Der Wert des Staunens: Brauchen wir die Astronomie?

Wer braucht Raumfahrtzeuge und gigantische Teleskope, die bloß Milliarden verschlingen? Jeder, argumentiert der Autor und Astronom Florian Freistetter.

Drucken

Schriftgröße

Wenn ich in der Öffentlichkeit über Astronomie und Raumfahrt spreche, bekomme ich oft Sätze wie diese zu hören: "Was für eine Geldverschwendung! Alles eine Vergeudung von Ressourcen!" Astronomische Forschung sei viel zu teuer und ohne echten Nutzen für die Menschheit. Wie verteidigt man die Astronomie gegenüber solchen Klagen? Dazu liefert die Generalversammlung der Internationalen Astronomischen Union (IAU), die eben in Wien stattfand (Bilder), ein paar Antworten. Etwa 3000 Astronomen nahmen an dieser weltweit größten Konferenz ihrer Disziplin teil.

Im Foyer des Tagungszentrums reihen sich Stände wissenschaftlicher Verlage, Sternwarten und Forschungsorganisationen aneinander. Der Besucher passiert große Modelle von Raumsonden und Weltraumteleskopen sowie zwei beeindruckende Nachbildungen von Sternwarten aus Lego. Die Wissenschafter sind sichtlich stolz auf ihre Instrumente, die unbestritten viel Geld kosten. Einige der Lego-Modelle stellen das Extremely Large Telescope (ELT) dar, ein Observatorium, das zurzeit von der Europäischen Südsternwarte (ESO) in Chile gebaut wird. Eine Milliarde Euro wird das Teleskop mit seinem 39 Meter großen Spiegel kosten, wenn es im nächsten Jahrzehnt den Betrieb aufnimmt. Ebenso teuer war ALMA, eine große Anlage aus Radioteleskopen, die seit 2014 das Universum beobachtet. Auch die europäische Raumsonde "Rosetta", die 2014 eine Landeeinheit auf einem Kometen absetzte, verschlang etwa eine Milliarde Euro.

Die Instrumente, die wir Astronomen verwenden, sind ohne Zweifel teuer. Aber wir haben es ja auch viel schwerer als die Astrologen, mit denen wir gern verwechselt werden. Die können sich einfach etwas ausdenken und ihre Horoskope veröffentlichen. Die Astronomie ist aber kein esoterischer Humbug, sondern eine Naturwissenschaft. Wir müssen das reale Universum untersuchen, und das ist nicht leicht. Die Distanzen zwischen den Himmelskörpern sind unvorstellbar groß. Wenn wir Kometen, Asteroiden oder andere Planeten studieren wollen, müssen wir eine Raumsonde dorthin schicken. Um die noch viel weiter entfernten Sterne und Galaxien zu erforschen, brauchen wir mächtige Teleskope, und manche müssen außerhalb der Erdatmosphäre stationiert werden. Ohne solche Weltraumteleskope wäre ein Großteil der modernen astronomischen Forschung nicht möglich. Aber sind solche Studien wirklich nötig? Wer braucht die Astronomie, außer uns Astronomen?

Jeder, der ein Handy benutzt, sagt Florian Rodler. Der österreichische Astronom arbeitet an der Europäischen Südsternwarte und kam zur Tagung der IAU nach Wien, um über seine Forschung zu sprechen. Zuerst erklärt er aber, warum die Astronomie für alle Menschen sinnvoll ist. Denn die Technologie käme allen zugute, zum Beispiel bei den Kameras in Smartphones: "Die Chips darin wurden vor einigen Jahrzehnten für die Astronomie entwickelt, damit wir präzise Abbildungen der Himmelsobjekte erhalten. Und heute werden neue Kameratechnologien entwickelt, die wir vielleicht in zehn Jahren in unseren Handykameras finden werden."

