Wirtschaft

Wiener-Städtische-Chef Müller: "Aufpassen, dass die Entwicklung nicht entgleist"

Ralph Müller, Generaldirektor der Wiener Städtischen, über die Frühwarnfunktion der Versicherer, Milliardenschäden aufgrund der Klimakrise, teurere Prämien und nicht versicherbare Häuser.

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Der Weltklimarat berichtete kürzlich, dass sich die Erderhitzung stark beschleunigt, und warnte vor einer Zunahme von Extremwetterereignissen. Was heißt das für die Versicherungsbranche?
Müller
Wir beobachten die Veränderungen aufgrund der Klimakrise natürlich sehr intensiv. Seit einigen Jahren merken wir ganz deutlich ein Ansteigen der Schäden aus Naturkatastrophen. Das ist zwar kein linearer Trend, aber es gibt nur eine Richtung: nach oben. Unwetter werden häufiger, teilweise werden sie kleinräumiger, dafür allerdings intensiver. Insofern können wir das, was der Weltklimarat hier prognostiziert, auch von der praktischen Seite absolut bestätigen. Als Branche sind wir mittendrin in der Thematik.
Wie drückt sich das konkret aus?
Müller
Um nur zwei Zahlen zu nennen: Seit 2010 haben wir über eine Milliarde Euro allein für Schäden aus Naturkatastrophen in Österreich ausbezahlt. 2021 war ein besonders schadensträchtiges Jahr mit einem Jahreswert von über 200 Millionen Euro allein bei der Wiener Städtischen. Das sind schon bedeutende Summen. In normalen Jahren sind es zwischen 70 und 80 Millionen Euro.
 2021 ging es vor allem um Hagelschäden ...
Müller
Ja, Hagel war ein ganz großer Treiber, aber auch Starkwind und Starkregen. Zu Beginn dieses Jahres hatte es auch mit dem Schneedruck zu tun, aber das Thema nimmt tendenziell ab. Hagel spielt sich sehr stark in der KFZ-Versicherung im Kaskobereich ab. Aber auch Beschädigungen an Hausdächern, Fassaden, Poolabdeckungen. Da kommt sehr viel zusammen. Wobei diese Werte auch deutlich mehr werden. Gerade in den letzten Jahren haben viele Menschen in Österreich Swimmingpools gebaut und zusätzliche Gebäude im Garten errichtet.
Ist die Absicherung von Extremwetterereignissen, wenn das so weitergeht, für die Versicherungen künftig überhaupt noch zu stemmen?
Müller
Die Sorge, dass die Versicherungswirtschaft das nicht mehr absichern kann, ist unbegründet. Allerdings wird das natürlich zu steigenden Prämien für die Kunden führen.
Werden die sich das in Zukunft noch leisten können? Etwa wenn es sich um finanzschwächere Haushalte handelt?
Müller
In der jetzigen Inflationssituation ist die ökonomische Seite für einen Teil der Haushalte bereits sehr angespannt. Aber diese kleine Komponente, die zum Schutz gegen Naturkatastrophen dazukommt, ist nicht das entscheidende Element. Wir reden hier von einigen Euro pro Monat. Das ist keine hohe zusätzliche Kostenbelastung.
Besteht die Gefahr, dass manche Objekte künftig gar nicht mehr versichert werden, weil den Versicherungen das Risiko für Schäden aus Naturkatastrophen zu hoch wird?
Müller
Die Thematik haben wir eigentlich nur in den sogenannten Hochrisikozonen. Wenn Sie beispielsweise in einer Region sind, wo ein erhöhtes Hochwasserrisiko besteht, ist die Versicherbarkeit in Zukunft sicherlich nicht mehr gegeben. Ansonsten ist es weiterhin flächendeckend möglich, Versicherungsschutz zu geben. Aber ich rate jedem dringend, noch mal die eigenen Polizzen zu überprüfen. Speziell ältere Verträge im Bereich der Eigenheim-und Haushaltsversicherungen haben ein Limit bei den Versicherungssummen, das im Fall von Naturkatastrophen die Größenordnung von 10.000 Euro oft nicht übersteigt. Das reicht bei einem massiven Hochwasserschaden natürlich nicht aus. Gegen geringe Preisaufschläge kann man Deckungen dazunehmen, um wirklich gut geschützt zu sein.
Gibt es eigentlich Objekte, die Sie schon jetzt aufgrund der Klimakrise nicht mehr versichern?
Müller
Das ist gängige Praxis. Gerade im Bereich dieser Hochrisikozonen kann man zwar eine normale Gebäudeversicherung abschließen, aber diese eben erwähnten Höherversicherungen sind dort nicht mehr möglich.
Hat die Klimakrise auch Auswirkungen auf die private Krankenversicherung? Etwa weil die Menschen durch mehr Hitzetage gesundheitliche Probleme bekommen und deshalb öfter medizinische Hilfe in Anspruch nehmen?
Müller
Ja, aber das ist nicht der große Kostentreiber in der Gesundheitsversicherung.
Versicherungen stellen ja üblicherweise recht komplexe Modellrechnungen an. Können Sie zukünftige Schäden aufgrund der Klimarisiken prognostizieren?
Müller
Wir sind regulatorisch angehalten, diese Dinge zu kalkulieren. Deswegen sind wir auch sehr zuversichtlich, dass das Risiko für die Branche absolut beherrschbar bleibt. Aber als Versicherer haben wir auch eine Art Frühwarnfunktion. Man muss wirklich aufpassen, dass die Entwicklung nicht entgleist. Es gibt Wahrscheinlichkeiten von 20 bis 30 Prozent, dass die Erderwärmung noch viel stärker zunimmt als momentan prognostiziert-selbst wenn weltweit alle Maßnahmen gesetzt würden. Gibt es ein Restrisiko in solcher Höhe, besteht wirklich Handlungsdruck. Wenn Sie mit dem Auto in eine Kurve fahren und wissen, dass es danach mit einer 20-prozentigen Wahrscheinlichkeit zu einer Kollision mit einem Gegenfahrzeug kommt, dann werden Sie mit aller Macht bremsen und das Tempo reduzieren. Genau das muss man jetzt tun. Es ist wirklich dringend, mit aller Kraft gegenzusteuern, damit wir diese Klimakrise meistern.
Haben sich in Ihren Modellrechnungen geografische Schwerpunkte herauskristallisiert, welche Regionen in Österreich künftig von Naturkatastrophen besonders betroffen sein werden?
 
