Verschleierte Umsätze um die Finanz zu täuschen: Die Taxi-Branche gilt auch bei Steuerfahndern als "Hochrisikogruppe".

Schwarzfahrer: Die schmutzigen Steuertricks der Taxi-Branche

Versteckte Kilometer, arbeitslose Vollzeitfahrer, verdeckte Pauschalen: Wie die Taxibranche Finanz und Sozialversicherungen seit Jahren konsequent ausbremst. Ein Unternehmer packt aus.

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Manfred H. heißt in Wirklichkeit nicht so. Er will auch sein Gesicht nicht zeigen. Keine Fotos. Er hat Angst, als Verräter dazustehen, obwohl er doch nur offenbart, was in der Branche gang und gäbe ist; was auch Steuerfahnder wissen, die sein Gewerbe längst als "Hochrisikogruppe“ einstufen; was selbst Standesvertreter meinen, wenn sie von "massiven Steuerhintergehungen“ sprechen.

Wir treffen uns im hinteren Winkel eines unscheinbaren Wiener Cafés am Wiener Gürtel. Manfred H., der Taxiunternehmer; ich, der frühere Studenten-Taxilenker, der seine Lizenz jüngst reaktivierte, um im Vorfeld der Wien-Wahl aus der Fahrgastzelle zu berichten.

Zwei Drittel der Taxis lösen sich in Luft auf.

H. hatte lange gezögert, ehe er sich schließlich zu dem Gespräch bereit erklärte. "Mir reicht es. Jeder hat so gearbeitet, aber so kann nicht weitergehen.“

Mit seinem mittelgroßen Betrieb ist er Teil einer Branche, die sich neuerdings auffallend oft mit einer vermeintlichen Selbstverständlichkeit auseinandersetzen muss: Steuern und Sozialversicherungsabgaben.

Wer sich dieser Tage bei Taxifahrern umhört, bekommt immer wieder Folgendes zu hören: "Wenn das kommt, höre ich auf.“ Oder: "Dann ist die Taxibranche tot.“ Oder: "Zwei Drittel der Taxis lösen sich in Luft auf.“ Grund für die Verstimmung sind die Pläne von Finanzminister Hans Jörg Schelling, neben der Gastronomie fortan auch das Taxigewerbe verstärkt in die Pflicht zu nehmen. Die Registrierkasse also. Diese will der Minister nicht nur jedem Wirtshaus, sondern auch jedem Taxi vorschreiben. "Fiskaltaxameter“, wie das im Fachjargon heißt.

Am Gürtel ruckeln blaue, gelbe, grüne und weiße Taxis durch den Stoßverkehr. Alleine in Wien gibt es 2000 selbstständige Taxifahrer, 3400 Vollzeitfahrer und 2400 Geringfügige, insgesamt also fast 8000 Chauffeure. Und nicht wenige von ihnen dürften mit jenen Formeln vertraut sein, die Manfred H. nun im Café auf Bierdeckel kritzelt.

Deckel I: "Nehmen wir einen Prozentfahrer, der 1000 Euro Umsatz in der Woche macht und sich davon 500 Euro behalten darf. 317 Euro sind sein offizieller Wochenlohn nach Kollektivvertrag“, rechnet H. vor. "Den Rest von 183 Euro steckt er sich unversteuert ein. Mehr als ein Drittel seiner Fahrten hat nach dieser Rechnung offiziell nie stattgefunden. Je fleißiger er ist, desto mehr Schwarzgeld streift er ein.“

Die Fahrer scheinen eine seltene Macht über die Unternehmen erlangt zu haben.

Deckel II: "Ein Pauschalist mietet ein Auto um, sagen wir, 550 Euro pro Woche und zahlt 150 Euro für den Sprit, macht Kosten von 700 Euro. Bei einem Umsatz von 1500 Euro bleiben ihm 800 Euro. Er bekommt pro Woche den Kollektivvertragslohn von 317 Euro, 483 Euro streift er unversteuert ein. Mehr als die Hälfte seiner Fahrten hat es offiziell nie gegeben.“ Manfred H. erzählt von Pauschalisten, die 2000 Euro in der Woche einnehmen. "Die kassieren in der Woche 317 Euro versteuerten Lohn und cashen über 1000 Euro an der Steuer vorbei.“

Deckel III: "Nehmen wir einen Fahrer, der nur geringfügig angemeldet ist. Laut Kollektivvertrag muss er 117 Euro pro Woche verdienen. Tatsächlich fährt er viel mehr als die erlaubten 17 Stunden und nimmt 450 Euro ein. Man gibt offiziell nur 117 Euro an und lässt dem Fahrer 333 Euro. Zwei Drittel seiner wöchentlichen Fahrten haben offiziell nie stattgefunden.“ Viele dieser falschen Geringfügigen würden nebenbei Arbeitslose oder Notstand beziehen. "Ich will mein AMS-Geld nicht verlieren“ - das habe nicht nur ein Fahrer zu ihm gesagt.

