Geschlechtskrankheiten

Geschlechtskrankheiten: Was man sich wo holen kann

Bestimmte Geschlechtskrankheiten häuften sich in Europa zuletzt deutlich. Ein Grund: Das Risikobewusstsein sinkt, speziell bei Jungen.

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Der Empörungspegel schoss steil empor. „Skandal!“, entrüstete sich die FPÖ Mitte Juni und drohte eine Anzeige gegen Gesundheitsminister Johannes Rauch an. Rauch bewerbe eine „Enttabuisierung wenig bekannter Sexualpraktiken“ durch Verbreitung „verstörender Informationen“ und verstoße gegen das Pornografiegesetz. Was war geschehen? Das Gesundheitsministerium hatte eine Kampagne lanciert, die Jugendliche über die Risiken von Geschlechtskrankheiten aufklären will – und Teaser wie „Spitz auf doggy?“ oder „Lust auf Lecken?“ gewählt, um das Interesse der Zielgruppe zu wecken.

Syphilis

Behandlung und Vorbeugung: Penicillin nahm der Krankheit 1943 den Schrecken. Kondome reduzieren das Risiko einer Übertragung.

Nun kann man diskutieren, wie geglückt das Wording ist. Zugleich dürfte es eher unwahrscheinlich sein, dass die Jugend erst dank Rauchs Initiative in Abgründe gelockt wird, die ihr zuvor gänzlich unbekannt waren. Wesentlicher ist die Frage, inwiefern die Kampagne faktisch begründet ist: Es habe zuletzt besonders in Europa einen starken Anstieg sexuell übertragbarer Krankheiten gegeben, argumentiert das Gesundheitsministerium, und daher brauche es Information über die Gefahren und die Folgen solcher Erkrankungen.

Schon länger wird von einem Zuwachs der Fallzahlen bei Geschlechtskrankheiten berichtet – von sexuell übertragbaren Infektionen oder STI (sexually transmitted infections), wie der Fachbegriff lautet. In jüngerer Vergangenheit erschienen viele erstaunlich gleichlautende Schlagzeilen, wonach eine „stille Epidemie“ rolle, verbunden mit einem „dramatischen“ Anstieg von Krankheiten, die generell „auf dem Vormarsch“ seien. Las man all die Meldungen, konnte man den Eindruck gewinnen, eine Welle solcher Infektionskrankheiten bedrohe weite Teile der Bevölkerung.

Stimmt das überhaupt? Die Antwortet lautet: Kommt drauf an – auf die konkrete Erkrankung, das Geschlecht, die Alters- sowie die jeweilige gesellschaftliche Gruppe. Fallzahlen und Trends variieren enorm in Abhängigkeit von diesen drei Faktoren. Manche Infektionen wie Gonorrhö treten wirklich häufig auf, andere wie Syphilis im Schnitt sehr selten, wobei aber bei bestimmten Personengruppen ein deutlicher Anstieg feststellbar ist. Generell lässt sich allerdings tatsächlich beobachten, dass STI an Relevanz gewinnen – darunter teils Krankheiten, von denen einige bereits für ein Thema für die Geschichtsbücher gehalten wurden, jedenfalls in westlichen Ländern.

Eine Vielfalt an Erregern

Insgesamt sind mehr als 30 Infektionen bekannt, die ausschließlich oder unter anderem sexuell übertragen werden – durch Viren, Bakterien oder Parasiten. Darunter fallen exotische Erreger wie Donovanosis, die praktisch ausschließlich in den Tropen vorkommt. Zu den sexuell übertragbaren Erkrankungen zählen auch die Affenpocken, die traditionell auf Afrika beschränkt waren, jedoch im Vorjahr erstmals in Europa eine mittlerweile verebbte Epidemie auslösten. In Österreich wurden insgesamt 328 Fälle dieser viralen Infektionen registriert. Zu den STI gehören auch der Befall mit Filzläusen, die durch Krätzmilben übertragene Skabies und die Bakterien Myco/Ureaplasmen, die den Genitaltrakt vieler Menschen besiedeln und sehr häufig gar keine Symptome auslösen – jedoch fallweise etwa Eileiterentzündungen hervorrufen können. Besonders bei immungeschwächten Personen besteht ein Risiko für Komplikationen.

