Lichtverschmutzung in Wien.

Heller Wahnsinn: Wie Lichtverschmutzung uns schadet

Grelle Dauerbeleuchtung in Städten wie auch Dörfern kostet uns nicht nur das Erlebnis echter Nächte, sondern schadet auch der Gesundheit: Studien belegen gestörte Hirnfunktion und ein erhöhtes Diabetesrisiko. Ein neues Forschernetzwerk und raffinierte Technologie sollen die Lichtverschmutzung nun bekämpfen.

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Die Schlafbrille, häufiger Begleiter bei Langstreckenflügen, ist heute auch in vielen Schlafzimmern unverzichtbares Utensil. Denn das Licht heller Straßenlaternen, vorbeifahrender Autos und blinkender Werbetafeln würde sonst den Schlaf rauben. Als Lichtverschmutzung wird der übermäßige Einsatz von Lampen bezeichnet, welche die Umwelt auch nachts grell erleuchten. In Ballungsgebieten wie auch in vielen ländlichen Gegenden besteht kaum noch die Möglichkeit, in einen Nachthimmel mit voller Sternenpracht zu blicken. Doch nicht nur die Astronomen beklagen bereits seit Jahren, dass kaum mehr Oasen der Dunkelheit existieren. Lichtverschmutzung wirkt sich auch auf die Gesundheit des Menschen negativ aus, vornehmlich wegen der Beeinträchtigung des Tag-Nacht-Zyklus und der nächtlichen Regenerationsphasen.

Schon ein Wochenende abseits städtischer Dauerbeleuchtung erhöhte den Melatoninspiegel signifikant

Forscher der Universität von Colorado zeigten in einer Studie, die vorige Woche veröffentlicht wurde, dass ein Hauptgrund für Schlafstörungen der Mangel an natürlichem Licht tagsüber und jener von Dunkelheit in der Nacht ist. Die Wissenschafter maßen den Melatoninspiegel von Menschen, die in der Wildnis übernachteten. Das Hormon Melatonin ist für die Steuerung des Tag-Nacht-Rhythmus verantwortlich, des sogenannten zirkadianen Rhythmus. Schon ein Wochenende abseits städtischer Dauerbeleuchtung erhöhte den Melatoninspiegel signifikant. Die Erkenntnis: Unsere innere Uhr reagiert stark und rasch auf die natürliche Abfolge von Tag und Nacht, wie man sie nur fernab der Ballungsgebiete erleben kann. Aus anderen Studien ist bekannt, dass Melatonin wichtig für ein ausgeglichenes Immunsystem und gesunden Schlaf ist. Doch Kunstlicht im kurzwelligen blauen Bereich kann dessen Produktion hemmen, und zwar schon bei geringer Intensität.

Ein Report der American Medical Association kommt zu dem Schluss, dass ein Überdenken des Einsatzes kostengünstiger und energiesparender LEDs notwendig sei, um Auswirkungen auf menschliche Gesundheit auf die Umwelt zu reduzieren. Es gebe wissenschaftliche Beweise, dass Menschen, die weißem LED-Licht ausgesetzt sind, ein erhöhtes Risiko für Krankheiten wie Diabetes und sogar Krebs hätten. Außenbeleuchtung sollte daher eine Farbtemperatur von 3000 Kelvin haben, wohingegen die derzeit beliebten weißen LED zwischen 4000 und 5000 Kelvin aufweisen. Auch in Europa stellen Städte gerade auf dieses hellweiße Licht um.

Welche Bedeutung der Schlaf nicht nur für die körperliche, sondern auch für die geistige Gesundheit hat, zeigen ebenfalls neue Studien: Forscher der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore fanden in Versuchen an Mäusen heraus, dass sich die Synapsen des Gehirns während des Schlafs gleichsam rekalibrieren, damit die während des Tages gesammelten Informationen für späteren Gebrauch archiviert werden können. Offenbar kann aber nur eine gewisse Menge neuer Informationen gespeichert werden, dann ist Schlaf notwendig, damit diese nicht verloren gehen. Wissenschafter der University of Wisconsin-Madison und der University of California wiederum beobachteten, dass die Synapsen in Mäusegehirnen um bis zu 20 Prozent schrumpfen können, wenn die Tiere einige Stunden schlafen - doch genau das ist notwendig, um das Gehirn nicht zu überfrachten, so die These der Forscher.

Nicht nur Mäuse, auch andere Tiere leiden genauso unter dem Verlust der Nacht wie der Mensch: Orientierung, Nahrungsbeschaffung, Fortpflanzung und der notwendige Tag-Nacht-Rhythmus werden empfindlich gestört. Vögel kollidieren beispielsweise mit beleuchteten Gebäuden, Fische können sich nachts nicht mehr vor Räubern verstecken.

