Hülle in Fülle. Seine Unschuld hat der Wunderstoff längst verloren.
Plastikflut: Wie schädlich ist der Verpackungswahn?

Plastik: Wie schädlich ist der Verpackungswahn?

Industrie und Handel haben unsere Nahrung fast zur Gänze mit Kunststoff überzogen. Ist die Plastikflut überhaupt noch einzudämmen - oder am Ende gar kein Problem?

Drucken

Schriftgröße

4,99 Euro. So viel lassen sich Kunden einer großen Supermarktkette ihren "Melonenmix" kosten - ein paar Bissen geschälte Frucht in vier Hartplastik- Kammern gestückelt. Mit 3,19 Euro schlagen 0,3 Kilogramm "Ananas geschnitten" in einer Kunststoff-Schale zu Buche, 2,07 Euro ein halbes Kilo folierte "Wassermelone auf Tasse".

Im Ganzen kostet ein Kilo Wassermelone im selben Supermarkt 1,19 Euro. Doch für mundgerechtes Obst zahlen Kunden gern einen saftigen Aufschlag. Am Abend ist das Regal für das Obst to go fast leer. Ein paar schnelle Bissen, die eine beträchtliche Menge neuen Plastiks in Umlauf gesetzt haben.

Folierte Bio-Gurke, Tomaten im Kübel, geschnittener Salat, Käseaufschnitt, dreifach verpackte Keks, Wurstpakete, Coffee-to-go-Becher: Kaum ein Lebensmittel landete in den vergangenen Jahrzehnten nicht in der Plastikhülle. Dass Kunststoff eines Tages gar natürliche Obstschalen ersetzen könnte, hätten sich seine Erfinder wohl nicht träumen lassen.

Seit dem Siegeszug der Polymer-Verbindungen in den 1950er-Jahren wurden 8,3 Milliarden Tonnen Kunststoff erzeugt, die Hälfte allein in den vergangenen 13 Jahren, mit Verpackungen für Online-Handel und Supermärkte als Wachstumstreiber.

Verführerische Macht

Plastik schmiegt sich in Farbe und Form optimal an die Produkte unserer Wegwerfgesellschaft an, erhöht Hygiene, Haltbarkeit und damit die Mobilität von Ware und Konsument. "Geldausgeben ist mit Schmerz verbunden. Wenn ich dafür etwas bekomme, das optisch und haptisch etwas hermacht, überwiegt die Kauflust den Frust", erklärt der deutsche Bestsellerautor Roger Rankel ("Die Geheimnisse der Umsatzverdoppler") die verführerische Macht des Plastiks.

Seine Unschuld hat der Wunderstoff allerdings längst verloren. Im Meer treiben riesige Inseln aus Plastik; durch UV-Strahlung zersetzt, landet es im Magen der Meeresbewohner, die derlei Partikel für Plankton halten - mit Auswirkungen auf unseren Organismus beim Fischverzehr; 88 Prozent der Meeresoberfläche sollen laut UN mit Mikroplastik verseucht, 140 Millionen Tonnen Kunststoff im Meer gelandet sein, schätzt das deutsche Umweltbundesamt; und jede Minute kommt eine Lkw-Ladung dazu - macht 13 Millionen Tonnen jährlich. Wird nicht gegengesteuert, könnte die Plastikmenge bis 2050 den Fischbestand überholen, warnt EU-Umweltkommissar Frans Timmermans. Häufigstes Treibgut: Wattestäbchen, Besteck, Teller, Trinkhalme oder Rührstäbchen. Diese Produkte will die EU-Kommission - sofern aus Plastik - nun verbieten.

Österreicher trifft die geringste Schuld am Plastikmeer . Hierzulande fallen jährlich 300.000 Tonnen Plastikmüll an, die fast vollständig recycelt oder verbrannt werden. Im Vergleich dazu landet griechischer Müll noch zu 80 Prozent auf Deponien, mit entsprechenden Leaks Richtung Meer.

