Thomas Lovejoy

Thomas Lovejoy: Der Dschungelkönig

Thomas Lovejoy ist der weltweit einflussreichste Ökologe und prägte den Begriff Biodiversität. Seit 40 Jahren erforscht er die katastrophalen Folgen der Abholzung brasilianischer Regenwälder.

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Es ist Nacht im Regenwald, dunkel, heiß und laut. Die Baumkronen sind dicht, der Himmel nicht zu erkennen. Einen Moment lang fühlt es sich an, als stünde man im Nichts, auf einer leeren, grenzenlosen, schwarzen Fläche. Blätter rascheln, Unterholz knarzt, Insekten zirpen, in der Ferne schreien Brüllaffen.

Thomas Lovejoy, ein drahtiger Mann im Safari-Outfit, schlurft über den Pfad, tastet mit den Füßen die Wurzeln auf dem Weg ab. Der 77-Jährige ist einer der renommiertesten Ökologen weltweit. Man nennt ihn den "Godfather of Biodiversity". Es heißt, er habe diesen für die Vielfalt von Arten und Ökosystemen stehenden Begriff sogar geprägt. Lovejoy erforscht im Regenwald des Amazonasbeckens im Norden Brasiliens, was in welchem Maß diese für das menschliche Wohlergehen so wichtige Vielfalt bedroht. Es ist sein Lebenswerk.

Die US-Präsidenten Ronald Reagan, Bill Clinton, George Bush und Barack Obama ließen sich von Lovejoy beraten. Schauspieler, Sänger, Politiker und Manager folgten seiner Einladung und verbrachten mit ihm ein paar Tage im Regenwald. Diesmal ist eine neunköpfige Gruppe zu Gast. "Jeder, der hier war, sagt danach, es habe sein Leben geändert", flüstert Lovejoy. Die Gruppe ist eingehüllt in die Töne von Millionen von Insekten, von Fröschen, Vögeln, Fledermäusen, Affen. "Wir sehen nichts, aber alle sehen uns", sagt Lovejoy. Plötzlich leuchtet am Boden etwas auf. Die Farne und Sträucher beginnen zu glimmen. Der Wald leuchtet. "Biolumineszente Pilze, das natürliche Licht des Regenwaldes", erklärt Lovejoy. "Unglaublich, als würden wir vom Wald willkommen geheißen", murmelt jemand in der Gruppe.

Seit 40 Jahren kommt Lovejoy hierher. Damals sicherte er sich gut ein Dutzend Waldstücke zu Forschungszwecken. Er wollte wissen, wie sich die Fragmentierung des natürlichen Lebensraumes auswirkt. Wie groß, so lautete seine Leitfrage, muss ein Waldrefugium mindestens sein, damit die Artenvielfalt erhalten bleibt?

Lovejoy machte den Urwald zu seinem Laboratorium, ließ seine Waldstücke in Quadrate verschiedener Größen schneiden. Er simulierte dadurch gleichsam für die Forschung, was sonst ohne begleitende Kontrolle geschieht: die Durchtrennung und Unterbrechung großflächiger Wälder durch Straßen und sonstige künstliche Infrastrukturen, die Parzellierung natürlicher, zusammenhängender Lebensräume. Das kleinste seiner Fragmente misst einen Hektar, das größte 1000. Lovejoy untersuchte, wie sich Flora und Fauna in diesen botanischen Inseln über die Jahrzehnte entwickelten. Er zählte Tiere und Pflanzen, mit Helfern spannte er feine Netze in den Baumkronen, um Vögel und Fledermäuse mit Keschern einzufangen und mit einem Zahlencode zu beringen, bevor er sie wieder freiließ. Er nummerierte Bäume, notierte deren Umfang und Zustand. Jedes Jahr wiederholte er diese Prozedur und dokumentierte die Veränderung. Das 1979 gestartete Experiment umfasst mittlerweile mehr als 1000 Quadratkilometer amazonischen Regenwald, eine Fläche, zehn Mal so groß wie Paris. Es ist eines der größten ökologischen Experimente aller Zeiten.

