Wirtschaft

Streitgespräch: Wie kann man den Wintertourismus retten?

Muss man jedes 3. Hotel schließen, um den Wintertourismus zu retten? Hotelier Sepp Schellhorn streitet mit Staatssekretärin Susanne Kraus-Winkler.

Drucken

Schriftgröße

Ist der Wintertourismus, so wie wir ihn in Österreich derzeit kennen, ein Auslaufmodell? 
Kraus-Winkler
Das würde ich nicht sagen. Solange es Schnee gibt, wird er existieren. In Zukunft werden wir von höher gelegenen Gebieten reden, so ab 1500 Metern. Betriebe in der Nähe davon überlegen, wie sie den Gast dorthin bringen, wo er gut Ski fahren kann. Und die anderen werden sich überlegen, ob sie im Winter ihr Angebot weiterentwickeln können. 
Schellhorn
Wäre ich der Franz Hörl, dann würde ich genauso sagen, die Flugreisen brauchen ein Werbeverbot, um von der Diskussion abzulenken. Die Frage ist aber: Wie gehen wir ohne Schnee mit dem Winter um? Wir werden uns darauf einstellen müssen, zum ersten Mal, dass wir nicht mehr an die 70 Millionen Nächtigungen im Winter lukrieren werden.
Kraus-Winkler
Ich sehe nicht unbedingt, dass es weniger Nächtigungen geben wird. Aber ich sehe eine Verschiebung zum Sommer und den Bedarf an neuen Angeboten im Winter. 
Schellhorn: Wir können nicht jedem Unternehmer sagen: Du musst jetzt ein anderes Angebot machen. Sommer statt Winter oder stell Schneekanonen vor die Haustür. Hier muss man sich von gewissen Dingen verabschieden.
Schellhorn
Ich glaube, wir müssen die Frage stellen: Ist der Tourismus noch zu retten?
Kraus-Winkler
Ich würde nicht davon sprechen, den Tourismus zu retten, weil die Branche ist nicht in einer Situation, wo sie  gerettet werden muss. 
Schellhorn
Schade, da muss ich widersprechen. 
Kraus-Winkler
Wir haben viele gute Betriebe, die sich auch gut rechnen.
Schellhorn
Aber wie schaffen wir’s, dass alle mit nur 100 Millionen Nächtigungen gut leben können?
Kraus-Winkler
Wenn wir in Zukunft 50 Millionen Nächtigungen weniger haben, wie du voraussagst, dann braucht es erstens wesentlich weniger Betten. Da müssen viele schließen, nicht jene, die nicht mehr wettbewerbsfähig sind, sondern ein Drittel der Betriebe. Ich wage zu bezweifeln, dass das der Sinn eines Tourismuslandes wie Österreich ist. Zweitens werden die anderen wesentlich höhere Preise verlangen, weil sich das Angebot verknappt. Dann habe ich vielleicht genug Mitarbeiter, aber auch weniger Ausgaben bei meinen Zulieferern. Das muss man in Österreich wirtschaftlich irgendwie kompensieren. Das ist das Modell, das sich der Sepp wünscht. Ich habe ein anderes Modell. Ich denke, wir können auch in Zukunft Qualitätstourismus in Österreich mit 150 oder 180 Millionen Nächtigungen pro Jahr machen. 
Wie würden Sie den Tourismus denn retten, Herr Schellhorn?
Schellhorn
Wir müssen davon ausgehen – und da bin ich keine Kassandra –, dass die Winter nicht mehr so sein werden wie vor 30 Jahren. Wir werden immer mehr Betten haben, die unrentabel sind. Derzeit haben wir 40.000 Gästebetten zu viel. Ich habe damals mit Finanzminister Blümel eine Zusperrprämie verhandelt. Wir müssen Betrieben das Zusperren ermöglichen und den Markt bereinigen. Wie soll ich zusperren?
Kraus-Winkler
Du könntest auch verkaufen. 
Schellhorn
Das finde ich sehr zynisch. Es wird nicht mehr so viele Käufer dafür geben, aber viele Übergaben von einer Generation an die nächste stehen an. 
Kraus-Winkler
Wir haben im Rahmen der neuen gewerblichen Tourismusförderung 2023 hingegen eine Regelung geschaffen, wie auch Mitarbeiter den Betrieb besser übernehmen können. Wir haben sicher Betten, die aus dem Markt gehören, weil sie nicht mehr ausreichend wettbewerbsfähig sind. Diese Angebotsbereinigung kann über den Markt selbst erfolgen oder über politische Ausstiegslösungen erleichtert werden.
Aber wie könnte ein anderer Wintertourismus ausschauen?
Schellhorn
Ich habe einen Betrieb in Goldegg im Pongau, da habe ich versucht, andere Zielgruppen zu gewinnen. Über Sinnstiftung, Kultur, Literatur, und ich versuche, so meine Auslastung zusammenzubringen. Ich übergebe den Betrieb bald, mein Sohn wird auch ohne Schnee ein Angebot zaubern müssen.  Und dann habe ich eine Skihütte. Ich mache mir Gedanken, wie ich in zehn Jahren mit nur 70 Tagen Saison auskommen kann. Das ist betriebswirtschaftlich gesehen sehr riskant, und die Kosten für die Mitarbeiter sind hoch. Ob sich das überhaupt noch auszahlt? Da ermutige ich die Politik, auch hier Ansätze zu schaffen.
Kraus-Winkler