Müller
Solche Prognosen sind extrem schwierig. Wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass der Norden stark von Trockenheit betroffen ist. Dafür hat es im Süden sehr stark geregnet. Dann war es wieder umgekehrt. Tendenziell ist die Belastung durch Hitze und Gewitter im Osten Österreichs relativ hoch. Aber ein ganz klares Muster ableiten, das können wir nicht. Generell kann man sagen, Österreich ist als kontinentales Land vom Klimawandel viel stärker betroffen als beispielsweise Länder, die sich am Meer befinden. Wenn wir von einer weltweiten Erhöhung von momentan 1,1 Grad sprechen, dann ist sie in Österreich ungefähr doppelt so hoch.
Wie schaut es denn auf der Veranlagungsseite bei der Wiener Städtischen aus? Investieren Sie noch in fossile Industrien?
Müller
Das machen wir schon sehr lange nicht mehr. Es gibt auf EU-Ebene eine große Initiative zum sogenannten nachhaltigen Finanzwesen, und wir lenken unsere Veranlagung intensiv in Richtung grüner Investments. Die Wiener Städtische allein verantwortet Kapitalanlagen in der Größenordnung von rund 23 Milliarden Euro. Wir meiden schon seit vielen Jahren Veranlagungen in fossile Brennstoffe wie Kohle. Bei den Anleihen versuchen wir Green Bonds, also grüne Anleihen, zu bevorzugen. Auch im Bereich der Immobilien, die bei uns ja eine ganz besonders wichtige Rolle spielen, schauen wir bei dem Erwerb von Häusern, ob die Energieeffizienz stimmt, Solarpaneele dabei sind und so weiter.
Das heißt also, ein Investment in die OMV beispielsweise kommt für die Wiener Städtische nicht infrage?
Müller
Ich möchte jetzt keinen Emittenten namentlich nennen, bevorzugen oder ausschließen. Aber ich würde mal davon ausgehen, dass sich sämtliche großen Unternehmen der Thematik bewusst sind und sich auf den Weg machen, die grüne Transformation auch selbst umzusetzen. Damit sind sie im Sinne der EU-Taxonomie-Verordnung-und damit natürlich auch für uns-weiterhin investierbare Unternehmungen.
Das heißt aber, die EU-Regulatorien sind nicht sehr schlagkräftig. Nach meinem Ermessen sollte im Sinne der Nachhaltigkeit ja gerade nicht mehr in Erdölkonzerne investiert werden.
Müller
Die Regulatorik ist meines Erachtens schon wirksam. Wir können ja nicht aufhören, alle unsere wichtigen Kunden als potenzielle Veranlagungsziele zu sehen, sondern wir müssen die grüne Transformation in Europa dringend finanzieren, damit wir einerseits den Klimaschutz bestmöglich unterstützen, andererseits den Wohlstand in Österreich weiterhin sicherstellen. Mit den gesetzlichen Regelungen sind wir allerdings auch nicht glücklich. Weil sie zum Teil extrem kompliziert sind. Hätte man vor einigen Jahren eine europaweite Ratingagentur installiert, die alle Emittenten nach ihrem Beitrag zur grünen Transformation einstuft, dann hätten wir ein Regelwerk gehabt, an das sich alle hätten halten können. Jetzt sind wir im Sinne der Taxonomie aufgefordert, uns selbst sehr aufwendig ein Bild von den Emittenten zu machen, in die wir zu investieren gedenken.
