RALF HÖCKER BEI DER ARBEIT "Am schlimmsten sind die Vorverurteilungen, die ich in diesem Ausmaß noch nie erlebt habe", sagt der deutsche Medienanwalt im Gespräch mit profil.

Ralf Höcker: "Wenn Sie die vierte Gewalt sind, dann bin ich die fünfte"

Der Kölner Medienanwalt Ralf Höcker gilt als einer der härtesten Knochen des deutschen Presserechts. Jetzt hat er die Qualität der Berichterstattung im Fall Buwog/Grasser untersucht. Ergebnis: nicht genügend.

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Unschuldsvermutung? Von wegen. Wenn Karl-Heinz Grasser, Walter Meischberger und Ernst Karl Plech sich zusammen mit elf weiteren Personen der Buwog-Anklage stellen müssen, dann tun sie dies als vorverurteilte Männer. Sagt jedenfalls der Kölner Medienanwalt Ralf Höcker, der im Auftrag der drei Genannten ein Gutachten verfasste. Höcker sorgte in Deutschland durch sein scharfes Vorgehen gegen Medien im Fall des Moderators Jörg Kachelmann 2010/2011 für Schlagzeilen, 2016 vertrat er den türkischen Staatspräsidenten Erdoğan gegen Verlagsmanager Mathias Döpfner. Ob der Buwog-Prozess am 12. Dezember beginnt, entscheidet sich übrigens erst einen Tag zuvor. Der OGH muss über die Zuständigkeit einer Richterin befinden, eine Verschiebung ist nicht auszuschließen.

INTERVIEW: MICHAEL NIKBAKHSH

profil: Herr Professor Höcker, mir sitzt ein Mann gegenüber, der jüngst in einem Interview mit dem Deutschlandfunk unter anderem Folgendes sagte: "Unser Job besteht darin, Journalisten jeden Tag auf die Finger zu hauen." Ralf Höcker: Ja, ich haue Journalisten auf die Finger, wenn sie Rechte verletzen. Journalisten betreiben ein kommerzielles Geschäft, sie verdienen damit Geld. Was sie tun, ist über Menschen, Unternehmen, Verbände und Parteien zu berichten. Zugleich sind Medien aber eine machtvolle Lobby ihrer selbst. Es gibt ein Machtgefälle zwischen Medien und den Personen, über die sie berichten. Und dieses Machtgefälle ist der Grund, weswegen es Medienanwälte braucht. Ohne Kontrollinstanz würde die Pressefreiheit immer exzessiver ausgeübt. Wenn die Medien die vierte Gewalt sind, die es verfassungsmäßig so natürlich nicht gibt, dann bin ich die fünfte.

profil: Fürs Protokoll: Die Pressefreiheit ist eine der Säulen jeder Demokratie. Höcker: Das stelle ich nicht infrage. Viele Menschen unterliegen aber dem Irrtum, zu glauben, je mehr Pressefreiheit, umso besser. Die Gleichung geht nicht auf. Denn die Pressefreiheit geht immer zulasten der Rechte anderer. Darüber muss man sich im Klaren sein. Hier kollidieren Grundrechte. Auf der einen Seite die Pressefreiheit, auf der anderen Seite das allgemeine Persönlichkeitsrecht, die Menschenwürde. Daher braucht es Gerichte und Medienanwälte, die darauf achten, dass Journalisten die Grenzen des presserechtlich und verfassungsrechtlich Zulässigen nicht überschreiten. Das mache ich auch, indem ich ihnen auf die Finger haue.

profil: Journalisten haben innerhalb klar definierter gesetzlicher Grenzen zu arbeiten. Ich merke das nur an, damit unter unseren Leserinnen und Lesern nicht der Eindruck entsteht, wir würden uns in einer Art verfassungsfreiem Raum bewegen. Höcker: Es gibt kein Medium, das sich dauerhaft an die Grenzen hält. Jedes Medium, auch seriöse, verletzt jeden Tag Persönlichkeitsrechte und überschreitet jeden Tag die verfassungsmäßig zulässigen Grenzen der Pressefreiheit.

