Christa Kranzl: "Hätte ich ja gesagt, dann hätte ich möglicherweise einen Vorteil gehabt"

Hat Novomatic versucht, eine SPÖ-Landesrätin zu kaufen?

Hat Novomatic versucht, eine SPÖ-Landesrätin zu kaufen?

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Ein Fall, in dem Erinnerung gegen Erinnerung steht; Aussage gegen Aussage. Hier Christa Kranzl, einst niederösterreichische SPÖ-Landesrätin (1999 bis 2007) und Staatssekretärin im Verkehrsministerium (2007 bis 2008), heute Unternehmensberaterin. Da Franz Wohlfahrt, zwischen 2004 und 2014 Vorstandsvorsitzender der Novomatic AG, heute Rechtsanwalt und Unternehmensberater. Die Geschichte, die beide verbindet, reicht mehr als ein Jahrzehnt in die Vergangenheit zurück. Sie dreht sich um einen fragwürdigen Bescheid des Amtes der niederösterreichischen Landesregierung vom 8. August 2005 und den Inhalt eines Telefonats zwischen dem damaligen Novomatic-Manager und der damaligen Landesrätin für Schulen, soziale Verwaltung und Konsumentenschutz wenige Tage darauf. Und je nachdem, welche Version nun stimmt, hätte Wohlfahrt damals versucht, Kranzl zu korrumpieren – oder aber Kranzl hätte sich bloß verhört.

Montag dieser Woche, 13.00 Uhr – also nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe –, sollte Wohlfahrt am Handelsgericht Wien als Zeuge erscheinen; im Rahmen eines Verfahrens, das er noch als Novomatic-Chef angestrengt hatte. Seit 2013 prozessiert der Glücksspielkonzern gegen dessen früheren Geschäftspartner Thomas Sochowsky (der umgekehrt im Namen von Spielsüchtigen seit Jahren gerichtlich gegen Novomatic vorgeht). Sochowsky hatte zuvor ein Buch veröffentlicht, in welchem er eine ganze Latte unschöner Vorwürfe erhob. Um es vorsichtig auszudrücken: Laut Sochowsky soll es Novomatic mit der Gesetzestreue nicht immer nur genau genommen haben – was der vom Unternehmer und gelernten Fleischhauer Johann Graf gegründete Konzern vehement in Abrede stellt und deshalb Unterlassung begehrt.

Er hat gemeint, dass das für mich nicht mein Nachteil sein würde. Ich habe allerdings nichts erhalten und auch nichts genommen. (Christa Kranzl)

Das Zivilverfahren brachte bereits einige prominente Personen in den Zeugenstand: den Zweiten Nationalratspräsidenten Karlheinz Kopf (ÖVP) zum Beispiel, die Abgeordneten Peter Pilz (Grüne) und Reinhold Lopatka (ÖVP), Ex-Lotterien-Chef Friedrich Stickler, den früheren Novomatic-Berater und Grasser-Freund Walter Meischberger und eben Christa Kranzl. Sie kam sogar zwei Mal. Am 9. April des Vorjahres musste ihre Vernehmung abgebrochen werden, nachdem bei Gericht eine anonyme Bombendrohung eingegangen war und das Gebäude geräumt wurde. Vor etwas mehr als einem halben Jahr, am 9. November 2015, trat Kranzl ein weiteres Mal in den Zeugenstand. Und was Richterin Hildegard Brunner im zweiten Anlauf zu hören bekam, beschert dem Zeugen Franz Wohlfahrt zumindest Erklärungsbedarf.

Das Protokoll zu Kranzls Vernehmung am 9. November 2015 liegt profil vor. Sie sagte unter Wahrheitspflicht Folgendes aus: „Über Befragen, ob ich persönliche Wahrnehmungen über Bestechungsgelder habe seitens der Novomatic für die Entscheidungsfindung der Behörde, gebe ich an, dass Anfang September 2005 ein Telefonat zwischen Dr. Wohlfahrt und mir stattgefunden hat. Dr. Wohlfahrt hat mich angerufen und mich auch auf diesen Bescheid angesprochen und hat im Zuge des Telefonats gemeint, dass das Unternehmen Wert darauf legt, dass alles so bleibt, und dass er Wert darauf legt, dass so wie der Bescheid ist, so alles bleibt. Er hat gemeint, dass das für mich nicht mein Nachteil sein würde. Ich habe allerdings nichts erhalten und auch nichts genommen und auch nichts bekommen von ihm. Über Befragen, ob mir von ihm etwas in Aussicht gestellt wurde, gebe ich an, dass er wörtlich gesagt hat: ,Es möge auch nicht mein Nachteil sein.‘ Ich habe diesen Satz auch nicht so ernst genommen. Ich habe jedenfalls nie etwas erhalten und habe auch nichts genommen und würde auch nie etwas nehmen. Ich habe auch keine persönlichen Wahrnehmungen darüber, ob andere Entscheidungsträger von Behörden Zuwendungen erhalten oder genommen haben.“ Und weiter: „Wenn ich ,ja‘ gesagt hätte auf diese Behauptung von Dr. Wohlfahrt, dann hätte ich möglicherweise den einen oder anderen Vorteil gehabt.“ Und schließlich: „Über nochmaliges Befragen des BV (Anm.: Beklagtenvertreters, Sochowskys Anwalt Peter Ozlberger), ob ich diese Aussage des Dr. Wohlfahrt dahingehend verstanden habe, dass mir ein Vorteil in Aussicht gestellt wurde, gebe ich an: Ja.“

Aussage gegen Aussage also. Da beide nicht nebeneinander bestehen können, muss eine falsch sein.