Fataler Dominoeffekt

Ein Vierteljahrhundert nach Projektbeginn veröffentlichte Lovejoy eine Studie, die exemplarisch darlegte, wie durch Abholzung oder Durchschneiden der Lebensräume mit Straßen und Siedlungen nicht nur Arten aussterben, sondern ein fataler Dominoeffekt eintritt. Stirbt eine einzige Ameisenart, sterben mit ihr Vogelarten, die von den Ameisen aufgescheuchte Würmer fressen. Die Population dieser Würmer steigt. Die Pilze, von denen diese sich ernähren, werden knapp. Insekten, die in den Pilzen nisten, finden keinen Platz mehr, Kröten, die diese Insekten fressen, nicht mehr genug Nahrung. Und so weiter. Lovejoy leitete ab, dass diese Mechanismen für alle Biotope gelten. Das Projekt läuft bis heute und erbrachte über die Jahre immer neue Daten. Lovejoy aber verlegte nach zehn Jahren im Regenwald den Schwerpunkt seiner Arbeit. Um den Wald zu retten, so seine Erkenntnis, brauche es mehr als nüchterne Forschung. Es brauche prominente Botschafter. Lovejoy brachte einflussreiche Leute in sein Camp im Regenwald: zum Beispiel Al Gore, Tom Cruise und den früheren Chefredakteur der Washington Post, Ben Bradlee. Er wollte, dass sie den Regenwald hautnah erleben, wohlwissend, dass viele Naturphänomene bei den Besuchern bleibenden Eindruck hinterlassen würden.

Thomas Lovejoy wuchs in Manhattan auf. Als Jugendlicher wurde er in ein Internat im Bundesstaat New York geschickt. Die Eliteschule hatte einen eigenen Lehrzoo, Biologie war Pflichtfach. "Im ersten Jahr begannen wir bei Blaualgen und endeten bei Blauwalen", sagt Lovejoy. Die Vielfalt faszinierte ihn, die Buntheit und Grausamkeit der Tierwelt, die Stärke und Verwundbarkeit der Natur. Nach der Schule ging Lovejoy an die Universität Yale, wo er 1962 "Silent Spring" von Rachel Carson las. Das Buch beschreibt die Auswirkungen von Pestiziden und Herbiziden auf die Fauna Nordamerikas -die Dystopie eines stummen Frühlings, in dem kein Vogel mehr singt. Das Buch gilt als Grundstein der US-Umweltbewegung. Lovejoy wurde einer der frühesten Mitstreiter.

Er studierte bei George Evelyn Hutchinson, der als Vater der modernen Ökologie gilt. Hutchinson erkannte Lovejoys Ambitionen. Als Hutchinson ein Sommerstipendium für eine Forschungsreise nach Brasilien zu vergeben hatte, bot er Lovejoy die Assistenz an. 1965 landete Lovejoy in Belém, am Rande des Amazonasbeckens.

Zu der Zeit begann die industrielle Abholzung nahe Belém. Lovejoy spürte, dies würde den Regenwald als Ganzes in Gefahr bringen. Es würde irgendwann der Punkt erreicht sein, an dem sich der Wald nicht mehr regenerieren kann. Lovejoy fand aber keine systematische Forschung dazu. So kam er auf die Idee mit den Quadraten: isolierten Waldinseln, die ein in sich geschlossenes Biotop darstellen, an denen sich zeigen lässt, was im Großen passiert, wenn der Raubbau weitergeht.

Er begann 1973 beim WWF zu arbeiten, leitete das Naturschutzprogramm. 1976 traf er einen brasilianischen Forscher, dem er von seinem Plan erzählte. Der Brasilianer verwies Lovejoy auf ein Gesetz, wonach jeder Farmer einen gewissen Prozentsatz seines Landes ursprünglich belassen müsse. Lovejoy kaufte ein Ticket nach Manaus und fuhr wochenlang von Farm zu Farm, um den Bauern Land abzuschwatzen. Mit Dutzenden Zusagen flog er zurück nach Washington, überzeugte seinen Vorgesetzten im WWF, eine Stelle für einen Masterstudenten zu finanzieren, der ihm bei der Projektentwicklung helfen sollte. Der Student suchte nach geeigneten Flächen, Lovejoy warb weiter für seine Idee. Die Smithsonian Institution und die National Geographic Society verpflichteten sich für ein paar Jahre, die Weltbank und zuletzt auch die brasilianische Entwicklungsbank schossen Mittel zu.

