Sezenorie 1

Ausbeutung im Akkord: Wie Saisoniers auf Österreichs Feldern schuften

Kein Klo, zu wenig Lohn und stundenlange Schichten in der prallen Sonne: Wie es den Menschen geht, die im Burgenland Erdbeeren ernten und sich um die Felder kümmern.

Drucken

Schriftgröße

„Das find’ ich nicht so sexy, dass die Gewerkschaft jetzt kommt”, eine Betriebsvertreterin empfängt die Gewerkschaft und die Kampagne Sezonieri. An die Erntehelfer am Feld sollen Flyer zu ihren Rechten verteilt werden, es geht um Stundenlohn und Arbeitszeiten. Um die 25 Menschen stehen auf einem Erdbeerfeld. Frau X (Name der Redaktion bekannt) beaufsichtigt ihre überlassenen Arbeitskräfte. Es ist heiß, am Wochenende soll es regnen – das bedeutet, dass die Beeren dringend gepflückt werden müssen, weil sie sonst verderben. Es handelt sich um einen Bio-Betrieb, die Arbeiter verdienen sechs Euro die Stunde. Das ist nicht legal und zu wenig. 

Aktivistin Emöke Gondos spricht die Erntehelfer und Helferinnen an, sie spricht Ungarsich und Rumänisch. Ohne sie wäre es unmöglich für die Gewerkschaft, mit den Arbeitern in Kontakt zu treten und sie über ihre Rechte zu informieren. Sie ist Teil der Sezonieri-Kampange, die die Felder im Burgenland abklappert. Aber auch die Gewerkschaft Pro-Ge ist dabei und Agrar Fachexperte Karl Orthaber fängt die Chefin der Erdbeer-Ernter ab. Sie ist nicht erfreut über den Besuch. 

Emöke teilt Flyer und Kalender aus, die Materialien sind in verschiedenen Sprachen und sollen informieren. Orthaber verwickelt die Aufseherin in ein Gespräch. Es stört sie, dass die Arbeiter nun abgelenkt sind. Sie werde diese Zeit als Pause vermerken. Zeit ist wortwörtlich Geld. Gearbeitet wird seit sechs in der Früh, bis 14 Uhr. 

Optisch machen die Arbeiter einen niedergeschlagenen Eindruck. Sie haben keine Arbeitskleidung an, sondern schmutzige Alltagskleidung, ein Großteil ist sehr, sehr dünn. Sie sprechen kein Deutsch. Das ist ein Grund, warum die Sezonieri-Kampagne 2014 entstand. Die Arbeiterinnen und Arbeiter werden häufig nicht über ihre Rechte informiert, beziehungsweise nicht in einer Sprache, der sie mächtig sind. 

Bezahlung weit unter Kollektivvertrag

Die Arbeitsverhältnisse in der Landwirtschaft sind ausbeuterisch, aber das ist kein österreichisches Phänomen. 2024 ging die Geschichte von Satnam Singh um die Welt, er war ein indischer Erntehelfer in Italien, der von einem Bauern zum Sterben am Rand der Straße zurückgelassen wurde, nachdem er sich bei einem Arbeitsunfall einen Arm abgetrennt hatte. Auch er arbeitete auf einem Gemüsefeld. Und italienisches Gemüse stellt einen Großteil des heimischen Supermarkt-Sortiments dar. Derart schreckliche Fälle sind die Spitze des Eisberges, aber die Arbeitsbedingungen von Erntehelferinnen und Helfern sind auch in Österreich alles andere als gut.

Um die 49.000 Menschen arbeiteten laut Agrarstrukturerhebung der Statistik Austria 2020 unregelmäßig in der Landwirtschaft. Stammsaisoniers waren es in der Landwirtschaft im Jahr 2021 rund 3100, berichtete die Wiener Zeitung. Laut dem anwendbaren Kollektivvertrag müssten die Arbeiter und Arbeiterinnen weit mehr als sechs Euro verdienen – mindestens 13,59 brutto. Im Fall des Erdbeerfeldes werden die Menschen von einem Vermittler an den Bio-Betrieb weitergereicht. Ein weit verbreitetes Muster, in manchen Fällen auch für Sozialbetrug. Der Arbeitskräfteüberlasser ist der Gewerkschaft bekannt, sagt Gewerkschafter Christoph Frühstück im Auto, „aber wir können nichts machen, wenn niemand vor Gericht geht und es Urteile gibt“. 

