Trocken im Süden

Trocken im Süden: Peter Kaiser im Porträt

Porträt. Peter Kaiser wird neuer Landeshauptmann von Kärnten. Einen wie ihn hatte das Land noch nie

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Natürlich finden sich Erklärungen für das Wahlergebnis. Jetzt, im Nachhinein, sieht es sogar recht plausibel aus. 37 Prozent für die SPÖ, 17 Prozent für die FPK: Nach allem, was in Kärnten passiert ist, darf einen dieses Votum eigentlich nicht groß erstaunen. Vorher hatte allerdings keiner darauf gewettet. Oder korrekt: fast keiner.

„Wir haben hier im Büro ein Wahllotto veranstaltet“, erzählt Daniel Fellner, Landesgeschäftsführer der SPÖ Kärnten. Für fünf Euro Einsatz konnten Mitarbeiter und Freunde des Hauses ihre Tipps abgeben. Etwa 20 machten mit, die Liste hing in Fellners Büro an der Wand. Der Zettel ist mittlerweile ein Zeitdokument. Denn niemand aus dem Führungszirkel der Partei kam auch nur in die Nähe des richtigen Ergebnisses. Fellner selbst tippte 32 zu 26 – weit daneben. Gewonnen hat ausgerechnet ein Spielteilnehmer, der das politische Geschehen nur nebenbei verfolgte: der Wirt des kroatischen Restaurants „Isola“, bei dem die roten Funktionäre häufig zu Mittag essen. „Er hatte als Einziger die FPK bei 17 Prozent“, sagt Fellner: „Wir haben ihn ausgelacht und ihm geraten, er soll die fünf Euro doch lieber gleich zerreißen.“

Ganz schön lästig, so ein Sieg
Donnerstagnachmittag vergangener Woche sitzt Peter Kaiser in Fellners Büro in der Klagenfurter Lidmanskygasse. Kaiser war der Spitzenkandidat, Kaiser wird der nächste Landeshauptmann von Kärnten, Kaiser holte nach fast einem Vierteljahrhundert für die SPÖ die Macht im Land zurück. Doch Kaiser wirkt eigentlich nicht, als müsse er einen sensationellen Triumph verdauen. Aufrecht und steif sitzt er in einem Ledersessel. Seine Mimik ist asketisch – gerade so, als ginge es darum, nicht zu viele Gesichtsmuskeln gleichzeitig zu bemühen. Wenn er lächelt, sieht es mitunter leicht gequält aus. Dieselbe Körpersprache würde sich eignen, eine krachende Niederlage zu analysieren. Oder eine gerade überstandene Darmgrippe. „Ich hatte noch keine Zeit zum Feiern“, sagt er: „Gleich nach der Wahl haben wir mit den Parteiengesprächen begonnen.“ Montagvormittag ergab sich die Gelegenheit zu einer Laufrunde mit Sohn Luca. Leider kam es dabei zu Unterbrechungen: „Wir mussten immer wieder stehen bleiben, weil mir die Leute gratulieren wollten.“ Irgendwie ganz schön lästig, so ein Sieg.

Der Kandidat sei für einen Spitzenpolitiker zu farblos, hieß es lange. Journalisten, Politologen, Meinungsforscher und auch ein paar Kollegen aus der eigenen Partei waren äußerst skeptisch. Kaiser sei zwar freundlich, gebildet und unprätentiös, aber leider überhaupt kein Volkstribun. Das werde wohl nicht funktionieren mit so einem, pardon, Langweiler. Seit klar ist, dass es doch funktionierte, behauptet die Expertenriege genau das Gegenteil: Eben weil der Kandidat sich so wohltuend von den freiheitlichen Schenkelklopfern unterscheide, habe er die Wahl gewonnen. Es sei ja kein Wunder, dass die Kärntner nach den schlechten Erfahrungen mit politischen Schlawinern jetzt Sehnsucht nach einem unschrillen, staubwedeltrockenen Sachpolitiker hatten.

So einfach ist das in der Politik: Wer gewinnt, hat Recht.

Übrig blieb ein studierter Soziologe
Peter Kaiser durfte das Rätselraten um seine Eignung für das Amt jahrelang mitverfolgen. Man kann nur mutmaßen, wie sehr es ihn kränkte, wenn wieder einmal bemurmelt wurde, dass ein spröder Typ wie er den blauen Dauerfasching in Kärnten wohl nicht beenden werde. Zugeben mag er das nicht. „Ich kann mit Kritik umgehen“, sagt er: „Sie stört mich nicht.“ Und dann gibt er den Kritikern indirekt auch noch Recht. „Meine Nachteile sind im Moment Atouts. Vor zehn Jahren wäre das noch anders gewesen.“
Es war sogar vor drei Jahren noch anders. Im März 2010 wurde Peter Kaiser in einer Kampfabstimmung zum Chef der Kärntner SPÖ gewählt. Die Partei steckte damals tief in der Krise: Nur 29 Prozent der Bürger hatten bei der vorangegangenen Landtagswahl für Rot gestimmt; es war das schlechteste Ergebnis aller Zeiten. Intern tobten Streitereien und Grabenkämpfe. Kaisers Vorgänger Reinhart Rohr war von den eigenen Leuten aus dem Amt gemobbt worden. Nur pathologische Optimisten glaubten damals, dass der neue Parteiobmann in absehbarer Zeit Landeshauptmann werden könnte. Erwartet wurde eher ein Karriereknick. Kaiser werde wohl, wie sechs verdiente Genossen vor ihm, an der blauen Übermacht im Land zerschellen.