"Ich habe damals fünf Anwälte für den Fall Kachelmann abgestellt. Im Fall Grasser hätte ich aber 500 Anwälte gebraucht."

profil: Auch wir diskutieren redaktionsintern immer wieder intensiv die Frage, wo das überwiegende öffentliche Interesse endet und ab wann Persönlichkeitsrechte greifen. Das geschieht stets auch unter Einbindung unseres Rechtsanwalts. Können wir uns darauf verständigen, dass ein früherer Finanzminister nicht die gleichen engen Persönlichkeitsrechte für sich in Anspruch nehmen kann wie beispielsweise ein einfacher Beamter dieses Ministeriums? Höcker: Bezogen auf den Anonymitätsschutz ist das richtig. Ein einfacher Beamter dürfte namentlich ja gar nicht erwähnt werden. Das ist bei einer prominenten Person anders. Über ein Strafverfahren gegen einen früheren Finanzminister, das mit seiner früheren Tätigkeit zu tun hat, darf namentlich berichtet werden. Ansonsten gelten für ihn aber keine anderen Regeln. Die Regeln der Verdachtsberichterstattung und die journalistischen Sorgfaltspflichten sind die gleichen, ob es nun um eine Putzfrau oder den Bundespräsidenten geht.

profil: Wenn es nach Ihnen geht, dann dürfte über eine Verdachtslage rund um einen Privatisierungsvorgang im Verantwortungsbereich eines früheren Finanzministers gar nicht berichtet werden. Höcker: Falsch. Selbstverständlich ist es die Aufgabe der Medien, auch über Verdachtslagen zu berichten. Anders wäre investigativer Journalismus ja nicht möglich. Wann hat ein Journalist schon einen fertig ausrecherchierten und vollkommen klaren Fall vor sich, wenn er einen Bericht schreibt?

profil: Nie. Höcker: Eben. Insofern haben Journalisten das Recht, über einen bloßen Verdacht zu berichten, und bei Prominenten auch namentlich. Wer das in Zweifel zieht, hat den Rechtsstaat nicht verstanden.

profil: Sie haben für Karl-Heinz Grasser, Walter Meischberger und Ernst Karl Plech ein Gutachten zur medialen Vorverurteilung geschrieben. Ich konnte es vorab nicht einsehen. Was steht drin? Höcker: Wir haben aus über 25.000 Berichterstattungen ab dem Jahr 2009 1000 eingehend überprüft. Das Ergebnis ist ein Gutachten von über 500 Seiten zuzüglich Anlagen. Da kommt fast alles vor, was das Presserechtslehrbuch an Rechtsverletzungen kennt: Falschbehauptungen, Unterschlagen von Fakten, die nicht ins Konzept des Artikels passen, Vor-und Nachverurteilungen. Am schlimmsten sind die Vorververurteilungen, die ich in diesem Ausmaß noch nie erlebt habe.

profil: Könnten Sie das detaillieren? Höcker: Es kann kein Zweifel bestehen, dass über die Existenz eines Ermittlungsverfahrens berichtet werden darf. Journalisten haben aber aus gutem Grund kein Akteneinsichtsrecht. Da geht es zunächst einmal darum, dass Betroffene vor einer Vorverurteilung geschützt werden. Ich habe mich bei Bekannten in Österreich umgehört, was sie von Karl-Heinz Grasser halten. Die einhellige Antwort war: "Das ist ein Verbrecher." Warum, wussten die meisten nicht so genau. Es gibt dazu ja auch Umfragen, aus denen hervorgeht, dass die Mehrzahl der Österreicher davon überzeugt ist, dass die alle ins Gefängnis gehören. Das ist der Effekt, der eintritt, wenn Medien ihre Rolle überschreiten. Das Gutachten ist voll von Artikeln, die die Schuld von Grasser, Meischberger und Plech als Tatsache hinstellen. Mal passiert das sehr platt, mal subtiler, dann auch wieder sehr boshaft.

