Wissenschaft

Goldenes Brett 2023: Wenn Impfgegner die Party crashen

Eine Veranstaltung in Wien zeigte eindrucksvoll, was sich sogenannte Wissenschaftsskeptiker wirklich wünschen: Radau.

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Eine halbe Stunde vor der Veranstaltung ließ sich erahnen, was passieren würde. Da kursierten Zettel mit Handlungsanweisungen für Menschen, die gerne stolz behaupten, selbst zu denken. Darauf stand: „Standing Ovations und Sprechchor“; gemeinsam rufen: „Un-ser Held!“ Plus dreimal klatschen nicht vergessen. Und bei bestimmten Stichwörtern laut „PIEP“ schreien. Es klang nach dem Programm für eine Selbsterfahrungsgruppe, erinnerte später aber eher an ein Trainingscamp für die Kapitolerstürmung.

Vorigen Donnerstag fand im Wiener Stadtsaal die diesjährige Verleihung des „Goldenen Bretts“ statt – einer satirischen Auszeichnung für den größten antiwissenschaftlichen Humbug des Jahres, der von der Gesellschaft für Kritisches Denken vergeben wird. Auf die Shortlist für besondere Dienste um die Schwurbelei (dies wäre jetzt der rechte Moment für ein herzhaftes „Piep“) schafften es drei Personen, darunter TV-Moderator Ferdinand Wegscheider. Die Politologin Ulrike Guérot hätte schließlich, wäre sie der Einladung gefolgt und gekommen, das Goldene Brett mit nach Hause nehmen dürfen.

Das Prozedere der Verleihung wich heuer jedoch entscheidend vom üblichen Protokoll ab: Die GGI-Initiative, vor zwei Jahren als „Grüne gegen Impfpflicht & 2G“ gegründet, hielt im Vorfeld eine Gegenveranstaltung ab und nominierte sich, weil ihr sonst niemand den Gefallen getan hatte, selbst für die Shortlist. Und aus ihrem Umfeld war ein Schwung Karten für die Verleihung gekauft worden (die Veranstalter dankten daher artig für die finanziellen Zuwendungen).

Was sich dann im Stadtsaal ereignete, könnte man als skurril bezeichnen, tatsächlich aber war es streckenweise eher unheimlich. In mehreren Reihen und auf dem Balkon saßen Menschen, die eint, dass sie Impfungen und Impfpflichten ablehnen, sich von längst eingemotteten Covid-Maßnahmen um ihr Lebensglück betrogen fühlen und meistens das Gegenteil von allem glauben, was sie für Mainstream halten. Der Plan dieser zur homogenen Horde gebündelten Selberdenker ging teilweise auf: die Veranstaltung zu kapern, und zwar mit Gebrüll.

Niemals Ivermectin sagen!

Sie johlten, piepten, buhten, überschrien die Vorträge auf der Bühne, skandierten bei jeder Gelegenheit „Un-ser Held! Un-ser Held!“. Der Epidemiologe Gerald Gartlehner, der eine der obligatorischen Laudationes auf die Nominierten hielt, musste mehrfach unterbrechen, spätestens, als er das Reizwort „Ivermectin“ ins Spiel brachte. Eine gefährliche Grenze war erreicht, als Gartlehner meinte, das Thema Ivermectin lieber zu überspringen – manche könnten daraus lernen, dass man nur laut und grob genug sein muss, um Menschen zum Schweigen zu bringen.

Moderator Martin Puntigam besaß die Größe, in dem Tumult eine Vertreterin der GGI auf die Bühne zu holen und ihr Redezeit einzuräumen. Sie kam, versicherte, dass mit dem vorherigen Geschrei ganz bestimmt nicht die Veranstaltung gestört werden sollte, und sagte – sonst nichts, jedenfalls nichts Sinnvolles. Es war ziemlich beeindruckend zu beobachten, wie eine Person, die gerne fordert, dass sie und ihre Gleichgesinnten gehört und an gesellschaftlichen Debatten beteiligt werden möchten, genau nichts zu sagen hat, wenn ihr eine große Bühne angeboten wird, und zwar ausgerechnet von Menschen, denen reflexartig unterstellt wird, keine Äußerung widerstrebender Meinungen zuzulassen.

Auch insgesamt war der Abend lehrreich. Im Labor Stadtsaal fand ein Experiment mit interessantem Ergebnis statt: Just jene Gruppen, die ständig den Diskurs einfordern (sogar auf einem Transparent im Stadtsaal) und verlangen, dass alle Positionen gleichberechtigt diskutiert werden sollen, auch jene von Außenseitern, kennen exakt eine Strategie argumentativen Austauschs: alles niederbrüllen, was ihnen nicht in den Kram passt. Jene, die andauernd beklagen, nicht gehört zu werden, sind nicht willens, auch nur eine Sekunde zuzuhören, wenn Worte geäußert werden, die ihnen nicht gefallen.

In Einzelgesprächen, heißt es oft, seien diese Personen eh ganz vernünftig und wirkten überhaupt nicht radikal. Das mag stimmen, nützt aber offenbar wenig, wenn die Gruppendynamik so richtig in Fahrt kommt und sich zum Mob aufschaukelt. Es gibt hässliche Beispiele dafür in der Geschichte, speziell in Österreich.

Ist das der Diskurs, den sie meinen?

Alwin   Schönberger

Alwin Schönberger

Ressortleitung Wissenschaft