoff sowie an den entsprechenden Netzen. Hier spreche ich den nationalen Ausbauplan bis 2040 an, der gerade entwickelt wird. Die öffentliche Hand muss hier ausreichend grüne und wettbewerbsfähige Energie sicherstellen. Unsere Kritik ist, dass der Masterplan reichlich spät kommt und dass wir die gesetzten Ziele in der Frist nicht erreichen werden können.
Kommen wir zu einem anderen Thema: China und die USA übertrumpfen einander gerade mit Technologie-Sanktionen. Was heißt es für Österreich und die EU, wenn sich diese Machtblöcke wirtschaftlich immer aggressiver bekriegen?
Knill
Wir sind inmitten einer massiven geopolitischen und machtpolitischen Verschiebung, hervorgerufen durch den Krieg in der Ukraine und durch Russland. Die Karten werden gerade neu gemischt. Und diesbezüglich müssen wir die Tatsachen ganz nüchtern betrachten: Es herrscht ein Wirtschaftskrieg zwischen den großen Blöcken. Wir haben die große Sorge, dass Europa aufgerieben wird und seine starke Position verliert. Inwieweit können wir die strategische Autonomie in der EU stärken? Welche strategischen Partnerschaften müssen wir eingehen? Etwa mit Indien, man darf auch Saudi-Arabien nicht vergessen und viele andere Regionen, die auch Ansprüche in der neuen geopolitischen Machtverteilung stellen. Bei aller Freundschaft unseren Handelspartnern gegenüber: Dahinter stecken klare Macht- und Wirtschaftsinteressen. Die gilt es jetzt auch hier zu verteidigen.
Wir sind in vielen Bereichen, vor allem bei den Rohstoffen für Umwelttechnologien, heute viel abhängiger von Lieferungen aus China, als wir es bei russischem Gas jemals waren. Tappen wir da womöglich in die nächste Falle?
Knill
Wir kritisieren auf der einen Seite die 50-jährige Abhängigkeit von Russland und gehen jetzt komplett neue Abhängigkeiten im Bereich der erneuerbaren Energien ein. Es gibt kein Windrad und keine Elektrobatterie ohne chinesische Wertschöpfung oder chinesische Vorprodukte und Rohstoffe. Wenn China – aus welchem Grund auch immer – sagen würde, wir liefern nichts mehr nach Europa, können wir uns die grüne Transformation abschminken. Wir müssen Alternativen suchen, und unser Vorschlag wäre, das Mercosur-Abkommen zu unterzeichnen. Wir haben auch in Europa Rohstoffvorkommen. Aber wir kennen die Problematik, diese Rohstoffe hier abzubauen.
Beim Nein zu Mercosur sind sich aber ÖVP und Grüne ungewöhnlich einig.
Knill
Es ist eine bequeme Position, zu sagen: Das haben wir im Koalitionsabkommen so vereinbart. Es steht aber auch im Koalitionsabkommen, dass bei substanziellen Veränderungen eine neue Evaluierung möglich ist. Das sollte man sich unter dem Aspekt, Partnerschaften mit anderen Demokratien weltweit zu stärken, um eben auch bei Rohstoffen unabhängiger zu sein, noch einmal anschauen.
Wir haben aktuell eine Inflation von sieben Prozent. Im Herbst beginnen die nächsten Lohnverhandlungen. Sie haben die Abschlüsse im Vorjahr, mit denen ja die hohe Inflation abgegolten wurde, als zu hoch kritisiert.

Das finde ich völlig irreal. Das bedeutet eine 25-prozentige Personalkostensteigerung.

