Wissenschaft

Multiresistente Keime: Wenn kein Mittel mehr hilft

Eva Maicovski leidet an multiresistenten Keimen. Sie ist damit nicht allein: Diese Keime sind in Österreichs Spitälern ein Problem. Dabei ließe sich mit einfachen Maßnahmen das Infektionsrisiko deutlich reduzieren.

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von Emilia Garbsch

R. Dieser eine Buchstabe hat das Leben von Eva Maicovski verändert. Im Jahr 2017 sieht sie ihn das erste Mal auf einem Befund. Damals bekommt Maicovski kaum Luft. Ihre Lunge ist voll mit Schleim, Abhusten kaum noch möglich. Ihr Arzt schickt eine Probe ins Labor. Das Ergebnis: In ihren Atemwegen hat sich ein Bakterium eingenistet. Der Name: Pseudomonas aeruginosa, ein gefürchteter Keim. Im Fall von Maicovski ist er zusätzlich behandlungsresistent gegen antibiotische Arzneimittel. Das markiert das "R", kurz für resistent, das damals neben fast allen Antibiotikaklassen im Befund steht. "Ich wusste sofort, was das bedeutet, und war erschrocken", erzählt die ehemalige Krankenpflegerin.

Nach Schätzungen sterben weltweit jedes Jahr 1,3 Millionen Menschen, weil Antibiotika bei ihren Infektionen nicht anschlagen. 35.000 davon in Europa. Zur Einordnung: An HIV/Aids starben 2021 etwa 650.000 Menschen, an Malaria 620.000. Nicht umsonst warnt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) seit Langem vor Antibiotikaresistenzen. Ende 2022 bezeichnete sie in einem Bericht multiresistente Erreger als "eine der zehn größten Bedrohungen für die globale Gesundheit"-2021 sogar als "stille Pandemie".

Antibiotikaresistente Bakterien sind nicht per se gefährlicher als normalresistente Bakterien-aber schwerer zu behandeln, weil es dann an Optionen fehlt. So werden sie vor allem zum Problem für Immungeschwächte, also etwa Ältere, Kranke und Kleinkinder.

Eva Maicovski (68)

Eine Therapie, die in Österreich nicht etabliert ist, war wohl ihre Rettung im Kampf gegen multiresistente Keime.

Eva Maicovski hat sich ihre Infektion vermutlich im Krankenhaus geholt. Schon in der Kindheit hatte sie chronische Bronchitis und immer wieder Lungenentzündungen. Heute ist sie Ende 60 und in Pension. Davor arbeitete sie als diplomierte Krankenpflegerin auf der Intensivstation eines Grazer Spitals. Immer wieder trugen ihre Patienten multiresistente Bakterien in sich. Oft anfangs unbemerkt. Erst nach Untersuchungen wurden sie entdeckt, die Patienten isoliert. Einmal wohl zu spät für Maicovski, glaubt sie.

Im Spital werden Infektionen durch multiresistente Keime oft zum Problem. Sie entstehen allerdings meist außerhalb der Krankenhäuser. Der größte Risikofaktor in Österreich: die Massentierhaltung. Zusammengepferchte Nutztiere werden schnell krank, bekommen oft Antibiotika, das begünstigt Resistenzen. 2022 ließ die Umweltorganisation Greenpeace 24 Fleischproben aus österreichischen Supermärkten testen. Das Ergebnis: Mehr als jedes dritte Stück Fleisch war mit antibiotikaresistenten Bakterien belastet. Trotzdem steigt die Menge der verkauften Antibiotika sogar, wie ein Bericht im Auftrag des Gesundheitsministeriums zeigt: 2020 wurden 43,65 Tonnen Antibiotika zur Behandlung von Nutztieren vertrieben-rund acht Prozent mehr als 2019. Werden in Tieren Bakterien resistent, können diese über Kot und Kadaver ins Abwasser gelangen-und damit zu Menschen. Gesunde merken das vielleicht gar nicht.

Auch Eva Maicovskis Infektion blieb lange unbemerkt. Als ihr Husten heftiger wird, dachte sie sich lange nichts, dann fiel ihr das Abhusten immer schwerer. Immer öfter hat sie Fieberschübe und Lungenentzündungen. Jedes Mal nimmt sie Antibiotika. Dann geht es ihr kurz besser-und bald wieder schlechter. So geht das über Jahre. "Und irgendwann halfen die Antibiotika nicht mehr", sagt Maicovski.