Während es bei Lärm konkrete Vorgaben gibt, mangelt es beim Faktor Licht an genauen Regeln, was erlaubt und verträglich ist

Christopher Kyba, Forscher des Deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ) in Potsdam, war an der Erstellung eines neuen Atlas der weltweiten Lichtverschmutzung beteiligt. Demnach sind 80 Prozent der Weltbevölkerung davon betroffen, in Europa und den USA 99 Prozent. Während es bei Lärm konkrete Vorgaben gibt, mangelt es beim Faktor Licht an genauen Regeln, was erlaubt und verträglich ist. Das liegt nach Ansicht von Kyba auch daran, dass kleinere Städte und Dörfer kaum über Kenntnisse der technischen Möglichkeiten verfügen: "In Großstädten wie Wien oder Berlin gibt es Lichtkonzepte, außerhalb nicht.“

Der Kanadier Kyba, der seit 2009 in Deutschland forscht, sieht aber Signale für ein Umdenken. "Als ich anfangs von Lichtverschmutzung berichtet habe, dachten die meisten Leute, ich würde mich versprechen und Luftverschmutzung meinen. Das ist heute nicht mehr so“, sagt Kyba. Und tatsächlich steigt das Bewusstsein, dass ein unbedachter Einsatz von Licht in der Nacht problematisch ist. Vor Kurzem hat sich ein spezialisiertes europäisches Forschungsnetzwerk namens "Loss of the Night Network“ (LoNN) formiert. Dieser Expertenverbund hat nun Leitlinien erarbeitet, wie Außenbeleuchtung in Städten eingesetzt werden kann, ohne Mensch und Tier negativ zu beeinflussen. Von der Universität Wien ist der Astrophysiker Thomas Posch bei diesem Netzwerk an Bord. Die Kernaussagen der Forscher: Licht dorthin lenken, wo es gebraucht wird, und nur dann einschalten, wenn es benötigt wird; Straßen weniger intensiv beleuchten; kaltweißes Licht weitestgehend vermeiden.

Die Umrüstung auf weiße LED ist falsch, besser sollte auf LED mit wärmeren Farben umgestellt werden

Wie kann Lichtverschmutzung in der Praxis eingedämmt werden? Zunächst durch die Art des Lichts, die eingesetzt wird. Der deutsche Physiker Andreas Hänel setzt sich seit Jahren für mehr Dunkelheit ein: "Die Umrüstung auf weiße LED ist falsch, besser sollte auf LED mit wärmeren Farben umgestellt werden.“ Doch das Hauptargument für das weiße Licht lautet, dass dieses rund fünf bis zehn Prozent weniger Energie verbraucht als LED mit wärmeren Farben. Eine Lösung des Dilemmas: Das Licht abdrehen oder dimmen, wenn es nicht benötigt wird.

Wiener Oper bei Nacht

Vor allem abseits der Städte wäre dies ein leicht gangbarer Weg, um die Lichtverschmutzung zu reduzieren. Kommunen in deutschen Bundesländern wie Niedersachsen machen dies längst - spätestens um ein Uhr morgens wird rigoros die Straßenbeleuchtung ausgeschaltet. Ein Pilotprojekt läuft derzeit auch bei den ÖBB: Bei einer Haltestelle in Bad Sauerbrunn wird der Einsatz einer Beleuchtung erprobt, die weniger Energie verbrauchen und besser für die Umwelt sein soll. Die Leuchten werden stark gedimmt, wenn sich keine Personen auf dem Bahnsteig aufhalten. Sobald ihn jemand betritt oder aus einem Zug steigt, wird voll beleuchtet. Zum Einsatz kommen dazu sehr empfindliche Kontrastsensoren des Wiener Unternehmens Illuminetsys, die auf Menschen reagieren, vorbeifahrende Züge jedoch ignorieren. Ein erster Probelauf vorvergangene Woche soll vielversprechend verlaufen sein. Um möglichen Sicherheitsbedenken vorzubeugen, ist das System so konstruiert, dass die Leuchten automatisch auf 100 Prozent hochfahren, sollte eine Komponente ausfallen.

Die Kosten für LED und Energie sind inzwischen so niedrig, dass es vielfach günstiger ist, die ganze Nacht auf Hochtouren zu fahren

In den nächsten Jahren erneuern die ÖBB österreichweit Hunderte kleinere Haltestellen, inklusive Beleuchtung. "Wir wollen mit unserem Licht nicht stören, daher suchen wir neue Konzepte“, sagt Karl Brandstätter, Verantwortlicher für Energietechnikanlagen bei der Infrastruktur-AG der ÖBB. Für Illuminetsys-Chef Premysl Vaclavik ist das ÖBB-Projekt ein Beweis, dass das Bewusstsein für Lichtverschmutzung steigt. "Ein wichtiges Kriterium bleiben aber die Anschaffungskosten.“ Das Problem ist ein grundsätzliches: Die Kosten für LED und Energie sind inzwischen so niedrig, dass es vielfach günstiger ist, die ganze Nacht auf Hochtouren zu fahren, statt das Licht mit ausgeklügelten Sensoren zu dimmen.