Auch die Donau ist vergleichsweise unschuldig. 40 Tonnen Kunststoffe treiben aus allen Anrainerstaaten der Donau jährlich ins Schwarze Meer, hat das Umweltbundesamt errechnet. Klingt viel, ist im globalen Maßstab aber ein kleiner Teil des Problems. Aus allen EU-Staaten landen 500.000 Tonnen jährlich im Meer und selbst diese Menge trägt weniger als ein Fünftel zur maritimen Plastikplage bei.

Dennoch wächst auch in Österreich das Unbehagen mit Blick auf die täglichen Müllberge. 80 Millionen Essenbehälter, Hunderte Millionen Coffee-to-go-Becher und eine Milliarde Plastiksackerl landen jährlich im Abfall - nach ein paar Minuten Gebrauch. In die Umwelt gepflanzt würden die Materialien Hunderte Jahre überdauern.

"Plastikplage" in der "Kronen Zeitung"

Bei Umweltthemen ist die "Kronen Zeitung" ein Seismograf der öffentlichen Meinung. Im Sommer brachte die Zeitung eine Serie über die "Plastikplage", und man konnte meinen, es ginge gegen die verhasste Gen-Technik, so scharf fielen die Leser-Reaktionen und Beiträge aus. "Plastik-Wahn nervt" oder "Hilfe, wir ertrinken in einer Flut aus Plastik", stand auf dem Cover und im Blatt.

Was wohl hinter dem schlechten Gewissen steckt: Wenn der eigene Lifestyle täglich einen Plastikberg produziert, kann man schlecht Menschen in ärmeren Ländern auf Mülldiät setzen. Müllvermeidung ist weltweit das Gebot der Stunde, auch in Österreich. Darin sind sich UN, EU und alle Umweltexperten wie Christian Pladerer vom Österreichischen Ökologie-Institut einig. Er ortet hierzulande aber eine "Renaissance des Schlendrians". Der Haushaltsmüll habe seit 2009 um weitere zehn Prozent zugenommen.

Recycling oder Verbrennung taugen nur bedingt als Ausrede für die Müll-Mania. Was die wenigsten wissen: Verbrannter Müll und Kunststoff lösen sich nicht ausschließlich in Luft und Wärme auf. Abgesehen vom hohen CO2-Ausstoß bleiben Asche, metallschwangere Schlacke und Filterkuchen übrig. Vor allem Filterkuchen ist hoch konzentriert und toxisch, was unter anderem an den chemischen Weichmachern im Plastik liegt. Pro Tonne Abfall fällt in Verbrennungsanlagen zwar nur ein Kilo Filterkuchen an, die Endlagerung ist aber teuer und aufwendig. Die niederösterreichische EVN lagert die Schadstoffe auf einer Deponie in der Region Mistelbach, Wien Energie schickt sie in ein stillgelegtes Salzbergwerk in Deutschland unter die Erde. Weitere unerwünschte Nebenwirkung der Plastikflut: Hohe Hitzeschwankungen, obwohl eine gleichmäßige Verbrennungstemperatur optimal wäre.

Bei der besseren Alternative, dem Recycling, gibt es in Österreich noch jede Menge Luft nach oben. Nur 33 Prozent der Kunststoffverpackungen werden wiederverwertet, und das betrifft hauptsächlich sortenreine PET-Flaschen. Zum Leidwesen der Entsorgungsbetriebe konzentrieren sich die Hersteller der Supermarktprodukte beim Designen auf den magischen Moment des Kaufens und nicht des Recycelns. Ein Kunststoff-Mischmasch mag den Kunden haptisch verführen, aber die Wiederverwertung verderben. Und selbst bei PET-Flaschen spricht der Autor des Films "Plastic Planet", Werner Boote, von Greenwashing. Denn ganz anders als bei Glas oder Papier fließen in neue Produkte in Regel nur zehn bis 20 Prozent des Altmaterials ein. Die Flaschen werden sonst zu matt.

