Die Banalität des Guten

Josef Leitner: Die Banalität des Guten

Porträt. Niederösterreichs SPÖ-Spitzenkandidat Josef Leitner: die Banalität des Guten

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Josef Leitner ist ein modernes Phänomen, ein Kind seiner Zeit, ein Sinnbild der Politikverdrossenheit, der jüngste Landesvorsitzende der Sozialdemokratie weit und breit und jederzeit in der Lage, den einen erwartbaren Satz zu sagen, der nie ganz falsch sein kann, weil er schon durch den Mahlstrom der Konformität gegangen ist.

Der 41-jährige Landeshauptmannstellvertreter war jung in einer Zeit, als die Video-Games aufkamen. Seine Generation hat vor allem gelernt zu reagieren – auf was auch immer, auf einem immer höheren Level. Sie waren nicht Kapitäne und Piraten, die sich Abenteuer ausdachten, sondern Spieler, die in vorgefertigten Geschichten Punkte machten.
Josef Leitner ist selbstverständlich auch ein umgänglicher, sozial denkender Mensch, ein Pragmatiker. Dass nun ausgerechnet einem wie ihm bei inhaltlichen Auseinandersetzungen von der mit absoluter Mehrheit regierenden ÖVP in Niederösterreich vorgeworfen wird, er sei ein „Nestbeschmutzer“ und „Landesfeind“, offenbart die Verhältnisse in diesem Bundesland. Es zeigt die Nervosität der wegen ihrer Spekulationsgeschäfte angegriffenen ÖVP. Es macht aber auch den Generationenkonflikt deutlich. Der niederösterreichische Landeshauptmann Erwin Pröll, der fanatisch seine Machtsicherung betreibt, und Josef Leitner sind einander wesensfremd.

Bis dato unauffällig
Josef Leitner war bis dato unauffällig. Vor wenigen Tagen hat er erstmals überregional Aufmerksamkeit erregt, als er dem Wiener Bürgermeister Michael Häupl vorwarf, das Bundesheer-Thema missbraucht zu haben. Der Parteifreund, nicht mundfaul, hatte zurückgerotzt, er mische sich ja auch nicht in Leitners „sicher sehr kreativen Wahlkampf“ ein. Mehr Hohn geht gar nicht.

Als Leitner nach den Landtagswahlen 2008 den Vorsitz der Landespartei übernahm, hatte die SPÖ gerade ein Viertel ihrer Wähler verloren. Leitner selbst war für den misslungenen Wahlkampf als Landesgeschäftsführer verantwortlich gewesen und hatte sich damals geschworen, die SPÖ „nie wieder durch übermäßige Konsensbereitschaft an den Rand drängen zu lassen“.
Leitner hatte nie zum linken Flügel der SPÖ gehört oder war bei einer ihrer Jugendorganisationen aktiv gewesen. Von Karl Marx hat er im Rahmen seines Studiums an der Universität Linz einmal etwas gelesen. Unter einer modernen Sozialdemokratie versteht Leitner heute eine „veränderungsbereite Sozial- und Bildungsbewegung mit Finanzkompetenz“. Darin hat vieles Platz.
Leitner sagt, er arbeite „wahnsinnig gern“, sei aber „ebenso ein freizeitorientierter Mensch“. Er spiele Flügelhorn und Knöpferlharmonika, er sammle Briefmarken, die er in zweifacher Ausfertigung kauft – falls eine verloren geht – und er hätte gern mehr Zeit, um mit seiner Modelleisenbahn zu spielen.

Die einzige Leidenschaft, der Leitner vielleicht zeitweilig verfallen ist, ist seine kybernetische Sichtweise der Welt. „Die Kybernetik des Sozialsystems Gemeinde – Bedingungen der Stabilität eines demokratischen Systems“ war das Thema seiner Doktorarbeit. Leitner hat daraus die Erkenntnis gewonnen, dass „die Gemeinde ein sich selbst regulierender Mechanismus sein kann. So wie auch ein Körper schwitzt, wenn es heiß ist.“