Gonorrhö (Tripper)

Behandelt wird mit Antibiotika. Kondome reduzieren das Ansteckungsrisiko bei Anal- und Vaginalverkehr.

Man könnte der Reihe nach weitere, kaum geläufige oder „neuartige“ STI anführen, doch wenn von Geschlechtskrankheiten die Rede ist, sind in aller Regel einige wenige gemeint: Herpes, HIV und HPV sowie Syphilis, Gonorrhö, Chlamydien und die eher wenig bekannten Trichomonaden. Die letzten vier werden von der Weltgesundheitsorganisation WHO als sogenannte „curable STI“ definiert und statistisch weltweit erfasst.

Will man konkrete Infektionszahlen und deren Entwicklung wissen, ist man mit erheblichen Einschränkungen konfrontiert. Das verfügbare Datenmaterial ist nur bedingt verlässlich, weshalb gilt: Je präzisere Zahlen publiziert werden (in vielen Medien war auf Basis von WHO-Zahlen etwa von exakt 367 Millionen Neuinfektionen weltweit pro Jahr die Rede), desto größere Skepsis ist geboten. Denn die Statistiken des European Center for Prevention and Disease Control (ECDC) zeigen, dass die Nationalstaaten Erkrankungszahlen mit sehr unterschiedlicher Sorgfalt erfassen. Wenn etwa Dänemark rund 35.000 Chlamydien-Infektionen an die ECDC meldet und Italien nur 1100, kann das unmöglich das reale Infektionsgeschehen abbilden. Österreich meldet als einziges Land neben Liechtenstein überhaupt keine Zahlen an das ECDC – seit bereits zehn Jahren. Wenn also über Trends bei STI in Österreich berichtet wird, handelt es sich meist um Schätzungen. Oder aber es wurden Daten anderer Länder auf Österreichs Einwohnerzahl umgerechnet.

Dennoch lassen sich europaweit zumindest Tendenzen ableiten. So sind Chlamydieninfektionen mit knapp einer halben Million Fälle 2019 relativ häufig, Syphilis ist dagegen mit weniger als zehn Prozent davon vergleichsweise selten – und zudem insofern ein Spezialfall, als das Gros der Fälle sowie der zuletzt tatsächlich starke Anstieg auf eine einzige Personengruppe entfällt: Diese Gruppe heißt MSM (men who have sex with men). Es handelt sich im Wesentlichen um homosexuelle Männer besonders im Alter von 25 bis 34 Jahren. Mehr als 30 von 100.000 Männern in diesem Alterssegment sind davon betroffen, für Frauen höheren Alters ist das Risiko dagegen verschwindend gering. In einer Stadt der Größe von Linz mit gut 200.000 Einwohnern wären, statistisch betrachtet, pro Jahr zwei Fälle infizierter Frauen jenseits der 45 zu erwarten.

Schrecken der Geschichte

Freilich: Syphilis müsste gar nicht mehr vorkommen. Einst war sie die Sexkrankheit schlechthin, tabuisiert und mystifiziert zugleich, nicht zuletzt durch historische Berichte über Erkrankte, etwa Friedrich Nietzsche oder den Dichter Guy de Maupassant. Der Schrecken bestand darin, dass Erkrankte im Spätstadium an geistigem Verfall litten und dement ihrem Ende entgegendämmerten. Mit der Verfügbarkeit von Penicillin in den 1940er-Jahren war die Infektion behandelbar, und die Zahlen sanken massiv – so sehr, dass die Ausrottung der Syphilis angepeilt wurde. Umso bedenklicher ist es, sich heute überhaupt noch damit herumschlagen zu müssen.

