Porträt

Richard Lugner: Der Meister und sein Mörtel

Richard Lugner ist auch mit seinen 90 Jahren noch der König der Klatschspalten. Berühmt wurde er aber als Unternehmer. Porträt eines Mannes, dem Uneitelkeit, ein Elefantengedächtnis und eine Moschee den Weg zum Erfolg ebneten.

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Bettina Siegl stellt die wichtigen Fragen. Als Richard Lugner an einem Dienstagmittag an seiner Sekretärin vorbei in sein Büro will, wirft sie ihm einen potenziellen Termin zu. „Um 14 Uhr kommt Dominic Heinzl wegen Bambi, müssen Sie da dabei sein?“ Lugner winkt ab. Er hat jetzt gerade Wichtigeres zu tun: anhand von alten Fotos zu erklären, wann welcher Teil der Lugner City gebaut wurde und warum. Siegl hat die Macht über Lugners Terminkalender und damit seine Gegenwart. Aber seine Vergangenheit, die gehört nur ihm.

Der Medienrummel um Opernball-Stargast Jane Fonda zeigte wieder einmal: Richard Lugner, vergangenen August 90 Jahre alt geworden, kann es noch. Er beherrscht noch immer die Klatschspalten mit Frauengeschichten und Auftritten wie zuletzt neben Norbert Hofer auf dem Akademikerball. Der mediale Richard Lugner, früher oft „Mörtel“ genannt, ist die Rolle seines Lebens. Die hat er sich ausgesucht. Über all dem kann man fast ein wenig vergessen, dass Lugner sein Leben lang auch Unternehmer war. Um diesen Teil seines Lebens soll es hier gehen.

Die Lugner-City

Wer zu Richard Lugner will, muss in den dritten Stock seines Einkaufszentrums. Einen langen Gang entlang, vorbei an einem Modell des Islamischen Zentrums und einer Kanonenkugel aus der Zeit der Türkenbelagerung, ein Baustellen-Fund. An den Wänden des Büros hängen Porträts und Karikaturen des Hausherren. Hier, zwischen den Richard Lugners an der Wand, sitzt der echte Lugner, immer noch mindestens neun Stunden am Tag. „Weil es mir Spaß macht“, sagt er. „Und weil ich es noch kann.“ Er ist nicht mehr der Schnellste und hört nicht mehr gut. Aber für 90 Jahre ist er fit wie ein Turnschuh. Den Prostatakrebs, der 2016 bei ihm festgestellt wurde, hat er mittels Bestrahlung besiegt.

Lugner ist gerade wieder mal dabei, sein Erbe zu regeln. Das ist in den vergangenen 25 Jahren immer wieder passiert. Den Plan, die Unternehmen vor seinem Tod schuldenfrei zu machen, hat er wieder verworfen und stattdessen die Lugner City noch einmal erweitert. Im Zentrum des Lugner-Imperiums stehen zwei Stiftungen, in die der Bauunternehmer 1994, mit Inkrafttreten des Privatstiftungsgesetzes, große Teile seines Vermögens ein- und (wie Kritiker sagen) in Sicherheit brachte. Insgesamt sechs GmbHs gehören teilweise Lugner selbst, teilweise den Stiftungen, teilweise beides. Bei der Lugner Immo GmbH, die das Gebäude an die Lugner City GmbH verleast, ist Lugner offiziell angestellt. Er verdient dort 1500 brutto, zusätzlich zu seiner Pension von 2400 Euro.

Es gab eine Zeit, vor all der Society-Berichterstattung, da war Richard Lugner vor allem Baumeister. Nach einigen Jahren als Angestellter in Bau- und einem Ölunternehmen gründet der damals 30-Jährige im Jahr 1962 die Baumeister Ing. Richard Lugner GmbH. Sein erster Auftrag ist im Hotel Vienna, einem Stundenhotel, wo er aus drei Räumen zwei macht und das Bad renoviert. Das zieht sich durch seine Karriere: Lugner ist stolz darauf, dass ihm kein Auftrag zu klein gewesen sei. Manchmal kriegt er um 8 Uhr morgens einen Anruf, ist um 10 Uhr beim Kunden und hat um 14 Uhr ein Angebot gelegt. Die Firma beginnt mit zwei Angestellten in einem Büro in der Neustiftgasse und wächst schnell. Lugner gilt als cholerischer Chef, der seine Mitarbeiter aber am liebsten bis zu ihrer Pension behält.

