Laura Kovacs, Agata Ciabattoni und Magdalena Ortiz (vorne, von links) mit den Doktorandinnen der TU Wien

Zahlenzauber: Ada Lovelace und ihre Nachfolgerinnen

Zahlenzauber: Ada Lovelace und ihre Nachfolgerinnen

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„Mein lieber Babbage! Ich arbeite hart für Sie. Tatsächlich arbeite ich wie der Teufel (der ich vielleicht auch bin). Ich würde gerne die Bernoulli-Zahlen in meinen Artikel einfügen, um zu zeigen, was die Maschine zu leisten imstande ist. Für immer Ihre A.A.L.“

„Meine liebe Lady Lovelace! Je mehr ich von Ihren Anmerkungen lese, desto überraschter bin ich von ihnen, und desto mehr bereue ich, sie in ihrer Brillanz nicht früher entdeckt zu haben. Für immer Ihr C. Babbage.“

Augusta Ada Lovelace (1815–1852), Tochter des britischen Dichters Lord Byron, tüftelte neun Monate lang wie eine Besessene an einer Software für den ersten mechanischen, freilich nie realisierten Computer der Welt. Die Briefe flogen nur so hin und her zwischen ihrem Landsitz in Surrey und dem Londoner Büro von Charles Babbage, dem Erfinder der Rechenmaschine, die er Analytical Engine nannte. Die Maschine besaß alle entscheidenden Merkmale eines modernen Computers: Sie konnte mit Lochkarten programmiert werden, der Speicher war getrennt vom Prozessor, und sogar einen Drucker hatte Babbage eingeplant. Um die Analytical Engine zu bauen, fehlten dem Mathematiker damals allerdings sowohl das Geld als auch die mechanischen Möglichkeiten. Die adelige Intellektuelle Ada Lovelace störte das nicht. Ihre mathematische Begabung und ihre Fantasie ermöglichten es Lady Lovelace, sich unter Babbages Erfindung eine „Universalmaschine“ vorzustellen.

„Eine ungeheure neue Sprache ist entstanden“, schrieb sie begeistert und entwarf eine Tabelle in eben dieser Sprache. Sie ordnete und nummerierte darin Befehle: Welche Operation sollte mit welchen Variablen durchgeführt werden? Schließlich schaffte sie es sogar, Operationsschritte zu formulieren, welche die fiktive Maschine mit der komplizierten Formel zur Berechnung der Bernoulli-Zahlen beauftragten. Heute würden wir es Computerprogramm nennen.

Das brachte Ada Lovelace im 20. Jahrhundert den Beinamen „erste Programmiererin der Welt“ ein. 100 Jahre, bevor der erste Computer überhaupt gebaut wurde, hatte sie schon die Software dafür ersonnen. 1974 benannte das US-Verteidigungsministerium die bis heute gültige Programmiersprache „Ada“ nach der genialen Britin.

Am 10. Dezember jährt sich ihr Geburtstag zum 200. Mal. Lovelace inspiriert Informatiker und Informatikerinnen bis heute. In Österreich sind derzeit einige ihrer besten Nachfolgerinnen versammelt: Sie beschäftigen sich an der Technischen Universität Wien und an der Universität Linz mit Logik, einer für Laien nahezu undurchschaubaren, aber für die Informatik unverzichtbaren Wissenschaft. Mithilfe von Logikmethoden, die etwa nach Fehlern in Computerprogrammen fahnden, können Flugzeuge sicher fliegen und blasen sich die Airbags in Autos im Falle eines Crashs im richtigen Moment auf.

Agata Ciabattoni, Professorin für Logik an der TU Wien, sorgte zum Beispiel dafür, dass Ärztedatenbanken treffsicherer funktionieren. Ein Arzt am AKH Wien kann das medizinische Computersystem nicht nur mit den Symptomen Fieber, Kopfweh und Müdigkeit füttern, sondern auch den Grad der Schmerzen und die Höhe der Temperatur des Patienten eingeben. Das von Ciabattoni verifizierte und verfeinerte Programm kennt nicht nur wahr oder falsch beziehungsweise – in der Computersprache – null oder eins: „Es kann Nuancen aufnehmen und verarbeiten“, sagt die aus Italien stammende Wissenschafterin, die 2011 den START-Preis des Wissenschaftsfonds (FWF) erhielt. Am Ende spuckt die Software mögliche Krankheiten aus – samt der Wahrscheinlichkeit, mit welcher der Patient daran leiden könnte. Nun beschäftigt sich die Grundlagenforscherin mit indischer Philosophie.

Agata Ciabattoni: "Wir Frauen können es uns nicht leisten, Nerds zu sein."