Der Fokus sollte sich daher vielleicht weniger auf das wackelige Zahlenwerk richten, sondern auf die Information sexuell besonders aktiver Bevölkerungsgruppen. „Die sexuelle Gesundheit der Jugend ist enorm wichtig“, sagt Alexandra Geusau, Professorin für Haut- und Geschlechtskrankheiten an der Medizinischen Universität Wien. „Das Wissen vieler Jugendlicher ist aber dürftig, es bedarf ordentlicher Aufklärung über die Risiken und Prävention.“

Denn sexuell übertragbare Krankheiten können nicht nur lästig oder unangenehm sein, sondern auch gefährlich, vor allem, wenn Spätfolgen auftreten. Beispiel: Humane Papillomaviren (HPV) sind für die Entstehung von Feig- oder Genitalwarzen verantwortlich – gutartige Hautveränderungen vorwiegend im Genitalbereich, die zu den häufigsten STI zählen und oft kaum Beschwerden verursachen. Zugleich sind HP-Viren jedoch Auslöser von Gebärmutterhalskrebs. Auch bei Männern können Karzinome auftreten, etwa in Mund und Rachen, weshalb ihnen eine Impfung ebenfalls empfohlen wird. Diese deckt im Moment neun verschiedene HPV-Typen ab und verspricht annähernd 90-prozentigen Schutz vor Gebärmutterhalskrebs. HPV-Infektionen sind häufig: Rund 80 Prozent aller Menschen stecken sich mit einem der rund 200 Virustypen an, von denen gut ein Dutzend kanzerogen ist. Rund 400 Fälle von Gebärmutterhalskrebs treten in Österreich pro Jahr auf.

Die klassischen „curable“ Infektionskrankheiten wiederum können Entzündungen hervorrufen, darunter von Harnröhre, Eileiter, Hoden oder Becken. Gravierend können die Spätfolgen von Infektionen sein, die mitunter lange unbemerkt bleiben: Unfruchtbarkeit bei Frauen wie auch Männern. Frauen können sogenannte aufsteigende Infektionen sowie Eileiterschwangerschaften erleiden, wobei sich der Embryo nicht in der Gebärmutter, sondern im Eileiter einnistet. Außerdem können die Erreger dieser Gruppe von Erkrankungen bei der Geburt auf neugeborene Kinder übertragen werden.

Trichomonaden

Der einzellige Parasit befällt besonders die Schleimhäute der Harnröhre und der Scheide. Das Antibiotikum Metronidazol hilft, Kondome senken die Ansteckungsgefahr.

Wachsende Sorglosigkeit

All diese Infektionen könnten vermieden oder wenigstens auf ein Minimum reduziert werden: durch eine präventive Impfung im Fall von HPV sowie durch die Verwendung von Kondomen, die das Risiko für eine Übertragung der verschiedenen Bakterien oder Parasiten erheblich senken. Warum treten die Erkrankungen dann trotzdem auf? „STI sind immer ein Hinweis auf Risikoverhalten“, sagt Medizinerin Alexandra Geusau.

Besonders jüngere Menschen nehmen es mit Safe Sex offenbar nicht mehr so genau. Und das liegt wohl paradoxerweise auch daran, dass eine andere sexuell übertragbare Krankheit ihren Schrecken verloren hat: HIV. Weniger als 300 Menschen in Österreich infizieren sich heute damit pro Jahr. Die einst gefürchtete virale Infektion wurde in wenigen Jahrzehnten von der tödlichen Immunschwäche Aids zu einer zwar nicht heil-, aber gut therapier- und damit kontrollierbaren Erkrankung. Überdies lassen sich vorbeugend Medikamente dagegen einnehmen: die sogenannte Pre-exposure prophylaxis, kurz PrEP. In der Folge sind die Menschen beim Sex zwar gut vor HIV geschützt – nicht aber vor all den anderen Infektionen, wenn sie auf das Kondom verzichten. Praktisch alle Analysen stimmen überein, dass wachsende Sorglosigkeit speziell in Hochrisikogruppen einer der Hauptgründe für steigende Infektionszahlen ist.