Im Regenwald begannen 1979 die wissenschaftlichen Arbeiten: Flächen ursprünglichen Regenwaldes wurden definiert und "zugeschnitten", indem die Randbereiche abgeholzt wurden, vergleichbar den industriellen Eingriffen: ein Hektar, zehn Hektar, 100 Hektar, 1000 Hektar. In perfekten Quadraten, umgeben von Weideland. Wie Inseln. Einige Teams blieben das ganze Jahr über vor Ort, Lovejoy pendelte zwischen dem Regenwald und Washington, wo er bis 1987 für den WWF arbeitete, dann 1987 bis 1998 als stellvertretender Sekretär der Smithsonian Institution.

Weitere berufliche Stationen waren Chefberater für Biodiversität bei der Weltbank, Vorsitzender der Beratergruppe für Nachhaltigkeit der Interamerikanischen Entwicklungsbank, leitender Berater des Präsidenten der UN-Stiftung. Mehr als 20 Jahre fungierte er als Berater für Umweltschutz im Weißen Haus. Al Gore tauscht sich mit ihm seit vielen Jahren aus. Lovejoy wandte das Konzept der Corporate Social Responsibility auf Umwelt und Artenvielfalt an und begann, Unternehmen wie die Mars Company und Caterpillar zu beraten. So vernetzte er sich mit nahezu allen Institutionen , die sich mit Umwelt beschäftigen. Er war bei Grillpartys bei Senatoren und bei Empfängen im Weißen Haus. Fotos von damals zeigen ihn mit Anzug und Fliege, Seite an Seite mit den mächtigsten Männern der Welt. Regelmäßig aber verschwand er für Monate im Regenwald. In der drückenden Hitze lief er durch seine Fragmente, nummerierte Bäume, zählte Spezies von Farnen, Sträuchern, Moosen.

Der amazonische Regenwald stirbt mit jeder Straße und Farm ein bisschen mehr

Die Datenbank war so detailliert, wie es wohl nirgendwo in den Tropen, vielleicht in keinem Wald der Welt je gemacht wurde. 2003 erschien die Studie "Rates of Species Loss From Amazonian Forest Fragments", eine der wichtigsten Arbeiten der modernen Ökologie. Darin wurden Lovejoys Fragmente mit Kontrollflächen in intaktem Regenwald verglichen. In einem Fragment etwa ging die Biodiversität um bis zu 50 Prozent zurück. Ganze Nahrungsketten an Arten starben aus. Je kleiner das Fragment, desto mehr große Tiere sterben aus. Je größer außerdem der Bewegungsradius einer Spezies, je komplexer die Nahrungskette, desto eher stirbt sie aus. Auch große, jahrhunderte-oder jahrtausendealte Bäume sind deutlich anfälliger. "Das Isolieren eines Ökosystems ist das Äquivalent zu Radioaktivität", vergleicht Lovejoy: Es zersetzt sich, wird simpler. "Das gilt für den Regenwald und für jedes Biotop." Die Arbeit bewies: Der amazonische Regenwald stirbt mit jeder Straße und Farm ein bisschen mehr -und zwar exponentiell. Und es gibt einen Punkt, an dem das System unwiederbringlich kippt. Am Anfang ging Lovejoy noch von einem Kipppunkt bei rund 40 Prozent Abholzung aus. Mittlerweile rechnen Tropenökologen damit, dass er bei 20 bis 25 Prozent liegt. "Die Abholzungsquote liegt heute bei 18 Prozent", sagt Lovejoy.

Lovejoy wusste stets, dass wissenschaftliche Forschung zwar unerlässlich ist, sie aber nicht ausreicht, um wirklich etwas zu bewegen. Was sein Projekt einzigartig macht, ist das Gefühl. Die Hitze, die Feuchte, das Grün, die Geräusche -der Regenwald wirbt für sich selbst. Lovejoy musste nur dafür sorgen, dass die richtigen Leute ihn betreten. So begannen die Expeditionen wie jene mit der neunköpfigen Gruppe.

