Maturareisen: Anbieter matchen sich mit grenzwertigen Methoden

Maturareisen. Anbieter matchen sich mit grenzwertigen Methoden

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Man mag vielleicht an der Wortwahl Anstoß nehmen. An der positiven Attitüde der Aussage lässt sich jedoch nur schwer Kritik üben: "2014 war geil. 2015 wird noch geiler“, ist auf der Website zu lesen. Nach all den pessimistischen Jahresrück- und -ausblicken eine richtig wohltuende Prognose. Ein Countdown zählt die Tage, Stunden, Minuten und Sekunden. Bis es richtig geil wird, dauert es aber noch. Ende vergangener Woche stand der Zähler bei 168 Tagen. Am 13. Juni wird er auf null fallen. Dann nämlich heben die Flieger von Wien und den Bundesländerflughäfen in Richtung Antalya ab. An Bord: Tausende Maturanten, denen die beste Zeit ihres Lebens versprochen wird. So steht es zumindest auf der Website von Summer Splash, der laut eigenen Angaben größten Event-Maturareise Europas. Die heranwachsende Elite erwarten "noch nie dagewesene Partys“, "unglaubliche Live-Acts“ und eine "Ultra All-inclusive-Verpflegung“.

Rauswurf nach Anzeige
Bevor die Adressaten dieser Werbebotschaften unter der Sonne der türkischen Riviera transpirieren können, haben sie noch über Differenzialrechnungen und Textinterpretationen zu schwitzen. Den wenigsten der jährlich rund 40.000 Maturanten ist bewusst, dass sich um sie ein europaweit beispielloser Wettbewerb abspielt, bei dem mitunter der Zweck die Mittel heiligt und der bisweilen auch vor Gericht ausgetragen wird. Summer Splash gegen X-Jam. Die SplashLine Event und Vermarktungs GmbH gegen die DocLX Travel Events GmbH. In personam: Dietmar Tunkel gegen Alexander Knechtsberger. Das ist Brutalität.

Hätte man Tunkel vor einigen Monaten um eine Einschätzung des Jahres 2015 gebeten, wäre die Antwort mutmaßlich "geil“ gewesen. Schließlich wollte er heuer sein 20-jähriges Betriebsjubiläum begehen. 1995 gründete er ein Reisebüro speziell für Maturanten. Die Marktnische hatte er während der Organisation seiner eigenen Maturareise entdeckt. 1999 führte er die erste Clubreise durch, mit gerade einmal ein paar Dutzend Teilnehmern. Seit den bescheidenen Anfängen im Keller von Tunkels Elternhaus im burgenländischen Grafenschachen hat sich das Unternehmen beeindruckend entwickelt. 14 Millionen Euro Umsatz erzielte SplashLine gemäß Jahresabschluss im Geschäftsjahr 2012/13. Und im vergangenen Sommer gaben sich über 12.000 Reifegeprüfte Tunkels Massenbespaßung hin. So viel wie nie zuvor.

Grund genug, um die Korken knallen zu lassen. Doch es kam anders. Ende November informierte die TUI Austria Holding, dass Tunkel mit sofortiger Wirkung aus der SplashLine-Geschäftsführung ausgeschieden sei. Der Burgenländer hatte sein Unternehmen 2007 für "sehr viel Geld“ an die TUI (Touristik Union International), Europas größtes Touristikunternehmen, verkauft, seine Führungsposition aber behalten.

Auslöser für den Rauswurf war eine von DocLX-Gründer und Geschäftsführer Alexander Knechtsberger - Tunkels größtem Rivale - eingebrachte Anzeige. Der Verdacht: Betriebsspionage. So sollen SplashLine-Mitarbeiter über Monate systematisch sämtliche Daten aus dem DocLX-Vertriebssystem abgesaugt haben. "Laut den Vorwürfen des Mitbewerbers hat sich ein SplashLine-Mitarbeiter angeblich auf seiner Klassensprecher-Kontakte-Plattform eingeloggt. Obwohl dort keine Daten zu sehen sind, welche die SplashLine selbst nicht auch hätte, habe ich als Geschäftsführer der Gesellschaft die volle Verantwortung für das Handeln des Mitarbeiters übernehmen müssen“, erklärt Tunkel. Er habe weder den Auftrag zur Bespitzelung gegeben, noch habe er sich selbst in das Konkurrenzsystem eingeloggt.

