Die Bermudas (im Bild), die Caymans oder die Jungfern-Inseln unterhalten als ehemalige Kolonien enge Verbindungen zum Vereinigten Königreich.
Woran die EU-Steueroasenliste scheitert

Woran die EU-Steueroasenliste scheitert

Der Fall "Paradise Papers" führt einmal mehr vor Augen, wie schädlich internationale Steueroasen für die EU sind. Um wirkungsvoller gegen sie vorgehen zu können, will die Union bis Jahresende eine böse Liste internationaler Steueroasen anlegen.

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Wer Ordnung in sein Leben bringen möchte, beginnt am besten mit einer Liste. Auf sie kommen die Aufgaben, die es zu erledigen, oder die Personen, die es zu kontaktieren gilt. Und schon lichtet sich das Chaos ein wenig.

Auch in Brüssel arbeitet man gerade an einer Liste. Die EU will Ordnung ins internationale Steuerwesen bringen. Es soll Schluss damit sein, dass überall auf der Welt Staaten davon profitieren, dass sie Unternehmen, Stiftungen und reichen Privatpersonen dabei helfen, Steuern zu vermeiden. Rund eine Billion Euro entgeht den EU-Staaten jährlich durch legale und illegale Steuertricks, schätzt die EU-Kommission, also quasi die Regierung der EU unter Jean-Claude Juncker in Brüssel. Diese Zahl ist zwar umstritten, doch enorm dürfte die Summe in jedem Fall sein.

Bis Ende dieses Jahres will die EU deshalb alle "nicht kooperativen Steuergebiete“ außerhalb der Union auf einer Liste versammeln, also alle Nicht-EU-Steueroasen, die Reformen verweigern. "Mit dieser Liste werden wir ein Mittel im Umgang mit Ländern haben, die sich nicht an die Regeln halten“, sagte EU-Wirtschafts- und Finanzkommissar Pierre Moscovici, als er 2016 das Projekt der Listenerstellung präsentierte. "Verantwortliches Handeln im Steuerbereich“ könne sichergestellt werden. Finanzbehörden in ganz Europa brauchen dann lediglich einen Blick auf die Liste zu werfen - und schon wissen sie, ob angesichts einer Verbindung in ein verdächtiges Land Nachschau bei einer Steuerprüfung geboten wäre oder ob es sich um einen Fall von Geldwäsche handeln könnte. Zudem würden die Steueroasen Reformdruck verspüren. Immerhin macht es für sie keinen schlanken Fuß, auf der "Schwarzen Liste“ des weltgrößten Wirtschafts- und Handelsraums EU zu stehen.

Dennoch droht die Liste zu scheitern. "Sie könnte zur Farce verkommen“, sagt Fabio De Masi, deutscher Linkspolitiker und bis vor Kurzem Vize-Vorsitzender jenes Untersuchungsausschusses, der die Affäre rund um die sogenannten Panama Papers aufklären soll. "Die Mitgliedsstaaten schnapsen sich hinter verschlossenen Türen aus, wen sie auf die Liste setzen und wen nicht.“ Auch SPÖ-EU-Abgeordnete Evelyn Regner spricht in einer Anfrage an die EU-Finanzminister von "taktischem Geplänkel“ und "leichtfertigen Hasardeurspielen“ bei der Listenerstellung; sie hege "ernste Besorgnis über die Verhandlungen“.

In den Querelen um die Liste kommt ein Grundproblem der EU zum Vorschein - einmal mehr. Sie könnte ein starker Block sein, der aufgrund seiner großen Bevölkerungszahl und Wirtschaftsmacht global Maßstäbe setzt, zum Beispiel in Steuerfragen. Doch in Wahrheit werden Vorhaben im Gezerre zwischen Mitgliedsstaaten und Brüsseler Kommission so lange zerrieben, bis nur dürre Kompromisse bleiben. Die Geschichte der geplanten EU-Liste zeigt exemplarisch, woran Europa krankt: an einer Kompetenzaufteilung, die Blockaden befördert.