Auf steuerbare Straßenbeleuchtung ist auch das Unternehmen Lixtec spezialisiert: Nähern sich Autos, Radfahrer oder Fußgänger, werden diese von der Sensorik erkannt und die LED-Leuchten in einem bestimmten Bereich hochgefahren. Pkw lassen sich aus rund 70 Meter Entfernung identifizieren, Personen aus circa 30 Metern. Sobald diese den Bereich verlassen haben, wird das Licht wieder auf rund zehn Prozent reduziert. Die Leuchten sind meist in Gruppen von drei bis sieben Stück zusammengeschaltet, daher muss nicht gleich ein ganzer Straßenzug hell erleuchtet werden. Die Folgen sind weniger Lichtverschmutzung und ein niedrigerer Energieverbrauch. In Österreich wurden bisher rund 400 der klugen Leuchten installiert, unter anderem in Regau, Graz und Bruck/Mur.

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Lichtverschmutzung noch mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, sei es aus Energiespar- oder Gesundheitsgründen

Auch andere Gemeinden konzentrieren sich vermehrt auf das Thema. So hat das Land Oberösterreich einen Leitfaden mit "Alternativen zum Lichtsmog“ erstellt und will die nächtliche Himmelserhellung detailliert messen. Im steirischen Gleisdorf wird untersucht, wie sich der Einsatz intelligenter Leuchten auf den Energieverbrauch auswirkt. Stefanie Suchy leitet das Tiroler Projekt "Helle Not“, das vor zehn Jahren begann und mit Feldstudien und neuen Beleuchtungskonzepten gegen Lichtverschmutzung ankämpft. "Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Lichtverschmutzung noch mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, sei es aus Energiespar- oder Gesundheitsgründen“, glaubt Suchy.

Ein Killerargument bei der Beleuchtung ist die Sicherheit, also das subjektive Gefühl, dass mehr Licht mehr Sicherheit bedeutet. Um der Angst der Bevölkerung vor Einbrüchen oder Gewaltdelikten zu begegnen, pflanzen die Gemeinden alle paar Meter Straßenlaternen in die Landschaft. Objektiv bringt diese Dauerbeleuchtung gar nichts: Es gibt keine Untersuchung, welche die Rechnung, wonach mehr Licht auch zu mehr Sicherheit führt, bestätigen könnte. Im Gegenteil: Im englischen Bristol stieg die Zahl der Einbrüche keineswegs, nachdem die Straßenbeleuchtung reduziert wurde. In einigen Stadtteilen sank die Kriminalität sogar. Ähnliche Resultate erbrachten Studien aus Australien.

Licht ist eine emotionale Sache, und es herrscht die Meinung, dass viel Licht nötig ist, um gut zu sehen

Das Wettrüsten bei der Helligkeit, wie es Andreas Hänel formuliert, führt dazu, dass man vor lauter Licht noch weniger erkennt als bei Dunkelheit: "Licht ist eine emotionale Sache, und es herrscht die Meinung, dass viel Licht nötig ist, um gut zu sehen“, sagt Christopher Kyba. Dabei kommt es nicht auf die Menge an Licht an, um das Gefühl von Sicherheit zu geben, sondern auf das richtige Licht. Forscher sind überzeugt: Wird das Licht klüger und zielgerichteter eingesetzt, werden Menschen und Tiere weniger gestört, kann Energie gespart werden und wieder öfter ein echter Nachthimmel bestaunt werden. Und Schlafbrillen würden wir nur noch im Flugzeug brauchen.

Nachtschicht

Per Hubschrauber wurde nun ermittelt, wo Wien am hellsten leuchtet.

Welche Lichter in Wien sind die hellsten? Um das zu erkennen, zog ein Hubschrauber nächtliche Runden über der Stadt und identifizierte dabei die größten Lichtquellen. Das Naturhistorische Museum Wien und der Verein Kuffner-Sternwarte führten diese Messungen durch, die für Beleuchtung zuständige Magistratsabteilung 33 war ebenfalls beteiligt - und erhofft sich von der neuen Lichtbilanz Rückschlüsse auf einen verbesserten Einsatz der Beleuchtung. Im Rahmen der Planetarium-Show "Verlust der Nacht“ im Naturhistorischen Museum soll auch die Öffentlichkeit vermehrt für das Thema sensibilisiert werden.