Mörtels fotografisches Gedächtnis

Menschen, die mit Lugner verhandelt haben, erinnern sich oft daran, dass der Baumeister alle Details im Kopf gehabt habe. Lugner hat ein fabelhaftes Gedächtnis. Er kann spontan Raumpläne aus den 60er Jahren nachzeichnen, weiß bei jedem größeren Bauprojekt, wer bei der Eröffnung in der ersten Reihe saß. Als er bei der Mobil Oil arbeitet, gibt es noch keine Kopierer, und nur sein Chef hat eine Ausgabe der Mineralölverordnung von 1929. Als der auf Urlaub ist, lernt Lugner sie auswendig. Seine Chefs sind anfangs für ihn Vaterfiguren: Mit zehn Jahren sieht er seinen von ihm verehrten Vater, einen Anwalt, das letzte Mal, bevor der an die Ostfront muss und später in Kriegsgefangenschaft stirbt. Von da an ist Lugner ein Getriebener. „Es hat immer nur der Erfolg gezählt“, sagt er.

Ende der 1970er Jahre macht Baumeister Lugner einen entscheidenen Sprung. Ein Bekannter gibt ihm den Tipp, dass die Saudische Botschaft eine Moschee bauen will. Lugners Kalkulation ist deutlich günstiger als das vorliegende Angebot. Er fliegt nach Istanbul, um sich Moscheen anzuschauen. Fragt überall herum, um die richtige Ausrichtung nach Mekka herauszufinden, und misst sie schließlich mit dem Winkelmesser selbst aus. Die Vertragsunterzeichnung 1977 läutet nicht nur Lugners bislang größtes Bauprojekt ein. Er gibt auch die erste Pressekonferenz seines Lebens. Der öffentliche Richard Lugner wird geboren.

Nach dem Bau der Moschee ist er ein gefragter Mann. In den folgenden Jahren baut er unter anderem das Palais des OPEC-Funds, die Griechisch-Orientalische Kirche am Fleischmarkt und die Synagoge um. Daneben noch das Einkaufszentrum Steffl und das Meinl-Haus am Graben. Lugner genießt die Zeit, auch weil er mit den wichtigen Managern direkt spricht, mit denen er oft auf einer Wellenlänge liegt. „Ich hab immer eine gute Menschenkenntnis gehabt“, sagt er. Pause. „Also bei Männern.“ Es ist eine Zeit, in der das Testosteron noch dick in der Luft hängt.

Ende Februar 1987 kriegt er die Info, dass die Firma Skolnik das Grundstück an der Gablenzgasse – wo heute die Lugner City steht – für 18 Millionen Schilling verkaufen will. Auf dem Gelände steht damals noch eine alte Fabrik. Lugner bietet 15 Millionen Schilling, bekommt nach einigem Hin und Her den Zuschlag und zahlt innerhalb von zwei Tagen. An vielem in Lugners Leben ist der Zufall zumindest beteiligt. Seinen ersten Kleinlaster will er eigentlich in Blau kaufen. Das würde dauern, in Rot könnte er ihn aber schon am nächsten Tag haben. So entsteht das berühmte Lugner-Rot, RAL 3011 auf der Farbskala.

Lugners Stadt in der Stadt

Der Baumeister baut sich seine eigene Stadt, anfangs noch ein gutes Stück vom Gürtel weg. Erst später, mit Ausbaustufe 4 im Jahr 2005, rückt sie direkt an die Hauptverkehrsstraße heran. „Mir haben alle gesagt, im 15. Bezirk, einer der kaufkraftschwächsten Gegenden der Stadt, könne man kein Einkaufszentrum bauen“, erinnert sich Lugner. Er ist anderer Meinung: Man müsse nur wissen, wie. Auf einer Reise in die USA schaut er sich an, wie die dortigen Malls die Kundenströme lenken. Hans Mayr (SPÖ), damals Vizebürgermeister und in der Gablenzgasse aufgewachsen, unterstützt das Vorhaben, so dass alle Widmungen schnell beisammen sind. Ob Rot, ob Schwarz, ob saudischer Muslim oder Norbert Hofer: Berührungsängste hatte Lugner nie.