50 Personen, überwiegend aus Ungarn, werden Gewerkschaft und Sezonieri an diesem Donnerstag treffen, einige aus Rumänien und eine aus Serbien. Keine dieser Personen wird entsprechend ihrem Kollektivvertrag entlohnt. Sie müssen 8,70 netto bzw. 10,50 brutto pro Stunde verdienen. Die Mindestlöhne von Erntearbeiten und vermittelten Arbeitskräfte, wie denen am Erdbeerfeld unterscheiden sich. An dem Arbeitstag findet das Kampagnenteam der Sezonieri keine einzige Toilette – dabei stünden sie den Arbeiterinnen und Arbeitern rechtlich zu. „Die Bedingungen waren vor zwei Jahren besser“, sagt Orthaber von der Landarbeiterkammer. 

sez 2

In der Vorwoche war Emöke im Marchfeld unterwegs. Spargel-Ernte wird nach Akkord bezahlt – um die 70 Cent pro Kilogramm. Ein Vorarbeiter erklärte der Aktivistin, dass es Stundenlöhne bis zu 20 Euro gibt – das bedeutet, es müssten 28,5 Kilogramm Spargel geerntet werden und klingt für ungelernte Beobachter sehr stressig. „Aber bei Vorarbeitern muss man immer etwas skeptisch sein“, sagt Emöke. Spargel-Ernte ist auch deshalb anders, weil der Spargel einfach irgendwann fertig geerntet ist. An diesem heißen Tag im Burgenland ist kein Ende in Sicht: Vom Erdbeer-Betrieb geht es weiter zu einem Maisfeld. Dort reichen die Maisreihen bis an den Horizont, eine Stunde braucht es, um nur in einer Reihe das Unkraut zu jäten, sagt Orthaber. 

Im Schatten der St. Martins Therme arbeiten kleine Grüppchen von Ausländern, kaum sichtbar. Zwischendurch düsen die Wienerinnen und Wiener auf ihren E-Bikes vorbei. 

Kein Arbeitsvertrag, kein Wissen über Arbeitgeber

Am dritten Feld arbeitet eine Gruppe von ungarischen Pensionisten, es ist auch ein junger Mann dabei, für ihn ist es die erste Saison. Sie wissen nicht, für wen sie arbeiten und sie wissen nicht, wie viel sie bezahlt bekommen. Auch sie haben keinen Zugang zu einer Toilette. 10 Stunden arbeiten sie pro Tag, übersetzt Emöke, aber nur tageweise. Sie haben keinen Arbeitsvertrag.

Auch die nächste Gruppe weiß nicht, wie viel sie verdient. Es ist nun um die Mittagszeit. Für die Zuckerrübenernte braucht man eine Flex. Sie liegt zwischen den Jacken, auch die Informationsbroschüren der Gewerkschaft werden dazugeworfen. Alle wirken ausgemergelt. 

Die große Hoffnung der Kampagne ist, dass sich die Arbeitnehmer gerichtlich gegen die ungerechte Behandlung wehren. Aber diesen Schritt trauen sich nur wenige, denn niemand will es sich mit den Arbeitgebern verscherzen. Noch schwieriger wird es mit Menschen aus sogenannten Drittstaaten: Ihre Visa und deren Verlängerung sind auch an ein positives Feedback der Arbeitgeber gebunden. Sie dürfen auch nicht Job wechseln. Wenig überraschend gibt es von ihnen kaum arbeitsrechtliche Beschwerden. Gerade diese Arbeitnehmer aus Nepal oder Bangladesh werden häufiger in Österreichs Landwirtschaft, erzählen die Gewerkschafter.

Franziska Schwarz

Franziska Schwarz

Franziska Schwarz ist seit Dezember 2024 im Digitalteam. Davor arbeitete sie als Redakteurin bei PULS 24, und als freie Gestalterin bei Ö1. Sie schreibt über Politik, Wirtschaft und Umwelt.