Georg Knill

zur Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich

Knill
Was ich hier an dieser Stelle sagen möchte und muss, ist, dass die Unternehmen schon große Sorgen haben, dass hohe Gehalts- und Lohnabschlüsse die Wettbewerbsfähigkeit nochmals massiv strapazieren. Wir erwarten eine Eintrübung der Konjunktur. Wir als IV sind in die Gespräche nicht involviert, aber ich erwarte und plädiere dafür, dass die Arbeitgeber- und die Arbeitnehmerseite das auch entsprechend berücksichtigen und hier auch alternative Szenarien andenken.
Was wären denn solche alternativen Szenarien? Reallohnverlust?
Knill
In Deutschland hat der öffentliche Dienst mit Einmalzahlungen und mit 24-monatigen statt jährlichen Abschlüssen auf die hohe Inflation reagiert. Da gibt es eine Vielzahl von Überlegungen. Ich bin sicher, es sind beide Seiten bemüht, den bestmöglichen Kompromiss zu finden.
Wie stehen Sie zur Forderung nach einer Vier-Tage-Woche?
Knill
Die Möglichkeit für die Vier-Tage-Woche gibt es ja in vielen Branchenkollektivverträgen schon. Das ist nichts Neues. Neu ist nur die Forderung nach 32 Stunden bei vollem Lohnausgleich. Das finde ich völlig irreal. Das bedeutet eine 25-prozentige Personalkostensteigerung. Es gibt viel drängendere Themen, nämlich im Zusammenhang mit offenen Arbeitsplätzen, die nicht besetzt werden können. Man sollte auch darüber nachdenken, jene steuerlich besserzustellen, die jetzt schon viel arbeiten.
Mit durchschnittlich 30 geleisteten Arbeitsstunden pro Woche haben wir ja de facto eine Vier-Tage-Woche, allerdings sieht das derzeit so aus, dass Männer in der Regel Vollzeit arbeiten und Frauen Teilzeit.
Knill
Wir haben sicherlich ein Teilzeitproblem. Teilzeit hat viele Facetten, zum Beispiel das Thema Kinderbetreuung. Dann gibt es aber die steuerliche Komponente, dass Mehrarbeit oftmals nichts bringt. Teilzeit ist auch durchaus frei gewählt. Demografisch gesehen bleibt der Arbeitsmarkt aber angespannt. Und hier müssen wir alle Potenziale ausschöpfen: länger arbeiten, geregelte Arbeitsmigration.
Soll ein Bauarbeiter oder eine Pflegekraft auf die Lebenszeit gerechnet genauso lange arbeiten wie ein Manager oder ein Klavierlehrer?
Knill
Arbeit ist nicht gleich Arbeit, das wissen wir. Wir brauchen sicherlich neue Modelle und eine Debatte, wie wir heute Arbeit definieren. Warum ist ein Samstag anders bewertet als ein Dienstag? Ich weiß schon, da wird es gleich einen Aufschrei geben. Wir haben in den letzten Jahren viel zu leichtfertig nach dem Staat gerufen. Ich glaube, man muss wieder eine Balance finden, wo jeder Einzelne und jede Einzelne nach seinen Möglichkeiten und Fähigkeiten auch entsprechende Eigenverantwortung wahrnimmt.
Der Ruf nach dem Staat kam von allen Seiten, von Unternehmen und von Arbeitnehmern.
Knill
Ja, aber wir müssen uns wieder zurücknehmen. Es gab Gründe, warum wir uns ganz klar für Unterstützungen ausgesprochen haben. Wir müssen aber wieder in Richtung eines schlanken, effizienten Staates gehen, der sich auf Grundfragen zurückbesinnt.
Was passiert, wenn die nächste Krise kommt? Werden da nicht wieder alle nach dem Staat und finanzieller Unterstützung rufen?
Knill
Die Frage ist immer, welche Art von Krisen. Die Gesundheits- und Energiekrise sind natürlich exogene Faktoren. Das ist höhere Gewalt, und daraus resultieren massive Einbrüche. Aber in einem funktionierenden Markt gibt es auch marktübliche Volatilitäten, und so, wie es zum Glück wieder mehr Unternehmensgründungen gibt, ist auch eine Insolvenz etwas „Normales“. Das muss wieder Normalität werden.
Vermögens- und Erbschaftssteuern sind für die IV ein rotes Tuch. Wieso eigentlich? Im OECD-Schnitt haben wir eine relativ niedrige Besteuerung von Vermögen.
Knill
Gegenfrage: Wozu brauchen wir neue Steuern?
Vielleicht, um andere Steuern zu senken? Jene auf Arbeit, zum Beispiel.
Knill
Das ist ein interessanter Aspekt, der bis dato in der öffentlichen Diskussion aber noch nicht gebracht wurde. Aus meiner Sicht haben wir kein Einnahmenproblem, sondern ein Ausgabenproblem. Die aktuellen Finanzausgleichsverhandlungen mit den Ländern sind ein wunderbares Beispiel. Strukturell wird nichts gemacht. Es geht nur um mehr Geld für das Aufrechterhalten derselben Strukturen. Mit all den Problemen, die wir im Bereich Pflege, Gesundheit, Wirrwarr von Kompetenzen und Zuständigkeiten haben. Ich sehe null Ambitionen, hier ansatzweise etwas zu verbessern. Bevor wir über neue Steuern nachdenken, müssten all diese Fragen zu 100 Prozent gelöst sein. Erst dann bin ich bereit, über neue Steuern nachzudenken. Der SPÖ-Finanzminister Ferdinand Lacina hat die Vermögenssteuern abgeschafft, weil sie nicht viel gebracht haben.
Glauben Sie nicht, dass eine Erbschaftssteuer bei den aktuellen Immobilienpreisen mehr abwerfen würde?
Knill
Man glaubt immer, man kann damit die Welt retten. Nur als Beispiel: Die Aufhebung der Aliquotierung neu angetretener Pensionen, die man heuer stillschweigend gemacht hat, kostet 750 Millionen Euro. Wir haben andere Stellschrauben, an denen wir drehen können, bevor wir Steuern anheben. Nur vermisse ich die Bereitschaft, darüber zu diskutieren.
Können Sie dem Ansatz, Vermögens- oder Erbschaftssteuern einzuführen und dafür Steuern auf Arbeit und Arbeitseinkommen zu senken, etwas abgewinnen?
Knill
Der Bundesregierung ist die Abschaffung der kalten Progression hoch anzurechnen. Bei den Lohnnebenkosten gibt es sicherlich noch Potenzial. Wenn ich eine Steuer senke, muss ich aber nicht automatisch eine andere erhöhen oder einführen.

 

Die aktuellen Finanzausgleichsverhandlungen mit den Ländern sind ein wunderbares Beispiel. Strukturell wird nichts gemacht. Es geht nur um mehr Geld für das Aufrechterhalten derselben Strukturen.

Zur Person:

Georg Knill, 50, ist seit 2020 Präsident der Industriellenvereinigung (IV). Seine Knill-Gruppe ist international in der Batterie-, Kabel- und Draht-  sowie in der Glasfaserindustrie tätig. Das Unternehmen soll 1712 als Klingenschmiede Mosdorfer gegründet worden sein und ist somit seit 300 Jahren in Familienbesitz. Knill ist Vater von zwei Töchtern. Er sprach sich immer wieder gegen Vermögenssteuern  und „unverhältnismäßige“ Klimaauflagen für die Industrie aus.

Marina  Delcheva

Marina Delcheva

leitet das Wirtschafts-Ressort. Davor war sie bei der "Wiener Zeitung".