"Warum sollten Journalisten die Einzigen sein, die man nicht bedrohen darf, wenn sie ihre Kompetenzen überschreiten?"

profil: Ich gebe zu bedenken, dass profil sehr wohl Akteneinsicht hatte, nachdem Grasser 2009 eine Klage angestrengt hatte -im Anschluss an die Veröffentlichung der Aussagen seines früheren Kabinettsmitarbeiters Michael Ramprecht. Grasser bekam in erster Instanz Recht, die zweite Instanz kippte das Urteil zu unseren Gunsten. Das Verfahren wurde bis zu einer Entscheidung im Strafprozess ruhend gestellt. Höcker: Das ändert nichts am grundsätzlichen Effekt, den vorverurteilende Berichterstattung hat. Und zwar nicht nur auf unbeteiligte Medienkonsumenten, sondern vor allem auch auf Staatsanwälte, Richter und Laienrichter. Es gibt in Deutschland eine Studie von Kepplinger (Anm.: Hans Mathias Kepplinger, Professor für Empirische Kommunikationsforschung am Institut für Publizistik der Universität Mainz), der untersucht hat, wie weit sich Berufsrichter von medialer Berichterstattung beeinflussen lassen. Das Ergebnis war, dass sie sich beeinflussen lassen. Zumindest in der Frage der Strafhöhe. Eine Richterin, die den Vorsitz in einem großen Verfahren in Deutschland hatte, hat mir mal erzählt, dass sie nicht immer wusste, ob sie Fakten oder vermeintliche Fakten nun aus der Presse oder aus der Hauptverhandlung kannte. Das kann ja wohl nicht sein.

profil: Es ist aber doch nicht zu erwarten, dass die Gerichtsbarkeit im Fall Buwog nach Emotionen urteilen wird. Abgesehen davon ruht das Rechtssystem ja auf mehreren Instanzen, die genau das verhindern sollen. Höcker: Eine Beeinflussung ist nie auszuschließen. Stellen Sie sich vor, ein Richter oder ein Laienrichter ist über Jahre dieser Kanonade aus einseitigen Pressemeldungen ausgesetzt. Wie unbeeinflusst kann man da noch sein?

profil: Der Fall Buwog war insofern speziell, als hier ein Ex-Finanzminister im Zentrum eines langen und durchaus holprigen Ermittlungsverfahrens stand. Höcker: Keine Frage. Und doch wurden die Betroffenen in einer mir nicht bekannten Form und Intensität vorverurteilt.

profil: Sie haben den deutschen Moderator Jörg Kachelmann medienrechtlich vertreten, der selbst Gegenstand intensiver medialer Berichterstattung war. Ist Karl-Heinz Grasser Österreichs Kachelmann? Höcker: Der Fall Kachelmann dauerte von der Festnahme im März 2010 bis zum Freispruch im Juli 2011. Das war ein überlanges Verfahren, weil das Gericht unverhältnismäßig viele Verhandlungstage anberaumt hatte. Auch hier konnten wir vor Gericht einen Prominentenmalus beobachten, der durch mediale Vorverurteilung entstanden war. Das Gericht segelte von Anfang an auf Verurteilungskurs. Herr Kachelmann hatte aber den kleinen Vorteil, dass es nur etwas mehr als ein Jahr dauerte und nicht acht Jahre wie im Fall Grasser. Nach acht Jahren wäre er am Ende gewesen. So gesehen ist der Fall Grasser schlimmer als der Fall Kachelmann.

profil: Ich habe nachgelesen, dass Sie im Fall Kachelmann recht aktiv waren. Höcker: Ich habe damals fünf Anwälte, das war die Hälfte der Kanzlei, für den Fall Kachelmann abgestellt. Wir haben ungefähr 150 Gerichtsverfahren geführt, zeitweise haben wir im Wochentakt Einstweilige Verfügungen beantragt. Im Fall Grasser hätte ich aber 500 Anwälte gebraucht. Wie wollen Sie 25.000 Berichte nach Rechtswidrigkeiten scannen? Und wenn Sie nur gegen 1000 Berichte vorgehen und Sie haben eine wirklich gute Erfolgsquote von zum Beispiel 80 Prozent, dann hätten Sie immer noch 200 Verfahren verloren. Das kostet enorm viel Geld und Zeit, weil ja Verlage wie Axel Springer fast immer durch alle Instanzen gehen. Sie können das, was im Fall Grasser passiert ist, mit Medienanwälten nicht mehr in den Griff bekommen. Man kann diesen Tsunami an rechtswidriger Berichterstattung nur über sich hinwegziehen zu lassen.