Warum spielt Manfred H. als Arbeitgeber mit und macht sich strafbar? "Glauben Sie mir, wenn ich von einem Prozentfahrer nur zwei Prozent mehr verlange, die Pauschale anhebe, oder wenn ich dem Geringfügigen sage, ich melde dich Vollzeit an, so schnell können Sie nicht schauen und der ist bei der Konkurrenz.“ Die Fahrer scheinen eine seltene Macht über die Unternehmen erlangt zu haben. Sind die Gesetze von Angebot und Nachfrage außer Kraft gesetzt?

Derzeit sind die Unternehmer die Sklaven der Fahrer.

"Bis in die 1990er-Jahre war die Zahl der Taxis limitiert. Als die Grenze fiel, ist die Zahl der Wägen explodiert. Die Tarife darf ich aber nicht anheben, und den Spritpreis können wir uns auch nicht aussuchen. Ich wollte wachsen und habe heute mehr als ein, zwei Autos. Wenn die nicht rund um die Uhr in Bewegung sind, kann ich zusperren. Dafür brauch ich aber Fahrer.“

Der Bundesobmann der Taxis und Mietwägen in der Wirtschaftskammer, Erwin Leitner, kennt den konkreten Fall von Manfred H. nicht. Was er aber kennt, ist die Zwickmühle, in der Betriebe stecken: "Derzeit sind die Unternehmer die Sklaven der Fahrer. Jeder sucht händeringend Chauffeure, und die gehen zu einer anderen Firma, wenn der Unternehmer ihm nicht hilft, 40 bis 50 Prozent der Umsätze zu verstecken.“

Leitner redet erst gar nicht um den heißen Brei herum und bestätigt die "massiven Hintergehungen von Abgaben“ in der Branche. "Schauen Sie, die Praktiken sind abgedriftet. Der, der ehrlich arbeitet, kämpft ums Überleben.“ Angesprochen auf die Registrierkasse, erzählt ein älterer Taxler, er freue sich darauf. Denn er rechne ehrlich ab, und jene, die das nicht tun, wären dann weg vom Fenster. Bleibt mehr Kundschaft für ihn.

Leitners Kollege in der Wiener Taxi-Innung, Spartenobmann Gökhan Keskin, sagt zur Steuermoral: "Es wurde einfach immer so gehandhabt. Der Chef hat es akzeptiert, und wenn ein Fahrer dann selbst Chef wurde, hat er es auch akzeptiert. Mit dem steigenden Konkurrenzdruck sind die Methoden und Arbeitsverhältnisse sogar noch schlechter und steuerlich kreativer geworden.“

Im Fachverband für die Personenbeförderung in der Wirtschaftskammer sind die Registrierkassenfans aber in einer klaren Minderheit.

Es verblüfft, wie offen Standesvertreter über Steuersünden in der eigenen Branche reden. Die Zeit scheint reif dafür. In der kommenden Woche hat es Finanzminister Hans Jörg Schelling in der Hand, ein für alle Mal mit den verrohten Sitten aufzuräumen. Derzeit ist im Entwurf für die Registrierkassenpflicht vorgesehen, dass jedes der 11.000 Taxis und jeder der 8000 Mietwägen, der Barumsätze macht, eine Registrierkasse braucht. Der Entwurf liegt profil vor. Nach Ende einer Einschleifphase (beginnend im Jänner 2016) soll ab 1. Jänner 2017 jeder gefahrene Taxi-Kilometer zentral gespeichert werden. Geisterfahrten wären dann passé.

Im Fachverband für die Personenbeförderung in der Wirtschaftskammer sind die Registrierkassenfans aber in einer klaren Minderheit. Die Mehrheit will eine Ausnahme für die Taxis und Mietwagen erwirken. Sie wollen so wie Masseure oder Physiotherapeuten zur "mobilen Gruppe“ gezählt werden. Diese Dienstleister brauchen keine Registrierkasse zum Kunden mitführen und ersparen sich den technischen wie finanziellen Aufwand. Es genügt dann, eine Durchschrift der Belege in die Firma zu bringen. Dort landen diese in der zentralen Registrierkasse.

"Wenn Fahrten weiter händisch aufgezeichnet werden, fehlt den Unternehmen die Kontrolle, und das wollen wir nicht mehr. Nur mit der Registrierkasse im Auto gibt es Rechtssicherheit, und die Unternehmer können in der Nacht wieder ruhig schlafen“, sagt Keskin. Leitner wird noch deutlicher: "Wenn die Registrierkasse im Auto nicht kommt, ist der Gestaltungsspielraum fast gleich wie jetzt. Dann kann man es sich natürlich weiterhin richten. Diese massiven Steuerhintergehungen in der Branche wollen wir aber nicht mehr.“

Ein Großteil dieser Fahrer sei lohngepfändet, und nicht wenige würden sich damit Arbeitslose oder Notstand aufbessern.