In Toyotas rattern die Besucher weiter über den Lehmweg auf dem Weg ins Camp 41, das Basislager des Projekts, 90 Kilometer nördlich von Manaus. Es beginnt zu regnen, die Reifen driften über den lehmigen Boden. Plötzlich halten die Wagen an. Lovejoy schultert einen kleinen Rucksack, die Fahrer packen Holzkisten aus den Autos, schleppen sie in den Wald, den kleinen Pfad entlang, der Tage später von Pilzen ausgeleuchtet sein wird. Nach zehn Minuten Laufweg über Wurzeln und Farne und Ameisenstraßen erscheint eine Lichtung. In der Mitte ein Häuschen mit Grill, Kochplatten und Bierbänken, daneben ein kleiner Wasserturm, außen herum Konstruktionen aus Wellblech und Holz, in denen Hängematten gespannt sind. Zwei Studenten sitzen am Rande einer der Baracken und starren in Mikroskope, vor ihnen Laptop und Lupe. Die Fahrer und Küchenarbeiter des Camps tragen T-Shirt und Bermudas, die Gäste das, was sie für Urwald-Outfits halten, Cargohosen, Panamahüte, Feldflaschen am Gürtel. Wie ein Ferienlager für Erwachsene. Betritt man die Lichtung, erschlägt einen die Sonne. Die Luft steht still. Lovejoy erträgt die Hitze mit Würde, kein Seufzen, nur ein kurzes Ausschütteln, als er den Rucksack von den Schultern gleiten lässt. "In zehn Minuten geht es los in den Wald", ruft er in die Runde. "Der Regenwald ist keine einfache Schönheit. Man muss ihn sich verdienen."

Das Camp ist umgeben von intaktem Regenwald und einem System an dünnen, überwucherten Pfaden, die von hier in die anderen sieben Camps führen, teilweise einen Tagesmarsch entfernt. Das erste, was man im Wald spürt, ist Erleichterung, es wird kühler, die dichten Baumkronen schützen vor der Sonne. Direkt gefolgt von Vertrautheit, irgendwie sieht es genau so aus, wie man sich das vorstellt. Und dann, schleichend, eine milde Enttäuschung. Grün, dunkles Grün und helles Grün, und ab und zu ein paar Ameisen. Keine Affen und Tiger und Elefanten wie im Dschungelbuch. Kein Jaguar und kein Ozelot. Nicht einmal ein Frosch. An einer Biegung am Pfad scheint die Sonne durch die Baumkronen, wie durch ein natürliches Fenster. Auf einem Ast, der wie ein Ausguck vor der Lichtung hervorragt, bewegt sich etwas Großes, Dunkles. Lovejoy packt das Fernglas aus, befestigt es auf einem Stativ, justiert es und blickt hinein. Auf dem Ast, vor dem hellblauen Himmel, sitzt ein Vogel, groß wie ein Milan, stark, kompakt, mit weiß geschecktem Bauch und dunklen, langen Flügeln, wie ein Herrscher sieht er herab. "Ein Prachthaubenadler, der schönste aller amazonischen Adler", sagt Lovejoy, sichtlich beeindruckt. "Adlernester sind hier im Regenwald aus ", sagt er, als ihn ein lautes Geräusch stocken lässt. "Woof", macht es. "Woof!", macht es wieder. Mario Cohn-Haft, ein Ornithologe aus Massachusetts, wischt hektisch auf seinem Smartphone herum. "Woof" macht es aus dem Handy, und "Woof" schallt es aus den Baumkronen. "Das kann doch nicht wahr sein", murmelt der Ornithologe Dann raschelt es, und ein leuchtend roter Vogel fliegt zwischen zwei Ästen hin und her. "Ein Crimson Fruitcrow, Haematoderus militaris!", ruft Cohn-Haft begeistert, in seinen 20 Jahren im Regenwald habe er so einen erst ein Mal gesehen. Man macht Exkursionen in den Wald, geht Vögel beobachten, in einem Zufluss des Amazonas baden, Lovejoy doziert über interessante Nebensächlichkeiten, an den Abenden sitzt man noch lange bis in die Nacht in der Dunkelheit vor dem Camp, beleuchtet nur von ein paar LED-Lichtern.