profil: Im Fall Grasser war die Optik nie auf seiner Seite. Grasser kann zum Beispiel nicht erklären, wie es dazu kam, dass sein bester Freund Meischberger Provisionen bei einer Privatisierung kassierte, die er als Minister zu verantworten hatte. Es gab für Journalisten viele gute Gründe, Fragen zu stellen. Höcker: Das ist nicht mein Thema.

profil: Dass Journalisten diese Fragen stellen, sei ihnen jedenfalls unbenommen. Höcker: Ich möchte Ihnen meine Präsentation zeigen, ein paar Bilder.

Höcker wirft seinen Laptop an. Die Präsentationssoftware spielt ausgewählte Artikel ein. "Die Buwog- Bombe", ein "Format"-Bericht aus dem Jahr 2009; "Der Tatplan", ein weiterer "Format"-Artikel aus 2014.

profil: Der Begriff "Tatplan" entstammt einem staatsanwaltschaftlichen Dokument. Höcker: Ja und? Oder hier, die Telefonprotokolle. Die wurden im Audimax der Uni Wien öffentlich verlesen. Was haben sich alle kaputtgelacht.

Die "Wo-woar-mei-Leistung"-Protokolle abgehörter Telefonate von Grasser, Meischberger und Plech wurden 2010 von der Zeitschrift "Falter" veröffentlicht - wenn auch über den Umweg einer parlamentarischen Anfrage. 2011 wurden diese von den Kabarettisten Thomas Maurer, Robert Palfrader und Florian Scheuba vor Publikum inszeniert -zum kollektiven Gaudium.

profil: Ich maße mir nicht an, andere Medien zu verteidigen . Jeder betroffene Journalist wird Ihnen widersprechen und darauf hinweisen, dass gesetzliche Bestimmungen sehr wohl eingehalten wurden. Höcker: Nein. Die parlamentarische Anfrage diente einer rechtsmissbräuchlichen Umgehung des Verlesungsverbots. Außerdem wurden auch Teile veröffentlicht, die nicht einmal Gegenstand der Anfrage waren, davon also in keinem Fall gedeckt sein konnten. Und die angebliche "wissenschaftliche Vorlesung" in der Uni Wien war ein Tiefpunkt in der österreichischen Wissenschaftsgeschichte und eine ebenso rechtswidrige Umgehung des Verlesungsverbots. Außerdem ging es ja nicht nur um Berichterstattung. Es gab ein Korruptions-Clubbing mit Grasser-Masken, ein Theaterstück, ein Kinderbuch, Online-Spiele. Sogar Fernsehsendungen sind entstanden: Die "Staatskünstler","Dorfers Donnerstalk", auch "Willkommen Österreich" hat sich mit der Thematik beschäftigt.

profil: Da sind wir jetzt aber tief in der Satire. Höcker: Das war ein Multi-Channeling, das auch die Satire erfasste. Diejenigen, die ständig Korruption und Filz anprangern, haben hier selbst rechtswidrig gehandelt und einen Filz aus Journalisten, Politikern, Künstlern und staatlichen Stellen gebildet.

profil: Wenn man über Sie recherchiert, dann entsteht schnell das Bild eines insgesamt humorbefreiten Menschen. Höcker: Ich war mal zwei Jahre lang mit einem 90-minütigen Comedy-Soloprogramm auf Tour, das ist jetzt zehn Jahre her.

profil: Ich ziehe die Vorverurteilung zurück. Dennoch: Ralf Höcker ist ein Anwalt, der Journalisten einschüchtert und bedroht. Höcker: Das ist mein Job! Warum sollten Journalisten die Einzigen sein, die man nicht bedrohen darf, wenn sie ihre Kompetenzen überschreiten?

profil: Sie haben den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan gegen Mathias Döpfner vertreten, den Vorstandsvorsitzenden der Verlagsgruppe Axel Springer. Döpfner hatte sich das "Schmähgedicht" des Satirikers Böhmermann "zu eigen" gemacht. Höcker: War ja klar, dass das kommt.

