Hautnah

Yael Adler: "Die Haut denkt, sie sei noch in der Steinzeit"

Dermatologin Yael Adler erklärt, warum man seinen Po mit seinem Gesicht vergleichen sollte.

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profil: Braucht die Haut im Winter besondere Pflege? Yael Adler: Normalerweise reicht es morgens aufzustehen und sich darauf zu verlassen, dass die Haut nachts viel Talg produziert hat. Das Gesicht am besten nur mit warmem Wasser waschen und mit dem Handtuch abtrocknen. Trockene Stellen sollte man im Winter mit Fettsalben eincremen, nicht mit Feuchtigkeitscremes. Mein Favorit ist reine Sheabutter. Sie schützt und repariert.

Einmal am Tag duschen und nur an den verschwitzen Arealen wie Achseln, Leistenregion und Füßen ganz sparsam eine saure Waschsubstanz verwenden

profil: Sie sagen, wir alle waschen uns zu oft und zu gründlich. Wie oft duschen Sie selbst? Adler: Die Haut denkt, sie sei noch in der Steinzeit, als die Menschen ab und zu auf einen Fluss trafen, in dem sie den gröbsten Schmutz loswurden. Die Haut dieser Menschen war wahrscheinlich gesünder als unsere heute. Das liegt vor allem an dem Übermaß an Pflege. Weil wir heute eine andere Vorstellung von Körperpflege und -geruch haben, mache ich einen Kompromiss, den ich auch meinen Patienten empfehle: Einmal am Tag duschen und nur an den verschwitzen Arealen wie Achseln, Leistenregion und Füßen ganz sparsam eine saure Waschsubstanz verwenden.

profil: Was ist an herkömmlichen Waschgels so schlecht? Adler: Viele nutzen allergieauslösende, duftende, gefärbte Duschgels, die stark schäumen und schädliche Konservierungsstoffe enthalten. Auch Seifen mit ihrem alkalischen ph-Wert zerstören den Säureschutzmantel. Der durchschnittlich saure ph-Wert wird so von etwa fünf auf neun katapultiert. Die Haut braucht bis zu sechs Stunden, um ihren Idealwert wiederherzustellen. Besser ist es, ein ph-neutrales, nicht duftendes, nicht gefärbtes und nicht schäumendes Waschgel zu nehmen, ein sogenanntes Syndet. Syndets sind synthetisch hergestellt und können mit pflegenden Fetten versehen sein. Es gibt sie im Drogeriemarkt und vor allem in der Apotheke.

profil: Sie sagen, man stinke sogar mehr durch zu viel Waschen? Adler: Genau. Die Bakterien, die sich in saurem Milieu wohlfühlen, werden durch Bakterien verdrängt, die es lieber alkalisch mögen. Sie lassen uns stinken. Die Hautkrankheit namens Bromhidrosis, im Volksmund Stinkschweiß, kommt daher, dass die falschen Bakterien den Schweiß zersetzen und unangenehme Gerüche freisetzen.

Falten bilden sich in der zweiten Hautschicht, der Lederhaut. Dorthin kommt kein Anti-Aging-Mittel

profil: Was halten Sie von Faltencremes? Adler: Es gibt Faltencremes, welche die Vitamine A, C oder E enthalten und manchmal auch Polypeptide, kurzkettige Eiweiße. In Studien hat man nachgewiesen, dass sie einen Hauch von Verbesserung bringen. Das Problem dabei ist, dass die Verbesserung so klein ist, dass der Kunde sie nicht wahrnimmt. Falten bilden sich in der zweiten Hautschicht, der Lederhaut. Dorthin kommt kein Anti-Aging-Mittel. Viel besser ist es, die Haut durch gesunde Ernährung schön zu halten. Und sich von Faltenbeschleunigern wie Rauchen, Stress, Solarium, Fast Food und Sonne fernzuhalten.

profil: Sie empfehlen Ihren älteren Patienten gerne, ihren Po mit ihrem Gesicht zu vergleichen. Warum? Adler: Den Effekt der Lichtalterung kann man sich so am besten vor Augen führen. Die meisten Menschen halten ihren Po nicht in die Sonne. Er ist deswegen viel glatter, hat keine Altersflecken und sieht viel jünger aus als das Gesicht.

profil: 20 Prozent der Menschen haben eine Kontaktallergie. Wie kann man sich davor schützen? Adler: Am häufigsten treten Allergien gegen Nickel auf, gefolgt von Duftstoffen. Man sollte auf der Haut komplett auf Duftstoffe verzichten. Oft werden Babys schon mit duftenden Lotionen eingecremt. So kann das Immunsystem eine Sensibilisierung dagegen entwickeln. Die Folge: Das Kind hat zeitlebens eine Duftstoffallergie. Auch Erwachsene sind durch Shampoos, Cremes, Make-up, Deo und Waschmittel dauernd mit Duftstoffen in Berührung. Ist die Hautschutzbarriere durch das Seifen löchrig, können die Duftstoffe tief eindringen und in Kontakt mit den Immunzellen kommen. Kaufen Sie Produkte, auf denen explizit "ohne Duftstoffe“ steht. Parfüm sollte man am besten nur auf die Kleidung sprühen.

