GEÄCHTETER HERDENSCHÜTZER: Vom Viehhüter wurde der Rottweiler zum Gebrauchshund für Polizei und Militär und schließlich Statussymbol von zwielichtigen Gestalten.

Hunde: Warum beißt der beste Freund des Menschen?

Die Attacke in einem steirischen Tierheim wirft viele Fragen auf: Warum beißen Hunde zu? Ist Aggressivität eine Rassenfrage? Wie kann man Gewaltausbrüche vermeiden? Und welche Verantwortung trägt der Mensch?

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Am 10. August gab es einen schrecklichen Zwischenfall im Tierheim in Straß: Eine 18-jährige Pflegerin wollte im Zwinger eine Markise herunterlassen, damit die Hunde nicht der prallen Sonne ausgesetzt waren. Ein American Staffordshire Terrier griff die junge Frau laut Polizeiangaben unvermittelt an. Sie wurde von dem Hund schwerst verletzt, ebenso eine 54-jährige Kollegin, die ihr zu Hilfe eilte. Beide wurden notoperiert und müssen laut Medizinern weitere Eingriffe über sich ergehen lassen, damit sie ihre von tiefen Wunden übersäten Unterarme wieder gebrauchen können.

Der Täter war ein „Listenhund“, also Angehöriger einer Rasse, die in diversen Staaten, Städten, Bundesländern geächtet ist. Man darf die Hunde teils nicht mehr ohne Leine und Beißkorb in der Öffentlichkeit führen, teils nicht mehr züchten, teils wurden sie den Besitzern weggenommen und eingeschläfert, selbst wenn sie nicht auffällig geworden sind. Gibt es solche Hunderassen nicht mehr, die immer wieder für negative Schlagzeilen sorgen, gibt es auch weniger Hundebisse und Opfer, so der Trugschluss der Politiker, die solche Gesetze verabschieden, obwohl sämtliche Experten davon abraten. Wissenschaftliche Studien und Statistiken zeigten mehrfach, dass die Listenhund-Maßnahmen ungeeignet, übertrieben und zum Teil kontraproduktiv sind.

Dänemark hat seit 2010 das mit Abstand restriktivste Rassehundegesetz in Europa. Die Politik erstellte damals eine Liste mit 13 Hunderassen wie dem American Staffordshire Terrier, dem Pitbull Terrier und dem Tosa Inu, die ihrer Meinung nach gefährlich sind. Sie durften nicht mehr gezüchtet, importiert und gekauft werden. Alle lebenden Pitbull Terrier und Tosa Inu wurden den Besitzern weggenommen und getötet. Die Hunde der anderen elf betroffenen Rassen müssen in der Öffentlichkeit einen Maulkorb tragen und an der Leine geführt werden. Beißt ein Listenhund trotzdem, wird er getötet, egal ob er einem Dänen oder einem Touristen gehört. Die Maßnahmen blieben wirkungslos, die Anzahl und Schwere der Bissverletzungen sanken mitnichten.

Risiko nicht an unterschiedliche Rassen gekoppelt

Ein Wissenschafterteam um Finn Nilson vom Zentrum für öffentliche Sicherheit der Universität Karlstad in Schweden wies mit Daten aus Odense, der drittgrößten dänischen Stadt, nach, dass es dort trotz der neuen Gesetzgebung genauso viele Beißunfälle gibt wie früher. Weder auf privatem noch auf öffentlichem Grund wurden Unterschiede in der Bisshäufigkeit registriert. Obwohl man also zwei Rassen ausgerottet und die anderen zu Auslaufmodellen degradiert und „maulfest“ gemacht hatte, gab es genauso viele verletzte Menschen wie vorher. „Folglich legt die vorhandene Evidenz nicht nahe, dass das Gesetz einen Einfluss auf das Ausmaß der Hundebisse in Odense hatte“, schrieben die Forscher in der Studie. Wenn überhaupt ein Risiko für Hundebisse vorliege, sei dieses nicht an unterschiedliche Rassen gekoppelt, sondern eher an die Hundebesitzer, meinen sie. Statt restriktiver Gesetze brauche es Ausbildungsprogramme für Hund und Mensch. „Rein theoretisch könnte man das Fehlen eines Effekts als Überraschung ansehen – immerhin haben die verbannten Rassen den Ruf, besonders aggressiv zu sein“, spötteln sie, denn es wurde unter anderem in einer US-amerikanischen Studie nachgewiesen, dass es ganz andere Hunde sind, die Angriffslust auszeichnet.

Obwohl er gemäß Studien am häufigsten Menschen beißt, 
ist der Deutsche Schäferhund nirgends von Listenhund-Gesetzen betroffen.