Konkretes Problem in diesem Fall: Steuerangelegenheiten obliegen den Mitgliedsstaaten, so legen es die europäischen Verträge fest. Jegliche gesamteuropäische Reform und Koordination im Steuerwesen ist daher nur möglich, wenn jede Regierung zustimmt. Dabei wäre gerade in diesem Bereich Kooperation und Vereinheitlichung geboten. In den vergangenen Jahrzehnten haben sich im Steuerwesen Probleme aufgetan, die vor keiner Staatsgrenze Halt machen. Großkonzerne wie Apple und Amazon nutzen Unterschiede in Steuergesetzgebungen einzelner Länder, um mithilfe weltumspannender Netzwerke Gewinnsteuern zu vermeiden. Superreiche transferieren ihre Millionen per Mausklick in Briefkastenfirmen in der Karibik oder Fernost, wo sie sich steuerfrei vermehren können.

Das Wirrwarr an Listen ist ein Hindernis im Kampf gegen Steuervermeidung.

Eben weil aber für Steuerfragen die Mitgliedsstaaten verantwortlich sind, gibt es bisher keine einheitliche EU-Liste. Lediglich einzelne Länder führen welche. Auf der Liste Portugals beispielsweise stehen derzeit 77 Staaten, von Amerikanisch-Samoa bis Vanuatu. Auf jener Frankreichs finden sich nur sieben. Deutschland führt zwar formell eine Liste, diese ist derzeit allerdings leer. Österreich hat überhaupt keine.

"Dieses Wirrwarr an Listen war stets ein Hindernis im Kampf gegen Steuervermeidung“, sagt Heinz Zourek, der als pensionierter Generaldirektor für Steuerangelegenheiten der EU-Kommission bis vor Kurzem als einer der höchsten österreichischen Beamten in Brüssel fungierte. "Viele kleinere EU-Staaten verfügen in ihren Finanzverwaltungen nicht über die Ressourcen, um in aller Welt zu eruieren, bei welchen Gebieten es sich um Steueroasen handeln könnte. Es braucht in dieser Frage europäische Koordination.“

Im Jahr 2015 wagte die Kommission deshalb einen Vorstoß. Junckers Beamte präsentierten eine Zusammenstellung von 30 Staaten und Gebieten - etwa Panama, Liechtenstein und die Cayman Islands. Den Vorwurf, dass derartige Maßnahmen gar nicht in ihre Zuständigkeit fielen, umschiffte die Kommission elegant: Bei der Liste, argumentierte die Behörde, handle es sich lediglich um eine Datensammlung. Man habe nur jene Staaten, die ohnehin bereits auf mehreren nationalen Listen stehen, auf einer EU-Liste zusammengefasst.

Der Widerstand der Mitgliedsstaaten fiel trotzdem heftig aus. Vor allem Länder, die selbst als innereuropäische Steuersünder am Pranger stehen, bezichtigten die Kommission, sich in Dinge einzumischen, die sie nichts angingen - etwa Großbritannien, Irland und Malta. Und nicht nur das: Kritisiert wurde auch, dass es einigen Steueroasen rechtzeitig gelungen war, sich von der Liste hinunterzureklamieren. Bermuda etwa sprach erfolgreich bei den Regierungen Polens und Lettlands vor, sodass die Inselgruppe von deren nationalen Listen genommen wurde - und demnach fehlte sie auch auf der gesamteuropäischen. "Die Liste von 2015 war ein derartiger Misserfolg, dass sie bald nach ihrer Präsentation wieder sang- und klanglos von der Website der Kommission verschwand“, sagt Linkspolitiker De Masi.