Hat Wohlfahrt also versucht, die Politikerin zu kaufen? Von profil darauf angesprochen, repliziert Kranzl knapp: „Ich habe unter Wahrheitspflicht im Zeugenstand ausgesagt und stehe zu jedem Wort.“ Mehr sagt sie nicht. Und Novomatic? profil übermittelte dem Unternehmen vergangene Woche eine schriftliche Anfrage, die beim Wiener Rechtsanwalt Peter Zöchbauer landete. Er steht Novomatic seit Jahren anwaltlich zur Seite. „Herr Dr. Franz Wohlfahrt hat Frau Christa Kranzl weder wörtlich noch sinngemäß einen Vorteil in Aussicht gestellt“, schreibt Zöchbauer. Die Äußerungen der Zeugin seien schlicht „unzutreffend“.

Aussage gegen Aussage also. Da beide nicht nebeneinander bestehen können, muss eine falsch sein. Und das ist längst nicht die einzige Merkwürdigkeit in diesem Fall. Dem Anruf von Wohlfahrt bei Kranzl (welchen Novomatic per se nicht bestreitet) war besagter Bescheid vorausgegangen, dessen Zustandekommen erst recht mysteriös erscheint. Am 8. August 2005 hatte das Amt der Landesregierung, genauer: die Kranzl unterstellte Abteilung für Polizei- und Veranstaltungsangelegenheiten, einer Novomatic- Tochter die Aufstellung und den Betrieb von bis zu 2500 Glücksspielapparaten im Bundesland für zehn Jahre genehmigt; nur zwei Monate, nachdem der Konzern einen Antrag gestellt hatte. Weder gab es damals in Niederösterreich eine gesetzliche Grundlage für das „kleine Glücksspiel“ (diese wurde erst 2006 geschaffen, der Bescheid aus 2005 basierte noch auf dem Veranstaltungsgesetz), noch waren die zuständige Abteilungsleiterin Eleonore Wolf oder die politisch verantwortliche Landesrätin Christa Kranzl informiert. Beide weilten damals unabhängig voneinander auf Urlaub. Und beide sagten später vor Gericht aus, dass sie sowohl den Antrag als auch den Bescheid erst im Nachhinein zu Gesicht bekommen hätten. Es deutet einiges darauf hin, dass zumindest zwei involvierte Sachbearbeiter des Landes den Amtsvorgang beschleunigten. Motivlage – unklar.

Auch Eleonore Wolf wurde im Zivilverfahren Novomatic versus Sochowsky als Zeugin vernommen. „Über Befragen, ob es Ungereimtheiten gegeben hat, gebe ich an, dass damals ein derartiger Bescheid vor Unterfertigung mit der Abteilungsleiterin, im konkreten Fall mit mir, hätte besprochen werden müssen und ist derartiges nicht geschehen“, heißt es im Verhandlungsprotokoll vom 9. April des Vorjahres. Sie, Wolf, „hätte den Bewilligungsbescheid nicht erlassen“. Bei ihrer ersten Vernehmung sagte Kranzl dazu: „Es war auch offensichtlich, dass die Angelegenheit vor mir und Dr. Wolf geheim gehalten werden sollte, und man hat bewusst auf unseren Urlaub gewartet, um den Bescheid erlassen zu können.“ Im November des Vorjahres ergänzte sie: „Es wurde zwei Monate lang niemandem Bescheid über den gegenständlichen Antrag gegeben und niemand darüber in Kenntnis gesetzt. Alleine die ganze Konstruktion hatte meiner Meinung nach System.“

Kranzl galt und gilt als prononcierte Gegnerin des „kleinen Glücksspiels“ – in ihrem Freundeskreis eine nicht notwendigerweise mehrheitsfähige Haltung.

Die Angelegenheit landete noch im September 2005 bei der Innenrevision des Landes. Die involvierten Beamten erklärten ihr Vorgehen intern mit einem „Routinefall“. „Es konnte sich keinesfalls um eine Routineerledigung handeln, weil in den letzten 20 Jahren … nie ein Bewilligungsantrag in dieser Größenordnung (2500 Spielapparate) gestellt worden war“, schrieben die Revisoren 2005. Auch dieser Bericht liegt profil vor. Die Innenrevision qualifizierte die Rechtfertigungen der eigenen Leute wiederholt als „unglaubwürdig“ ab und kam zu dem Schluss, dass der gesamte Amtsvorgang „Vermutungen“ offen lasse. Ein Sachbearbeiter wurde daraufhin versetzt, ein anderer pensioniert. Dabei blieb es. Dass Landesbedienstete ihre Ämter gegen Geld missbraucht hätten, ist durch nichts belegt. Auch Kranzl sagte im Zeugenstand 2015 aus, dass sie „keinen konkreten Hinweis oder Beweis für Bestechungen“ habe. Eine damals von ihr selbst verfasste und gegen die verantwortlichen Beamten gerichtete Sachverhaltsdarstellung landete ohne nennenswerte Erhebungen in der Rundablage der Staatsanwaltschaft St. Pölten.