profil: Ist Naturkosmetik besser für die Haut? Adler: Sie enthält keine Konservierungsstoffe oder Mineralöle, die als krebserregend gelten und die Poren verstopfen. Das ist ein Vorteil. Aber Naturkosmetik ist oft zu fett, was Akne fördern kann. Außerdem enthält sie oft natürliche Duftstoffe, ätherische Öle aus Pflanzen, die ebenfalls die Haut reizen können. Ein Beispiel ist die Calendula-Creme, die man auch bei Kindern anwendet. Die Ringelblume ist ein Korbblütler und hochallergen.

profil: Sie geben in Ihrem Buch eine Anleitung zum Pickelausdrücken. Wie macht man das am besten? Adler: Pickel sind überfüllte Poren und bestehen aus Talg, Hornschüppchen und Bakterien. Der Ausgang der Pore ist verstopft, wodurch eine Entzündung entsteht. Wenn man zu viel drückt, besteht die Gefahr, dass der Pickel in der Tiefe der Haut platzt. Dann ergießt sich das ganze Material in die Lederhaut, was Narben oder Flecken zur Folge haben kann. Zuerst sollte man die kurzen Nägel, die Finger und den Pickel desinfizieren, dann die verstopfte Pickelöffnung spreizen. Danach kann man sanft drücken und wieder spreizen. Man sollte die gelblich-weiße Masse sanft raushebeln.

Mehr als ein Glas Milch pro Tag ist für die Haut zu viel

profil: Auch viele Erwachsene leiden unter Akne. Sie nennen das eine Folge der "Latte-Macchiato-Generation“. Was meinen Sie damit? Adler: Milch fördert Pickel besonders. Sie enthält Botenstoffe und Aminosäuren, die im Körper einen Wachstumsbotenstoff freisetzen. Dieser vergrößert die Talgdrüsen, wodurch mehr Talg produziert wird. Mehr als ein Glas Milch pro Tag ist für die Haut zu viel. Diese Menge hat man mit Latte Macchiato schnell beisammen. Auch Zucker, Weißmehl und Transfette können das Hautbild deutlich verschlechtern.

profil: Sie vergleichen Solarien mit Körperverletzung. Warum? Adler: Die UVA-Strahlung ist im Solarium tausendfach höher als im Sonnenlicht. Sie geht sehr tief in die Haut, dorthin, wo die elastischen Fasern sitzen. Dadurch wird die Haut ledrig, faltig und fleckig. Was noch schlimmer ist: UVA-Strahlung verursacht Hautkrebs, weil sie die Tumorabwehr der Haut unterdrückt und Krebs provozierende freie Radikale im Gewebe entstehen lässt. Der Besuch im Solarium hat zudem keine vorbeugende Wirkung gegen Sonnenbrand. Die gebildeten Pigmente sind flüchtig, die schützende Hautverdickung passiert nicht. Solarien fördern auch nicht die Entwicklung von Vitamin D. Das entsteht nur durch UVB-Strahlung bei Tageslicht.

profil: Tattoos sind ebenfalls ein Albtraum für Dermatologen. Warum? Adler: Tattoo-Farben enthalten oft Gifte wie Schwermetalle, Konservierungsmittel, Nickel, krebserregende und erbgutverändernde Substanzen. Es gibt keinerlei Studien darüber, was diese Farben im Körper anrichten. Ein Teil der Farbpigmente wird über die Lymphe in die Lymphknoten abtransportiert, die zu einer Art Endlager werden. Manche Fremdkörper landen auch in anderen Organen, wo sie wie kleine Zeitbomben liegen bleiben.

Je mehr Schadstoffe man im Laufe des Lebens ansammelt, desto höher das Risiko

profil: Aber gibt es nicht viele Menschen, die am ganzen Körper tätowiert und völlig gesund sind? Adler: In der Toxikologie gibt es oft einen Summationseffekt. Irgendwann ist es dem Körper zu viel, und er erkrankt. Je mehr Schadstoffe man im Laufe des Lebens ansammelt, desto höher das Risiko.

profil: Was halten Sie von Botox? Adler: Sich die Mimik wegzuspritzen, ist natürlich entsetzlich, dann sieht man aus wie ein Monster. Dezent eingesetzt ist es weniger problematisch und kann Kopfschmerz lösen. Botox wird, im Gegensatz zu Tätowierfarben, innerhalb von drei Tagen vom Körper abgebaut. Der Effekt verschwindet nach einigen Monaten. Die behandelten Gesichtsmuskeln, zum Beispiel um die Zornesfalte über der Nase, sind für einige Monate stillgelegt. Dadurch werden sie schwächer, die Haut darüber wird weniger zu Falten zusammengeschoben. Gezielt eingesetzt lassen sich damit kosmetisch eindrucksvolle Ergebnisse erzielen, das Risiko ist minimal.

Yael Adler, 43

Die Dermatologin hat viele Jahre für die klinische Forschung gearbeitet und leitet seit 2007 eine Praxis in Berlin. In ihrem kürzlich erschienenen Bestseller "Hautnah“ erklärt Adler das größte Organ des Menschen.

Yael Adler: "Hautnah“, Droemer Verlag, 336 Seiten, 16,99 Euro

Franziska   Dzugan

Franziska Dzugan

schreibt für das Wissenschaftsressort und ist Moderatorin von tauwetter, dem profil-Podcast zur Klimakrise.