Suche nach Abhörwanzen
Knechtsberger wiederum sagt, über das System seien sämtliche Informationen abrufbar: Von den persönlichen Daten Tausender Schüler, über Beschreibungen der Schulen und ihrer Direktoren, bis hin zu Preisen, Buchungslage und Daten über Sponsorengelder. Maturanten, die bereits eine Maturareise für Sommer 2015 gebucht hatten, sollen per E-Mail, Facebook und SMS über "Zahlungsschwierigkeiten“ von DocLX und Konkurrenzangebote informiert worden sein. "Tunkel war uns immer einen Schritt voraus und hat über all unsere Aktivitäten Bescheid gewusst. Ich konnte mir nicht erklären, woher“, so der DocLX-Chef. Er habe seine Büroräume sogar auf Abhörwanzen durchsuchen lassen.

"Bis heute ist weder bei mir persönlich noch im Unternehmen eine Klage eingelangt. Das bestätigt meine Vermutung, dass niemandem ein Schaden entstanden ist“, sagt Tunkel. Das sieht Knechtsberger naturgemäß anders: In der bei der Staatsanwaltschaft Wien eingebrachten Sachverhaltsdarstellung beziffert er seinen Umsatzentgang auf sechs Millionen Euro. Statt einer sonst üblichen Stornorate von etwa 20 Prozent, seien im vergangenen Herbst mehr als die Hälfte aller Buchungen rückgängig gemacht worden.

Die Causa ist für alle Beteiligten ein schweres Fiasko: Sie bedeutet nicht nur finanzielle Einbußen für DocLX und den Verlust des Lebenswerks für Tunkel. Für die TUI ist sie ein imagemäßiger Super-GAU. Der deutsche Konzern steht wegen eines Big-Data-Projekts, bei dem sämtliche Kundendaten verschmolzen werden sollen, bei seinen Partner-Reisebüros unter heftiger Kritik. Eine Datenaffäre bei einer Hundert-Prozent-Tochter macht da kein gutes Bild. TUI-Österreich-Sprecherin Kathrin Limpel wiegelt jedoch ab: "SplashLine ist eine eigene Gesellschaft, die eigenständig gehandelt hat. Die TUI steht damit in keinem Zusammenhang.“ Und für die kolportierten Verkaufsgelüste ist die momentane Verfasstheit des Maturareiseveranstalters auch nicht förderlich. Das sei aber derzeit ohnehin kein Thema: "Die aktuellen Projekte werden weitergeführt. Nach Abschluss der Sommersaison 2015 werden wir die Situation neu bewerten“, sagt Limpel.

Innige Feindschaft
Zum biederen TUI-Konzern hat das Schmuddelimage (Saufen! Sex!) der Partyreisen ohnehin nie recht gepasst. Für den schlechten Ruf haben die beiden Kontrahenten selbst gesorgt. Dabei begann deren gemeinsame Historie recht harmonisch. Als Tunkel seine erste Event-Maturareise veranstaltete, holte er Knechtsberger als Zeremonienmeister an Bord. Doch bald darauf verkrachten sie sich, und die Schlammschlacht begann. Als Knechtsberger unter dem Namen "Summer Jam“ seine eigenen Reisen veranstalten wollte, prozessierte Tunkel. Die Namen seien verwechselbar. Seither verbindet die beiden eine innige Feindschaft. Sie reden einander bei jeder Gelegenheit schlecht, versuchen sich gegenseitig die Sponsoren abspenstig zu machen und überziehen einander mit Anzeigen. Auch die Frage, wer Martkführer sei, wurde erbittert vor Gericht ausgefochten.

Überhaupt Superlative: Während der eine die "größte“ Maturareise bot, veranstaltete der andere die "legendärste“. Wenn Knechtsberger den "heißesten Act“ buchte, wartete Tunkel mit dem "coolsten Partyschiff“ auf.

Oder umgekehrt.

"Die Sache ist nur deshalb so groß geworden, weil wir uns gegenseitig immer weiter hochlizitiert haben“, weiß Knechtsberger.