Helmut Manzenreiter, SP-Bürgermeister von Villach und ein in den vergangenen Jahrzehnten gut beschäftigter Königsmörder, hätte seinerzeit eine andere Lösung bevorzugt: „Es ist ja kein Geheimnis, dass ich für Gerhard Seifried gewesen wäre.“ Der Wolfsberger Bürgermeister galt lange als Personalreserve in der Kärntner Sozialdemokratie – als vielleicht einziger Genosse, der mit seinem losen Mundwerk den blauen Showgrößen Paroli bieten könnte. Doch Seifried war noch vor dem Parteitag abgesprungen; überdies hatte es viele verstört, dass er stets just vor Wahlen Jörg Haider eigentlich ganz toll fand. Übrig blieb ein studierter Soziologe, der in seinem ganzen Leben nicht mehr ­verbale Bosheiten kreiert hatte als Uwe Scheuch bei einer einzigen Landtags­-
rede.

Mittlerweile ist Manzenreiter geläutert. „Peter Kaiser war doch die richtige Wahl.“ Zumindest in dieser besonderen Situation, schränkt er ein. Die Freiheitlichen hätten mit ihrer üblen Kampagne selbst dazu beigetragen, dass der weitgehend aggressionslose SPÖ-Wahlkampf ein Erfolg wurde. „Ich war zum Beispiel nicht dafür, das Plakatverbot so strikt einzuhalten“, erklärt Manzenreiter: „Aber die FPK hat es mit ihrer Werbung so übertrieben, dass wir ganz ohne Plakate besser dastanden.“

Klinkenputzen als Wahlkampf
Eine Überraschung gelang Kaiser allerdings schon lange vor der Wahl. In der traditionell zerstrittenen Kärntner SPÖ kehrte plötzlich Ruhe ein. Es gab keine Querschüsse mehr, niemand beschwerte sich öffentlich, sogar die selbstbewussten roten Bürgermeister murrten nur noch im kleinen Kreis. „Wir werden alle älter und ruhiger“, scherzt Gerhard Mock, Gemeindeoberhaupt von St. Veit an der Glan. Außerdem habe die sachliche Art des Parteiobmanns die Emotionen abgekühlt. „Man kann mit ihm gut reden und diskutieren. Er ist kein Polterer, er ist nicht eitel und überhaupt nicht machthungrig.“

Als eine seiner ersten Maßnahmen holte Kaiser mit Beate Prettner wieder eine Frau in die Landesregierung. Unter seiner Führung wurden die SPÖ-Finanzen saniert – etwa durch den Verkauf der parteieigenen Medienholding. Die alte, vergammelte Parteizentrale wurde geschlossen, erst vor zwei Monaten übersiedelte die SPÖ in neue Büroräumlichkeiten am Domplatz. Damit gibt es jetzt auch optisch den Beweis dafür, dass die Partei ihre Vergangenheit hinter sich gelassen hat. Wie sehr sich die Dinge gewandelt haben, zeigte nicht zuletzt der Wahlkampf: Von 240.000 Kärntner Haushalten besuchten SP-Funktionäre mehr als die Hälfte. Es war eine Klinkenputz-Gewaltleistung, die ein Parteichef nicht einfach anordnen kann. Die Leute müssen es auch wollen.

In der Landesregierung wird es nun wahrscheinlich zu einer rot-schwarz-grünen Zusammenarbeit kommen. Die drei Parteien sind sich in wesentlichen Punkten einig, schon im Wahlkampf herrschte Eintracht. „Wir schauen jetzt, dass wir ein schönes Programm hinkriegen und auch ein bisschen Spaß haben“, meint der Grüne Rolf Holub. Am Landeshauptmann werde die Aufarbeitung der Vergangenheit sicher nicht scheitern. „Der Peter ist anständig. Ich bin froh, dass wir ihn haben.“ Die Frage sei höchstens, wie weit sich Kaiser von seiner Partei und ihren verkrusteten Strukturen emanzipieren werde. Nach den langen Jahren im Abseits könnte die Lust auf gepflegten Postenschacher bald wieder groß sein.
Peter Kaiser wird sich schwer tun, Nein zu sagen. Von 54 Lebensjahren verbrachte er 40 Jahre im Dunstkreis der Partei. Er war unter anderem Landesvorsitzender der Sozialistischen Jugend, Gemeinderat in Klagenfurt, Landtagsabgeordneter und Klubobmann. Seit fünf Jahren sitzt er in der Landesregierung. Nebenbei arbeitete er lange als Geschäftsführer des Jugendherbergsverbands – ein unspektakulärer Brotjob neben der Parteikarriere.