profil: Hat es Ihnen Spaß gemacht, Döpfner ans Schienbein zu treten? Höcker: Mir macht mein Job grundsätzlich Spaß, aber es macht mir keinen Spaß, speziellen Personen ans Schienbein zu treten. Ich habe nichts gegen Herrn Döpfner. Ich halte das Geschäftskonzept seines wichtigsten Blattes, der "Bild"-Zeitung, aber für sehr zweifelhaft. Die "Bild" ist nebenbei auch unser Hauptarbeitsvermittler.

profil: Die Klage gegen Döpfner wurde zwar abgewiesen, hat Ihren Ruf aber gefestigt. Höcker: Sie machen den Fehler, zu glauben, dass ich mich mit meinen Mandanten und ihren Anliegen gemein mache. So wie ein Strafverteidiger nie die Tat verteidigt, sondern immer den Täter, ist es bei mir das Gleiche. Wenn wir Menschen wie Erdoğan zu Recht vorwerfen, dass sie den Rechtsstaat in ihrem Land beschädigen oder abschaffen, dann können wir diesen Menschen nicht umgekehrt das Recht auf ein rechtsstaatliches Verfahren absprechen. Ich bin Organ der Rechtspflege. Ich sehe es als meine berufsethische Pflicht an, jeden zu vertreten.

profil: Die deutschnationale AfD zum Beispiel. Höcker: Ich mache Presserecht. Ich würde gerne nur Mutter Teresa vertreten, aber Mutter Teresa hat keine schlechte Presse. Ja, wir vertreten auch die AfD-Spitze, aber die AfD liegt in unserer Kanzlei nur auf Platz drei der politischen Parteien, wir vertreten SPD und CDU in noch größerem Umfang. Und übrigens auch FDP, Grüne und verschiedene Splitterparteien. Wir sind völlig neutral.

"Ich habe einen Berufskollegen, der sagt, er macht keine Sekten, keine Nazis, keine Extremisten, keine Terroristen, keine Bekloppten. Im Presserecht bleibt da nicht mehr viel übrig."

profil: Dennoch befeuern Sie mit Mandaten wie der AfD Ihr eigenes Image, das muss Ihnen klar sein. Höcker: Ich gehe damit offensiv nach vorne, weil die meisten Anwaltskollegen zu feige dafür sind. Ich habe einen sehr bekannten Berufskollegen, der sagt, er macht keine Sekten, keine Nazis, keine Extremisten, keine Terroristen, keine Bekloppten. Im Presserecht bleibt da ehrlich gestanden nicht mehr viel übrig. Es gab bei mir eine Woche, da saß im Besprechungsraum zunächst ein sehr bekannter Rechtspopulist, am nächsten Tag eine Z-Prominente aus dem "Dschungelcamp" und am Tag darauf ein Salafist in voller Montur. In der Woche darauf dann der Vorstand eines internationalen Großunternehmens. Das ist eben ein Teil meiner Arbeit. Die meisten unserer Mandanten sind aber Unternehmen, die einen tatsächlichen oder von den Medien eingebildeten Skandal haben.

profil: Auch ich begegne immer wieder Anwälten, die bestimmte Fälle aus weltanschaulichen oder strategischen Erwägungen nicht übernehmen. Höcker: Wenn ich sage, ich habe einen Salafisten vertreten, dann höre ich: "Wieso machst du das? Soll er doch zu einem salafistischen Anwalt gehen!" Bei Nazis ist das auch so. Die gehen dann zu Szeneanwälten, weil normale Anwälte keine Nazis vertreten wollen. Da frage ich mich: Ist es wirklich wünschenswert, dass Anwälte, die selber Nazis sind, solche Fälle betreuen? Ist es überhaupt sinnvoll, dass Nazis Anwälte sein dürfen? Ich meine nein. Aus irgendeinem Grund haben es Anwälte aber geschafft, dass es nicht ihre Berufspflicht ist, jeden zu vertreten. Anders als bei Ärzten. Ich vermute, das kann nur an guter Lobbyingarbeit der Juristen liegen.