Nächster Anlauf, Beginn 2016. Diesmal hatte die Kommission begriffen, dass sie ohne Einbindung der Staaten nicht vorwärts kommen würde. Junckers Behörde zielte also darauf ab, die nationalen Finanzminister dazu zu bringen, von sich aus tätig zu werden. Vorgangsweise: Die EU-Kommission präsentierte im September 2016 eine "neutrale Voruntersuchung“. In deren Rahmen definierte sie 92 Länder von Albanien bis Vietnam. Es sind beispielsweise Staaten, bei denen das Steuersystem besonders intransparent ausfällt oder deren Regierungen ausländische Firmenniederlassungen mit Privilegien lockt, die den Verdacht der Steuervermeidung nahelegen. Die Vorauswahl wurde an die EU-Finanzminister übermittelt; aus ihr sollen sich die Politiker nun die endgültige Liste herauspicken. Konkret dafür zuständig ist eine Arbeitsgruppe mit Experten der EU-Finanzministerien, die sich alle zwei Monate in Brüssel trifft.

Doch welche der 92 Länder kommen auf die endgültige Liste? "Der Prozess läuft völlig intransparent ab“, sagt Sven Giegold, grüner EU-Parlamentsabgeordneter aus Deutschland, der sich intensiv mit Steuer-Causen befasst. "Wir kennen die Methodologie nicht, nach der die Arbeitsgruppe der EU-Finanzministerien vorgeht. Wir haben keine Ahnung, wie weit die Auswahl schon gediehen ist. Es ist alles streng geheim.“

Aus den Verlautbarungen der Finanzminister sind nur ein paar Eckdaten bekannt. Zunächst schickt die Arbeitsgruppe Briefe an die Regierungen der 92 Staaten; sie müssen Details zu ihren Steuersystemen übermitteln. "Wenn eine Regierung darauf nicht antwortet, kommt sie in jedem Fall auf die Schwarze Liste“, berichtet jemand, der mit den Verhandlungen befasst ist, aber ungenannt bleiben möchte. Beim Rest werde entschieden - je nachdem, wie transparent das Steuersystem ist und ob die Regierungen gegen Schlupflöcher entschieden genug vorgehen. Nachsatz: "Aber es ist davon auszugehen, dass man aus politischen Gründen für manche Staaten Ausnahmen machen wird.“

Zum Beispiel für die USA. Deren Bundesstaaten Delaware oder Nevada gelten zwar in den Augen der allermeisten Ökonomen und Juristen als Steueroasen. Noch dazu verweigern die USA die Teilnahme am internationalen Programm zum automatischen Austausch von Konto-Informationen, dem sich weltweit rund 100 Staaten angeschlossen haben. Trotzdem, so geht das Gerücht in Brüssel, werden die EU-Finanzminister die mächtigen USA nicht auf die EU-Liste setzen. Voraussichtliches Argument, um dies zu rechtfertigen: Die USA nehmen an anderen Programmen teil, die ebenfalls die Weitergabe von Steuerinformationen betreffen. Die allerdings sind schwächer als der automatische Informationsaustausch.

Nicht weniger herausfordernd ist der Umgang der EU-Finanzminister mit Hongkong, Singapur und der Schweiz. Diese werden gemeinhin, aufgrund vielfältiger ökonomischer und juristischer Indikatoren, unter die wichtigsten Steueroasen überhaupt gereiht. Das Schweizer Stimmvolk etwa lehnte erst vergangenen Februar die Abschaffung umstrittener Privilegien für internationale Konzerne ab - worüber sich EU-Kommissar Moscovici damals "sehr enttäuscht“ zeigte. Allerdings handelt es sich bei der Schweiz um einen äußerst wichtigen Handelspartner der EU; Singapur ist ein Knotenpunkt internationaler Finanzströme; und Hongkong gehört zur aufstrebenden Wirtschaftsmacht China. Ob sie es angesichts dieser Faktoren auf die Liste schaffen, bezweifeln Eingeweihte in Brüssel.