Nicht alle der dabei möglichen Infektionen sind „curable“: Das Virus Herpex simplex, Erreger von Genitalherpes, eine der häufigsten Geschlechtskrankheiten, verbleibt lebenslang im Körper und kann immer wieder aufflackern. Bei der Erstinfektion kann es zu schmerzhaften Ausschlägen, Fieber, Muskelschmerzen und grippalen Symptomen kommen. Die Viren wandern anschließend vom Ort der Erstinfektion zu den Nerven des Rückenmarks, überdauern dort und können wiederkehrende Krankheitsepisoden auslösen, die meist schwächer ausfallen als zu Beginn. Allerdings sind die Infizierten ansteckend und können das Virus an Sexualpartner weiterreichen. Geusau berichtet, dass etwa 20 Prozent aller Erwachsenen mit Herpes genitalis infiziert seien. Das Risiko einer Ansteckung sei dabei „nicht korreliert mit Promiskuität“.

Es kann daher ganz sicher nicht schaden, wenn die Bevölkerung allgemein und speziell die sexuell besonders aktiven Gruppen über derlei Risiken Bescheid wissen. Folgerichtig meinte Johannes Rauch, er sei der Skandalisierung seiner Kampagne durch die FPÖ durchaus dankbar – denn sie erhöhe die Aufmerksamkeit für das Thema.

Wo kann man sich testen lassen?

Wer sich auf Geschlechtskrankheiten untersuchen lassen will, geht am besten zur Aids Hilfe. „Wir testen die Big Five“, sagt Andrea Brunner, Chefin der Aids Hilfe Wien. Die „Big Five“, das sind neben HIV auch Chlamydien, Tripper, Syphilis und Hepatitis. Kostenlos ist allerdings nur der anonym durchgeführte HIV-Test, der vom Gesundheitsministerium finanziert wird. Für die restlichen Untersuchungen ist ein Unkostenbeitrag zwischen 8 und 30 Euro fällig. Das ist dennoch billiger, als direkt in ein Labor zu gehen; die Aids-Hilfe-Vereine können als Großabnehmer günstiger sein. Aids Hilfen gibt es in sieben Bundesländern, wobei die Wiener auch für Niederösterreich und das Burgenland zuständig sind. Sie bieten außerdem ein Beratungsgespräch über Diagnosefenster, Risiken und die Bedeutung  eines positiven Tests.

Da Chlamydien-Infektionen eine Unfruchtbarkeit zur Folge haben können, sollte man junge Frauen unbedingt regelmäßig testen.

Katharina Grabmeier-Pfistershammer, Uniklinik für Dermatologie, MedUni Wien

 

Auf Chlamydien können sich Frauen auch bei ihrer Gynäkologin testen lassen – was allerdings meist nur geschieht, wenn sich Symptome bemerkbar machen. Beim Pap-Abstrich, der zur jährlichen Vorsorgeuntersuchung für Frauen gehört, können Krebsvorstufen im Gebärmutterhals erkannt werden; Geschlechtskrankheiten bildet diese Untersuchung nicht ab. „Da Chlamydien-Infektionen sehr häufig asymptomatisch verlaufen, aber eine Unfruchtbarkeit zur Folge haben können, sollte man junge Frauen unbedingt regelmäßig testen“, sagt Katharina Grabmeier-Pfistershammer von der Universitätsklinik für Dermatologie der MedUni Wien. 

Hausärztinnen und Hausärzte können ebenfalls Tests veranlassen, müssen das bei der Krankenkasse allerdings mit Beschwerden oder einem Risikokontakt begründen. Dasselbe gilt für  Ambulanzen. Wäre ein Screening auf Geschlechtskrankheiten für alle sinnvoll, etwa im Rahmen der Gesunden-untersuchung? „Auf jeden Fall“, sagt Andrea Brunner von der Aids Hilfe. „Natürlich nicht zwingend, sondern als Angebot für alle.“

Alwin   Schönberger

Alwin Schönberger

Ressortleitung Wissenschaft