Der Maschinenmeister
Robert Trappl kramt aus seiner Tasche ein schlabbriges blassrosa Objekt hervor und stülpt es sich über den Kopf. Es ist eine Nachbildung des menschlichen Gehirns, durchsetzt von hübsch geformten Windungen. Trappl erklärt seinen Zuhörern im gut besuchten Saal die Show-Einlage: Er wolle verdeutlichen, wie wenig ein biologisches Gehirn mit einem neuronalen Netz gemein habe – mit jener digitalen Entsprechung des Denkorgans, die heute Grundlage künstlicher Intelligenz ist und Aufgaben wie sogenanntes „Deep learning“ meistern soll.
Vor allem erzählt Trappl an diesem Nachmittag von den Anfängen der Artificial Intelligence, blendet zurück zu deren Geburtsstunde und unterhält sein Publikum mit Anekdoten aus der Frühzeit seiner Disziplin. Robert Trappl, im Jänner 2019 80 Jahre alt geworden, war bei vielen epochalen Ereignissen in der Entwicklung dieser Sparte dabei oder hat sie als Zeitzeuge aus der Nähe erlebt. Er kann zum Beispiel vom Informatiker John McCarthy berichten, der den Begriff „Artificial Intelligence“ 1956 erfand. Bei einer Konferenz sei ihm der bärtige McCarthy sofort aufgefallen, weil er als einziger vornübergebeugt am Tisch geschlafen habe. Alle paar Minuten habe er den Kopf gehoben, etwas „furchtbar Gescheites“ gesagt und dann augenblicklich weitergepennt. Der ist sicher wichtig, den muss ich kennenlernen, dachte Trappl.
Längst ist er selbst eine Legende: ein internationaler Pionier und Wegbereiter der künstlichen Intelligenz, der sich schon theoretische Fundamente und praktische Anwendungen des Gebiets überlegte, als der gegenwärtige Hype noch nicht einmal in Sicht war. Heute, mehr als zehn Jahre nach seiner Emeritierung als Professor, ist Trappl immer noch beeindruckend aktiv. Ohne viel Lärm um sich und seine Arbeit zu machen, wickelt er mit einem Team von knapp 30 Forschern ständig Projekte für Auftraggeber aus aller Welt ab: Wie bringt man Maschinen Sprache bei, wie erzieht man sie zu verlässlichen Assistenten, wie modelliert man Geist, Psyche und Emotion? Was bedeuten Ethik und Bewusstsein für einen Roboter? Können künstliche Intelligenzen helfen, Konflikte beizulegen und Krieg zu vermeiden?
Seit einem halben Jahrhundert interessiert sich Trappl für solche Fragen. 1969 war er federführend an der Gründung der Österreichischen Studiengesellschaft für Kybernetik beteiligt. Das ist jene besonders auf Norbert Wiener zurückgehende „Steuermannskunst“, die auf die Regelung von Maschinen nach dem Vorbild lebender Organismen abzielt. Viele heute gebräuchliche Termini – ob Cyberspace oder Cyborgs – leiten sich von der Kybernetik her. Vor 35 Jahren etablierte Trappl zusätzlich das Österreichische Forschungsinstitut für Artficial Intelligence (OFAI) im Zentrum von Wien, das er bis heute leitet. Die beiden Jubiläen der bescheiden auftretenden Wiener Initiativen mit Weltruf zelebrierte er vergangene Woche.
Trappl, groß, schlank, grauer Bart, rote Brille, steht am Rednerpult, genießt seinen Auftritt und sagt, er müsse endlich mal eine Liste seiner früheren Mitarbeiter erstellen. Denn viele von ihnen hätten heute Professuren in aller Welt inne. Er projiziert alte Fotos auf die Leinwand. Eines zeigt ihn mit dem damaligen Bundeskanzler Josef Klaus sowie dem Computerpionier Heinz Zemanek. Er selbst sei ja kaum wiederzuerkennen, sagt Trappl. Aber er sei es wirklich, Ehrenwort. Allerdings könne er sich gar nicht erinnern, wie er überhaupt aufs Bild gekommen sei, vermutlich habe er sich irgendwie aufs Foto geschummelt. In der Folge schildert er allerlei historische Begebenheiten. Als zum Beispiel die Idee aufkam, man werde Sex mit Robotern haben oder sie sogar heiraten, habe er sofort im Eherecht nachgesehen. Resultat: Kein Paragraf verbiete die Hochzeit mit einer Maschine, doch müsse der Partner laut Gesetz zumindest 16 Jahre alt sein. Damit könne man sie Sache getrost vergessen. Denn wer, fragt Trappl verschmitzt, wolle schon einen 16 Jahre alten Roboter?
