Pilzerreger Candida auris
Wissenschaft

Gefährlicher Pilz: Eine neue Pandemie bahnt sich an

Der Pilz Candida auris alarmiert die Medizin. Er tauchte plötzlich weltweit auf, auch in Österreich, und ist resistent gegen viele Wirkstoffe. Wie groß ist die Gefahr?

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Der erste Patient in Österreich war ein 22-jähriger Mann. Er litt an einer Entzündung des äußeren Gehörgangs, die sich seit zumindest einem Jahr jeder Behandlung widersetzte. Im Jänner 2018 wiesen Labortests einen Pilz in seinem Ohr nach: Candida auris, eine Hefe, die von der Weltgesundheitsorganisation mittlerweile als „dringliche Bedrohung“ und globales Gesundheitsrisiko eingestuft wird. Die nächsten vier Fälle traten zwischen Februar 2020 und April 2022 auf. Die Betroffenen waren zwischen 60 und 66 Jahre alt, zwei von ihnen waren zuvor in Spanien und Griechenland in Spitalsbehandlung gewesen – und könnten den Pilz von dort eingeschleppt haben.

Diese fünf Fälle eines Befalls mit Candida auris wurden bisher in Österreich registriert – sehr wenige noch, trotzdem sehen Fachleute Grund zur Sorge und für erhöhte Wachsamkeit. Zum einen ist die tatsächliche Fallzahl vermutlich höher, weil Infektionen oder symptomlose Besiedlungen nicht immer erkannt oder korrekt diagnostiziert werden. Zum anderen besitzt der Pilz einige unangenehme Eigenschaften: Er kann in die Blutbahn gelangen, sich dadurch im Körper ausbreiten, Organe schädigen und Blutvergiftungen auslösen; er wird über kontaminierte Oberflächen, aber auch durch Hautkontakt von Mensch zu Mensch weitergegeben; er ist häufig resistent gegenüber klassischen Desinfektionsmitteln und bewährten Therapien – den wichtigsten Klassen sogenannter Antimykotika. Und: Zwischen 30 und 70 Prozent der Infizierten sterben, wobei der Pilz allerdings nicht immer die unmittelbare Todesursache ist. Denn die meisten Ausbrüche treten in Krankenhäusern bei bereits immungeschwächten Menschen auf.

Sprunghafter Anstieg der Fallzahlen

Wir stehen wohl erst am Beginn einer Entwicklung, die inzwischen die Gesundheitsbehörden alarmiert hat. Seit etwa einer Dekade geht Candida auris um die Welt – anfangs nahezu unbemerkt, erst in den vergangenen Jahren klettern die Fallzahlen relativ steil empor. „Die Zahlen steigen jetzt rasant an, es kommt zu zahlreichen Ausbrüchen“, berichtet Birgit Willinger, Professorin an der Abteilung für klinische Mikrobiologie an der Medizinischen Universität Wien. Sowohl in Europa als auch in den USA verdoppelten sich die Fallzahlen zuletzt annähernd jährlich: Wurden im EU-Raum 2020 noch 335 Fälle erfasst, waren es ein Jahr später 655. Besonders sprunghaft war die Entwicklung in Italien: Ein einziger Fall 2019, 49 im Jahr darauf, 242 anno 2021. In Nordamerika ist das Problem noch ausgeprägter als in Europa: 757 Infektionen gab es dort 2020, ein Jahr später waren es 1474, im Vorjahr 2377.

Global ist Candida auris inzwischen in rund 40 Ländern nachgewiesen, in Europa und den USA ebenso wie in Südamerika, Asien und Afrika. Viele Fachleute sprechen von einer Pandemie, auch wenn der Ausdruck angesichts der gegenwärtigen Fallzahlen seltsam klingen mag. Doch der Begriff „Pandemie“ besagt lediglich, dass ein infektiöser Erreger auf allen Kontinenten (außer der Antarktis) auftritt und sich dort eigenständig ausbreitet, und das trifft auf den neuartigen Pilz zu – auch wenn es sich im Vergleich zu einem Virus, das innerhalb weniger Tage um den Erdball gehen und in kürzester Zeit Abertausende Infektionen hervorrufen kann, um eine Pandemie in Zeitlupe handelt.

Unerfreulich ist an Candida auris (neben seinen für den menschlichen Organismus problematischen Eigenschaften) vor allem, dass das Wissen über den Pilz noch recht begrenzt ist. Er zählt zur Familie der Candida-Pilze, die etwa 200 Arten umfasst. Deren weitere Angehörige, zum Beispiel C. albicans, C. glabrata, C. parapsilosis und C. krusei, sind Hauptverursacher vieler Pilzinfektionen. Der neuartige C. auris wurde erstmals 2009 in Tokio nachgewiesen. Eine 70-jährige Japanerin hatte unter einer hartnäckigen Ohrenentzündung gelitten, und aufgrund dieses ersten bekannten Falls erhielt der Mikroorganismus auch seinen Namen: auris, nach dem lateinischen Wort für Ohr. In den Folgejahren traten vereinzelt weitere Fälle auf, spätestens ab 2016 zeichnete sich ab, dass sich gerade ein neues globales Gesundheitsproblem zusammenbraute. Da publizierte die amerikanische Seuchenschutzbehörde CDC bereits eine „außerordentliche klinische Warnung“ vor Candida auris.