Ähnliche Beispiele findet man genug. Wenn ich bei öffentlichen Vorträgen von der faszinierenden Raumsonde Rosetta erzähle, ist das Publikum meist ebenfalls begeistert. Aber Rosetta hat uns nicht nur im Kosmos, sondern auch im Alltag weitergebracht. Ihre Aufgabe war es unter anderem, die Oberfläche eines Kometen möglichst genau zu fotografieren . Ein Komet aber ist nicht bunt, und die Kamera einer Sonde muss daher in der Lage sein, möglichst viele Graustufen zu unterscheiden. Aus der dafür entwickelten Technik der Astronomen ist mittlerweile ein Frühwarnsystem für Waldbrände geworden, das schon kleinste Rauchwolken frühzeitig entdecken kann. Eine unbestreitbar wichtige Innovation, die wir der "unnützen" Raumfahrt verdanken.

Allerdings versuche ich, Argumente dieser Art trotzdem zu vermeiden. Denn wir Astronomen machen unsere Arbeit ja nicht für technische Spin-offs. Wir schauen nicht hinaus ins Universum, weil wir bessere Handykameras haben wollen. Wir beobachten den Kosmos, weil wir verstehen wollen, was dort passiert, und weil wir dort Antworten auf einige der faszinierendsten Fragen der Welt finden können.

"Eine Wissenschaft, die an die Grenzen von Raum und Zeit geht"

Florian Rodler hält im Rahmen der Konferenz einen Vortrag, in dem er erklärt, wie das Extremely Large Telescope seine Forschung verändern wird. "Es wird die Astronomie grundlegend revolutionieren", sagt Rodler. Er will das eine Milliarde Euro teure Großteleskop zur Beobachtung von Planeten anderer Sterne nutzen: "Das ELT wird hier sehr wahrscheinlich zu spektakulären Entdeckungen führen, zum Beispiel von Anzeichen für Leben auf fernen Welten." Genau diese Möglichkeiten hält er für den wahren Wert der Astronomie: "Sie ist eine Wissenschaft, die an die Grenzen von Raum und Zeit geht und uns zum Nachdenken über unsere Existenz anregt. Die Astronomie kann uns aus unserem Alltag reißen und uns zum Staunen bringen."

Den Wert des Staunens darf man keinesfalls unterschätzen. Der Weg durch das Konferenzzentrum ist gesäumt von beeindruckenden Bildern aus dem Universum: ein meterlanges Poster voller funkelnder Sterne im Zentrum unserer Milchstraße; bunt leuchtende kosmische Nebel; die Oberflächen fremder Planeten. Auch die Astronomen sind sich des Faszinationspotenzials solcher Aufnahmen bewusst. Thomas Posch, Astronom und Philosoph sowie einer der Mitorganisatoren der IAU-Tagung, erklärt den Einfluss, den die Beschäftigung mit dem Kosmos ausübt: "In der Vergangenheit hat die Astronomie immer wieder ins Selbstverständnis der Menschen eingegriffen. Sie hat uns etwa, um ein bekanntes Beispiel heranzuziehen, aus dem geozentrischen Kosmos geworfen. Die Astronomie hat uns aber auch die Zerbrechlichkeit des Planeten Erde besser zu begreifen gelehrt."

Der Blick hinaus ins Universum ist immer auch ein Blick auf uns selbst, ergänzt Rodler: "Wir haben die Möglichkeit, mehr darüber herauszufinden, wo wir eigentlich zu Hause sind." Noch vor 30 Jahren nahm man an, dass unser Sonnensystem das einzige sei. Erst seit einigen Jahren wissen wir, dass die meisten Sterne, die wir am Abendhimmel sehen, von Planeten umkreist werden. "Wir fangen erst an, unsere kosmischen Nachbarn kennenzulernen und dabei auch mehr über uns selbst herauszufinden", so Rodler.

Zu den Instrumenten, mit denen die Astronomen das erreichen wollen, gehört auch das James-Webb-Space-Telescope (JWST). Es wird auf der IAU-Tagung prominent präsentiert: Ein maßstabsgetreues Modell begrüßt die Teilnehmer gleich beim Eingang. In den Konferenzsälen diskutieren die Forscher, was das Teleskop leisten wird, wenn es erst einmal im Weltraum ist. Momentan ist es aber eher eines der Sorgenkinder der NASA. Die Kosten des Nachfolgers des Hubble-Weltraumteleskops wurden 1997 auf etwa eine halbe Milliarde Dollar festgelegt, der Start ins All war für 2007 geplant. Seitdem wurde das Startdatum immer weiter nach hinten verschoben, die Kosten stiegen. Im Juni dieses Jahres gab die NASA bekannt, dass die Ausgaben knapp zehn Milliarden Dollar betragen und ein Start nicht vor 2021 erfolgen wird.