Das über 2000 Jahre alte Mimamsa-System ist die Grundlage der Interpretation von religiösen Gesetzen und hat bis heute eine große Bedeutung in der hinduistischen Gesellschaft. Ein Gesetz besagt: Du darfst keinem Lebewesen Leid zufügen. Ein anderes hingegen schreibt vor, jemanden unter bestimmten Umständen zu töten. „Warum ist das kein Gegensatz? Ich versuche die widersprüchlichen Regeln zu formalisieren. Das führt zu neuen Perspektiven und Interpretationen der bis heute nicht vollends durchschauten Philosophie“, erklärt Ciabattoni.

Ähnlich wie Ciabattoni interessierte sich Ada Lovelace, geborene Augusta Ada Byron, nicht nur für Mathematik – obwohl ihre Mutter das gerne gesehen hätte. Diese hatte sich von Lord Byron getrennt, als Ada gerade einen Monat alt gewesen war. Der prominente Dichter war ein notorischer Schürzenjäger, die Scheidung nach Adas Geburt ein öffentlicher Skandal. Lady Byron floh vor der Klatschpresse auf den Landsitz ihrer Eltern, Lord Byron ins Ausland. Er kehrte nie zurück und starb, als Ada neun Jahre alt war.

Frauen explizit als Autorinnen auszuweisen war zu Adas Zeit ebenso undenkbar wie sie an den Universitäten studieren zu lassen.

Lady Byron achtete streng darauf, alles Leidenschaftliche aus Adas Wesen zu verbannen. Dazu engagierte sie eine Schar von Hauslehrern, die das neugierige Mädchen vor allem in Naturwissenschaften unterrichteten. Doch Ada spielte auch leidenschaftlich Harfe und träumte von einer Karriere als Opernsängerin – Pläne, die zuerst ihre Mutter durchkreuzte, später ihr Ehemann. Charles Darwin, der Vater der Evolutionstheorie, gehörte ebenso zu den Freunden der erwachsenen Ada Lovelace wie der Autor Charles Dickens und der Geologe Charles Lyrell. Ihr brillanter, zuweilen flatterhaft von Fach zu Fach springender Verstand ermöglichte Ada Lovelace vielleicht erst ihren visionären Blick in die Zukunft. Sich dessen durchaus bewusst, schrieb sie an den Erfinder Babbage: „Ich denke nicht, dass Sie auch nur die Hälfte meiner Vorausahnung besitzen.“ Es sei möglich, meinte Ada, „dass die Analytical Engine algebraische Muster webt, gerade so wie der Jacquard-Webstuhl Blätter und Blüten“.

In seiner Autobiografie erinnert sich Babbage: „Die Autorin ist in nahezu alle der überaus schwierigen und abstrakten Probleme tief eingedrungen.“ Obwohl Ada Lovelace den überwiegenden Teil der „Scientific Memoires“ über die Analytical Engine geschrieben hatte, fand sich ihr Name nirgendwo in der Veröffentlichung. Es gab nur einen dürren Hinweis auf die Verfasserin. Ihre Initialen A.A.L. wurden am Ende des 1843 gedruckten Texts genannt, allerdings auch noch falsch geschrieben: A.L.L. Frauen explizit als Autorinnen auszuweisen war zu Adas Zeit ebenso undenkbar wie sie an den Universitäten studieren zu lassen. Erst mehr als 100 Jahre später wurde der Artikel wiederentdeckt.

Magdalena Ortiz, Logikprofessorin an der TU Wien

Ada Lovelace sei keineswegs die einzige Computerpionierin gewesen, sagt die Logikerin Magdalena Ortiz. Die gebürtige Mexikanerin beschäftigt sich an der TU Wien mit sogenannten semantischen Technologien, die Suchmaschinen intelligenter machen. Sucht man heute in Google nach Wien, erscheint rechts oben ein Kasten mit den wichtigsten Informationen über die österreichische Hauptstadt. Der Computer soll nicht nur das Wort finden, sondern dessen Bedeutung erfassen: „Eine Suchmaschine weiß, dass Wien eine Stadt ist, die eine bestimmte Bevölkerung beherbergt und ein Verkehrsnetz hat. Sie weiß genauso, dass ein Jaguar eine Wildkatze, aber auch ein Auto sein kann“, sagt die Logikerin. Das gelingt über die sogenannte Wissensrepräsentation, für die Ortiz komplexe logische Methoden erarbeitet.

