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Krebs: Neue Hoffnung durch die einst umstrittene Immuntherapie

Krebs. Neue Hoffnung durch die einst umstrittene Immuntherapie

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Hildegard Schönauer aus dem niederösterreichischen Ravelsbach war 58, als sie im April 2011 bei einer Routineuntersuchung vom Gynäkologen erfuhr, sie habe eine Zyste am Eierstock. Nach einer fünfstündigen Operation stand fest: fortgeschrittener Eierstockkrebs, ein Lymphknoten befallen. Die Ärzte im niederösterreichischen Landesklinikum Korneuburg boten der Pensionistin eine Spezialbehandlung im Rahmen einer Studie an, bei der Sicherheit und Wirksamkeit einer neuartigen Immuntherapie getestet werden sollten. Dabei ging es um eine therapeutische Impfung gegen Krebs mit Hilfe sogenannter dendritischer Immunzellen. Zwölf Wochen nach der Chemo wurden aus dem Blut der Patientin solche Zellen gewonnen, im Labor aufbereitet und ihr nach einiger Zeit in zwei Tranchen unter die Haut gespritzt. Seither geht Schönauer alle drei Monate zur Kontrolle. "Bis jetzt ist alles in Ordnung“, sagt sie.

Ob die Immunzellen tatsächlich die Ursache dafür sind, dass sich die bekannt aggressive Krebsart bisher nicht wieder bemerkbar macht, lässt sich wissenschaftlich nicht seriös beantworten. Es gibt dafür keinen Beweis. Aber dass die Patientin 29 Monate nach der Diagnose krebsfrei ist, erscheint insofern bemerkenswert, als die mittlere Prognose bei Eierstockkrebs in diesem Ausgangsstadium bei 15 Monaten liegt.

Immuntherapie

Auch darüber hinaus mehren sich Hinweise darauf, dass die Immuntherapie Wirkung zeigen könnte. Denn die gibt es nicht nur bei dieser kleinen Studie des Kremser Forschungsunternehmens Cellmed mit nur 15 Patientinnen in drei Zentren, sondern bei weltweiten derartigen Versuchen gegen verschiedene Krebsarten.

„Erste Trendanalysen schauen sehr gut aus”
Ein zweites österreichisches Forschungsunternehmen, Activartis in Wien, will bis zum nächsten Frühjahr Ergebnisse einer Multicenter-Studie mit 78 Hirntumor-Patienten vorlegen, darunter einige im Kindesalter. Auch bei dieser Studie wurde die Wirksamkeit einer Immuntherapie mittels dendritischer Zellen getestet, diesfalls gegen das Glioblastom, einen der häufigsten Hirntumore. "Erste Trendanalysen schauen sehr gut aus“, berichtet Forschungsleiter Thomas Felzmann. Activartis hat von der europäischen Arzneimittelbehörde EMA und ihrem US-Pendant FDA bereits den Status "Orphan Drug Designation“ zuerkannt bekommen, den auch die Cellmed anstrebt. Dieser Status bedeutet, dass der betreffende Impfstoffkandidat Aussicht auf ein vereinfachtes und verkürztes Zulassungsverfahren hat, das bei Medikamenten für seltene Krankheiten gewährt wird. Optimisten des Fachs sind überzeugt, die Immuntherapie könne die Chemotherapie zumindest teilweise ersetzen und sei daher die Krebsbehandlung der Zukunft.

Kräfteverhältnis
Im Zentrum der Immuntherapie gegen Krebs stehen die dendritischen Zellen - das sind Zellen des Immunsystems, die zwei entscheidende Fähigkeiten besitzen: Sie sind erstens in der Lage, Antigene aufzubringen, und zweitens, die Killer-T-Zellen des körpereigenen Abwehrsystems zu mobilisieren. Das heißt, sie sind ein zentraler Faktor bei der Bekämpfung von Krankheitserregern oder sonstigen Eindringlingen. Dem Immunsystem gelingt es zu einem gewissen Grad sogar, Krebszellen zu eliminieren, die auch im gesunden Organismus immer wieder entstehen. Solange das Kräfteverhältnis zwischen Immunsystem und neu entstehenden bösartigen Zellen ausbalanciert ist, kommt es zu keinem Krebsleiden.

