Wissenschaft

Biochemikerin Elly Tanaka: „Wir werden eine Revolution in der Medizin sehen“

Elly Tanaka ist neue Direktorin des größten österreichischen Bioforschungszentrums IMBA. Ein Gespräch über die Frage, wie tief wir in den Code des Lebens eingreifen dürfen.

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Sie werden im August 59 Jahre alt. Da wir beide zur selben Generation gehören, erlaube ich mir die Frage: Wünschen Sie sich manchmal, abgenützte Körperteile würden einfach nachwachsen?
Tanaka
Ja, sicher. Aber manche unserer Organe erneuern sich tatsächlich, zum Beispiel die Leber. Unsere Haare wachsen ständig nach. Es gibt also Erneuerung im menschlichen Körper. Die besonders auffälligen Körperteile wie die Beine sind dazu allerdings nicht in der Lage. Es wäre natürlich großartig, wenn wir auch diese Teile erneuern könnten.
Sie untersuchen das Phänomen Regenerationsfähigkeit am Axolotl, einem mexikanischen Schwanzlurch, dessen Gliedmaßen nachwachsen können. Wollen Sie diese Fähigkeit auch für den Menschen nutzbar machen?
Tanaka
Ich habe begonnen, Axolotl zu studieren, weil ich von den Prozessen der Regeneration fasziniert war, nicht deshalb, weil ich daran dachte, menschliche Beine nachwachsen zu lassen. Aber natürlich schwingen Anwendungen für den Menschen in der Vorstellung mit. Je mehr ich daran arbeite, desto mehr denke ich über die Bedeutung für uns nach.
Ursprünglich hatten viele Spezies die Fähigkeit zur Erneuerung. Warum haben die meisten sie verloren?
Tanaka
Niemand kann genau sagen, warum. Aber es gibt Theorien. Tiere, die zur Regeneration fähig sind, führen Teile ihres Gewebes zurück in ein embryoähnliches Stadium. Sie starten erneut embryoähnliche Prozesse. Der Mensch besitzt ein extrem komplexes Gehirn, und Komplexität könnte inkompatibel damit sein, die Entwicklung wieder zurückzuspulen.
Warum besitzen speziell Salamander diese Fähigkeit immer noch?
Tanaka
Axolotl haben riesige Genome, die einst eine Menge Attacken von Viren und anderen Organismen überstanden haben. Der Umgang damit könnte verändert haben, wie diese Tiere Gene regulieren und den Regenerationsprozess am Laufen halten.
Das Genom eines Axolotls ist größer als jenes des Menschen?
Tanaka
Zehnmal so groß! Es gibt etwas Grundverschiedenes in diesem Genom, das den Zellen erlaubt, in der Entwicklung rückwärts zu gehen. Die Frage ist: Wie und warum läuft das so ab?
Wie genau funktioniert Erneuerung bei Salamandern?
Tanaka
Wenn sie eine Gliedmaße verlieren, heilen Epithelzellen der Oberhaut die Wunde extrem schnell, innerhalb von sechs Stunden. Bei Menschen setzen sich diese Zellen in den ersten 48 Stunden nicht einmal in Bewegung. Gleich zu Beginn gibt es also einen gewaltigen Unterschied, was nach einer Verletzung beim Menschen oder in einem Axolotl-Bein geschieht.
Und dann?
Tanaka
Nun startet ein emybroähnliches Programm, das Faktoren für den Regenerationsprozess zu produzieren beginnt. Es wachsen Nerven ein, und wichtige Zellen namens Fibroblasten treten auf den Plan. Beim Menschen verursachen diese Zellen Narben. Sie bewirken, dass sich die Wunde zusammenzieht und verschließt. Beim Axolotl verhalten sich diese Zellen anders. Statt die Wunde zu schließen, verwandeln sie sich in Embryozellen. Das ist die Magie daran, die wir zu verstehen versuchen.
Alwin   Schönberger

Alwin Schönberger

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