Warum eigentlich? Jeder Einsatz von Antibiotika fördert Resistenzen. Denn das Erbgut von Bakterien mutiert ständig. Antibiotika töten zwar das Ursprungsbakterium ab, aber das mutierte bleibt bestehen und wird dominant. Gegen dieses fehlt dann mitunter ein Mittel. Als multiresistent wird ein Bakterium bezeichnet, sobald es gegen zwei oder mehr Antibiotikaklassen nicht mehr empfindlich ist.

"Antibiotikaresistenzen können nicht verhindert, sondern höchstens verlangsamt werden", sagt Mojgan Prinz. Sie ist Fachärztin für Labordiagnostik und leitet im "Labcon Hygienekompetenzzentrum" das Ressort Antibiotika-und Infektionsberatung. Aus Erfahrung weiß sie: Keine Antibiotika zu geben, ist oft trotzdem nicht sinnvoll. So bleibe nur, die Resistenzwerdung zu verlangsamen. Etwa indem das genau richtige Antibiotikum eingesetzt wird-und zwar hoch dosiert und ausreichend lang. Wenn nicht alle Keime absterben, begünstigt das Resistenzbildungen. "Außerdem werden Antibiotika oft unnötig eingesetzt, etwa bei einer viralen Infektion wie Schnupfen", sagt Prinz. Jedes dritte Antibiotikum wird laut einem Report der deutschen Krankenkasse fehlerhaft verschrieben. Antibiotikaresistenzen sind stets ein Wettlauf gegen die Zeit. "Das ist ein Kampf, der immer weitergeht", sagt Antibiotika-Expertin Prinz. Sie erinnert sich gut an eine Phase Anfang bis Mitte der 2010er-Jahre. Die Aufregung war damals international groß. Für manche Erreger gab es quasi keine wirksamen Antibiotika mehr. Der Markt produzierte nicht schnell genug neue Mittel, um gegen Resistenzen anzukommen. Erst nach steigendem Druck wurden doch noch neue Antibiotika entwickelt.

"Antibiotikaresistenzen können nicht verhindert, sondern höchstens verlangsamt werden."

Mojgan Prinz, Fachärztin für Labordiagnostik

Neue antibiotische Wirkstoffe zu erforschen, ist wenig attraktiv für die Pharmaindustrie. Denn um neue Resistenzbildungen zu verzögern, sollten sie möglichst zurückhaltend eingesetzt werden. Der Absatzmarkt für solche Reserveantibiotika ist also kleiner. "Trotzdem sind in den letzten Jahren einige sehr potente Antibiotika gegen multiresistente Erreger auf den Markt gekommen. Aber wir sehen jetzt nach zwei, drei Jahren, dass sich schon neue Resistenzen entwickeln", sagt Prinz.

Der Preis regelt dabei auch das Aufkommen von Resistenzen. Wird ein Antibiotikum zum Generikum und somit billiger, wird es öfter verschrieben. In der Folge bilden sich mehr Resistenzen. Eine Preisregulierung und mehr politische Lenkung könnte laut Prinz Abhilfe schaffen: "Wir müssen die Antibiotikaüberwachung ausbauen." Aktuell können Labore zwar festgestellte Antibiotikaresistenzen melden-aber sie müssen nicht. Prinz: "Diese fehlende Meldepflicht ist vollkommen unverständlich für mich."

Michaela Wlattnig geht noch weiter: "Um eine Qualitätssicherung zu erreichen, bräuchten wir eine öffentliche Datenbank, die das Infektionsrisiko pro Einrichtung offenlegt", sagt sie. Wlattnig ist Sprecherin der Österreichischen Patienten-und Pflegeanwälte. Wer sich durch Fremdverschulden einen multiresistenten Keim einfängt, hat Anspruch auf Schadenersatz. Dasselbe gilt, wenn auf eine Infektion nicht zeit-oder fachgerecht reagiert wurde. Doch den Nachweis dafür zu erbringen, ist schwer, weiß Wlattnig.

Im Fall von Eva Maicovski wurde wohl kein Fehler gemacht. Infektionen gehören zum Berufsrisiko ihrer Ex-Branche. Auch dass sie "hart im Nehmen" ist, wie Maicovski sagt, ist eine mitunter notwendige Eigenschaft für die Arbeit als Krankenpflegerin. Selbst als ihr nach einem Stockwerk die Luft wegbleibt, arbeitet Maicovski weiter. Sie reißt sich lieber zusammen, als zu jammern. "Sie hat gelitten wie ein Hund. Abends war sie nur mehr kaputt", sagt hingegen Maicovskis Ehemann.