Kranzl galt und gilt als prononcierte Gegnerin des „kleinen Glücksspiels“ – in ihrem Freundeskreis eine nicht notwendigerweise mehrheitsfähige Haltung. Schulkamerad und SPÖ-Bundeskanzler a. D. Alfred Gusenbauer etwa berät den Konzern seit Jahren, der frühere SPÖ-Innenminister Karl Schlögl saß bis 2011 im Aufsichtsrat der Novomatic AG mit Sitz in Gumpoldskirchen. Kranzl wurde 2010 übrigens aus der SPÖ ausgeschlossen, nachdem sie bei den Gemeinderatswahlen im heimatlichen Persenbeug-Gottsdorf mit einer eigenen Liste angetreten war. Sie hat dies beeinsprucht – der Ausschluss ist bis heute nicht rechtskräftig.

Am 12. September 2005, wenige Tage, nachdem die Landesrätin und die Abteilungsleiterin von der Existenz des Bescheids erfahren hatten, verfügten sie dessen Aufhebung – mit Hinweis auf einen sogenannten Zustellmangel. Dazwischen fiel der Anruf von Wohlfahrt, in welchem er (laut Kranzl) den Wunsch deponierte, dass „alles so bleibt“ – und dies nicht ihr „Nachteil“ sein werde (was Novomatic ja bestreitet). Woher Novomatic von der nahenden Aufhebung wusste, ließ sich nicht zweifelsfrei feststellen. „Es hat offensichtlich Informationsflüsse im Umfeld der Mitarbeiter gegeben“, sagte Kranzl am 9. April 2015 vor Gericht. „Immer, wenn wir einen Weg gefunden haben, den Bescheid aufzuheben, haben wir festgestellt, dass jemand anderer schneller war.“ Belegt ist, dass einer der Landesbeamten, er ist heute selbstständiger Sachverständiger für Glücksspiel, Kontakt zu Novomatic hielt. Am 8. August 2005, zweieinhalb Stunden, nachdem der stellvertretende Abteilungsleiter (anstelle der abwesenden Leiterin) die Bewilligung unterschrieben hatte, faxte der Beamte den Bescheid an einen Novomatic-Anwalt. Mit dem Vermerk: „Wie telefonisch mit Herrn Dr. Wohlfahrt vereinbart.“ Dazu die Innenrevision des Landes 2005: „Die Rolle des Sachbearbeiters … ist zu hinterfragen.“

Novomatic drohte mit einer Amtshaftungsklage und klagte Kranzl schließlich persönlich wegen Kreditschädigung.

Die Aufhebung des Bescheids brachte Kranzl in Bedrängnis. Vor allem Vertreter der niederösterreichischen ÖVP ziehen die SPÖ-Politikerin der Unfähigkeit und forderten ihren Rücktritt, Novomatic drohte mit einer Amtshaftungsklage und klagte Kranzl schließlich persönlich wegen Kreditschädigung (diese Klage wurde später zurückgezogen). Daneben rief Novomatic den Verwaltungsgerichtshof an, um die Aufhebung der Aufhebung zu erreichen. Am Ende obsiegte der Konzern. Der VwGH gab dem Vorbringen von Novomatic statt und bestätigte die Rechtmäßigkeit der Zustellung des ursprünglichen Bescheids. Novomatic, längst auch bestimmende Kraft in der Casinos-Austria-Gruppe, betreibt bis heute Automaten in Niederösterreich – und in drei weiteren Bundesländern.

Der Fall Niederösterreich ist umso bemerkenswerter, als er zeitlich mit einem anderen zusammenfällt. Im September und Oktober 2005 soll der damalige Finanzminister Karl-Heinz Grasser von Novomatic-Berater Walter Meischberger 100.000 Euro erhalten haben – im Abtausch für eine spätere (letztlich erfolglose) Gesetzesinitiative, welche das Glücksspielmonopol zu Lasten der Casinos-Austria-Gruppe aufgeweicht hätte. Das vermutet zumindest die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), die seit 2014 gegen Grasser, Meischberger und Wohlfahrt ermittelt. Die Beschuldigten haben die Vorwürfe in der Vergangenheit wiederholt zurückgewiesen. Wie berichtet, wurden in diesem Komplex umfangreiche Erhebungen durchgeführt. „Das Ermittlungsverfahren steht vor dem Abschluss“, so Oberstaatsanwalt René Ruprecht. „Dann wird über die weitere Vorgehensweise entschieden.“

Michael   Nikbakhsh

Michael Nikbakhsh

war bis Dezember 2022 stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Wirtschaftsressorts.