Sucht man im Internet nach dem ersten Universalrechner ENIAC, findet man unter anderem Schwarz-Weiß-Fotografien von jenen sechs Frauen, die ihn 1943 programmierten. Kay McNulty, Betty Snyder, Betty Jennings, Frances Bilas, Ruth Teitelbaum und Marlyn Wescoff leiteten das zimmergroße Ungetüm an, indem sie dessen Komponenten mit Kabeln verbanden. Der Computer konnte dank der „ENIAC-Frauen“ addieren, subtrahieren, multiplizieren, dividieren und Wurzeln ziehen. Im Zweiten Weltkrieg errechnete er ballistische Flugbahnen für die US-Armee.

Um Bugs möglichst effizient aufzuspüren, übersetzt Kovacs den Computercode zunächst in die Sprache der Logik.

Die Mathematikerin Grace Murray Hopper (1906–1992) programmierte kurz darauf den ersten digitalen Computer namens Harvard Mark I für die US Navy Reserve. 1951 erfand sie den Compiler, ein Programm, das Anweisungen in einer Programmiersprache in einen maschinenlesbaren Code übersetzte. Schon früh erkannte die Softwareentwicklerin, dass Programmierungen nicht nur für die Wissenschaft, sondern auch für Handel und Industrie praktisch sein könnten. Dafür brauche man aber eine einfachere Software, meinte Hopper, und entwickelte eine erste intuitive Programmiersprache namens Flow-Matic. Diese inspirierte 1959 ein Team um die Softwareentwicklerinnen Jean Sammet und Gertrude Tierney zu COBOL, der bis dato gängigen Standardsprache für kaufmännische Programmierungen.

Die vielfach ausgezeichnete Logikerin Laura Kovacs von der Chalmers Technischen Universität in Göteborg entwickelt heute Computerprogramme, die andere Computerprogramme überprüfen. Das ist extrem wichtig, denn es schleichen sich immer wieder Bugs, also Softwarefehler, ein. Diese sind für Nutzer eines Textverarbeitungsprogramms lästig, können in einer Flugkontrollsoftware aber schnell bedrohlich werden. Um Bugs möglichst effizient aufzuspüren, übersetzt Kovacs den Computercode zunächst in die Sprache der Logik. Sie verwandelt das Programm in eine Formel, deren Eigenschaften der Computer dann automatisch überprüfen kann. „Es passiert immer wieder, dass ein Programm auf Speicherorte zugreift, die es gar nicht gibt. Das führt zum Programmabsturz. Wir können mit unseren Methoden bestimmen, welche Speicherorte überhaupt aufgerufen werden können“, sagt Laura Kovacs, die aus der ungarischen Minderheit in Rumänien stammt und 2016 eine Professur an der Technischen Universität Wien antreten wird. Logikmethoden spielen auch in der Softwareindustrie eine große Rolle, weshalb Kovacs mit Microsoft und Intel zusammenarbeitet.

Wie geht es Frauen heute in einem technisch-naturwissenschaftlichen Beruf, der trotz der vielen Vorreiterinnen als Männerdomäne gilt?

Ada Lovelace musste noch ihren Mann in die Bibliothek schicken, um ihren Wissensdurst zu stillen – sie hatte als Frau keinen Zutritt zu Bildungseinrichtungen. Als Adelige hatte sie freilich Möglichkeiten, von denen normale Frauen nur träumen konnten. 1844, als sie ihre Arbeit mit Charles Babbage abgeschlossen hatte, verspürte sie Lust auf Neues. Sie wandte sich in einem Brief an den Physiker Michael Faraday, den sie kokett darum bat, sie zu unterrichten: „Sie haben in mir ein irrwitziges, aber nicht unfeines allegorisches Bild geweckt: Das Bild von einer langsamen, schwerfälligen Schildkröte und einer wunderschönen Fee, die in Tausenden Farben schillert. Die Schildkröte schreit: ‚Fee, Fee, ich bin nicht wie du. Ich kann nicht Tausende Gestalten annehmen oder mich über das ganze Universum ausbreiten. Fee, Fee, hab Erbarmen mit mir und denk daran, dass ich nur eine Schildkröte bin.‘“ Faraday sagte natürlich zu. Und sah in Lovelace keineswegs eine Schildkröte, sondern beschrieb sie als „höchst elastischen Geist“. Der Erfinder Charles Babbage bezeichnete sie sogar als „Zahlenzauberin“.