„Die Leute haben gesagt: ‚Die müssen weg.‘"
Lupenrein sozialdemokratisch ist Kaisers Biografie sogar in jenen Teilen, für die er nichts kann. Als er elf Jahre alt war, starb der Vater, ein Polizist, an Krebs. Die Mutter musste sich und die beiden Söhne als Putzfrau allein durchbringen. Wenn sie am späten Nachmittag zur Arbeit ging, war es Peter Kaisers Aufgabe, auf den jüngeren Bruder aufzupassen, ihm das Essen aufzuwärmen und ihn ins Bett zu schicken. Eine Zeit lang wohnte auch noch die kleine Nichte bei den Kaisers, um die sich der Junge ebenfalls kümmern musste. „Es hat mich geprägt, dass ich so früh Verantwortung übernehmen musste“, sagt Kaiser heute. „Man wird schneller selbstständig.“ Weil sich die Familie das Busticket nicht leisten konnte, musste der Bub täglich weit zu Fuß ins Gymnasium marschieren. Erst in der dritten Klasse war Schluss damit – die SPÖ hatte die Schülerfreifahrt eingeführt.

Kaiser hat diese Geschichte oft erzählt; es ist eigentlich der einzige private Lebensbereich, über den er gern redet. Sogar auf seiner Homepage sind die frühen Jahre verewigt: „Vor diesem Hintergrund verstehen Sie, liebe Leserin/lieber Leser, vielleicht, dass ich der Politik von Bruno Kreisky zutiefst dankbar bin!“, heißt es dort.

Solche Erfahrungen können einen Menschen bescheiden machen – oder besonders anspruchsvoll. Alfred Gusenbauer etwa zog aus einem ähnlichen Hintergrund den festen Vorsatz, im Leben nie mehr schlechten Wein zu trinken. Seine Bonvivant-Allüren taten der SPÖ seinerzeit gar nicht gut. Von Peter Kaiser ist nichts dergleichen überliefert. Als sein größtes Laster gilt der Sport: 23 Marathons und fünf Ironmen hat er nach eigenen Angaben bereits absolviert. Doch Kaiser will sich auf einen Vergleich dieser zwei Lebensentwürfe gar nicht einlassen: „Alfred Gusenbauer ist einer meiner besten Freunde. Wir sehen uns so oft wie möglich.“ Damit ist das Thema für ihn erledigt. So billig kann ein Lob nicht zu haben sein, dass Peter Kaiser bedenkenlos zugreift.

Für einen Politiker äußerst seltsam reagiert er auch, wenn er den eigenen Wahlerfolg erklären soll. Kaiser bekam fast 5000 Vorzugsstimmen – mehr als doppelt so viele wie der amtierende Landeshauptmann Gerhard Dörfler. Wenigstens das könnte er ja erwähnen. Aber Kaiser doziert lieber über die Wendestimmung im Land. „Die Leute haben gesagt: ‚Die müssen weg.‘ Das war sicher entscheidend.“ Mit Fortdauer des Wahlkampfs habe sich dann auch bei vielen die Überzeugung durchgesetzt, dass es aus taktischen Gründen am besten sei, die SPÖ zu wählen, erklärt Kaiser. Und er selbst hat gar keinen Anteil? „Mir ist klar, dass ich einen Vertrauensvorschuss bekommen habe. Das sind geliehene Stimmen. Deshalb breche ich jetzt auch nicht in Jubelgeschrei aus.“ Andreas Schäfermeier, der Pressesprecher, schaut eher unglücklich drein, während er sich das anhören muss. Es gibt einfachere Jobs als die Vermarktung seines Chefs.
Dabei kann es durchaus sein, dass Kaiser Recht hat. Vielleicht lag es nicht an ihm, dass die SPÖ mit großem Abstand wieder stärkste Partei wurde. Vielleicht war die Zeit einfach reif für etwas Neues. Aber eines ist seit dem 3. März zweifelsfrei bewiesen: Demokratie gehört nicht bloß den Schreihälsen.

Das ist ziemlich beruhigend.

Infobox
Rotes Land mit blauer Vergangenheit
Über vier Jahrzehnte lang, von 1945 bis 1989, war Kärnten fest in SPÖ-Hand. Unter Leopold Wagner kam die Partei auf bis zu 54 Prozent der Stimmen. Doch dann machte Jörg Haider der Herrlichkeit ein Ende. Obwohl die SPÖ 1989 mit Abstand stärkste Partei war, wurde Haider mit Unterstützung der ÖVP Landeshauptmann. Seither gab es keinen roten Landeschef mehr. Bei der Landtagswahl 2009, kurz nach Haiders Tod, erlebte die SPÖ ihren Tiefpunkt und bekam nur noch 29 Prozent der Stimmen.

Rosemarie Schwaiger