Wir sind im Moment in einer Übergangsphase, die immer wieder herausfordernd ist. Wir sind in dem alten „abgesicherten“ Geschäftsmodell, aber müssen das neue schon antizipieren. Unsere Zukunftsthemen sind unter anderem Nachhaltigkeit, Arbeitsmarkt, Digitalisierung, Logistik.
Schellhorn
Frau Staatssekretär, da muss ich einhaken. Die Zukunftsfragen sind bei mir durch vier K geprägt: Klima, Kunde, Konkurrenz und Kohle. Denn wie reagieren die Kunden? Hier fehlen uns die Wissenschaft und die Innovationen. Gibt es das Bedürfnis, auf weißen Pisten neben grünen Wiesen Ski zu fahren? Gut essen und schlafen kann ich auf der ganzen Welt. Mit Corona war man natürlich so beschäftigt, dass man nicht über die Zukunft nachdenken konnte. Und strategisch gilt noch immer der Plan T (Anm.: Tourismusstrategie der Regierung), aus dem Jahr 2019? Das war vor dem Krieg und vor Corona. Man muss die Strategie stärker ändern. Wie schaut deine Vision aus ohne Schnee?
Kraus-Winkler
Ich würde dich bitten, dass du dir den Plan T noch mal anschaust. Es geht ziemlich genau um die Themen, die du jetzt gerade angesprochen hast. Was sich sicher geändert hat, sind die Wege zur Erreichung dieser Ziele. Wir starten eine neue gewerbliche Tourismusförderung, die auf Nachhaltigkeit ausgerichtet ist. Da geht es um bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, keine Förderung von Neubauten in Gemeinden mit über 500.000 Nächtigungen, Klimaboni für Investitionen in erneuerbare Energiesysteme.
Schellhorn
Du kannst noch so viel Empfehlungen ausgeben, solange der Bürgermeister die Hand über der Raumordnung hat, wird es immer Wege geben, damit noch mehr Betten entstehen. Die Frage ist: Was kann die Bundespolitik tun? Steuern auf Arbeit senken, Zusperrprämien, Förderungen.
Zu den Förderungen: Der Tourismus soll sich verändern, hat aber bekanntlich wenig Eigenkapital und viele Schulden. Wie kann das funktionieren? 
Kraus-Winkler
Es gibt zwei Ebenen: Auf der einen Seite geht es um die Förderung des Mittelstandes, um die Finanzierungen, die sie brauchen. Und das Zweite ist, dass man schaut, dass die Banken Vertrauen in das Produkt Tourismus behalten.
Schellhorn
Wir müssen aktuell über die Österreich Werbung (ÖW, nationales Tourismusmarketing) sprechen, weil die Geschäftsführung neu bestellt wird. Was muss diese Organisation können? 
Kraus-Winkler
Die Österreich Werbung wird in Zukunft auch ganz intensiv orchestrieren müssen, dass in den föderalen Strukturen Österreichs zumindest bei den großen Themen gleiche Strategien umgesetzt werden. Sie muss sicher Moderator spielen. 
Schellhorn
Zwischen den Landeshäuptlingen. Wenn wir den Tourismus retten wollen, dann müssen wir über das nachdenken, was man zu viel hat. Und das sind Zuständigkeiten auf der Landesebene. Wir sind das Land des Rücksichtelns. Wir müssen immer auf alle Rücksicht nehmen. 
Aber wenn Wintertourismus nachhaltiger und exklusiver werden soll. Ist Skifahren dann endgültig kein Massensport mehr in Österreich? Wird es noch elitärer?
Schellhorn
Skiurlaub ist kein billiges Unterfangen. Man merkt es auch als Anbieter, dass vor allem jene Familien aus Wien kommen, die als Kinder selber schon Ski gefahren sind. Neu anfangen tut kaum wer.
Aber soll es weiter in diese Richtung gehen?
Schellhorn
Ich glaube, wir müssen uns auf einen Paradigmenwechsel einstellen. Es ist offen gesagt billiger, wenn du im Winter auf die Kanaren fliegst.
Aber kann es ein Breitensport bleiben?
Schellhorn
Es ist kein Breitensport mehr.
Kraus-Winkler
Ich finde, man sollte grundsätzlich Skifahren, so wie Radfahren, zu den klassischen Sportarten zählen, die man erlernt. Und ich glaube, dass es gut ist, wenn man es weiter dazuzählt. Es hat auch nicht jeder ein Fahrrad, mit dem man jetzt Touren fährt oder sonst was. Trotzdem ist Fahrradfahren ein Breitensport.
Aber wie? Muss man dann nicht Schulskikurse stärker fördern? Dass sie nicht 600 Euro pro Woche kosten? 
Kraus-Winkler
Es gibt derzeit Förderungen vom Bildungsministerium, das dafür zuständig ist, und ich glaube, dass es wichtig ist, dass das beibehalten wird. 
 Sie haben viele politische Vorschläge, Herr Schellhorn. Sehen wir Sie bald wieder als NEOS-Abgeordneter im Parlament?
Schellhorn
Ich bin immer ein politischer Mensch gewesen und will einen Beitrag leisten. Aber erst wenn mir der Herr Arbeitsminister drei Küchenchefs zur Verfügung stellt, kann ich überhaupt darüber nachdenken.
Clara Peterlik

Clara Peterlik

ist seit Juni 2022 in der profil-Wirtschaftsredaktion. Davor war sie bei Bloomberg und Ö1.