Atomunfall in russischer Militärbasis: "Technetium, Uran oder Plutonium"

Der deutsche Strahlenschutzexperte Dorian Zok identifizierte kürzlich die russische Nuklearanlage Majak als Quelle einer atomaren Wolke, die 2017 quer durch Europa zog. Für profil beurteilt er den jüngsten Atomunfall in der russischen Militärbasis Nyonoska, bei dem am 8. August bis zu sieben Menschen starben.

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profil: Nach tagelangem Zögern gaben die russischen Behörden zu, dass ein misslungener Raketentest vor der Küste radioaktive Strahlung freisetzte. War diese auch in Europa messbar? Zok: Nein. Mehrere Messstationen registrierten die Explosion mit seismischen Geräten; die radioaktive Wolke bewegte sich aufgrund des Windes aber nach Osten. In der 30 Kilometer entfernten Stadt Sewerodwinsk wurde die von Natur aus vorkommende Strahlung um das 16-Fache überschritten, wie die russischen Behörden angaben. Überprüfen können wir das nicht.

profil: Um welches radioaktive Material handelte es sich? Zok: Auch das wissen wir nicht. In Fachkreisen wird spekuliert, es könnte das Isotop Technetium-99 gewesen sein. Es wird bisher hauptsächlich in der Medizin bei radiologischen Untersuchungen eingesetzt. Für Raketen wäre es ein völlig neuer Antrieb. Es könnte sich aber auch um Atombatterien aus Uran oder Plutonium handeln, die bisher für Satelliten verwendet wurden. Auch sie wären als Raketenantrieb eine Neuheit.

Da sich die Wolke relativ schnell bewegte und die kolportierte Erhöhung der Umgebungsstrahlung moderat war, war die Gefahr wohl nicht dramatisch.

profil: Die Menschen in Sewerodwinsk hamsterten Jod-Tabletten. War das die richtige Reaktion? Zok: Jod-Tabletten helfen nur dann, wenn es sich um radioaktives Jod oder Technetium handelte, das die Stadt für zwei Stunden durchzog. Die Einnahme der Tabletten übersättigt die Schilddrüse, wodurch sich das radioaktive Jod dort nicht mehr anreichern kann. Es war für die Einwohner die einzig mögliche Vorsichtsmaßnahme und insofern gerechtfertigt.

profil: Wie groß war die Gesundheitsgefahr für die Bevölkerung in den betroffenen Gebieten? Zok: Da sich die Wolke relativ schnell bewegte und die kolportierte Erhöhung der Umgebungsstrahlung moderat war, war die Gefahr wohl nicht dramatisch.

Russlands Präsident Putin hatte im Februar neue Waffen angekündigt, darunter atombetriebene Raketen des Typs Burewestnik mit großer Reichweite.

profil: US-Präsident Donald Trump geht davon aus, dass eine Rakete des Typs Skyfall explodierte. Wäre das aus technischer Sicht denkbar? Zok: Durchaus. Russlands Präsident Putin hatte im Februar neue Waffen angekündigt, darunter atombetriebene Raketen des Typs Burewestnik mit großer Reichweite. Die NATO nennt sie Skyfall.

profil: 2017 zog eine Wolke aus Ruthenium-106 durch Europa, deren Ursprungsort in Russland Sie mit einem internationalen Team aufdecken konnten. Planen Sie nun eine ähnliche Untersuchung? Zok: Derzeit bleibt uns leider nur die Rolle der Beobachter, weil wir keinerlei Proben zur Verfügung haben. Es ist momentan nicht zu erwarten, dass Messstationen außerhalb Russlands noch Material empfangen - dafür ist der Vorfall zu lange her. Aber wir bleiben dran.

profil: Wie reagierte Russland auf Ihre Enthüllung? Zok: Mitglieder unseres Netzwerks fragten bereits während unserer Untersuchungen mehrfach bei den russischen Behörden nach, leider ohne Erfolg. Nach der Veröffentlichung unserer Studie im vergangenen Juli im Fachmagazin "PNAS" zweifelte Russland diese an. Die Hinweise sind aber eindeutig: Wir analysierten 1300 Messwerte aus ganz Europa und anderen Weltregionen. Dass neben Ruthenium keine anderen radioaktiven Stoffe gemessen wurden, deutete darauf hin, dass der Unfall bei der Wiederaufbereitung von abgebrannten Brennstäben passiert sein musste. Das Verbreitungsmuster der Wolke führte in den südlichen Ural, wo die Anlage Majak steht.

Franziska   Dzugan

Franziska Dzugan

schreibt für das Wissenschaftsressort und ist Moderatorin von tauwetter, dem profil-Podcast zur Klimakrise.