Die Nische ist extrem kompetitiv. Von den jährlich rund 40.000 Maturanten nimmt etwa die Hälfte an einer Event-Maturareise teil. Den Markt mit einem jährlichen Umsatzvolumen von rund 20 Millionen Euro teilen sich SplashLine und DocLX. Ein dritter Anbieter gab w. o. Jede Saison geht es für die Veranstalter zurück an den Start. Eine Stammkundschaft lässt sich nicht aufbauen. Maturiert wird schließlich nur ein Mal. Deshalb beginnt der Wettlauf schon bei den Siebtklässlern. Man versuche, in jeder Klasse zwei Ansprechpartner zu finden, erzählt Knechtsberger. "Das müssen nicht die Klassensprecher sein. Wir suchen die ‚Oberchecker‘, also jene, die den Ton angeben.“ Die finde man vor allem auf Facebook oder in Vereinen.

Wer als Erster an der Klientel dran ist, hat gewonnen. So schwärmen je Unternehmen etwa 200 junge Außendienstmitarbeiter in die Schulen aus, um die Botschaft vom Feiern unters Jungvolk zu bringen. Da werden in den Klassenzimmern Werbevideos abgespielt, die Promotoren erzählen von den "saugeilen Haserln“ und erklären: "Hier kann jeder … (Kunstpause, Anm.) Spaß haben.“ Dabei würden die Jugendlichen, wie die Arbeiterkammer kritisierte, unter enormen Druck gesetzt, frühzeitig zu buchen. Denn sonst würde man keinen Platz mehr bekommen.

Als beliebtes Akquisewerkzeug haben die Veranstalter inzwischen auch das Maturaballsponsoring für sich entdeckt. Sie bieten den Organisatoren großzügig Geld- und Sachspenden an. Vorausgesetzt, die gesamte Klasse verpflichtet sich, eine entsprechende Reise zu buchen, versteht sich.

Für Lehrer und Eltern sind die aggressiven Methoden längst ein rotes Tuch. Zuletzt entschied der oberösterreichische Landesschulrat, die Keiler nicht mehr in die Klassen zu lassen. Vereinzelte Schulen hatten dieses Verdikt schon zuvor gefällt. Die Veranstalter focht das nicht groß an. Die jungen Promotoren schlichen sich in den Pausen in die Schulen, um Flyer zu verteilen, wissen Direktoren zu berichten.

Das Unterrichtsministerium stieß sich 2011 an der unverhohlenen Werbung für hochprozentigen Gratis-Alkohol und schob dieser Praxis per Erlass einen Riegel vor. Knechtsberger reagierte damals mit einem Rechtfertigungs- und Beschönigungsschreiben. Die Antwort des zuständigen Abteilungsleiters im Unterrichtsministerium entbehrte nicht einer gewissen Süffisanz: "Dass Sie um die Fragwürdigkeit Ihres Verhaltens wissen, beweist etwa der Satz aus Ihrem Schreiben: ‚DocLX wird bei unseren Maturareisen erfahrene Therapeuten vor Ort haben.‘ Lob dürfen Sie für eine derartige ‚Maßnahme‘ jedoch keines erwarten. Viel eher muss man sich fragen, wie es in Verbindung mit dem Genuss von Alkohol in Ihren Urlaubsressorts bestellt ist, wenn Sie das Bereitstellen von Therapieangeboten für nötig erachten. Vor diesem Hintergrund wirkt Ihr Hinweis auf einen ‚klar gesteuerten Tagesraster … mit Ruhe- und Regenerationsphasen‘ ungewollt komisch. Angesichts vergangener Vorkommnisse drängt sich hier eher der Begriff ‚Ausnüchterungsphase‘ auf.“

Genützt hat es nicht viel. Alkohol spielt als Zugpferd weiterhin eine maßgebliche Rolle. Während am Summer Splash Absolut Vodka und Havana Club Rum ausgeschenkt wird, kredenzt man beim X-Jam Vodka Eristoff und Bacardi Rum. Geil.

Christina   Hiptmayr

Christina Hiptmayr

ist Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von "Vorsicht, heiß!", dem profil-Klimapodcast (@profil_Klima).