Lovejoy weiß, dass dieses Gefühl der Zusammengehörigkeit wichtiger ist als die Ergebnisse seiner Forschung. "Ich musste die Biologie aufgeben und mich auf das Netzwerk konzentrieren", sagt er. In Washington kannte Lovejoy die meisten, die mit der Umweltbewegung sympathisierten, er hatte sie schließlich mitbegründet. Lovejoy schickte Ende der 1980er-Jahre einem US-Senator aus Colorado, der für sein Umweltinteresse bekannt war, Satellitenaufnahmen von der Entwaldung des Amazonasbeckens. Der Senator schrieb Lovejoy, er wolle das mit eigenen Augen sehen. Wenige Wochen später besuchten er und die Senatoren Al Gore und John Heinz das Camp 41. Bis heute waren 21 US-Senatoren dort. Nachdem die Interessengruppe "Earth Communications Office" aus Kalifornien auf Lovejoy aufmerksam geworden war, zeigten auch Hollywoodschauspieler Interesse am Regenwaldtrip. Einen US-Senator nahmen sie in der Nacht beim Schnarchen auf, spielten ihm das Gerassel am nächsten Tag vor und erklärten ihm, dass das wahrscheinlich eine neue Vogelspezies war. Tom Cruise legten sie eine Plastikspinne auf den Bauch, er fiel fast aus der Hängematte. Und am Abend, wenn die Sonne untergeht, treffen sich Menschen, die es gewohnt sind, mit spitzen Fingern oder mit Demut behandelt zu werden, zusammen beim Grill und essen von Plastiktellern.

Heute ist Lovejoy zu einem der wichtigsten Ansprechpartner für Ökologie und Artenvielfalt geworden. Im vorigen Sommer bekam er eine Einladung aus Peking, mit dem zuständigen Komitee der kommunistischen Partei Chinas über ihren nächsten Fünf-Jahres-Plan zu sprechen. China hat sich ambitionierte Ziele im Umweltschutz gesetzt, und Lovejoy soll das Land beraten. Anfang 2019 erschien sein neues Buch zum Klimawandel, er schreibt Beiträge für die Journale "Science" und "Nature" sowie für die "New York Times". Lovejoy hat die Feldforschung aufgegeben, um seine Feldforschung am Leben zu erhalten. 700 Forschungsarbeiten entstanden hier, 200 Dissertationen, 1000 Wissenschafter, Studenten und Praktikanten arbeiteten an den verschiedensten Projekten. Es gibt mittlerweile sieben Camps. Die Hälfte aller Tropenforscher, so schätzt Lovejoy, hat an einem Punkt in ihrer Karriere im Fragmenteprojekt gearbeitet. Jeder dieser Menschen und jeder der Besucher formen zusammen ein Netz an Unterstützern, ohne das das Projekt nicht funktionieren könnte. Seit Anfang 2019 ist Lovejoys Forschung und Netzwerk institutionell vereint, eine eigene NGO, das Amazon Biodiversity Center. Stiftungsziel: den Regenwald zu retten.

"Ich bin nicht so hoffnungslos wie viele andere", sagt Lovejoy. "Ich habe ja den Anfang gesehen: null Schutzflächen. Heute ist fast die Hälfte des Amazonasbeckens geschützt." Aber die Fragmente erinnern daran, dass das nicht annähernd reicht. "Die Bewahrung und Wiederherstellung der Natur ist die beste Lösung für den Klimawandel. Man muss Ökosysteme restaurieren, Wälder aufforsten, Ufer und Küsten renaturieren."

Edward O. Wilson sieht das genauso. Der 89-Jährige gehört zu den renommiertesten Biologen weltweit. Vor vielen Jahren forschte auch er in Lovejoys Fragmenten und entdeckte eine Knotenameise, die er Pheidole lovejoyi taufte. 2016 veröffentlichte er ein Buch mit dem Titel "Half-Earth". Um die Erde zu retten, lautet Wilsons These, müssen wir die Hälfte aller Landflächen der Natur überlassen. "Was im Amazonas relevant ist, ist für die Welt relevant", sagt Lovejoy. "Was dem Regenwald schadet, schadet der Menschheit. Was ihn rettet, rettet die Erde."

Der Berliner Fabian Federl lebte einige Zeit in Brasilien. Von Thomas Lovejoy erfuhr er aus dem mit dem Pulitzer-Preis gekrönten Buch "Das sechste Sterben" von Elizabeth Kolbert. Fasziniert von dessen Arbeit schrieb er den "Godfather of Biodiversity" an, der ihn prompt in den Dschungel einlud.