Die führenden Supermarktketten des Landes beteuern dennoch, auf unnötige Verpackung längst zu verzichten. So bietet Spar einen Großteil seiner Äpfel wieder lose an, Hofer hat die Folie bei Bananen komplett abgeschafft und setzt für Obstschalen vermehrt Recycling-PET ein. Laser-Brandings auf Früchten ersetzen Sticker oder Folien. Ihre Bio-Marken verpacken die Lebensmittelriesen vermehrt in Plastik aus natürlichen Rohstoffen.

"Green Packaging" als Herausforderung

Billa/Rewe hat bei der Bio-Schiene "Ja!Natürlich" auf kompostierbare Zellulose-Verpackung umgestellt und damit nach eigenen Angaben 380 Tonnen Kunststoff eingespart. Bio-Karotten werden seit Beginn des Jahres im Bio-Beutel verkauft. Wehrmutstropfen für den Konzern: Der Kunde erkennt den Unterschied kaum. Eine der großen Herausforderungen im "Green Packaging", weiß Marketingexperte Rankel: "Die Umstellung weg vom Plastik ist teurer, deswegen wäre ein positiver Marketingeffekt für die Firmen umso wichtiger. Die Kunden müssen in der Millisekunde sehen, dass sie etwas Gutes tun."

Axel Kühner relativiert den vermeintlichen Bio-Boom bei der Verpackung. Er ist Chef von Greiner Packaging, einem der Branchen-Größen im Land mit 650 Millionen Euro Umsatz in der Verpackungsschiene. "Auch wir verarbeiten Bioplastik, ich sehe aber in den nächsten zehn Jahren keine großen Sprünge, weil der Preis hoch und die Verfügbarkeit gering ist. Außerdem müssen wir die Frage stellen, ob wir Ackerflächen nutzen, um Joghurtbecher zu produzieren."

Er bestätigt den Eindruck, dass Kunststoffverpackung immer stärker und vielseitiger eingesetzt wird. Allein die wachsende Zahl an Single-Haushalten erhöht die Nachfrage nach kleinen Mengeneinheiten, und das braucht mehr Verpackung. Dazu kommt die To-go-Mentalität. "Menschen wollen auch unterwegs eine gesunde Jause zu sich nehmen", rechtfertigt Rewe-Sprecherin Susanne Moser-Guntschnig essfertiges Obst und Gemüse in Plastikschalen.

Auch wenn die Lebensmittelriesen nun auf das wachsende Unbehagen reagieren - vor dem vermeintlichen Schritt zurück beim Plastik haben sie zwei Schritte nach vorn getan. Nicht nur beim sogenannten Convenience Food.

Laut Kühner hat Plastik andere Verpackungsmaterialen zunehmend ersetzt. Am eindrucksvollsten zeigt sich das bei Getränken. Die werden mittlerweile zu 80 Prozent in Einwegverpackungen wie Tetra-Pack oder PET abgefüllt. Ohne Bier und Mineral wären Mehrwegflaschen schon komplett verschwunden. Früher war das Verhältnis annähernd umgekehrt. So wurden 1994 zwei Drittel der Limonaden, 30 Prozent der Fruchtsäfte und 95 Prozent des Minerals in Mehrwegflaschen, die bis zu 40 Mal wiederbefüllt werden können, verkauft. Seit Kurzem feiert die Milch-Glasflasche ein Comeback in Österreichs Supermärkten. Doch auch hier handelt es sich um Einwegflaschen. "Wer Glas sagt, muss auch Mehrweg sagen", fordert Umweltexperte Pladerer. "Plastikfasten" ist in heimischen Supermärkten alles andere als kinderleicht, am wenigsten für Kinder. Ihre bunten "Quetschies", "Fruchtzwerge", "Dreh&Drinks" wären ohne die griffige Verpackung nur der halbe Spaß. "Es ist schon ein wenig absurd: Unsere Kinder wachsen gleichzeitig mit Bio-Nahrung und Unmengen an Plastik auf", sagt Rankel. Und im Bewusstsein, dass Obst heutzutage auch aus der Plastikschale kommt.

Mehr zu diesem Thema

Clemens   Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.