Noch dazu in einem Fach, das so dynamisch ist wie die Informatik? An der TU Wien schreiben derzeit 15 junge Logikerinnen an ihrer Doktorarbeit – so viele wie sonst nirgends auf der Welt. Helmut Veith vom Institut für Informationssysteme ist darauf mächtig stolz: „Wir haben aktiv nach Frauen für unsere Doktoratsprogramme gesucht, weil es uns ein Anliegen ist.“ Marijana Lazic aus Serbien, Shqiponja Ahmetaj aus Albanien und Neha Lodha aus Indien sind drei hoch begabte Doktorandinnen. Hier zähle ihre Forschung, nicht ihr Geschlecht, sind die jungen Frauen überzeugt. Sie genießen es aber, ausnahmsweise in der Mehrheit und nicht, wie es in ihrer Laufbahn oft der Fall war, einzelne Frauen unter vielen Männern zu sein.

Martina Seidl spürt mithilfe der Logik Softwarefehler auf

Martina Seidl, Assistenzprofessorin am Institut für Formale Modelle und Verifikation der Uni Linz, beschäftigt sich wie Laura Kovacs mit der Verifikation von Computerprogrammen. Sie baut Formeln, mit deren Hilfe Softwarefehler gefunden werden können. Die gebürtige Klosterneuburgerin ist die einzige Logikforscherin in Österreich, die auch hier geboren wurde. Das mag einerseits daran liegen, dass Österreich ein kleines Land ist. Andererseits haben die Forscherinnen das heimische Bildungssystem im Verdacht, ein Hindernis auf dem Weg der Mädchen in Richtung Naturwissenschaft und Technik zu sein. Kinder müssen sich schon mit zehn Jahren für eine Schule entscheiden, dadurch landen die wenigsten Mädchen in Schulen mit naturwissenschaftlichem Hintergrund. Und wahrscheinlich haben nur wenige so einfallsreiche Lehrerinnen wie Seidl. Als sie 15 Jahre alt war, weckten ausgerechnet der Englisch- und der Zeichenunterricht ihre Neugier für Informatik. Ihre Lehrerinnen hatten sich spannende Computerprojekte überlegt.

Ein weiterer Knackpunkt sei die Geburt eines Kindes, sagt Kovacs. Ihre Forschung länger als sechs Monate liegen zu lassen, wäre für die Wissenschafterin undenkbar gewesen. „In der Informatik geht alles wahnsinnig schnell. Wenn ich meine Methoden nicht entwickle, macht es jemand anderer. Forschungsgelder und Preise kann ich dann vergessen“, soagt Laura Kovacs. Sie brachte ihre heute eineinhalbjährige Tochter in Göteborg zur Welt und teilte die einjährige Karenz, wie in Schweden üblich, zur Hälfte mit ihrem Mann. Auch Agata Ciabattoni gönnte sich nach der Geburt ihres inzwischen achtjährigen Sohnes keine lange Pause. Der TU-Kindergarten habe dabei sehr geholfen, weil er für österreichische Verhältnisse ungewöhnlich lange, nämlich von sieben bis 19 Uhr, geöffnet hat: „Mein Sohn ist praktisch auf der Uni aufgewachsen.“ Im Gegensatz zu vielen ihrer männlichen Kollegen überlege sie auf dem Nachhauseweg, was sie für sich, ihren Mann und ihren Sohn kochen könnte, sagt Ciabattoni: „Wir Frauen können es uns nicht leisten, Nerds zu sein.“

INFOBOX

Logik als Sport Im Vorjahr traten erstmals Computerprogramme in einem internationalen Wettkampf gegeneinander an.

Martina Seidl konnte ebenso eine einheimsen wie Magdalena Ortiz: Insgesamt gingen 13 der erstmals in der Geschichte vergebenen 43 olympischen Logikmedaillen an Forscher, die in Österreich arbeiten. Verziert waren die Medaillen mit dem Konterfei des großen österreichischen Mathematikers Kurt Gödel. Die Spiele fanden im Rahmen des „Vienna Summer of Logic“ 2014 statt, an dem 2500 der weltweit besten Informatiker, Mathematiker und Philosophen teilnahmen. Sie sollen künftig alle vier Jahre ausgetragen werden.

Die Stars der Olympischen Spiele waren nicht die Menschen, sondern deren Programme. Diese traten in mehreren Bewerben gegeneinander an, um knifflige Logikprobleme zu lösen. Welche Software findet die meisten Fehler in Computerchips? Welche analysiert am schnellsten einen Programmcode? Und welche erstellt die besten mathematischen Beweise? Die Forscher schickten mit ihren teils über Jahre entwickelten Softwareprogrammen wahre Champions ins Rennen. Die Aufgabenstellungen kamen direkt aus der Industrie.

Franziska   Dzugan

Franziska Dzugan

schreibt für das Wissenschaftsressort und ist Moderatorin von tauwetter, dem profil-Podcast zur Klimakrise.