Geht man mit dem Hausherrn durch das nach ihm benannte Einkaufszentrum („So eine Frequenz am frühen Nachmittag, das hat außer uns niemand“), muss er immer wieder mal für ein Selfie stehenbleiben. Kaum ein 90-Jähriger ist unter Jugendlichen so bekannt. Spätestens seitdem er sich auch auf dem TikTok-Kanal der Lugner City zum Affen macht. Das passt wie die Faust aufs Auge: Schamgrenzen kennt Lugner nicht, und von Marketing hat er immer etwas verstanden. Eine Zeitlang nimmt er besonders gern Aufträge im Ersten Bezirk an, weil die Baustellenschilder gleichzeitig als Werbung dienen. Die Lugner City – 2022 machte sie 130 Millionen Euro Umsatz, knapp so viel wie vor der Pandemie – mit ihren mittlerweile 106 Shops funktioniert heute auch deshalb, weil sie eine Wundertüte ist: Auf dem zentralen Platz ist immer was los, sei es ein Bastel-Nachmittag, ein Bodybuilding-Wettbewerb oder eine Sportwagenschau.

Lugner ist ein Kasperl, zweifelsfrei. Wer in ihm aber nur den Kasperl sieht, der unterschätzt ihn. Er kann bei jedem Geschäft in der Lugner City sagen, ob es gut läuft oder nicht. Er kann lange darüber reden, wie präzise die Wandfliesen in einem orientalisch gestalteten Restaurant im dritten Stock ineinander passen („Marokkanische Handarbeit, das sieht man sofort“). Immer wieder blitzt durch, dass der „Baumeister“ sein Fach auf der HTL gelernt hat. Weiß das Gegenüber nicht, was „Gleitbauweise“ ist, greift er zum Stift und zeichnet sofort eine erklärende Skizze.

In den 1990er Jahren ist Lugner an seinem beruflichen Höhepunkt. Die Lugner City bekommt einen Ausbau nach dem anderen, seine Baufirma hat 700 Mitarbeiter. Im Jahr 1997 überträgt er die Leitung sukzessive an seine beiden Söhne. Die Firma gerät in den kommenden Jahren durch Altlasten und falsche Entscheidungen in extreme finanzielle Schieflage. Im Spätherbst 2003 schaut es schlecht aus für Lugner. Sein Lebenswerk sei „mehr oder weniger weg“, schreibt der Trend. Im letzten Moment verkauft er die Lugner City an eine Tochter der Volksbank und least das Gebäude zurück. 2013 kauft er wiederum für 62 Millionen Euro die Tochter der Volksbank und benennt sie in Lugner Immo GmbH um. Mit dem Deal gehört nicht nur das Einkaufszentrum wieder der Familie, er spart sich auch noch Millionen Euro an Grunderwerbssteuer. Der drohende Konkurs sei eine schwierige Zeit gewesen, sagt Lugner. Aber trotzdem nicht so schwer wie die Anfänge. „Da hatte ich manchmal am Freitag noch keinen Auftrag, an dem meine Arbeiter am Montag arbeiten sollten.“ Wenn man das einmal erlebt habe, werde vieles andere relativ.

Lugner hat seinen Kopf damals aus der Schlinge gezogen. Und doch merkt man, dass diese Zeit Spuren hinterlassen hat. Die Beziehung zu seinem jüngeren Sohn, dessen Büro an demselben langen Gang im dritten Stock liegt, ist zerrüttet. Zu seiner Hochzeit war der Vater nicht eingeladen. Und „Mörtel“ sitzt mit seinen 90 Jahren auch noch hier, weil er für sich die Lektion gezogen hat, dass er die Kontrolle nicht abgeben darf.

Irgendwann wird der Tag kommen, an dem Richard Lugner nicht mehr da ist. „In allen Firmen sind Geschäftsführer, die das ohne mich weiterführen können“, sagt er. Tochter Jacqueline ist mit Leo Kohlbauer liiert, der bis 2020 für die FPÖ im Wiener Landtag saß. Kohlbauer kommt aus dem Handel und gilt als wahrscheinlicher Kandidat, in die Führung der Lugner City einzusteigen. Mit wem immer es auch weitergeht: Für Opernball, ATV und Heute wird sich diese Person wohl weniger interessieren. Dann wird sich zeigen, ob das Lugner-Imperium auch ohne die Marke Richard Lugner funktioniert. 

Fotos: Nikolaus Ostermann