Vorwurf der Geldverschwendung nicht immer komplett unberechtigt

Angesichts dieser Zahlen werden auch Astronomen skeptisch. Der Vorwurf der Geldverschwendung ist nicht immer komplett unberechtigt, sagt Thomas Posch: "Die mehrfachen Kostenüberschreitungen erinnern ein bisschen an manche Großflughafen-Probleme", meint er. "Vor allem beschäftigt mich die Frage, ob zwischen solchen Großprojekten und mehreren kleineren Projekten, die dann wohl nicht realisiert werden können, richtig gewichtet wird."

Technische Schwierigkeiten und menschliche Fehler bei der Konstruktion waren ein Grund für die Verzögerung und die Explosion der Kosten. Aber man muss sich auch bewusst machen, dass Instrumente wie das JWST einzigartig sind.

Wenn man so etwas noch nie zuvor gebaut hat, kann man schwer einschätzen, welche unerwarteten Probleme man unterwegs lösen muss.

Dass wissenschaftliche Instrumente am Ende mehr kosten als geplant, ist nicht ungewöhnlich. Für das Hubble-Weltraumteleskop war ein Budget von 200 Millionen Dollar angesetzt, letztlich kostete es 1,2 Milliarden. Aber wenn ich mich an all die fantastischen Bilder erinnere, die Hubble in fast 30 Jahren gemacht hat, wenn ich an all die Erkenntnisse über das Universum denke, die wir durch dieses Instrument gewonnen haben, und auch daran, wie sehr die Öffentlichkeit von diesem einzigartigen Blick in den Kosmos fasziniert ist - dann halte ich den Preis für nicht allzu hoch. Und wenn das drei Mal größere JWST auch nur einen Bruchteil dessen hält, was es verspricht, finde ich nicht einmal zehn Milliarden zu teuer.

Denn es mangelt ja nicht an Geld. Erst kürzlich hat US-Präsident Donald Trump den Verteidigungshaushalt Amerikas mit 716 Milliarden Dollar ausgestattet. Mehr als sieben Milliarden Euro betragen mittlerweile die Kosten für den immer noch nicht einsatzbereiten Flughafen Berlin- Brandenburg. Die Europäische Raumfahrtagentur hat mit einem deutlichen geringeren Budget die Raumsonde Rosetta bis zu einem fernen Kometen gesteuert.

In Österreich hat die Asfinag für den Neubau von Straßen respektive deren Renovierung heuer mit einer Summe von 1,1 Milliarden genauso viel Geld investiert wie alle 15 Mitgliedsländer der Europäischen Südsternwarte gemeinsam (und über mehrere Jahre hinweg) für den Bau des ELT. Die Eurofighter, die wir für unser Heer angeschafft haben, zwackten 1,5 Milliarden Euro vom Budget ab. Die Vorstellung dagegen, dass Österreich im Alleingang das größte Teleskop der Welt bauen würde, erscheint gänzlich abwegig.

"Wissenschaft in wesentlichen Bereichen auch als Selbstzweck gelten lassen"

Aber genauso, wie man die Astronomie nicht durch Spin-off-Technologien rechtfertigen sollte, bringt es nichts, solche Rechenspiele durchzuführen. Es geht hier nicht nur um die Kosten. Thomas Posch ist der Meinung, dass man die Wissenschaft ähnlich betrachten sollte wie die Kultur: "Wir fragen gerade in Österreich selten nach dem Nutzen der Wiener Symphoniker, der Theater und Opernhäuser. Die Hochkultur insgesamt wird meist nicht auf ihren Nutzen hin geprüft, man sieht in ihr intuitiv, selbst in Zeiten großer Sparzwänge, so etwas wie einen Selbstzweck. Vielleicht müssen wir, so wie es früher zum Teil geschehen ist, die Wissenschaft in wesentlichen Bereichen auch als Selbstzweck gelten lassen."