Ratlos im Krankenhaus

 

Am Royal Brompton Hospital in London stand das Krankenhauspersonal einem Ausbruch, der 2015 begann, monatelang nahezu hilflos gegenüber. Ein Herzpatient litt dort nach einer Operation an einer Wunde am Brustkorb, die sich entzündete. Laboranalysen lenkten den Verdacht rasch auf einen Hefepilz. Man setzte ein Antimykotikum ein. Es half nicht. Dann trat die Infektion beim nächsten Patienten auf, wieder schlug die Behandlung fehl: Der Patient entwickelte eine Blutvergiftung. Die Ärzte erprobten nach und nach ihr gesamtes Arsenal, isolierten Patienten, testeten das Personal, desinfizierten Möbel, Gegenstände und Bereiche des Spitals. Resultat: Bis Juni 2016 hatten sich 52 Menschen angesteckt, drei waren gestorben. Erst eine umfassende und lückenlose Desinfektion stoppte die Infektionskette.

Der bisher größte Ausbruch in Europa ereignete sich zwischen April 2016 und September 2017 im spanischen Valencia. Rund 250 Personen fingen sich den Pilz ein, etwa ein Viertel davon erlitt eine Infektion. Insgesamt führt Spanien die europäische Statistik mit fast 1400 Fällen an. Zu weiteren, eher überschaubaren Ausbrüchen kam es ab 2016 in Frankreich, Deutschland, Dänemark und Griechenland.

Bei den in Österreich aufgetretenen Fällen gelang es indes, weitere Übertragungen zu vermeiden – es blieb bei den jeweiligen Einzelnachweisen. Mikrobiologin Birgit Willinger führt dies auf die Umsicht und das rasche, angemessene Handeln der betroffenen Spitäler zurück. Die Kliniken haben den Pilz rasch identifiziert und dann sofort ihre Abteilung für Krankenhaushygiene kontaktiert, um sich nach den effizientesten Strategien zu erkundigen – und passende Hygienemaßnahmen gesetzt. „Man muss wirklich wissen, womit man in diesem Fall desinfiziert“, sagt Willinger.

Doch woher kam der Pilz überhaupt, fast wie aus dem Nichts? Und wie konnte er sich in wenigen Jahren über die Kontinente verbreiten? Heute sind fünf verschiedene Stämme von Candida auris bekannt. Für Forschende war es überraschend, dass diese nicht auf einen gemeinsam Ursprung zurückzuführen sind. Stattdessen entwickelten sich die Stämme unabhängig voneinander, jedoch fast gleichzeitig und weltweit. Welches Ereignis könnte dafür verantwortlich sein?

Man weiß es bis heute nicht sicher. Allerdings gibt es Hypothesen: Debattiert wird zum Beispiel ein übermäßiger Einsatz von Fungiziden. Ähnlich wie bei Bakterien, die resistent gegen Antibiotika werden, könnte die wahllose Anwendung von Fungiziden zu neuen, multiresistenten Pilzarten führen. Ein Beispiel wäre die verbreitete Praxis, Schnittblumen und Blumenzwiebel routinemäßig in Antipilzmittel zu tauchen, damit sie auf langen Transportwegen und im Supermarkt nicht schimmeln. Generell gilt als sehr wahrscheinlich, dass Resistenzen überall dort zunehmen, wo große Mengen an Fungiziden zum Einsatz kommen, etwa in der Landwirtschaft. Freilich: Diese Methoden sind zwar problematisch, sie werden aber schon lange angewandt und liefern daher kaum eine Erklärung für das relativ plötzliche globale Auftreten von Candida auris.

Plausibler klingt eine andere Vermutung: ein Zusammenhang mit dem Klimawandel. Die allermeisten unter den Millionen bekannten Pilzen stellen für den Menschen keine Gefahr dar. Denn unsere Körpertemperatur ist zu hoch, als dass sie im humanen Organismus gedeihen können. Zumindest war dies in der Vergangenheit so. Die global steigenden Temperaturen könnten aber dazu führen, dass auch Pilze allmählich „thermotolerant“ werden, wie es im Fachjargon heißt – und daher plötzlich den menschlichen Körper besiedeln können. Labortests zeigten, dass Candida auris bei 37 Grad bereits nach 24 Stunden prächtig wächst.

