Bienensterben: Was bringt das Verbot der Neonicotinoide?

In der allgemeinen Begeisterung über das Verbot der Neonicotinoide ging eine zentrale Frage unter: Werden die Bienenkiller nun durch etwas Besseres ersetzt? Höchstwahrscheinlich nicht.

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"Stinksauer" ist der Emoticon, den der niederösterreichische Rübenbauer Karl Anton Schrattenholzer auf seine Facebook-Protestnote an Elisabeth Köstinger gesetzt hat. Kurz davor hatte die Landwirtschaftsministerin für das EU-Verbot von drei als Bienenkiller bewerteten Neonicotinoiden gestimmt. Unsinnig, kontraproduktiv und sogar "hirnlos" sei der Beschluss, empört sich der Landwirt. Zückerrübenbau werde dadurch praktisch unmöglich.

Jammern mag den Bauern im Blut liegen, interessanterweise entstand aber nicht einmal eine Debatte darüber, ob die Kritik womöglich berechtigt sein könnte. Dem Verbot der Substanzen folgte allgemeiner Jubel, doch eine fundierte Einschätzung, was dies für die Agrarwirtschaft bedeutet, welche Alternativen verfügbar sind und ob die Bekämpfung von Ungeziefer künftig weniger problematisch sein wird, unterblieb weitgehend. Daher scheint es durchaus angebracht, noch ein paar Fragen zu dem Reizthema zu erörtern. Die Antworten fallen leider unbefriedigend aus: Ist das Verbot von Neonicotinoiden ab Anfang 2019 gerechtfertigt? Mehrheitlich schon. Kommt etwas Besseres nach? Höchstwahrscheinlich nicht.

Aus wissenschaftlicher Sicht besteht kein Zweifel an der Toxizität dieser Substanzklasse. Neonicotinoide sind Nervengifte, die Insekten wie Drogen anlocken und das Nervensystem attackieren. Orientierung und Gedächtnis werden gestört, Schädlinge verenden ebenso wie nützliche Insekten, darunter auch Bienen. Dabei genügt es mitunter, wenn der Boden, auf dem Pflanzen wachsen, mit den Stoffen kontaminiert ist. Manche Pflanzen können die Schadstoffe aufnehmen und in ihren Stängeln und Blättern verteilen.

Bienensterben in Europa und USA

So setzte sich die Erkenntnis durch, dass Neonicotinoide auch mitschuld sind am wellenartig auftretenden Bienensterben, von dem vor allem Europa und die USA betroffen sind. In Europa schrumpfte die Zahl der Bienenstöcke im vergangenen halben Jahrhundert um ein Viertel. Inzwischen ist die Zahl der Völker jedoch wieder stabil. Die Europäische Kommission beauftragte 2012 die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) mit einer Risikobewertung der drei wichtigsten Neonicotinoide (Clothianidin, Imidacloprid und Thiamethoxam), besonders hinsichtlich ihrer Auswirkung auf Bienen. Auch die Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) lieferte Daten, sagt AGES-Sprecher Roland Achatz. Die AGES untersuchte in Kooperation mit der Universität Graz Vergiftungsverdachtsfälle bei Bienenvölkern. All das Material belegte, dass diese Substanzen auch bei Honigbienen nachweisbar waren.

Die EU-Kommission beschloss daher 2013 ein Teilverbot für diese drei Neonicotinoide. Damit behandeltes Getreidesaatgut darf seitdem nur noch in bestimmten Monaten ausgebracht werden. Bei Mais, Raps und Sonnenblumen ist die Anwendung überhaupt verboten, weil Bienen sie gerne aufsuchen. Die Behandlung von Zuckerrüben war aber ausdrücklich von diesen Einschränkungen ausgenommen. Denn die Rüben sind für Bienen uninteressant, weil sie bereits vor der Blüte geerntet werden.