Wenn die Krankheit aber trotzdem ausbricht, entwickeln die Krebszellen immer neue, sehr gefinkelte Strategien, um der Immunabwehr zu entgehen. Sie teilen sich rasch und sind zugleich doch körpereigene Zellen, die das Immunsystem nicht als fremd erkennt. Daher suchen die Forscher seit Jahren nach Wegen, die dendritischen Immunzellen speziell gegen die spezifische Krebserkrankung von Einzelpatienten scharf zu machen. Zu diesem Zweck filtern sie aus dem Blut des Patienten sogenannte Monozyten - Vorläufer der dendritischen Zellen -, die sie im Labor zu vollwertigen dendritischen Zellen heranreifen lassen. Dann bestücken sie die Zellen mit einer Art Signatur des Tumors. In der Regel sind das Antigene wie etwa bestimmte Oberflächenbestandteile der Krebszellen, wobei die einzelnen Forschungsfirmen unterschiedliche, meist patentierte Zugänge verfolgen.

Die Kremser Cellmed, die einen Impfstoff namens "Procure“ entwickelt, nimmt für sich in Anspruch, ihre Dendriten als einzige Firma mit zwei verschiedenen Antigenen namens TERT und Survivin zu bestücken - mit einem weltweit einzigartigen, patentierten Verfahren. Activartis hingegen versieht die Immunzellen mit Polysacchariden, um sie von Immuntoleranz auf Immunangriff umzuschalten. Forschungsleiter Felzmann räumt aber ein, dass es bisher weltweit nur einem einzigen Unternehmen gelungen ist, einen wissenschaftlichen Wirkungsbeweis für die Impfung gegen Krebs zu erbringen - Dendreon in Seattle.

Im April 2010 hatte Dendreon von der strengen US-Arzneimittelbehörde FDA die Zulassung für die therapeutische Impfung "Provenge“ gegen metastasierenden Prostatakrebs bekommen. Nach der Marktzulassung hatte die Firma Probleme, der steigenden Nachfrage nach Impfstoff nachzukommen, vor allem deshalb, weil dieses Medikament für jeden Patienten individuell hergestellt werden muss. Das hat auch auf den Börsenkurs des Unternehmens gedrückt. Mit dem Biotech-Markt vertraute Analysten gehen dennoch davon aus, dass Dendreon unter seinem Wert gehandelt wird - trotz einer in Fachkreisen als veraltet eingestuften Technologie.

Für die Zukunft der Zelltherapie ist ein anderes Faktum von Bedeutung: 2011 wurde der Entdecker der dendritischen Zellen und Pionier der Immuntherapie gegen Krebs, der Kanadier Ralph M. Steinman, mit dem Medizinnobelpreis ausgezeichnet - drei Tage nach seinem Tod. Er selbst war 2007 an einem aggressiven Pankreaskarzinom erkrankt und lebte nach einer Eigenbehandlung mit dendritischen Immunzellen noch viereinhalb Jahre - bei einer Prognose von wenigen Monaten. Apple-Gründer Steve Jobs lebte mit seinem Pankreaskarzinom nach einer ähnlichen Immuntherapie acht Jahre.

Immuntherapie gegen Krebs
Die neuartige Methode ist nicht erst seit dem Nobelpreis für Steinmans Entdeckung in der hohen Wissenschaft angekommen. Schon seit Jahren debattieren Forscher bei Symposien über dendritische Zellen und die Immuntherapie gegen Krebs. Einer davon ist der Innsbrucker Immunbiologe Nikolaus Romani, der schon vor 25 Jahren einen Forschungsaufenthalt bei Steinman absolvierte und seit Langem in diesem Fachbereich arbeitet. Vor drei Jahren sprach Romani in Zusammenhang mit der Immuntherapie von einem "Paradigmenwechsel in der Krebsbehandlung“. Und im Oktober 2010 berichtete das Wissenschaftsjournal "Science“: "Langsam registrieren neue immunbasierte Therapien Erfolge im Kampf gegen Krebs