„Konflikte sind auszutragen"
Leitner hat das Weltbild der Kybernetik in die Politik übergeführt. Alles hängt mit allem zusammen. Man dreht an einem Rädchen und sieht die Wirkung. Das Individuum verschwindet geradezu.
Leitner doziert: „Konflikte sind auszutragen. In jedem Konflikt liegt die Lösung. Wenn es einen Grundrespekt aller Beteiligten gibt, ist es möglich, in Konfliktsituationen zu guten Lösungen zu kommen. Respektiert man sich nicht, wird das System automatisch schlechter.“
Im politischen Alltag äußert sich die kybernetische Weltanschauung in einer schlichten Art und Weise.
So verläuft auch ein typischer Wahlkampftag Leitners: Donnerstag vergangener Woche begann der Tag von Josef Leitner mit einer Pressekonferenz im Regierungsviertel in St. Pölten. Die zukünftigen Träger des „Löwenherz“-Preises, mit dem Sozialprojekte aller Art – nachhaltig sollen sie sein – gefördert werden, wurden einem Kreis von gewogenen Journalisten nähergebracht. „Bei der Nachhaltigkeit geht es sozusagen darum, nachhaltig zu sein“, erläuterte Leitner.
Es folgte ein kleiner Festakt in Leitners Büro, an dessen Wänden Bilder über Bilder hängen, von Künstlern und Künstlerinnen, zu deren Förderung irgendjemand fest entschlossen ist. „Ich liebe die harmonische Unordnung“, beschreibt Leitner seinen Kunstgeschmack.

Einem Dutzend Lebensmittelkontrolleuren wurde jeweils ein Dekret überreicht. „Wasser ist, so wie Sonne, Leben!“, sprach Leitner. Die stolzen Schwiegereltern eines Preisträgers waren sogar aus der Ukraine angereist, doch Leitner musste weiter. In Amstetten stand bereits die umtriebige Bürgermeisterin Ursula ­Puchebner vor dem Bauhof und fror. Bei den Kommunalbeschäftigten herrschte Unmut über die verordnete Nulllohnrunde, während die Politikergehälter um 1,8 Prozent erhöht worden sind. „Ich will mich ja gar nicht rausreden. Ich sag’s jetzt ganz ehrlich. Da hat es Vereinbarungen gegeben. Ich hab im kleinen Kreis gesagt: Es sollte dieses Jahr auch bei den Politikern noch eine Nulllohnrunde geben. Nächstes Mal muss es für euch alle einen Ausgleich geben“, redet sich Leitner heraus.
Bei der Stadtpolizei von Amstetten lobte Leitner: „Es gibt manche Städte, wo so eine Stadtpolizei gar nicht schlecht wär.“
Über eine Webcam, die den Baufortschritt der Arbeiter am Neubau einer Schule rund um die Uhr überwacht, verfiel er ins Schwärmen: „Mei, das ist Innovation!“

„Alles klar, Herr Kommissar"
Leitner beim Besuch in der Stadtbücherei: „Wirklich gut, dass es Bibliotheken gibt. Das Buch kann durch nichts ersetzt werden.“ Und: „Ohne Krimi geht die Mimi nicht ins Bett.“ – „Alles klar, Herr Kommissar“, kalauern auch schon mal seine Mitarbeiter.
Leitner in der Finanzdirektion: „Keine Spekulationen. Hört. Hört.“
Leitner in der Personalabteilung: „Ist doch schön, wenn es Kontinuität gibt.“
Leitner wurde an diesem Tag mehrere Stunden lang durch verschiedenste Abteilungen des Rathauses geschleust, er besuchte die kommunale Bestattung, die Kläranlage und eine Privatinitiative, die sich um behinderte Kinder kümmert. Diesen Frauen hat Leitner spontan 3000 Euro aus dem „Löwenherz“-Fonds zugesagt.

Es gab keine Fehler und kein Risiko. Nur Langeweile.

Zur Person
Josef Leitner, geboren am 29.1.1972 in Scheibbs, aufgewachsen in Wieselburg, Matura an einer landwirtschaftlichen Lehranstalt, Doktorat der „Sozialwirtschaft“, hat zeitlebens in politiknahen Bereichen gearbeitet, als Geschäftsführer eines sozialökonomischen Projekts, in der Gemeindeberatung, in der Arbeiterkammer. 2007 wurde er Landesgeschäftsführer der SPÖ in Niederösterreich, 2008
Landesparteiobmann.

Foto: Monika Saulich für profil

Christa   Zöchling

Christa Zöchling