Gibt Schelling nach, zahlt er doppelt drauf. Von nicht registrierten Taxi-Fahrten sieht er weder Umsatzsteuer noch Lohnsteuer. Und die Krankenkasse fällt um ihre Sozialbeiträge um. Gibt Schelling nach, kommen die Bierdeckel-Formeln wohl weiter zur Anwendung.

Gibt Schelling nicht nach, werden Taxis von der Straße verschwinden, und der Sozialminister bekommt ein Problem mit neuen Arbeitslosen. In Hamburg führte das Taxi-Gewerbe 2005 freiwillig den Fiskaltaxameter ein. Die Zahl der Taxis sank von 4500 auf 3100, die registrierten Umsätze schossen um 50 Prozent in die Höhe. Für Wien schätzt Keskin, dass über einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren ein Viertel der Taxler den Job an den Nagel hängen würde. "Ich rechne mit einem Minus von 20 bis 30 Prozent in den Ballungsräumen“, sagt Leitner.

Womit alle rechnen, ist das Ende des Booms bei den Geringfügigen. "Für 17 Wochenstunden angemeldet sein und sieben Tage die Woche fahren, das darf und kann dann nicht mehr sein“, sagt Leitner. Ein Großteil dieser Fahrer sei lohngepfändet, und nicht wenige würden sich damit Arbeitslose oder Notstand aufbessern.

Ein Ausweg wäre eine Taxilizenz auf Zeit mit einer Pflicht zur Weiterbildung.

AMS und Taxi haben nicht nur in diesem Fall dieselbe Drehtüre. "Das AMS drängt die Arbeitslosen förmlich ins Taxigewerbe“, erzählt ein Ausbildner. "Wer schwer vermittelbar ist, bekommt den Taxi-Kurs gezahlt. Das schönt die Arbeitslosenstatistik. Von 30 Kursteilnehmern sind oftmals nur zwei bis drei Personen voll der deutschen Sprache mächtig. Manche treten zehn Mal an, lehnen sich zurück und sagen: Das AMS zahlt das eh.“

Die Branche wolle aber kein "Auffangbecken für Langzeitarbeitslose und Schwervermittelbare“ mehr sein. "Der Beruf des Taxilenkers ist ein verantwortungsvoller und ehrwürdiger und soll jedem offenstehen, der ihn ernst nimmt und der Deutsch kann“, sagt Leitner.

Ein Ausweg wäre eine Taxilizenz auf Zeit mit einer Pflicht zur Weiterbildung. Ausgesiebt werden kann derzeit erst bei den neuen Taxischeinen. Gab es früher 1000 neue Scheine pro Jahr halbierte sich diese Zahl durch strengere und betrugssichere Prüfungen am Computer.

Die einen werden zähneknirschend für 1100 Euro weiterfahren, die anderen dankend darauf verzichten, für einen Bettel nächtelang Betrunkene durch die Gegend zu kutschieren.

Die Branche steht vor einer Zeitenwende. Der alte Wiener, der sich seine Pension im Taxi aufbessert; der Salzburger Student, der sich im ersten Job sein Nachtleben finanziert; der junge Türke, der auf seine Hochzeit spart, oder der pakistanische Flüchtling, der als Taxifahrer auf die Anerkennung seiner höheren Berufsausbildung hofft - sie alle spüren das.

Wer wie sie einen der 26.000 Taxischeine besitzt, ist sicher vor Arbeitslosigkeit und kann sich nach Lust und Laune ein paar Euro dazu verdienen, während am Bau, am Fließband oder im Lager die Arbeit Stück für Stück ausgeht. Österreich steuert auf 500.000 Arbeitslose zu. Umso mehr Menschen stiegen zuletzt aufs Taxi um und landeten in einem der letzten Sicherheitsnetze am Arbeitsmarkt für Billigkräfte. Durch schärfere Kontrollen und Knock-out-Prüfungen wird auch dieses Netz Risse bekommen. Die einen werden zähneknirschend für 1100 Euro weiterfahren, die anderen dankend darauf verzichten, für einen Bettel nächtelang Betrunkene durch die Gegend zu kutschieren. Sie werden nüchterne AMS-Kursleiter vorziehen.

Manfred H. wartet ab. Er will aber sicher nicht so enden wie einer der Fahrer, der seit Jahren vollmundig den Hut draufhaut und versichert: "Das ist meine letzte Fahrt!“ - nur um am nächsten Morgen wieder am Standplatz zu parken, die Job-Annoncen zu lesen und auf Fahrgäste zu warten.

Clemens   Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.