Erst die Hyperinflation (die nie kam), jetzt die Deflation (die vielleicht kommt). Und mittendrin: die Sparer

Michael Nikbakhsh: Schiach wie der Zins

Schiach wie der Zins

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I. So langsam fällt es selbst kundigen Beobachtern des Wirtschaftsgeschehens schwer, den Durchblick zu behalten. Was wurde zum Beispiel aus der Hyperinflation in der Eurozone? Noch bis vor einem Jahr galt eine massive Entwertung des Geldes unter Ökonomen als ausgemachte Sache. Ein galoppierender Anstieg der Verbraucherpreise als Folge der Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank als Folge der Wirtschaftskrise als Folge der Staatsschuldenkrise als Folge der Finanzkrise. Auskenner wie der Ex-Chefvolkswirt der EZB Jürgen Stark ließen kaum eine Gelegenheit aus, um öffentlichkeitswirksam vor den Folgen dieser Folgen zu warnen.
Heute? Deflationsgefahr! Die Konjunktur in der Eurozone ist ungeachtet der Nullzinspolitik der EZB mittlerweile so schwach, dass sich die Frage aufdrängt, ob wir überhaupt noch eine Konjunktur haben. Das Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo zum Beispiel wähnt bereits eine dräuende, wenn auch flache, Rezession in Österreich. Weil all das billige Zentralbankgeld nicht und nicht dorthin will, wo es eigentlich hingehört: in den Wirtschaftskreislauf nämlich. Zu wenig Nachfrage der Konsumenten nach Waren und Dienstleistungen, zu geringe Investitionen der Unternehmen, zu viel Austerität aufseiten der öffentlichen Haushalte, zu volle Hosen in den Banken. Konsequenterweise warnen Experten vor „japanischen Verhältnissen“, wobei die Betonung stets auf „panisch“ liegt. Der deutsche Ökonom Peter Bofinger spricht in diesem Kontext gar von einem „Investitionsstreik“ (siehe auch Interview Seite 60). Deflation, so viel scheint klar, ist das Schlimmste, das jeder Volkswirtschaft widerfahren kann.

Die Ökonomie ist eine Zicke. Lässt sie doch auf elementare Fragen stets drei Antworten zu. Ja. Nein. Jein. Kommt nur darauf an, wen man fragt. Erst vor wenigen Tagen sinnierte der spanische Wirtschaftswissenschafter Jesús Huerta de Soto in einem Interview mit der deutschen „Wirtschaftswoche“: „Preisdeflation ist keine Katastrophe, sondern ein Segen.“ Die Annahme, bei fallenden Preisen schrumpfe der Konsum, sei reine „Mainstream-Ökonomie“ und „abstrus“: „Würden die Menschen wegen sinkender Preise den Konsum aufschieben, würden sie letztlich allesamt verhungern.“ Die Debatte ist umso verzwickter, als schon die Quantifizierung von Inflations- und Deflationsraten alles andere als exakt ist. Es sind bloß Durchschnittswerte, die streng genommen keinerlei Aussagekraft haben, weil sie die Konsumgewohnheiten des Einzelnen unmöglich abbilden können. Pensionisten konsumieren anders als Jugendliche, Vermögende anders als Unvermögende, Singles anders als Großfamilien.

II. In einem Punkt freilich scheinen sich die Interessen aller zu überschneiden: bei den Sparzinsen. Um heute eine Eins vor dem Komma zu sehen, muss man sich schon ein Jahr aufwärts an eine Bank binden – da bleibt nach Abzug von Kapitalertragssteuer und Inflationsrate (welcher auch immer) nicht nur nichts mehr übrig. Rein rechnerisch wird Erspartes dadurch entwertet, oder, um es den Populisten recht zu machen: „enteignet“. Dabei wird gerne übersehen, dass die Zinsen noch bis 2009 teils deutlich über der jeweiligen Jahresinflation lagen (dass Kredite heute billig sind wie nie, geht in der kollektiven Wahrnehmung ohnehin völlig unter). Tatsächlich begann sich das Verhältnis Sparzinsen/Teuerungsrate erst im Laufe des Jahres 2010 umzukehren. Langfristig gesehen wurden Sparer also nicht ärmer – sondern bloß langsamer reicher. Abgesehen davon: Was wäre geschehen, hätten dieser und andere Staaten nach 2008 nicht Fanstastilliarden in die Rettung des Finanzsystems gesteckt? Die Vermögen derer, welche nun die schleichende Enteignung wähnen, wären zur Gänze vernichtet worden. Nicht nur das: Um diese Vermögen zu sichern, wurden alle Steuerzahler in die Pflicht genommen; also auch jene, die gar kein Sparvermögen besitzen. Das sollte bei all dem – verständlichen – Furor nicht unerwähnt bleiben.

III. Warum sparen wir überhaupt? Eine kürzlich veröffentlichte Studie des Deutschen Instituts für Altersvorsorge untersuchte die Motive deutscher Sparer über 55, die so wohl auch auf Österreich umgelegt werden dürfen. Demnach geht es der überwiegenden Mehrheit gar nicht darum, Vermögen zu mehren – sondern bloß darum, es zu „bewahren“. „Die Befragten wehren sich mit Händen und Füßen dagegen, ihr erspartes Vermögen wieder auszugeben. Sie möchten sich nicht der erwirtschafteten Sicherheiten berauben“, so die Studie. Das ist einerseits nur allzu menschlich und erklärt andererseits auch die immer noch ansehnliche Sparquote (auch wenn diese zuletzt gesunken ist). Hartnäckiges Sparen, da sind ausnahmsweise alle Ökonomen einer Meinung, ist gerade in Zeiten strauchelnder Wirtschaftsleistung nur bedingt produktiv – ohne Konsum kein Wirtschaftswachstum.

Daher: Kaufen Sie sich etwas Schönes, die Konjunktur wird es Ihnen danken!

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Michael   Nikbakhsh

Michael Nikbakhsh

war bis Dezember 2022 stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Wirtschaftsressorts.