Das Teilverbot zeitigte Wirkung: 2009 waren noch neun von zehn Proben positiv, die von Imkern bei Vergiftungsverdacht eingeschickt wurden. Das heißt, bei fast allen toten Bienen waren Neonicotinoide nachweisbar. Mittlerweile ist es beinahe umgekehrt: Mehr als vier Fünftel der Proben sind inzwischen frei von Neonicotinoiden.

Was bringt also die verschärfte Regelung, abgesehen von freundlichen Schlagzeilen? Ob sich dadurch in der Praxis viel ändern wird, darf bezweifelt werden. Denn zum einen waren schon die restriktiveren Bestimmungen der vergangenen Jahre recht erfolgreich, und zum anderen müssen all jene Bauern, die nun komplett auf Neonicotinoide verzichten, auf Alternativen ausweichen. Welche kommen infrage? So absurd es klingt: Neonicotinoide.

Nur drei Substanzen verboten

Denn es wurden keineswegs Neonicotinoide in ihrer Gesamtheit verboten, sondern bloß drei Substanzen aus dieser Klasse. Andere dürfen weiterhin eingesetzt werden, zum Beispiel Thiacloprid und Acetamiprid, die als nächste Generation der "Neonics" gelten. Sind diese Stoffe besser verträglich? Kaum, sie sind lediglich schlechter untersucht, weil sich die bisherigen Studien schwerpunktmäßig auf die drei nun aus dem Verkehr gezogenen Toxine konzentrierten. Von Thiacloprid weiß man, dass es über dieselben neuronalen Pfade wirkt wie seine Schwesterprodukte - und ebenfalls schädlich für Bienen ist.

Weiters gehen die meisten Experten davon aus, dass Landwirte zudem alte Insektizide aus der Mottenkiste kramen. Vielfach handelt es sich um wenig zielgerichtet wirkende Giftcocktails, die jedoch erlaubt sind, weil man solche Substanzen früher nur sehr halbherzig studierte. Es kann also durchaus sein, dass der Teufel mit dem Beelzebuben ausgetrieben wird.

Was aber wären wünschenswerte Lösungen? Das deutsche Wissenschaftsnetzwerk Science Media Center befragte dazu ein knappes Dutzend Fachleute. Deren Einschätzung, kompakt zusammengefasst: Alle Forscher begrüßten das Verbot. Keiner hatte einen konkreten Vorschlag, wie die Landwirte unmittelbar darauf reagieren könnten. Alle vermuteten vermehrten Einsatz alter Mittel und der verbliebenen Neonics, und zwar aus "einer gewissen Verzweiflung", wie ein Ökologe anmerkte. Die meisten Wissenschafter vertraten die Ansicht, dass langfristig eine gravierende Veränderung des Ackerbaus notwendig sei -mit nachhaltigen Ansätzen der Bewirtschaftung wie mechanischen Methoden der Insektenabwehr, Abwechslung der Fruchtfolgen und Sorten. Freilich, so ein Biodiversitätsforscher der Universität Göttingen: "Das alles wirkt deutlich schlechter als hoch wirksame Insektizide." Dennoch führe kein Weg daran vorbei, zumindest auf lange Sicht.

Allerdings: Selbst wenn man schon morgen die perfekte Alternative zur Hand hätte - das Problem des Bienen- und ebenfalls erwiesenen massiven Insektensterbens wäre damit nicht gelöst. Neonicotinoide haben dazu beigetragen, alleiniger Auslöser sind sie bei Weitem nicht. Insekten kämpfen wie viele Pflanzen und Tiere mit zumeist menschgemachten Umweltfaktoren wie Veränderungen durch den Klimawandel, einseitiger Ernährung und schlechterer Pollenqualität durch intensive Landwirtschaft, Monokulturen und dem Verlust von bewachsenen Flächen durch maßlose Bodenversiegelung. Sie werden von Milben und Viren befallen, überdies setzen ihnen Pestizide zu, wenn diese nach dem Gießkannenprinzip angewendet werden.