Höcker klickt sich weiter durch die Grasser-Präsentation. Weitere Auszüge aus Artikeln laufen vorbei, das Kinderbuch "Buwockl -Der Kobold mit zu schönem Haar", das Brettspiel "Korrupte Haben Geld", eine Folie zeigt einen Foreneintrag: "Wieso sitzt dieser dauergrinsende Millionenbetrüger nicht längst hinter Gittern?"

Höcker: Wir haben uns auch den Effekt der Berichterstattung auf Forenbeiträge angesehen. Also wenn das keine Vorverurteilung ist, dann gibt es keine.

profil: Zu welchem Zweck wurde dieses Gutachten überhaupt erstellt? Höcker: Stellen Sie sich vor, Sie würden als Schöffe zu dem Verfahren abgeordnet. Hätten Sie eine Meinung zu dem Verfahren? Und wenn ja, warum? Diese Frage könnten sich auch all Ihre Leser stellen. Es geht darum, alle Beteiligten, Staatsanwälte, Richter und Laienrichter zu sensibilisieren für die mediale Vorverurteilungsmaschinerie, der Grasser, Meischberger und Plech ausgesetzt waren.

profil: Ich muss jetzt noch einmal dem Eindruck entgegentreten, im Journalismus würde jeder machen, was er will. Soweit es profil betrifft, redet unser Rechtsanwalt vor rechtlich heiklen Veröffentlichungen immer mit. Höcker: Und ich kenne Anwälte und Justitiare, die für Verlage arbeiten und vieles recht locker nehmen. Wir erleben immer wieder, dass Medien ihre Grenzen zwar durchaus kennen. Wenn sie es aber mit Berichterstattungsopfern zu tun haben, die sich ohnehin nicht wehren, dann nehmen sie sich auch immer mehr heraus. Gegen 25.000 Artikel wie im Fall Grasser können Sie sich nicht wehren, das wissen die Medien auch.

profil: Ich kenne keinen Journalisten, der von sich sagen würde: Jetzt hat dieser oder jener Kollege die Unschuldsvermutung ohne Konsequenzen verletzt, und daher mache ich es ab jetzt halt auch. Höcker: Natürlich geschieht das. Es ist umgekehrt so, dass Journalisten erst dann vorsichtiger werden, wenn wir massiv gegen Medien vorgehen.

profil: Nun war es gerade im Fall Buwog die Aufgabe der Medien, ganz genau hinzusehen und die Öffentlichkeit immer wieder einmal daran zu erinnern, dass es hier ein Strafverfahren gibt. Höcker: Die Arbeitsfelder der Journalisten sind ausschließlich die Gehirne der Leser, Seher und Hörer. Es ist dagegen nicht die Aufgabe von Journalisten, einen (Anm.: deutschen) Bundespräsidenten Christian Wulff aus dem Amt zu schreiben, einen Jörg Kachelmann, Karl-Heinz Grasser oder Peter Pilz in den Knast. Das verstehen manche Journalisten nicht. Viele betreiben keinen Journalismus, sondern politischen Aktivismus.

profil: Wenn der Fall Buwog mit all seinen Verästelungen nicht berichtenswert ist, welcher dann. Höcker: Journalisten haben keine Schuldfeststellungen zu treffen, darum geht es. Die können gerne darüber berichten, dass eine Staatsanwaltschaft zu langsam ermittelt oder etwas zu schnell eingestellt wird. Aber es steht ihnen nicht zu, zu sagen: "Der war's." Und sie dürfen nebenbei auch nichts unter den Tisch fallen lassen, das entlastend ist.

profil: Das gilt allerdings auch für Staatsanwälte. Höcker: Sehr schöner Vergleich. Das Berufsbild des Journalisten in der Verdachtsberichterstattung ist dem eines Staatsanwalts ähnlich. Beide sind zur Objektivität verpflichtet. Die Journalisten haben sich bei Grasser nicht daran gehalten. Insofern ist der Fall ein Problem für den österreichischen Journalismus, ein Problem für den Rechtsstaat und eigentlich ein Problem für jeden österreichischen Bürger. Man könnte ja selber eines Tages vor Gericht stehen, und da kann man sich nicht wünschen, dass ein Verfahren so läuft.

Michael   Nikbakhsh

Michael Nikbakhsh

war bis Dezember 2022 stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Wirtschaftsressorts.