Andere Erinnerungen reichen in die Gründungsphase der Studiengesellschaft zurück. Zehn Millionen Schilling Zuschuss versprach der Staat anfangs. Dann wechselte die Regierung, und die Forscher mussten sich mit 150.000 begnügen. Darüber sei er sehr froh gewesen, sagt Trappl mit einem Anflug von Sarkasmus. Denn er musste sich nicht mehr den Kopf darüber zerbrechen, was mit dem vielen Geld anzufangen sei. An der Dotierungslage hat sich bis heute wenig geändert: Die Arbeit der Wiener Wissenschafter finanziert sich fast ausschließlich aus der Auftragsakquisition, staatliche Subvention gibt es nicht. Trotzdem lehnt Trappl manche Jobs ab, zum Beispiel wenn ein sehr großes, ökonomisch aufstrebendes Land, das nicht unbedingt für makellose humanitäre Standards berühmt ist, Systeme bestellen will, die sich auch zur Überwachung von Bürgern missbrauchen ließen.
Gut ausgelastet ist Trappl trotzdem. Man wird nicht sehr viele Achtzigjährige finden, die mit derartiger Energie ein solches Pensum abspulen, auch nicht in der Wissenschaft, wo Einsatz und Begeisterung für das jeweilige Fach bis ins hohe Alter gewiss ausgeprägter sind als in anderen Berufen. Dennoch: Die wenigsten Forscherpersönlichkeiten dieser Generation sitzen, bewaffnet mit ein paar Tafeln Schokolade, mitunter bis vier Uhr morgens im Institut und brüten über wissenschaftlichen Fragestellungen. Bei ihm jedoch war es vermutlich nie anders, schon in der Ausbildungseit: Er erwarb einen Ingenieurstitel in Elektrotechnik, ein Doktorat in Psychologie mit Nebenfach Astronomie, ein Diplom in Soziologie und – erst vor sieben Jahren – einen Abschluss in General Management. Er leitete drei Jahrzehnte lang das Institut für Kybernetische Medizin an der MedUni Wien; verfasste mehr als 180 Fachartikel; fungierte als Autor, Herausgeber oder Mitherausgeber von Fachjournalen und 35 Büchern mit Titeln wie „Impacts of Artficial Intelligence“, „A Construction Manual für Robots‘ Ethical Systems“ oder „Your Virtual Butler“. Weiters hat er ein Faible für Pantomime, Improvisationstheater sowie zeitgenössischen Tanz und trat auch als Tänzer auf, etwa im Museumsquartier und in den Münchner Kammerspielen. In kleiner Runde stellt er gelegentlich auch unter Beweis, dass er Wienerlieder singen kann.
Die Kurzfassung all dessen packt er auf seiner Website in drei Worte: He enjoys life.
Das klingt generell nach einem guten Rezept, das man auch selbst öfter anwenden könnte: im Leben nur das tun, woran man wirklich Freude hat, und zwar genügend davon, um es mit Elan und voller Hingabe zu tun, gleich in welchem Alter oder zu welcher Tages- oder Nachtzeit. Genau dieser Einstellung bedarf es wohl auch, um nachhaltige Spuren als global renommierter Vordenker einer Sparte zu hinterlassen, und exakt diese Weltsicht vermittelt Robert Trappl, wenn man ihn trifft – wozu der Autor dieses Textes in jüngerer Zeit mehrfach Gelegenheit hatte: im Zusammenhang mit profil-Artikeln, im Rahmen gemeinsamer Podiumsveranstaltungen sowie bei manch halb privatem Anlass. Im Gedächtnis bleibt stets ein Mann, der mit wachem Interesse, aber auch mit gut dosierter Skepsis auf die Fortschritte der eigenen Disziplin blickt – etwa wenn er Videos, die angeblich fantastische Leistungen autonomer Roboter zeigen, mit der Bemerkung kommentiert, dass man für jeden Film fünf oder sechs Anläufe brauchte, weil die tollen Maschinen wiederholt an ihren Aufgaben scheiterten. Im Gedächtnis bleibt überdies vor allem ein Mann mit feinem, scharfem Witz, der immer auch Selbstironie einschließt.
Unlängst, bei einer Wissenschaftsdebatte in der Wiener Innenstadt. Nach ausgiebiger Diskussion und ein paar Wienerliedern verabschiedet sich Robert Trappl gegen zehn Uhr Abends. Er sagt, er wolle jetzt endlich arbeiten gehen.