Die Forscher um James Serpell von der Universität Pennsylvania ermittelten, wie oft mehr als 10.000 Hunde von über 30 Rassen nach anderen Hunden, fremden Menschen und Besitzern geschnappt hatten. Dackel zeigten sich gegen Fremde am aggressivsten, gefolgt von Chihuahuas und Pudeln. Retriever waren wiederum die freundlichsten Hunde. Die Forscher konnten damit den Witz untermauern, dass Retriever Einbrechern helfen, Wertgegenstände aus der Wohnung zu schaffen, anstatt sie zu vertreiben. Verlassen sollte man sich aber nicht darauf. „Die Variation innerhalb einer Rasse ist riesig, daher kann man Aggression nicht verlässlich bei einzelnen Hunden vorhersagen, sondern nur tendenzielle Aussagen treffen“, so die Forscher. Die gegen Artgenossen aggressivsten Rassen waren Dackel und Akita Inus. Die gegen die Besitzer am häufigsten aggressive Rasse war der Dackel. Außerdem fielen hier wieder die Chihuahuas schlecht auf. Die „Gewinner“ in allen drei Kategorien sind also Dackel. Was die Forscher zudem aus den Daten herauslesen konnten: Die typischen „Kampfhunde“, also die Rassen, die ursprünglich in den pits (Gruben) gegen andere Hunde kämpfen sollten, zeigten in der Regel kaum Aggression gegenüber Menschen.

Die Grundlage solcher Gesetze ist demnach purer Rassismus, der einige wenige Hunderassen ungerechtfertigt benachteiligt. Die Hunde sind in diesem Fall auch Mittel zum Zweck für eine soziale Schikane gegen die Besitzer. „Man kann das Theater um die Listenhunde in Wien deutlich als Kampf der Bobos gegen die Unterschicht an der Peripherie interpretieren“, meint Verhaltensbiologe Kurt Kotrschal von der Universität Wien. Was die Hunde auf dieser Liste eint, ist nicht eine spezielle Aggressivität, Beißfreude oder gar Menschenhass, sondern ihre Geschichte. Es sind Rassen, die einst für den Kampf in der Hundegrube gezüchtet wurden, wo zwielichtige Gestalten ihre Vierbeiner gegeneinander antreten ließen und mit Wetten Geld gemacht wurde. In den Kampfhunde- Pott wurde zusätzlich der Rottweiler geworfen, ein Hund, der ursprünglich Vieh zusammentrieb und es beschützte und der später als Gebrauchshund für Polizei und Militär Verwendung fand.

Kollateralschaden

Es sind Rassen, die bullig und stämmig sind und mit einer rasselnden Eisenkette um den Hals Eindruck schinden. Diesen wollen die Besitzer nicht selten auf sich übertragen sehen. Oft sind das Menschen, die auch selbst ein wenig bullig daherkommen. Sie haben selten frisierte Pudel, geschniegelte Dackel oder zerbrechliche Malteser, im Gegensatz zur bürgerlich intellektuellen Anwalt-, Büromenschen- und Managerschaft in der City und den Villenbezirken. Mit solchen Listen kann man also gezielt sozial Schlechtergestellte treffen. Den Kollateralschaden nimmt man offensichtlich in Kauf, denn solche Hunde sind natürlich nicht auf eine fiktive Unterschicht beschränkt. Man macht damit auch die Bemühungen verantwortungsbewusster und informierter Hundehalter zunichte, die Zeit und Arbeit in eine wohlwollende Sozialisation und Erziehung der Hunde gesteckt haben.

Schon als in Wien 2010 Rasselisten eingeführt wurden, äußerten Experten Kritik, denn es gab keine rationale Grundlage für diese willkürliche Aufzählung einzelner Rassen. Deutsche Schäferhunde werden stets geflissentlich ausgelassen, obwohl sie nahezu alle Beißstatistiken mit Respektabstand anführen. Dafür schaffte es ein recht kleiner Hund auf die Liste, mit dem es in der Vergangenheit keine berichtenswerten Zwischenfälle gab: der Staffordshire Bullterrier. Ihm wurde wohl die Namensähnlichkeit mit den American Staffordshire Terriern zum Verhängnis, anders ist dies kaum zu erklären. Laut dem weltweiten Dachverband für Rassehundezüchter (Fédération Cynologique Internationale – FCI) gehören Intelligenz sowie eine ausgesprochene Menschen- und vor allem Kinderfreundlichkeit zu den primären Zuchtzielen dieser „Rattenfänger“, als die sie einst dienen sollten, ähnlich den österreichischen Pinschern.