Einmal war sie drei Monate lang im Krankenstand. Als Krankenpflegerin versteht sie ihre Prognose. Und die war schlecht: "Ich hätte immer mehr Schleim produziert, die Antibiotika hätten immer mehr zerstört. Irgendwann wäre ich am Schleim erstickt", sagt sie. Es kam anders. Als Maicovski mit ihrem Oberarzt über ihre Beschwerden spricht, fragt er sie: "Warum machst du keine Phagentherapie?" Für Maicovski war diese Frage vielleicht die Rettung.

"Um Qualitätssicherung zu erreichen, bräuchten wir eine öffentliche Datenbank."

Michaela Wlattnig, Sprecherin der Österreichischen Patienten-und Pflegeanwälte

Phagen sind Viren, sie greifen Bakterien an. Maicovski beschließt, ihr Glück zu versuchen, und reist 2018 für drei Wochen nach Tiflis in eine georgische Spezialklinik. Für ihren Aufenthalt inklusive Phagen-Behandlung zahlte sie damals rund 7000 Euro. Bis heute werden ihr die Phagen aus Tiflis geliefert-pro 50-tägiger Therapierunde kostet sie das 800 Euro. Bei der Einfuhr gebe es oft Scherereien mit dem Zollamt, erzählt Maicovski. Aber ihr ist es das wert. "Seither geht es mir so viel besser", sagt sie. Zurück blieb nur der leichte Husten.

Warum sind Phagen nicht auch in Mitteleuropa längst Usus? Immerhin spricht auf den ersten Blick viel für sie. Anders als bei Antibiotika gibt es keine Nebenwirkungen. Wirkt ein Präparat nicht mehr, lässt sich ein neues mixen. Auch bei Maicovski muss der Cocktail ab und zu angepasst werden. Die Phagentherapie ist damit eine hoch individualisierte und spezialisierte Medizin. Genau darin liege auch der Haken, sagt Hygieniker und Infektiologe Ojan Assadian: "Nicht jede theoretisch gute Lösung, erweist sich auch als praktisch relevant und umsetzbar." Zu groß sei der logistische und finanzielle Ressourcenaufwand, um Phagen routinemäßig zu verschreiben.

Die Realität, mit der es umzugehen gilt: Das Problem ist gekommen, um zu bleiben. "Eine Antibiotikaresistenz entsteht schnell, aber es dauert Jahrzehnte, sie wieder wegzukommen",sagt Assadian. Bis dahin entstehen neue Resistenzen. Assadian glaubt: Genau diese langen Zeiträume machen politisches Handeln schwer. Dabei gilt: Prävention wäre effektiver und kostengünstiger als Reaktion.

"Wir müssen von dieser Reparaturmedizin weg."

Gerlinde Angerler, Leiterin Labcon Hygienekompetenzzentrum

Das weiß auch Gerlinde Angerler. Sie ist Teil des Arbeitskreises für Hygiene in Gesundheitseinrichtungen der Stadt Wien und leitet das Labcon Hygienekompetenzzentrum. "Wir müssen von dieser Reparaturmedizin weg", sagt sie. Ein Beispiel: Vor Eingriffen lässt sich mit entsprechenden desinfizierenden Mitteln das Infektionsrisiko der OP-Wunde deutlich reduzieren. Dafür müssten Patienten aber bereits einige Tage vor ihrer Operation damit beginnen. Weil es aber an zeitlichen und finanziellen Ressourcen fehle, wird diese Präventionsmethode selten eingesetzt, sagt Angerler: "Wenn ich heute aber zu einem Arzt gehe und einfordere, dass ich ein Antibiotikum bekomme, dann bekomme ich es meistens."Um das zu ändern, müsse die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung gestärkt werden.

Maicovski hat sich trotz Hygienemaßnahmen infiziert. Heute ist sie 68 Jahre alt. "Im Herzen bin ich aber 38, auch wenn mein Körper sich lange wie 90 angefühlt hat", sagt sie und lacht. Ihre Lunge rasselt dabei leise. An Heilung glaubt Maicovski nicht mehr. Zu angeschlagen sei ihre Lunge mittlerweile. Aber: "Ich fühle mich jetzt wieder als Mensch. Ich kann wieder atmen."