Die Rübenbauern, in Österreich mit 6000 Betrieben durchaus ein bedeutender Faktor, bedrohen die Bienen kaum. Denn Neonicotinoide werden bei Zuckerrüben nicht großflächig gespritzt, sondern gezielt dort eingesetzt, wo man Pflanzenschutz braucht. Die etwa vier Millimeter kleinen Rübensamen werden in gebundenes Holzmehl gehüllt, das mit Pilz- und Insektenmitteln gebeizt ist, erklärt Leopold Figl von der Österreichischen Rübensamenzucht. Wie bei einer Pille kommt darüber eine färbige Glasur, die verhindern soll, dass etwas von diesen Stoffen austritt. Diese "pillierten" Samen werden circa drei Zentimeter tief in den Boden gelegt. Wie sollten Bienen damit in Kontakt kommen? Die späteren Pflanzen stellen auch keine Risikoquelle dar, da sie vor der Blüte geerntet werden.

"Verbot im Falle der Zuckerrübe nicht nachvollziehbar"

Auch die Gefahr, dass vielleicht doch Rückstände der Mittel im Boden bleiben und von Folgekulturen aufgenommen werden, welche wiederum Bienen anlocken, könne man umgehen - indem man nach Zuckerrüben regelmäßig Getreide anbaut. Denn dessen Blüte sei für Bienen schlichtweg nicht interessant, erklärt Birgit Hauer-Bindreiter, die an der Universität für Bodenkultur Wien für ihre Diplomarbeit die Schädlingsproblematik bei Zuckerrüben untersucht hat. "Deshalb ist dieses Verbot im Falle der Zuckerrübe nicht nachvollziehbar", sagt Hauer-Bindreiter.

Dennoch scheiterten die Bauern mit ihrem Versuch, die bisher geltende Ausnahmeregelung zu verlängern - und besitzen nun offenbar kaum eine effiziente Methode, um Schädlinge zu bekämpfen. Die neue Generation der Neonics kommt nicht infrage, weil sie die Keimung der Pflanzen stört. Was wäre mit dem Vorschlag, ohne Insektenschutzmittel anzubauen?"Wir haben heuer schon Saatgut ohne Neonicotinoide auf den Feldern getestet. Doch kaum sind die ersten Pflänzchen herausgekommen, wurden sie von Rübenerdflöhen abgestochen", sagt Figl. "Ungeschützte Bio-Zuckerrüben werden von den Rüsselkäfern zuerst vernichtet", meint auch Rübenbauer Schrattenholzer. Es sind derzeit keine wirksamen biologischen Mittel und Methoden zur Schädlingskontrolle in Sicht, konstatiert Elisabeth Koschier von der Abteilung für Pflanzenschutz der Universität für Bodenkultur Wien. "Maßnahmen wie die Verwendung von natürlichen Gegenspielern zur biologischen Schädlingskontrolle wurden bislang wenig untersucht und stehen in der Praxis nicht zur Verfügung", so Koschier.

Nun könnten Bauern nur noch Insektenvernichtungsmittel über die Felder spritzen, ein Mal großflächig plus drei Mal gegen den Rübenaaskäfer, die Grüne Erbsenblattlaus und die Schwarze Bohnenblattlaus. Selbst bei größtmöglicher Sorgfalt und bei optimaler Wetterlage würden Teile der Insektizide aufsteigen. Nicht nur, dass es für Bienen sofort tödlich wäre, wenn sie über ein frisch behandeltes Feld fliegen, verbreiten sich die Giftstoffe auch in der Luft. Es werden also in Zukunft vermutlich viel mehr schädliche Insektizide in die Umwelt und in Kontakt mit Nützlingen wie den Bienen gelangen.

Noch eine Alternative gäbe es, die allerdings nicht attraktiv erscheint: Man könnte auf lokalen Anbau und ebensolche Verarbeitung verzichten und Zucker importieren - indem man den süßen Stoff quer über den Erdball transportiert, etwa aus Asien oder Brasilien, wo Neonicotinoide teils unbeschränkt verwendet werden und nebenher andere Insektizide und Herbizide wie Glyphosat zum Einsatz kommen.

Alwin   Schönberger

Alwin Schönberger

Ressortleitung Wissenschaft