Retriever sind als besonders gutmütig bekannt. Verlassen kann man sich darauf aber nicht bei allen Individuen.

Laut wissenschaftlichen Erkenntnissen gibt es also keine gefährlichen Rassen, sondern nur gefährliche Individuen. Weder anhand von Beißstatistiken noch aus Studien zum aggressiven Verhalten von Hunden kann man ableiten, dass ein Mitglied einer bestimmten Rasse gefährlich ist. Was einen Hund genauso wie einen Menschen zur öffentlichen Gefahr machen kann, ist eine katastrophale Kombination aus individueller Sozialentwicklung und erlerntem Verhalten. Der erbliche Hintergrund des Hundes spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Hohe oder niedrige Aggressionslevels sind laut einer Studie der schwedischen Zuchtgenetikerin Helena Eken nur zu 14 Prozent erblich und zu 86 Prozent vom Umfeld bestimmt. Als Hundehalter ist man deshalb hauptverantwortlich dafür, dass ein Vierbeiner ein sozialverträgliches, gegenüber Menschen und Artgenossen wohlwollendes Wesen hat. Das gelingt, wenn man ihm stets freundlich beibringt, dass sie ihm prinzipiell ebenfalls gut gesinnt sind.

Angriffslust "als Ergebnis einer gezielten Zucht und Aufzucht"

Ein hochkarätiges Expertenteam hat 2000 für das österreichische Parlament erarbeitet, wie man die Gefährlichkeit von Hunden konkret definieren kann. Es herrschte Einigkeit, dass Rasse dabei kein Kriterium ist. Als gefährliche Hunde bezeichneten die Experten vielmehr solche, die „als Ergebnis einer gezielten Zucht und Aufzucht eine Angriffslust, Kampfbereitschaft oder Schärfe besitzen, die über das gezielte Maß hinausgehen“. Das kann Golden Retriever ebenso betreffen wie Dackel, Schäfer und Rottweiler. Ein wesentliches Merkmal ist außerdem, dass sie Menschen ohne Provokation anspringen und beißen oder wiederholt gezeigt haben, dass sie unkontrolliert Wild und Vieh hetzen und reißen. Das klingt trivial, aber laut Studien hatte ein Drittel der Hunde, die Menschen beißen, eine solche Vorgeschichte; sie sind also Wiederholungstäter. Bei ihnen anzusetzen und sie zu sozialisieren oder unsozialen Besitzern wegzunehmen, wäre ein viel sinnvollerer Schritt zur Gefahrenprävention, als vollkommen unseriös Rasselisten zu erstellen und die Besitzer solcher Hunde generell zu stigmatisieren und zu schikanieren.

Auch im aktuellen Fall hatte der unmittelbare Täter, also der mittlerweile eingeschläferte American Staffordshire Terrier, wohl eine prägende, von menschlichem Versagen oder Arglist geprägte Vorgeschichte. Was genau mit ihm geschah und welches Verhalten er zeigte, bevor er ins Tierheim gebracht wurde, ist Gegenstand polizeilicher Ermittlungen. Der Vorbesitzer gab bei der Abgabe laut Tierheim an, der Hund würde „nicht beißen, nur zwicken, wenn er sich schreckt“. Das sei aber ganz etwas anderes als der „Blutrausch“, den der Hund gegenüber den Pflegerinnen zeigte, erklärte der Obmann Karl Forstner. Es ist vorstellbar, dass der Hund mit Gewalt und übermäßigem Dominanzgebaren erzogen wurde. Dass er die Frauen ohne Vorwarnung angegriffen hat, mag daran liegen, dass ihm dies antrainiert oder unwissentlich anerzogen wurde.

Viele Menschen sind der Meinung, Hunde müssten sich alles gefallen lassen und dürften sie nicht anknurren. Sie ignorieren Stresssignale des Tieres. Eine Situation überfordert das Tier und es reagiert „angstaggressiv“, indem es knurrt und schnappt. Unterbindet man dieses Verhalten, das der Hund zu seinem Eigenschutz vorführt, wird er es wahrscheinlich beim nächsten Mal nicht zeigen, weil er erkennt, dass er so dem Zweibeiner nicht mitteilen kann, was ihn ängstigt. Er erklimmt als letzten Ausweg die oberste Sprosse auf der Eskalationsleiter. Er beißt zu, weil er am Ende seiner Weisheit angelangt ist, gelernt hat, dass alle anderen Signale nicht beim Menschen ankommen, und er schließlich keinen anderen Ausweg mehr weiß. Somit wurde er durch Unwissen und Ignoranz zur tickenden Zeitbombe, die unschuldige Opfer fordern kann.