Kurve kriegen

Attnang-Puchheim: Die Schwachstelle der ÖBB-Westbahnstrecke

ÖBB. Die Schwachstelle der Westbahnstrecke: Attnang-Puchheim

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Beinahe trotzig behauptet sich Zelis Pizza- und Kebap-Bude gegen den Trubel rundherum. Die Bauzäune sind bedrohlich nahe an den auf einer kleinen dreieckigen Grüninsel befindlichen Imbiss herangerückt. Dahinter, wo sich bis vor wenigen Jahren noch der Bahnhofsvorplatz befand, gähnt eine riesige Baugrube. Dass in Attnang-Puchheim gerade groß umgebaut wird, ist nicht zu übersehen. Container, Kräne, Schwerfahrzeuge, wohin man schaut. Der Standler trägt es mit Fassung. Die Bauarbeiter sorgen schließlich für guten und kontinuierlichen Umsatz.

Ende 2014 werden sie wieder abgezogen sein. Dann soll ein neuer Bahnhof in moderner Glas-Stahl-Optik ergleißen und dieses Vorzeigeprojekt der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) abgeschlossen sein.
Man muss den Bewohnern der Kleinstadt an den südlichen Ausläufern des Hausrucks die 54-Millionen-Euro-Investion nicht missgönnen. Das wissen alle, die je von der alten Kassenhalle durch den spärlich beleuchteten und feuchten Schlurf (auch Fußgängertunnel genannt) mussten, um auf die Bahnsteige zu gelangen. Zudem waren die Attnanger lange genug Spott und Hohn ausgesetzt. Der Name des 9000-Einwohner-Kaffs rief im Rest des Landes vor allem eine Assoziation hervor: „hässlichster Bahnhof Österreichs“.

Des einen Superlativs noch kaum entledigt, steht jedoch schon der nächste am Bahnübergang. Und dieser ist nicht viel schmeichelhafter. Nun geht Attnang-Puchheim nämlich als langsamster Abschnitt der gesamten Hochleistungs-Westbahnstrecke zwischen Wien und Salzburg in die Geschichte ein – und wird dieses Prädikat wohl auf Jahrzehnte behalten.
Schuld daran ist eine enge Bogenfolge an der Westausfahrt des Bahnhofs, die eine Höchstgeschwindigkeit von lediglich 70 Stundenkilometern erlaubt. Eine Schmach für die ÖBB, die mit Geschwindigkeiten von bis zu 230 km/h und immer kürzeren Fahrzeiten werben; aber auch für Attnang-Puchheim, das sich hauptsächlich über seinen Status als Eisenbahnerstadt definiert. Schon vor der Jahrhundertwende gewann die Gemeinde als Standort an der „k. k. privilegierten Kaiserin-Elisabeth-Bahn“, die ab 1860 von Wien nach Salzburg führte, an Bedeutung. Zu einem wichtigen Knoten wurde sie 1877, als eine Linie der „Kronprinz-Rudolf-Bahn“, die heutige Salzkammergutbahn, eröffnet wurde. Dort, wo der Kaiser zur Sommerfrische nach Ischl abbog, befinden sich noch heute die engen Kurvenradien, die alle durchfahrenden Züge, vor allem aber den schnellen Railjet, auf Schneckentempo drosseln lassen.

Magische 60 Minuten
Das müsste nicht sein, meinen Fachleute aus dem Umfeld der ÖBB, und bedauern, dass im Zuge der Modernisierung des Bahnhofs auf die Verbesserung der Linienführung verzichtet wurde. „Genau hier könnte man mit vergleichsweise geringem finanziellen und baulichen Aufwand die Railjet-Fahrzeit von Linz nach Salzburg knapp unter die magischen 60 Minuten reduzieren“, sagt ein Bahnbauexperte, der aus Sorge vor beruflichen Nachteilen anonym bleiben möchte. Um das nachzurechnen, muss man nicht Raketenwissenschaft studiert haben. Ein Railjet in Doppelgarnitur, der mit 130 km/h einfährt, auf 70 abbremsen und dieses Tempo eine Strecke von eineinhalb Kilometern (inklusive seiner eigenen Länge von über 400 Metern) halten muss, verliert knapp eineinhalb Minuten Fahrzeit. Noch nicht eingerechnet der Zeitverlust durch Bremsweg und Wiederbeschleunigung. Könnten die Züge durchfahren, würden auch das verschleißintensive Abbremsen und das energieverzehrende Wiederbeschleunigen wegfallen.

Bei den Bundesbahnen ist man anderer Ansicht: „Wir sehen uns dem Steuerzahler verpflichtet. Die von Ihnen beschriebene Neutrassierung ergäbe nur sehr geringe Verbesserungen. Vor allem, wenn man diesem Nutzen auch die Kosten gegenüberstellt“, sagt ÖBB-Sprecher Michael Braun.

Dabei wurden bei der Ertüchtigung anderer Streckenabschnitte kaum Kosten und Mühen gescheut. Als der vier Kilometer lange Abschnitt zwischen Lambach und Breitenschützing begradigt wurde, mussten Grundstücke abgelöst, die Gleise bis zu 40 Meter verschwenkt und sieben Brücken sowie eine Haltestelle neu gebaut werden. Kostenpunkt: 57 Millionen Euro. Fahrzeitgewinn: Eine Minute. Gar 1,65 Milliarden wird die geplante 20 Kilometer (davon 16 Kilometer im Tunnel) lange Trasse von Köstendorf nach Salzburg kosten. Reisende aus Wien werden dann fünf Minuten früher am Ziel sein. Im Abschnitt Attnang hingegen wären weder kostspielige Tunnels noch Brücken nötig.

Der ÖBB-Kritiker will außerdem festgestellt haben, dass die neuen Bahnsteige am Attnanger Bahnhof im Falle einer nachträglichen Trassenoptimierung wieder rückgebaut werden müssten. Dazu Braun: „Wir werden an den Bahnsteigenden nur kleinere Anpassungen umsetzen müssen“.

Das wird aber ohnehin noch dauern. Im aktuellen Investitionsplan bis 2018 ist der „k. u. k.-Knick“ kein Thema. So wird der drittwichtigste Bahnknoten Oberösterreichs, den täglich 8.000 Fahrgäste frequentieren, wohl vom Ruhm vergangener Zeiten zehren müssen. Immerhin hat er im kollektiven Gedächtnis einen festen Platz: In Heimito von Doderers Roman „Die Strudlhofstiege“ kauft sich Leutnant Melzer in Attnang-Puchheim eine Zeitung, in der „nichts drin steht“. Gerhard Bronner sucht in seinem „Bundesbahn-Blues“ hier nach seinem „Baby“ und in Alfred Dorfers und Josef Haders Tragikkomödie „Indien“ fällt der denkwürdige Satz: „Der Tod – das ist wie Umsteigen in Attnang-Puchheim“. Mangels eines pittoresken Zentrums oder Sehenswürdigkeiten von überregionaler Strahlkraft bleibt nicht sehr viel, worauf die Stadt stolz sein kann. Das Alleinstellungsmerkmal, Heimatort von Noch-Finanzministerin Maria Fekter zu sein, hat wohl nur bedingten Werbewert.


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Christina   Hiptmayr

Christina Hiptmayr

ist Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von tauwetter, dem profil-Podcast zur Klimakrise.