Vielleicht also existiert der Hefepilz schon länger, doch erst die globalen Klimaveränderungen könnten dazu geführt haben, dass er wahrgenommen wird, weil er nun vermehrt den Menschen kolonisiert und eine Gesundheitsgefahr darstellt. Dazu passt die Vermutung, dass seine eigentliche Heimat in Indien liegen könnte, wo aufgrund besonders hoher Temperaturen die Anpassung an eine wärmere Umgebung stattgefunden und der Pilz die Barriere zu Säugetieren überwunden haben könnte. Zugvögel vertrugen ihn dann womöglich in alle Welt, wo sich die heute bekannten Stämme separat entwickelten – wobei jene evolutionär im Vorteil waren, die gut mit höheren Temperaturen zurechtkamen.

„Man muss wirklich sehr krank sein, damit Candida auris bedrohlich wird. In Krankenhäusern kann die Situation aber katastrophal werden.“

Birgit Willinger, Mikrobiologin

Der bemerkenswerte Anstieg der Fallzahlen in den vergangenen beiden Jahren könnte indirekt auch mit der Covid-19-Pandemie zusammenhängen, denn die Spitäler waren in dieser Zeit voll, teils gar überfüllt, und dies ist der ideale Nährboden für Übertragungen auf den Menschen.

Sämtliche bisher bekannten Ausbrüche trugen sich in Krankenhäusern, Pflegeheimen und anderen Gesundheitseinrichtungen zu, betroffen waren speziell vorerkrankte und durch ihre Leiden oder bestimmte Therapien immungeschwächte Personen. Gesunden Menschen kann der Pilz wenig anhaben, doch für Kranke stellt er eine erhebliche Gefahr dar. „Man muss wirklich sehr krank sein, damit Candida auris bedrohlich wird“, sagt Willinger. „In Krankenhäusern kann die Situation aber katastrophal werden.“

Zum Befall kommt es meist durch Kontakt mit Oberflächen in Spitälern, auf denen Candida auris wächst. Wobei es oft einer regelrechten Detektivarbeit gleichkommt, die befallenen Oberflächen aufzuspüren. Auf Thermometern wurde er ebenso nachgewiesen wie auf den Knöpfen von Radios, in Matratzen und Polstern, auf Tischen, Waschbecken, Toiletten, Türschnallen, Mobiltelefonen und medizinischen Instrumenten. Außerdem kann ein Händedruck genügen, um C. auris von einer Person zur nächsten weiterzureichen – bei keiner anderen Candida-Spezies ist dies möglich.

Schon Stunden nach dem Kontakt ist der Mensch „kolonisiert“: Der Pilz bedeckt Areale seiner Haut und produziert darauf einen sehr haftfähigen Biofilm in mehreren Schichten. Der Befall kann Wochen, Monate oder auch Jahre dauern. Kaum eine Körperstelle, in der er nicht nachgewiesen wurde: Atemwege, Ohren, Achselhöhlen, Rektum, Mund- und Nasenhöhle.

Stumpfe Waffen

Besonders gerne besiedelt der Pilz Wunden, wodurch er in die Blutbahn gelangen und eine Infektion auslösen kann. Über das Blut kann er sich in die verschiedensten Körperregionen ausbreiten und Organe befallen, einschließlich des zentralen Nervensystems (siehe Grafik Seite 51). Die Folgen können von schweren Entzündungen über septische Schocks bis zum Multiorganversagen führen. Je nach den Umständen des konkreten Ausbruchs kommt es dann zu jenen relativ hohen Todesraten von 30 bis zu mehr als 70 Prozent – weil viele Patienten schon erheblich geschwächt sind, aber auch deshalb, weil konventionelle Behandlungen schlecht oder gar nicht anschlagen.

Zum einen hat die Medizin nur vier Klassen von Antimykotika zur Verfügung und somit deutlich weniger Waffen zur Hand als mit den Antibiotika. Zum anderen scheint Candida auris, je nach Stamm, eine Resistenz gegenüber manchen oder sogar allen dieser Mittel eingebaut zu haben. In vier von fünf österreichischen Fällen stellte Willingers Team Resistenzen fest. „Es handelte sich um völlig verschiedene Resistenzmuster“, berichtet Willinger.

Immerhin: Alle Personen überstanden den Befall, eine Infektion trat nur bei einer auf – beim 22-jährigen Mann, der den Keim möglicherweise aus der Türkei mitgebracht hatte. Auch er erholte sich vollständig. Zuversichtlich stimmt die Expertin Willinger vor allem, dass es gut gelingen kann, Infektionen einzudämmen und größere Ausbrüche zu verhindern – eine rasche und richtige Reaktion der Spitäler vorausgesetzt. Schon deshalb sei es sinnvoll, vor dem Pilz zu warnen und das Personal des Gesundheitssektors für das Problem zu sensibilisieren.

Alwin   Schönberger

Alwin Schönberger

Ressortleitung Wissenschaft