Krebsimpfung als Skandal
In Österreich sorgte die "Impfung gegen Krebs“ im Mai 2007 für einen Skandal. Die Wiener Gynäkologen Johannes Huber und Sepp Leodolter berichteten im Wochenblatt "News“ von angeblich "sensationellen“ Ergebnissen. Als "Beleg“ präsentierte das Magazin zwei Krebspatientinnen, deren Tumor sich nach der Behandlung mittels Zelltherapie zurückgebildet hatte. Ein Zusammenhang mit der Zelltherapie war zwar nicht auszuschließen, aber auch nicht beweisbar, weil es bei Krebs in Einzelfällen immer wieder ohne Therapie zu Spontanremissionen kommen kann. Daher war die Verbreitung von nicht geprüften Ergebnissen durch die beiden Mediziner ein wissenschaftlich unzulässiges Verhalten, das bei Krebspatienten falsche Hoffnungen wecken konnte. Das Wiener AKH startete daraufhin eine Untersuchung, konnte den beiden Ärzten aber außer der Veröffentlichung in "News“ kein weiteres Fehlverhalten anlasten. Angesichts der öffentlichen Schelte stiegen Huber bis auf einen Anteil von wenigen Prozent, Leodolter komplett aus der Cellmed, welche die Immunzellen aufbereitet hatte, aus und überließen das Feld ihrem Schüler Martin Imhof, Gynäkologie-Primar am Landesklinikum Korneuburg.

Krebsimpfung
Imhof und seine Mitarbeiter strukturierten das Unternehmen und das Projekt zur Entwicklung einer Krebsimpfung mittels dendritischer Zellen neu und modifizierten ihren therapeutischen Zugang: Fortan sollte die Behandlung des Eierstockkarzinoms nicht wie bisher an aus-therapierten Krebspatientinnen versucht werden, sondern zwölf Wochen nach der der ersten Standardtherapie (OP plus Chemotherapiezyklus). Denn bei austherapierten Patientinnen ist das Immunsystem bereits so geschwächt, dass die Erfolgsaussichten einer Zellbehandlung gering sind. Viel zielführender wäre es, so der Gedanke, mit der Behandlung zu einem Zeitpunkt zu beginnen, zu dem die Tumorlast möglichst gering und das Immunsystem möglichst intakt ist.

Impfung gegen Krebs

Das heißt aber, dass es selbst im Fall eines breiten Wirkungsnachweises für die Impfung gegen Krebs die chirurgische Entfernung des Tumors plus zumindest eine Tranche Chemotherapie weiterhin geben wird. Immunbiologe Romani denkt zudem auch an Kombinationen, etwa mit den bereits etablierten monoklonalen Antikörpern, wie sie auch sein Lehrer, Nobelpreisträger Steinman, ins Auge gefasst hatte. Und Activartis-Forschungsleiter Thomas Felzmann, glaubt, dass es Maßnahmen zur Verbilligung der Impfstoff-Herstellung braucht, etwa in Form einer Robotisierung, weil die Produktion in "Handarbeit“ viel zu teuer kommt. Cellmed hat aus diesem Grund mit dem Fraunhofer Institut bereits ein Automatisierungskonzept ausgearbeitet. Der Konkurrenzkampf zwischen etablierten Behandlungsformen und der Impfung gegen Krebs ist eröffnet, was die Aussichten für Krebspatienten wie Hildegard Schönauer nicht schmälern wird.

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Krebsimpfungskandidaten

Welche Forschungsunternehmen derzeit an dendritischen Zelltherapien arbeiten.

Dendreon Inc., Seattle, Washington, USA: von der FDA bereits zugelassener Impfstoff "Provenge“ gegen das fortgeschrittene Prostatakarzinom.

Argos Therapeutics, Durham, North Carolina, USA: Phase-III-Studie mit dem Impfstoff ADAPT gegen Melanom, Nieren- und andere Krebsformen.

Northwest Biotherapeutics, Bethesda, Maryland, USA: Phase-III-Studie mit dem Impfstoff CDVAX gegen Prostata-, Hirn- und andere Tumore.

Prima Biomed, Australien: Phase-III-Studie mit dem Impfstoff CVac gegen Eierstockkrebs.

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Krebsimpfung

Die wesentlichen Schritte, wie die Immunisierung durch Zelltherapie funktioniert

Im Labor

1. Ein vom Krebspatienten gewonnenes Tumor-Antigen wird im Labor mit einem zuckerhaltigen Protein (Zytokin) verbunden.

2. Dieser Komplex bindet an den Rezeptor einer dendritischen Vorläuferzelle.

3. Der Komplex wird von der dendritischen Vorläuferzelle aufgenommen.

Im Körper

4. Die dendritische Zelle reift und wird in den Körper des Patienten injiziert.

5. Die dendritische Zelle präsentiert das Tumor-Antigen an ihrer Oberfläche.

6. Die dendritische Zelle dockt mit dem Tumor-Antigen an den Rezeptor einer T-Zelle an.

7.Die dendritische Zelle sendet Signale ins Innere der T-Zelle und aktiviert sie so gegen den Krebs.

Im Tumor

8. Die T-Zelle attackiert Krebszellen.