Tatsächlich ist Wissenschaft genauso Teil der menschlichen Kultur wie Kunst, Literatur oder Theater. Erkenntnisse über das Universum sind genauso viel (oder wenig) wert wie die Mona Lisa, eine Oper von Mozart oder ein Text von William Shakespeare. Unser Wunsch, die Welt zu verstehen, ist Teil von dem, was uns zu Menschen macht, und es ärgert mich immer wieder aufs Neue, wenn ich mich als Astronom für etwas rechtfertigen muss, was anderswo problemlos akzeptiert wird. Bildung ist mehr als nur Kunst und Kultur! Wenn wir es als Gesellschaft für richtig halten, Theater, Opernhäuser, Bibliotheken oder Kunstmuseen zu betreiben, wenn es uns nicht nur nicht stört, sondern sogar wichtig erscheint, dass der Staat Festspiele mit Subventionen fördert, dann sollte uns die Wissenschaft nicht weniger wert sein. Wir sollten uns die Observatorien, Raumsonden und Weltraumteleskope leisten, vor allem, wenn man erreichen will, was unter anderem auch Wissenschaftsminister Heinz Faßmann in seiner Rede anlässlich der Eröffnung der IAU-Tagung forderte: mehr Menschen für die Wissenschaft zu begeistern.

Dafür gibt es kaum einen besseren Weg als die Beschäftigung mit dem Himmel, erklärt eine weitere Astronomin in Wien: Ruth Grützbauch, die ein mobiles Pop-up-Planetarium betreibt, mit dem sie vor allem Kindern und Jugendlichen das Universum nahebringt. "Die Astronomie übernimmt die Rolle einer Art Einstiegsdroge in die Wissenschaft", sagt sie. Die Faszination und Bedeutung von Wissenschaft ließen sich damit besonders gut vermitteln: "Ich glaube, es ist die Spannung zwischen der Unvorstellbarkeit und der Anschaulichkeit beziehungsweie Ästhetik astronomischer Objekte, die dieser Faszination zugrunde liegt."

"Astronomie eignet sich sehr gut für niederschwellige Vermittlung"

Grützbauch nutzt das astronomische Faszinationspotenzial bei ihrer Arbeit ganz konkret: "Die Astronomie eignet sich sehr gut für niederschwellige Vermittlung und hat eine weniger abschreckende Wirkung als andere Gebiete der Wissenschaft. Im abgeschlossenen Raum des Sternenzelts ist es leicht, komplett in die Weiten des Weltraums einzutauchen. Die Erfahrung der Größenordnungen und Phänomene des Weltalls wirkt oft relativierend, erhebend und befreiend." Einen Effekt, den sie derzeit gemeinsam mit den Künstlerinnen Rosie Benn und Lale Rodgarkia-Dara bei einem Projekt in der Wiener Macondo-Siedlung einsetzt: "Dort erforschen wir mithilfe von kreativen Workshops gemeinsam mit den Bewohnern der Siedlung unsere Beziehung zum Weltraum. Mit dem mobilen Planetarium werde ich dort mit den Menschen mit Fluchterfahrung, die oft traumatische Erlebnissen hinter sich haben, eine Reise in den Weltraum unternehmen und versuchen, als Inspirationsquelle zu fungieren."

Bei der IAU-Konferenz in Wien haben sich die Astronomen zur Kaffeepause versammelt. Alle halten Kaffeebecher oder Kekse in Händen. Sie stehen vor den Hunderten von Postern, auf denen Forschungsergebnisse präsentiert werden, vor den Modellen der Teleskope, scharen sich um aufgeklappte Laptops. Jung, alt, männlich, weiblich, leger oder förmlich angezogen und von den sämtlichen Kontinenten der Erde -und haben trotzdem etwas gemeinsam. Sie alle wollen dieses Universum verstehen und sind fasziniert von dem, was sich über unseren Köpfen im Weltall abspielt. Schließlich war die Beschäftigung mit dem Universum seit jeher Teil der Menschheitsgeschichte.

Florian Freistetter ist Astronom, Sachbuchautor, Wissenschaftsblogger und Mitglied der Science Busters.