Die Versicherungswirtschaft fordert eine Pflichtversicherung für Naturkatastrophen. Das hört sich nach einem sehr guten Geschäft für die Branche an.
Müller
Wir haben dieses Thema schon seit vielen Jahren auf unserer Agenda. Man neigt dazu, zu glauben, dass das primär aus Geschäftsinteresse getrieben ist. Aber das ist nicht der Fall, weil wir gerade im Bereich der Zusatzleistungen ohnehin entsprechend Umsatz machen. Die politische Lösung wäre vorteilhaft, weil man gemeinsam im Sinne eines Zusammenspiels zwischen der öffentlichen Hand und der Versicherungswirtschaft für jeden von einer Naturkatastrophe Betroffenen einen klaren Rechtsanspruch herstellen könnte.
Besteht da nicht die Gefahr, dass sich der Staat zurücklehnt und auf Vorsorgemaßnahmen verzichtet, weil das dann Sache der Versicherungen ist?
Müller
Nein, das ist eigentlich nicht zu erwarten, weil ein solches Modell nicht alles finanzieren kann. Bei gravierenden Schäden braucht es im Hintergrund immer noch öffentliche Mittel. Das grundsätzliche Interesse, weiterhin aufzupassen, dass beispielsweise nicht am falschen Ort gebaut wird, wäre weiterhin gegeben.
Ihre Branchenkollegen von der Hagelversicherung kritisieren regelmäßig, dass die Regierung zu wenig in Sachen Klimaschutz tue. Wie sehen Sie das?
Müller
Gute erste Schritte sind gesetzt, aber die bisherigen Maßnahmen werden nicht ausreichen. Man muss aufseiten der Klimapolitik alle Register ziehen. Aber natürlich wird es auch Technologie brauchen, um hier weitere Fortschritte zu machen. Österreich allein kann das Weltklima nicht retten, aber wir müssen mit Vorbildwirkung vorangehen und alles tun, was in unseren Möglichkeiten steht. Allerdings ist die politische Aufgabe in Tagen wie diesen auch keine leichte. Da muss man ein bisschen Verständnis zeigen. Grundsätzlich sind wir in Europa auf dem richtigen Weg. Vor allem in den letzten 24 Monaten ist die Dringlichkeit noch einmal deutlicher herausgearbeitet worden.
Finden Sie? Ich habe den gegenteiligen Eindruck, dass eher beschwichtigt wird. Wir haben es auch in der Rede von Bundeskanzler Karl Nehammer gehört, der von einem Untergangs-Irrsinn sprach.
Müller
Ich glaube, dass all diejenigen recht haben, die sagen, es drängt die Zeit, es muss mehr gemacht werden. Und ich glaube, dass all diejenigen ebenso recht haben, die sagen, mit Panikmache ist uns nicht geholfen. Man muss versuchen, alle Puzzleteile zusammenzufügen, und gemeinsam in einer sehr konsequenten Vorgangsweise das Richtige tun. Ich bin hoffnungsfroh, dass die Menschheit diesen Schritt auch schaffen wird.

Dies ist die gekürzte Printfassung des Gesprächs aus der 56. Folge von Tauwetter, dem profil-Podcast zur Klimakrise.

Christina   Hiptmayr

Christina Hiptmayr

ist Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von "Vorsicht, heiß!", dem profil-Klimapodcast (@profil_Klima).

Franziska   Dzugan

Franziska Dzugan

schreibt für das Wissenschaftsressort und ist Moderatorin von tauwetter, dem profil-Podcast zur Klimakrise.