Ein weiterer Kritikpunkt: das sogenannte Null-Prozent-Kriterium. Dahinter steckt die Frage, ob Länder, in dem Unternehmen kaum oder gar keine Steuern auf ihre Gewinne zahlen müssen, als Steueroase zu bewerten seien. Ja, sagen die meisten Ökonomen und Juristen. Nein, sagen die EU-Finanzminister. "Allein aus der Tatsache, dass ein Steuersatz von null oder nahe null angewandt wird, kann nicht geschlossen werden, dass ein Land oder Gebiet die Anforderungen nicht erfüllt“, hieß es im vergangenen Mai in einer Antwort des Rates der EU-Finanzminister auf eine Anfrage der SPÖ-Abgeordneten Evelyn Regner und anderer sozialdemokratischer Mandatare im EU-Parlament.

Hintergrund: Bei jenen Staaten, die keine Gewinnsteuern einheben, handelt es sich durchwegs um die sogenannten Überseegebiete Großbritanniens. Das sind halbsouveräne Gebiete wie die Bermudas, die Caymans oder die Jungfern-Inseln. Sie unterhalten als ehemalige Kolonien enge Verbindungen - und geschäftliche Kontakte - zum Vereinigten Königreich. Und dessen Schatzkanzler Philip Hammond verfügt, genau wie alle anderen EU-Finanzminister, über ein Vetorecht in sämtlichen EU-Steuerangelegenheiten.

Es gibt sogar ein Risiko, dass am Ende kein einziges Land auf der EU-Liste steht.

Was wird also am Ende vom prestigereichen Projekt der gemeinsamen EU-Liste der Steueroasen bleiben? Wohl nicht viel - eben aufgrund des Einstimmigkeitsprinzips. Es gibt zwar durchaus Staaten, die das Projekt der Listenerstellung mit Verve verfolgen. Frankreich zum Beispiel nennen Beobachter in Brüssel immer wieder, gefolgt von Spanien. Aber gegen die Blockierer haben die engagierten Staaten keine Chance. (Übrigens: Österreich wird ebenfalls eher der Riege der kooperationswilligen Länder zugeordnet, wobei die Republik zugleich nicht mit großen Engagement auffällt. Im Büro von Noch-ÖVP-Finanzminister Hans Jörg Schelling will man jedenfalls gegenüber profil keinen Kommentar zur EU-Steueroasenliste abgeben. "Die Gespräche laufen noch“, heißt es.)

"Es gibt sogar ein Risiko, dass am Ende kein einziges Land auf der EU-Liste steht“, sagt Aurore Chardonnet, Steuerexpertin der Hilfsorganisation Oxfam in Brüssel. "Ein solches Scheitern wäre ein fatales Signal für die Öffentlichkeit in Europa.“ Andere Beobachter sind etwas zuversichtlicher. Sie argumentieren, dass es sich die Finanzminister in Zeiten schlagzeilenträchtiger Steuerskandale à la Panama Papers nicht leisten könnten, die Liste vollständig scheitern zu lassen. Deshalb würden sich schlussendlich ungefähr zehn Staaten auf ihr finden, glauben sie. Allerdings: Möglicherweise fallen gerade die großen und wichtigen Steueroasen nicht darunter.

Am 6. Dezember jedenfalls soll die EU-Liste präsentiert werden, so haben es die Finanzminister verlautbart. Inwieweit die Befürchtungen der Kritiker zutreffen, wird sich dann weisen. Eine Frage jedoch wird Anfang Dezember garantiert noch nicht geklärt sein: Welche Sanktionen drohen eigentlich jenen Ländern, die auf der Schwarzen Liste stehen?

Diesem Thema wollen sich die Minister erst widmen, sobald die Liste fertig ist. Mit der Ausarbeitung möglicher Sanktionen soll frühestens im Jahr 2019 begonnen werden.

Wenn es die Liste dann überhaupt gibt.